Zeitschriftenkritik: CRISIS Magazin Nr.6 Kann Krieg ethisch gerechtfertigt werden? In mehr als 10 Beiträgen beschäftigen sich unterschiedliche Autoren mit Fragen der christlichen Ethik des Krieges, gerechten und notwendigen Kriegen, radikalem und friedlichem Pazifismus. Die 6. Ausgabe der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift Crisis – Journal für christliche Kultur - beschäftigt sich mit dem Thema Krieg. Dabei erhebt die Redaktion der Zeitschrift den Anspruch die seit Kain und Abel bestehenden mörderischen menschlichen Konflikte differenziert zu betrachten. „wir wollen kein Schwarz-Weiß-Denken, sondern hin zu den Ursachen und Auswirkungen gewaltsamer Auseinandersetzungen. Um es klar zu sagen: Jeder Krieg – auch der aktuell in der Ukraine tobende – ist eine Ausprägung des Bösen, auch und gerade, weil sich hier orthodoxe Brüder gegenüberstehen, die eine gemeinsame Geschichte und Kultur einen sollte.“ (Editorial)
In mehr als 10 Beiträgen beschäftigen sich unterschiedliche Autoren mit Fragen der christlichen Ethik des Krieges, gerechten und notwendigen Kriegen, radikalem und friedlichem Pazifismus. Dies aus religiöser, philosophischer, historischer und kultureller Sicht. Auf die Wirkungsweise von Kriegen auf Demokratie und menschliches Zusammenleben geben die Autoren unterschiedliche Antworten. Der Leser erhält dabei einen Einblick in das vielfältige Leben ost-europäischer Orthodoxie, worüber er in den TV-Nach-richten oder bei Talk Shows wie Markus Lanz niemals etwas zu hören bekommt. Allein deshalb beinhaltet die Zeitschrift einen unschätzbaren Reichtum an Wissen zu den Hintergründen aktueller Konflikte.
Crisis ist es gelungen, den namhaften Journalisten Matthias Matussek zu einem brillanten Artikel zu den Vorkommnissen gegen die ukrainische orthodoxe Kirche im historischen Kiewer Höhlenkloster, zu gewinnen. Für Matussek sind die sich verteidigende Mönche, die wahren Helden der Ukraine, die sich in einem tapferen Kampf gegen die Verwüstungen ihrer heiligen Stätten durch ukrainische Behörden wehren. Es wird berichtet von den Schikanen durch das ukrainische Kulturministerium, das bewaffnete Spezialkommandos losgeschickt hat, um das berühmte Höhlenkloster in Kiew zu schließen. „Mönche werden auf dem weiten Gelände aus ihren Klausen vertrieben, Gottesdienste werden verhindert, protestierende Gläubige zusammengeknüppelt.“ Das Höhlenkloster hat die Mongolenherrschaft und den Diktator Stalin überlebt, es wird auch diese terroristischen Übergriffe überleben. Matussek spricht auch die Verleumdungen gegen den Patriarchen Kirill an, so werde ihm vorgeworfen, „ein Putin-Knecht, ein KGB-Agent und ein Milliardär, ergo eine zwielichtige Figur und Gauner zu sein.“ Matussek stellt diese Vorwürfe nur zurückhaltend in Frage. Wichtig wäre gewesen auf die wertvolle kulturelle Identifikation osteuropäischer Lebenswelten zu verweisen, die eine Harmonisierung des Verhältnisses von Kirche und Staat zur Folge hat. Hierzu hat Kirill beigetragen und gerade im historischen Kontext repressiver staatlicher Unterdrückung der orthodoxen Kirche, ist das nicht hoch genug zu bewerten.
Der Krieg gegen das orthodoxe Christentum in der Ukraine wird vielfältig geführt. Damit beschäftigt sich Historikerin Nina Byzantina. Sie zeigt dabei die Rolle der griechisch-katholischen Kirche in der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg auf. So scheute deren Metropolit Andrey Sheptysky nicht davor zurück ,den Einmarsch der deutschen Wehrmacht zu begrüßen und Adolf Hitler dafür seine „herzlichsten Glückwünsche“ zu übermitteln. Franzisk Yavtilov beleuchtet das Werk des Philosophen Iwan Iljin am Beispiel seines Buches „Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böse“. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Auflassungen des Westens vom gerechten Krieg keine allgemeine Gültigkeit haben. Zwar kann Gewaltanwendung notwendig, aber niemals gerecht sein. Es kann aber sein, dass zu kämpfen der einzige Weg ist, mit dem der Mensch seine Pflicht, dem Bösen zu widerstehen, erfüllen kann.
Ein beachtlicher Beitrag des Heftes ist das Interview des Redaktionsmitglieds Beile Ratut mit der Politikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Guerot. „Die EU, die Aufklärung und das Ende der Demokratie“. Gureot, lange Jahre eine Vertreterin von undemokratischen Visionen und Träumereien der herrschenden EU-Politik, wie Schaffung der Vereinigten Staaten Europas, Beschneidung nationaler Souveränität. Mit der Zeit gelangte sie zu der Erkenntnis, dass die bestehenden Institutionen der EU nicht so geschaffen sind, dass sie demokratisch, bürgernah und sozial sind. Für sie ist „ab 2003 einiges schief gegangen“. Dazu listete sie auf, Bankenkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise. Ausführlich positioniert sie sich gegen die repressiven Corona-Maßnahmen und Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie fordert heute ein „Europa jenseits der EU.“ Kritik trägt sie inzwischen öffentlich vor, auch in TV-Runden wie bei Markus Lanz. Dies hat zu einem verbitterten öffentlichen Shit-Storm geführt, der als öffentliche Hinrichtung bezeichnet werden kann. Man kann sagen, ihre Abkehr vom vorgeschriebenen verbindlichen EU-Sprech ist ein Fall ins Bodenlose. Im Februar 2023 wurde ihr Arbeitsverhältnis (Professur für Europapolitik) mit der Universität Bonn wegen mutmaßlicher Verletzung wissenschaftlicher Standards gekündigt. Ihr mutiger Kampf gegen die hermetischen Abriegelungen des Systems gegen jede Kritik, muss positiv bewertet werden. Im Gespräch strahlt sie jedenfalls einen beachtlichen Optimismus aus.
Crisis hat sich mit seinen 6 Ausgaben am Zeitschriftenmarkt etabliert und stellt sich den Erfordernissen der dringend zu führenden Wertediskussion in der russischen Orthodoxie, mit dem Ziel traditionelle und primär religiöse Identität zu unterstreichen und sie bei ihren (im Westen lebenden) Lesern zu verorten. Eine Herausforderung angesichts des Megatrends der Säkularisierung, wie auch die stetig wachsende Präsenz des Islam in christlichen Glaubenswelten. Sie ist keineswegs als klerikales Blatt, als vielmehr eine patriotische Stimme zu Politik und Kultur zu sehen. Peter Backfisch CRISIS 6 – Journal für christliche Kultur – Schwerpunkt: Krieg € 12,50 Jahresabo € 38,00, www.crisis-journal.de
Buchbesprechung: Die Erben der Einsamkeit. Südtiroler Bergbauern – Leben am Abgrund. Athesia Buch, Bonn 2023, 8. Auflage. 351 Seiten, geb.
„Der gute Gott hat nicht geschrieben, daß wir der Honig der Erde sind, sondern das Salz.“ Mit diesem Satz des katholischen französischen Romanciers Georges Bernanos beginnt das Vorwort zum fünfzigjährigen Jubiläum des Erscheinens der ersten italienischen Auflage im Februar 1973. Aldo Gorfer, der zuvor im Winter 1971/72 Einleitung und Kommentar zur Enquete in der Tageszeitung „L´Adige“ geschrieben hatte, zitiert in seinem Editorial den zum Katholizismus konvertierten englischen Schriftsteller Graham Greene mit Worten, die dem Leser auch heute noch unter die Haut gehen und die brennende Aktualität der Tragödie des Menschen verdeutlichen, aber genauso vom Überlebenskampf gegen eine unwirtliche Natur und gegen die Dämonen der Einsamkeit, vom archaischen Leben der Menschen auf den Südtiroler Einödhöfen, von Stolz und Familiensinn, von Genügsamkeit und Selbstversorgung, getragen von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Kinder berichten: „Das Suchen nach dem Leiden und die Erinnerung an das Leiden sind die einzigen und verfügbaren Mittel, um die menschliche Lebensbedingung in ihrer Ganzheit zu erkennen.“ In den 1970er Jahren zogen der Journalist Aldo Gorfer und der Fotograf Flavio Faganello in den bitterkalten Wintermonaten durch Südtirol, um die Lebenssituation der Menschen auf den einsam gelegenen Berghöfen zu erkunden und zu dokumentieren. Trotz sprachlicher Schwierigkeiten und dem verschlossenen Charakter der Leute gelang dem Trienter Autorenpaar ein bis heute außergewöhnliches und einmaliges Buch über den harten Alltag auf über 1500 Meter Höhe fertigzustellen. (1) Es ist dies eine Erzählung, die dem Leser bisweilen den Atem verschlägt, und der Autor gesteht mit ehrlicher Demut, wie oft es ihm geschah, daß er sich angesichts der Sorgen und Ängste, der Enttäuschungen und sehnsüchtig-bekümmernden Wünschen der Bauern „ausgehöhlt und ohnmächtig“ vorkam. Abseits der Luxuswüste der Stadt lernte er eine Umwelt kennen, die der Mensch durch seine jahrhundertelange Arbeit bewahrt hat, trotz der Isolierung und der damit verbundenen Gefahren. Mit familiärer Gastfreundlichkeit aufgenommen, lernten der Autor und sein Fotograf den Kontrast zwischen dem Überfluß der bürgerlichen Gesellschaft in den Städten und der „naturalistischen“ Lebensweise, der Abgelegenheit, Selbstgenügsamkeit, Verlassenheit, Armut und wirtschaftlichen Schwäche der geschlossenen Höfe, der Erbhöfe in den hochgelegenen Gebieten kennen, wo das Eigentum ungeteilt vom Vater auf den Sohn übergeht: Eine Grundlage des Theresianischen Gesetzes aus dem 18.Jahrhundert, mit dem das alte germanische Recht zum Kodex erhoben wurde. Es gibt in Südtirol rund fünftausend dieser abgelegenen Höfe, die nur zu Fuß oder über rudimentäre Seilbahnen zu erreichen sind. Auf ihnen wohnen rund zwanzigtausend Menschen, fast so viele wie in Meran. Zum Glück hat es das Autorenteam strikt vermieden in Folklore oder belehrender Geschichte zu machen. Ansichtskarten mit hübschen Trachtenmädels, Schlössern, Musikkapellen und Geranien auf den Fensterbrettern sucht der Leser auf den beeindruckenden Fotos von Flavio vergeblich. Dies sei auch nicht das Wesen der Berghöfe, die oft fast 1900 Meter und höher gelegen sind, schreibt Aldo Gorfer. Vielmehr geht es um das Erkennen der menschlichen Probleme, um die Träume, die Gläubigkeit und Anpassungsfähigkeit der Leute, ihre Sprache, das verständliche Mißtrauen, ihren verschlossenen aber grundehrlichen und anständigen Charakter, ihr Leben in verwurzelten Traditionen als gewissermaßen Ausgestoßene und um den „Horizont eines landwirtschaftlichen Unterproletariats. Einige der Südtiroler haben die Autoren bei ihren Erkundungen begleitet, haben gedolmetscht, gemeinsame Tage der Bitternis und der Hoffnung erlebt und sind zu lieben Freunden geworden. „Hüter der Bescheidenheit“ nennt Gorfer seine Überlegungen zum fünfzigjährigen Jubiläum der italienischen Erstauflage. Er schrieb nieder, hielt fest, erkannte, daß mit jedem, der ins Tal zog, der starb, sich ein Vergessen ausbreiten würde, historisches Wissen verloren ging. Gesichter, die sein Fotograf porträtierte, scheint es heute in der Tat nicht mehr zu geben: skeptisch blickende Augen in tiefen Höhlen, Wangenknochen von dünner Haut überspannt, die Pfeife im Mund, die Jacke zigmal gestopft, selten ein Lächeln, selbst die Jungen wirken wunderlich gealtert. Trotz der Gastfreundschaft bleibt eine Distanz und Unnahbarkeit, weil sie nur zwei entscheidenden Dingen vertrauen: dem Glauben und dem Schicksal. Es ist keine heile Welt, die Gorfer beschreibt, sondern Ergebenheit, Demut, Bescheidenheit, die Ohnmacht der Jungen, die den Hof übernehmen sollten, die Eltern pflegen und keine Frau fanden, die bereit wäre, hier hinauf in die Einöde zu ziehen. Die Einsamkeit, die langen Winter und die harte Arbeit, entbehrungsreich das Leben, keine Postkartenromantik. Gorfer schildert Lebensbedingungen, die uns fremd sind, gar provozieren, es ist dies ein Mittelweg zwischen journalistischer Untersuchung, Erzählung und Reise-Tagebuch. Doch genau das macht das Buch zu einem Klassiker. Einundzwanzig Höfe haben sie besucht zwischen Nov. 1971 und April 1972. Nur zwei sind inzwischen verlassen, das Erbe wird weitergegeben als Auftrag, Aufgabe, Geschenk. Die Bauern auf den Südtiroler Berghöfen bewahren ihre Werte und Traditionen, pflegen die Landschaft, leben weiter in der Abgeschiedenheit. „Es ist eine beeindruckende Landschaft, Ergriffenheit packt den, der sie erlebt“, schrieb Gorfer vor 50 Jahren. Das Buch erzählt in seinem Text und dokumentiert in seinen Bildern, daß sich bis heute daran nichts geändert hat. Werner Olles
Anmerkung: Es war der mit uns in Kontakt stehende H. H. Pfr. von Zieglauer aus Spinges, der den Journalist Aldo Gorfer und seinen Photographen Flavio Faganello bei den Bergbauern einführte, worauf sich diese verschlossenen Leute den beiden Autoren öffneten. |