Take me away – J. H. Newmans “Traum des Gerontius” Eine poetische Wanderung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt
von Magdalena S. Gmehling
Wenn ein junger Komponist ausgerechnet an seinem Hochzeitstag (1889) ein Gedicht verehrt bekommt, welches den „Traum“ eines alten Mannes (Geron=Greis) hinsichtlich der letzten Dinge beschreibt, so ist das bemerkenswert. Noch bemerkenswerter: der Musiker wird von diesem Text so ergriffen, dass er daraufhin ein vielbeachtetes Oratorium „The Dream of Gerontius“ op. 38 (1890) komponiert. Und dies zur größeren Ehre Gottes. Auf dem Birmingham Triennial Music Festival gelingt ihm damit der künstlerische Durchbruch. Die Rede ist von Sir Edward Elgar, 1. Baronet (1857-1934). Als bewegenden Ausdruck katholischer Eschatologie empfanden nicht nur Zeitgenossen die letzte umfangreiche Dichtung des Konvertiten und späteren Kardinals, John Henry Newman (1801-1890). Bei dem englischen Nationalhelden „Gordon Pascha“ (General Charles George Gordon), fand man nach dessen Ermordung (1885) ein Exemplar des Textes mit handschriftlichen Notizen. Sie belegten, dass der Generalgouverneur der ägyptischen Provinz Sudan-nach einem Wort des hl. Paulus- „täglich starb“. In bedrängter Zeit (1939) übersetzt der sprachmächtige deutsche Philosoph Theodor Haecker (1879-1945) die Dichtung. Der Maler John Alexander White vergleicht den „Traum“ mit Dantes Divina Comedia. Paul Pattloch legt 1946 in seinem Verlag eine zweisprachige Ausgabe vor.
Die Entstehungsgeschichte der Dichtung reicht in das Jahr 1865 zurück. An Allerseelen erschien das Opus, welches ein Freund bereits anonym in der April-und Mainummer der Jesuitenzeitschrift „The Month“ abgedruckt hatte. Newman konzipierte den „Traum des Gerontius“ –nach eigener Aussage- im Angesicht des Todes auf kleine Papierfetzen. Seit 1864 befand er sich in einer kräftezehrenden Kontroverse mit dem anglikanischen Kirchenhistoriker Charles Kingsley, einer prägenden Gestalt des Christian Socialism. 19 Jahre nach der Konversion Newmans bewirkten die heftigen Attacken seines Kontrahenten, der ihm Glaubensabfall vorwarf, die Entstehung der „Apologia Pro Vita Sua“ (1864), einer Lebensrechtfertigung. Bedrängt von Todesphantasien entstand zeitgleich aus einer plötzlichen Eingebung das Seelendrama „Der Traum des Gerontius“. Gewidmet hat es Newman dem Andenken des früh verstorbenen Oratorianers und Freundes, John Joseph Gordon (1811-1853). Die Dichtung hat 7 Teile:
1. Nahen des Todes Die Jenseitsreise beginnt mit dem Lebensgefühl der Angst, des Grauens und inneren Verlassen seins, des Schwindens aller Kräfte: „As though I was no more a substance now“ (als ob kein wirklich Wesen ich mehr sei). Im Gefühl des nackten Nichts fleht Gerontius um das Gebet der Freunde. Er ruft Jesus Christus, die Gottesmutter, den hl. Josef, alle Engel und Heiligen an und spricht sein persönliches Glaubensbekenntnis. „Firmly I believe and truly/God is three and God is one...” (fest ich glaub’ und ohne Wanken/Gott ist drei und Gott ist eins...).Der 1. Teil schließt mit dem Sterbegebet des Priesters.
2. Erwachen der Seele in einer neuen Existenz Gerontius befindet sich im Zustand der Ablösung seiner Seele vom Leib. Er erfährt, dass der Kosmos durchdrungen ist von Bewusstsein, fühlt sich von seinem Schutzengel gehalten und hört dessen Gesang: My work ist done,/My task is o’er,/ And so I come,/Taking it home,/For the crown is won,/Alleluja,/For evermore (Mein Werk ist getan,/Von der Pflicht befreit,/Kehr wieder ich/Zur Heimat mich;/Denn die Kron‘ er gewann,/Alleluja/In Ewigkeit). Die Seele kann sich nicht mehr im Leib ausdrücken. Sie ist leicht und frei, bereit die himmlischen Geister und Gott zu schauen.
3. Gerontius auf dem Wege zum Gericht Im Dialog der Seele mit dem Schutzengel kristallisiert sich die Unvereinbarkeit menschlicher Zeitvorstellungen mit der unbegreifbaren Ewigkeit heraus. „For spirits and men by different standards mete/ The less and greater in the flow of time“. (Im Reich der Geister gilt nicht menschlich Maß/Für das was groß, was klein im Strom der Zeit.) Der Engel erklärt, dass in der körperlosen Welt die Zeit durch das Seelengeschehen gemessen wird. Für reine Geistwesen stehe das Zeitgefühl im Verhältnis zur Intensität des eigenen Denkens. „It is thy very energy of thougt/Which keeps thee from thy God“. (Die Kraft des eignen Denkens nur hält noch/Von deinem Gott dich fern).
4. Gottferne und Gottnähe-Verdammnis und Gnade Auf dem Weg zum Richterstuhl Gottes wird die Seele unter schaurigem Gelächter, Spott und wüsten Verwünschungen von Dämonen bedrängt, die sich wie wilde Tiere hinter Gittern gebärden. Während des irdischen Lebens haben sie versucht, Menschen zu verführen und zu gewinnen. Zwar sieht die Seele die Verdammten nicht, denn sie ist blind und verlor ihr körperhaftes Sein, aber mit einem Rest Empfindungskraft –so erklärt der Schutzengel-kann sie sich der falschen Geister erwehren. Denn-so der Engel: „And thou art wrapped and swathed around in dreams,/Dreams that are true, yet enigmatical;” (Von Träumen bist so rings umsponnen du,/Die wahr zugleich und voller Rätsel sind). Das Feuer der Läuterung aber, ist ein Feuer ohne Licht, welches nach einem Augenblick der persönlichen Gottesbegegnung der Seele lehrt, „dass der Ewigen Liebe Flamme, eh sie verwandelt, brennt. ...“
5. Heilsgeschehen und Läuterung Wunderbares Singen erklingt. Fünf Chöre himmlischer Geister preisen Gottes ewigen Ratschluss und das Schicksal des Menschen, dem nach Kampf, Bewährung und Sieg, ewiges Leben leuchtet. Die feinsinnigen Texte „Praise to the Holiest in the height“ (Preis sei dem Heil’gen in der Höh‘) werden heute noch als englische Kirchenlieder gesungen. Inhaltlich erzählen die Texte von abtrünnigen Menschen, denen es erst durch Gottes Gnade gelingt, ihr Versagen zu bereuen. Das Los der Engel und Menschen wird verglichen. Jene zweifache Pein beschworen, die in der Trennung von Seele und Leib sowie in der Läuterung besteht. Der Zustand der Seelen wird geschildert, die frei von Sünde sind, jedoch vor Sehnsucht nach Gott und Scham über ihr Versagen verzehrt werden. „Thou wilt be sick with love,/and yearn for Him,/And feel as though thou couldst but pity Him,/That one so sweet schould e´er have placed Himself/At disadvantage such, as to be used ...”. (Dein liebeskranker Sinn sehnt sich nach ihm,/Und Mitleid nur fühlst du im Herzen, dass/ Der so unendlich liebenswerte Gott/Ließ willig sich erniedrigen von dir...). Der fünfte Teil endet mit einem Lobpreis auf den Erlöser.
6. Das persönliche Gericht Schwach nur vernimmt der Verstorbene das Gebet der Freunde. Vermittelnd steht vor Gottes Thron nun der gewaltige Engel der Todesangst Christi. Er, der dem Heiland am Ölberg beistand, spricht für die Seele. Wie zu Nichts verzehrt liegt diese gerettet vor dem hehren Thron. Schicksalsergeben bittet sie: „Take me away, and in the lowest deep/There let me be,/And there in hope the lone night-watches keep,/Told out for me./There, motionless and happy in my pain,/Lone, not forlorn,-/There will I sing my sad perpetual strain,/Until the morn.” (Trag mich hinweg, und in der tiefsten Nacht/Laß mich nun sein,/In stiller Hoffnung haltend dort die Wacht, Für mich allein. Dort, regungslos, voll Glück in tiefstem Schmerz/Und unverzagt,/Sing´ ich mein ewig Klaglied himmelwärts,/ Bis Rettung tagt;)
7. Die Seele am Reinigungsort-in Erwartung ewiger Freuden Die Engel des Purgatoriums empfangen Gerontius liebevoll. Mit den anderen Seelen betet er den vom Dichter frei nachempfundenen Psalm 90. Der ewige Gott ruft den vergänglichen Menschen zurück. Auf dem Weg in himmlische Sphären leuchtet die Barmherzigkeit des Herrn. Engelgesang beschließt den Traum des Gerontius: „Farewell, but not for ever! Brother dear/Be brave and patient on thy bed of sorrow;/Swiftly shall pass thy night of trial here/And I will come and wake thee on the morrow.” (Leb wohl mein Bruder, bald ist es vollbracht,/Geduldig, standhaft trag die Last der Sorgen;/Schnell wird vergehen deiner Prüfung Nacht,/Ich komm´und wecke dich, wenn tagt der Morgen.)
Newmann hatte sich – entgegen dem Artikel 22 des anglikanischen Bekenntnisses - in seiner „Entwicklung der Glaubenslehre“ (1845) zu der katholischen Fegefeuerlehre durchgerungen, die Rudolf Vorderholzer im Nachwort zu der Dichtung so beschreibt: „Das Purgatorium ...ist der Zwischenzustand, in dem ein getaufter Christ, der in Stand der Gnade gestorben ist, den aber noch die Folgen seiner Schuld belasten, von allen Schlacken der Sünde gereinigt wird. Die Fürbitte der Hinterbliebenen, gute Werke und vor allem die Feier des Messopfers... können zur Ausheilung des von Sündenstrafen verwundeten Menschen beitragen.“ Der „Traum des Gerontius“ ist das letzte lyrische Werk Kardinal Newmans, der-entgegen seiner Todesahnungen-nach dessen Fertigstellung noch fast 30 Jahre lebte. Er, der große Denker, Beter und Dichter setzte sich schon sehr früh mit der Nichtigkeit und dem Wert des Lebens auseinander. Bereits 1836 schreibt er in seinen Betrachtungen: „Unser irdisches Leben verspricht etwas, was es nicht hält; es verheißt Unsterblichkeit und ist doch sterblich; es birgt Leben im Tode und Ewigkeit in der Zeit;...Wir sollten uns in keinem volleren Sinne in diese Welt gestellt erachten denn als Schauspieler in einem Schauspiel; uns bewusst sein, dass das Leben eine Art Traum ist, so getrennt und so verschieden von unserer wirklichen ewigen Existenz, wie ein Traum vom Wachen ...“. Die Zitate sind entnommen: John Henry Newman. Der Traum des Gerontius. Johannes Verlag Einsiedeln, Freiburg 2001
Nachricht: Ein Zeichen an Franziskus? In der ehemaligen Diözese von Franziskus /Bergoglio schlug ein Blitz in eine Statue des Apostels Petrus ein. Der Blitz zerbrach den Heiligenschein auf dem Kopf des Apostels Petrus und riss seine rechte Hand ab, die den Schlüssel hält, den die Katholiken als Symbol der päpstlichen Autorität betrachten. Mehrere Tage lang galten die Informationen über den Vorfall, die von einem italienischen Blogger ins Internet gestellt wurden, als zweifelhaft. Der Vorfall wurde jedoch später vom Priester Justo Lofeudo bestätigt, der ein Foto der Statue veröffentlichte. Der Veröffentlichung zufolge ereignete sich der Vorfall am Geburtstag von Franziskus und am Tag vor der Veröffentlichung der Erklärung Fiducia supplicans, die Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare zulässt. (Katholisch.de)
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