WO IST DIE KIRCHE ?
(Fortsetzung)
von
Eugen Banauch
Unsere Gegenüberstellung der Thesen des Abbé de Nantes - man habe die
Kirche Jesu Christi nicht zu verlassen, sondern, in ihr verbleibend,
die Reform die man in der gegenwärtigen Lage nicht von der Kirche
abtrennen könne, abzulehnen; als einziges und dringliches Heilmittel in
dieser Krise sei die formelle Absetzung Pauls VI. geboten - und der
Thesen H.M.Kellners - man habe, um in den Genuß gültiger Sakramente zu
kommen, systematische Anstrengungen zu machen, die noch nicht
abgefallenen Priester und Laien aus der apostatischen katholischen
Kirchenorganisation auszusieben; Paul VI. sei infolge seiner
häretisch-apostatischen Haltung überhaupt nicht als legitimer Papst
anzusehen - hatte uns zu der Frage veranlaßt, "wo" die Kirche sich
heute eigentlich befinde. Die Kirche, so antworteten wir, befinde sich
gegenwärtig "in" oder "unter" jenem häretisch-apostatischen Verband,
der zwar ihren Namen trägt, mit ihr aber keineswegs gleichgesetzt
werden dürfe.
Was uns zu dieser wenig befriedigenden Ausdrucksweise bestimmte, war
der Umstand, daß wir dem Gebilde, das heute offiziell die
römisch-katholische Kirche zu sein beansprucht, die Merkmale der
Katholizität, der Einheit und der Heiligkeit nicht mehr zuschreiben
können, ohne selbst in Häresie oder moralische Schizophrenie zu fallen,
obwohl wir an diesem Gebilde das Merkmal der Apostolizität wahrnehmen.
Zwar haben - was von der römischen Mutterkirche nie bestritten wurde,
auch schismatische kirchliche Gemeinschaften, etwa die griechische, das
Merkmal der apostolischen Sukzession, doch wird von den apostolischen
Amtsträgern dieser Gemeinschaften gerade das geleugnet, was die vier
"notae" definitionsgemäß zu der höheren, "offensichtlichen" und
"vollkommenen", in integralem Sinne "katholischen" Einheit bindet: der
päpstliche Primat, welcher die höchste Lehrautorität und die oberste
Jurisdiktionsgewalt umschließt. Demnach kann, nach juridischer Ordnung,
nur derjenige Bischof ein Bischof der römisch-katholischen Kirche
genannt werden, der sich dem Heiligen Stuhl unterworfen weiß und sein
Amt in Übereinstimmung mit diesem ausübt. Selbstverständlich kann - und
muß - diese Unterwerfung bzw. Übereinstimmung prinzipiell auch im
Zustande der Sedisvakanz (oder in Fällen legitimer
Gehorsamsverweigerung) geleistet werden, wie wir später noch näher
ausführen wollen. Da wir das Merkmal der Apostolizität, wie zur
Bestimmung der römisch-katholischen Kirche erforderlich, nach der
sakramentalen und der juridischen Ordnung nur an jener
"häretisch-apostatischen Kirchenorganisation" aufzufinden vermochten
und nirgendwo sonst, mußten wir zwangsläufig zu obiger Definition
kommen.
Denn: "Jedes dieser Merkmale ist aber so eng mit den anderen verbunden,
daß es sich von ihnen nicht trennen läßt." (Brief des Hl.Offiziums an
die englischen Bischöfe, 1864, Denz.1686) Wir können die Wesensmerkmale
"Einheit", "Heiligkeit" und "Katholizität" zwar nicht wahrnehmen, aber
wir müssen, auf Grund dieser "engen Verbundenheit", auf ihr
Vorhandensein an jenem"Ort" schließen, wo wir das eine Merkmal in
integraler Gestalt aufgefunden haben. Die "sichtbare Kirche", wenn sie
auch unseren Blicken entzogen ist, kann in ihrer babylonischen
Gefangenschaft nicht schlechterdings "unsichtbar" geworden sein oder
sich in ein "spirituelles", "charismatisches" oder "mystisches" Gebilde
verwandelt haben. Und wüßten wir nicht mit Sicherheit, daß es noch
rechtgläubige Bischöfe, Priester und Laien - wenn auch gewiß in
bescheidener Anzahl gebe:
Wenn wir die Kirche, Gegenstand unseres Glaubens, einen Augenblick lang nicht SEHEN könnten, müßten wir an sie GLAUBEN.
Keinesfalls - ob wir nun Kirchensteuer zahlen oder nicht - werden wir
die Kirche verlassen. Ja selbst wenn wir uns geirrt hätten und jene
häretisch apostatische Organisation gar nicht häretisch und
apostatisch, sondern mit Jesu Christi wahrer Kirche identisch wäre,
hätten wir unsere Kirchengliedschaft niemals verloren, denn dem
"Wunsch" und dem "Verlangen" nach hätten wir immer der wahren Kirche
angehört. ("Wenn nämlich der Mensch in einer unüberwindlichen
Unkenntnis befangen ist, nimmt Gott auch einen einschlußweisen
(impliziten) Wunsch an, der so genannt wird, weil er in jener
seelischen Einstellung enthalten ist, in der der Mensch sein Wollen dem
Willen Gottes gleichförmig haben will..." - Brief des Hl.
Offiziums an Erzbischof Cushing von Boston, 1949)
Da der Fortbestand der sichtbaren Kirche durch die Verheißung
garantiert ist, kann er nicht notwendig von unserem Wollen abhängen.
Wenn aber, gemäß unserer Einsicht, die offizielle sichtbare "Kirche"
mit ihrer Hierarchie heute dem Bösen nicht wie ein "geordnetes
Kriegsheer" (Hl.6,3) entgegentritt, sondern, ihr (sichtbares) Oberhaupt
an der Spitze, auf einem feige-verräterischen Rückzug (oder
Vormarsch?), dem bisher größten der Geschichte, sich in immer schneller
fortschreitender Auflösung befindet, ja bereit scheint, sich dem Heer
Satans, vollständig, mit kaum mehr verhohlener Begeisterung zu ergeben,
so haben wir rechtgläubigen Katholiken, die nicht aufgehört haben, in
diesem allgemeinen Chaos dem Feinde Widerstand zu leisten, die wir mit
Sicherheit ein Teil der wahren (und sichtbaren) Kirche sind, uns von
den offenkundigen Verrätern - welche gewiß die Kirche nicht sind -
radikal zu trennen, alle versprengten rechtgläubig-katholischen
"Einheiten" zu sammeln und, je nach Berufung und legitimer Möglichkeit,
zur Restauration der kirchlichen Organisation beizutragen, um uns unser
sakramentales Leben zu sichern sowie einem von der Not und der Pflicht
bestimmten Schlachtplan, in festem Vertrauen auf die verheißene
Unbesiegbarkeit unserer Armee - wie klein sie auch sein möge -
unverzüglich und energisch zum öffentlichen Angriff gegen die
organisierten Zerstörer des Glaubens - d.i. die römische Gegenkirche -
überzugehen.
Weil wir jedoch keine kirchlichen Revolutionäre, Protestanten oder
Schismatiker sind noch je sein wollen, sondern im Gegenteil die
Verteidiger nicht nur des wahren Glaubens sondern auch des Rechts, der
rechtmäßigen Obrigkeit und Ordnung, müssen wir uns allen Ernstes
fragen, ob wir denn eigentlich, insbesondere als Laien, ohne irgendeine
obrigkeitliche Weisung oder Ermutigung, das Steuer des Schiffleins
Petri gewissermaßen selbst in die Hand nehmen dürfen und ob ein solcher
Gedanke denn überhaupt katholisch sei.
Das Entscheidende an dem für unsere "Ortsbestimmung" ausschlaggebenden
Merkmal, der Apostolizität, sei - so sagten wir - die Existenz des
Apostolischen Stuhls, der auch im Zustande der Sedisvakanz als
Institution weiterlebe, solange es eine römisch-katholische Kirche
gibt. Der Apostolische Stuhl ist "die Fortdauer der zentralen Autorität
in der Kirche, was auch immer die Veränderungen, die durch die sie
ausübenden Personen entstehen, sein mögen. Die Macht ist in der Tat an
die Funktion gebunden nicht an die Individualität des Amtsträgers.
Daraus folgt, daß die souveräne Autorität an die päpstliche Würde
gebunden ist und selbst mit dem Verschwinden der Personen überlebt, die
damit bekleidet sind. Das hat Jean d' André so formuliert: tenens
papatum vel dignitatem est corruptibilis, papatus tamen dignitas vel
imperium semper est." [Der Träger des Papstamtes oder der Würde kann
abfallen, trotzdem besteht die päpstliche Würde oder die (päpstliche)
Macht immer. - Anm.d.Red.] (Lexikon des Kirchenrechts, VII., Spalte
837-838, R. Naz., zitiert nach Abbé Louis Coache: Kleine Studie über
die Zugehörigkeit zur Kirche und den Gehorsam, DZM, 3.Jg., Nr.12).
Wer ist also gegenwärtig im Besitze der zentralen kirchlichen Autorität? "Paul VI."?
Wäre es möglich, daß der Stuhl Petri "rechtens von einer Person besetzt
gehalten wird, die sich weigert, eine Funktion zu vollziehen"? Von
einer Person, deren Haltung wir mit Sicherheit als
häretisch-apostatisch erkennen? Wäre es möglich, daß wir Montini in
irgendeiner Hinsicht, und sei es auch nur in "formaljuristischer", noch
als Papst anzuerkennen hätten, sodaß ein kirchliches "Gericht" ihn, um
uns von seiner Jurisdiktionsgewalt zu befreien, erst "absetzen" müßte,
wie es der Abbé de Nantes für notwendig hält? Nach der Meinung des Abbé
müßte zudem der Nachweis der "subjektiven" Häresie Montinis, d.h.
seiner innersten häretischen Absicht, erbracht werden. "Such
accusations - es handelt sich wieder um den schon erwähnten Brief jenes
Frère Athanase - have to be supported by objective evidence - that is,
by specific texts - which indeed are easy to find but also by
subjective that is psychological, proof concerning his innermost
intentions. And here, even today, is no clearcut evidence. It is a
failing of the integrist mentality always to assume that one's
adversary is lying, without giving him the benefit of the doubt that he
may be genuinely mistaken. You have a perfect right to accuse Paul VI
of heresy, or of any secret vices that you choose to name. But only
with the aim of challenging him to refute these and justify himself in
public. If you decide to be both prosecutor and judge, then you are
going beyond your rights." [Übersetzung von G. Mevec: "Solche
Anschuldigungen - es handelt sich wieder um den schon erwähnten Brief
jenes Frère Athanase - müssen durch stichhaltige Tatsachen belegt
werden, d.i. durch spezifische Texte, welche sich auch leicht finden
lassen. Aber auch von der subjektiven Seite her müssen diese
Anschuldigungen erhärtet werden, nämlich durch den Beweis seiner (des
Papstes) innersten Absichten. In dieser Hinsicht gibt es jedoch bis
dato keine eindeutigen Beweise. Es ist ein Fehlgriff der
integristischen Mentalität, immergleich voraussusetzen, daß der Gegner
lügt, ohne ihm zugutezuhalten, daß er sich auch wirklich einmal irren
kann. Sie haben das Recht, Paul VI. der Häresie oder jeder anderen
verborgenen Übeltat zu beschuldigen, jedoch nur mit der Absicht, ihn
herauszufordern, diese Anschuldigungen zu entkräften und sich
öffentlich zu rechtfertigen. Entschlössen Sie sich aber, Ankläger und
Richter zugleich zu sein, so überschritten sie damit die Grenze ihrer
Rechte."] (Zitiert nach der englischen Ausgabe der "Contrereforme
Catholique", Nr.13, Febr.1971, S.4f)
Mit anderen Worten: der Abbé de Nantes hält es - zumindest theoretisch
für möglich, daß ein Papst "objektiv" häretisch und gleichzeitig
"subjektiv" rechtgläubig sein könne. Ganz abgesehen davon, daß uns in
juristischer Hinsicht immer nur die "objektive" Seite einer Häresie zu
interessieren hat (wie schon das formulatorische Prinzip jedes Anathems
zur Genüge beweist: "Wer sag, .. der sei ausgeschlossen"), werden wir
die logische Unhaltbarkeit dieser Auffassung weiter unten beweisen.
Zunächst aber wenden wir uns der Frage zu, wie ein kirchliches Gericht
gegen Paul VI. auszusehen hätte und welchen Rechtsgrund ein solches
Verfahren haben müßte. Der Abbé de Nantes führt, gestützt auf das Buch
des protestantischen Geschichtswissenschaftlers Harald Zimmermann:
"Papstabsetzungen des Mittelalters" (Wien, 1968), einige historische
Präzedenzfälle an. Auf die Problematizität dieser Beispiele hat
mittlerweile W.W.E.Dettmann in EINSICHT I/3 (S. 4c ff) hingewiesen.
Doch selbst wenn die von Zimmermann gesammelten historischen Fakten
zweifelsfrei als echt angesehen werden müßten: wer garantiert uns denn,
daß die zitierten Absetzungsprozesse tatsächlich ordentliche Verfahren
genannt werden dürfen, daß es überhaupt einen Rechtsgrund für ein
kirchliches Gericht über einen rechtmäßigen Papst gebe?
Was sagt die Kirche selbst zu diesem Problem?
"Weil der römische Bischof durch das göttliche Recht des apostolischen
-Vorrangs an der Spitze der gesamten Kirche steht, lehren und erklären
wir auch: Der römische Bischof ist der oberste Richter aller Gläubigen,
und man kann in allen Streitsachen, die kirchlicher Untersuchung
zustehen, an dieses Gericht Berufung einlegen. Über das Urteil des
Apostolischen Stuhls jedoch darf niemand aufs neue verhandeln, da es
keine höhere Amtsgewalt gibt, und niemandem ist es erlaubt über dieses
Gericht zu richten. Diejenigen irren also vom rechten Pfad der Wahrheit
ab, die behaupten, es sei erlaubt, von den Urteilen der römischen
Bischöfe an eine allgemeine Kirchenversammlung als an eine Behörde, die
über dem römischen Bischof stehe, Berufung einzulegen." (Vat.I,
Sess.IV, Denze 183O)
Zweifellos hat der Abbé diese Schwierigkeit gesehen: "Es ist... durch
die Geschichte als begründet erwiesen, daß die Absetzung eines Papstes,
der offenbar häretisch, apostatisch, simonistisch (oder drogensüchtig)
ist, legitimerweise gefordert werden kann. Nicht weniger gewiß ist, daß
ein Verfahren absolut notwendig ist und daß es von einer geistlichen
Versammlung geführt werden muß, die in ihrer Priorität und Majorität
römisch ist. Was die nachfolgende dogmatische Entwicklung, wie mir
scheint, allein präzisiert hat, ist, daß eine derartige Versammlung in
keiner Hinsicht beansprucht, "über dem Papst" zu stehen, noch daß sie
berufen ist, in bezug auf, oder gegen ihn, einen die Lehre betreffenden
Punkt zu entscheiden. Eine derartige Versammlung bindet den Papst, sich
persönlich, offen und ohne Ausflüchte entweder als treu katholisch oder
als häretisch, als schismatisch oder apostatisch auszusprechen. Damit
deklariert und spricht sich der Papst selbst sein eigenes Urteil zu,
das die Versammlung nur bezeugt und ausführt." (EINSICHT I/2,
S.11,Spalte 2f)
Wohlgemerkt: die Versammlung bindet den Papst... Mit welchem
Rechtstitel aber? Gälte in diesem Falle ausnahmsweise doch irgendwie
das "concilium supra papam"...? Keineswegs. Es bliebe folglich der
freien Entscheidung des Papstes vorbehalten, über sich selbst ein
Urteil zu fällen. Wir alle kennen den Charakter Montinis gut genug, um
zu wissen, wie dieser Mann, der sich "mit Verachtung über die Tradition
und das Recht der Kirche hinwegsetzt" (Kardinal Ottaviani), auf eine
derartige - letztlich unverbindliche - Aufforderung reagieren würde.
Angenommen selbst, er fände sich dazu bereit: Wenn der Papst selbst es
ist, der das Urteil über sich fällt - er also auch hierin als oberster
Richter handelt - ist er im Augenblicke des Urteilsspruches Papst (im
Vollbesitz seiner Macht) und einen Augenblick danach Nicht-Papst.
Dieser Gedanke ist logisch vollziehbar.
Nun können als mögliche Ursachen aller Vergehen, die man einem Papst
vorwerfen kann, nur drei genannt werden: Irrtum, Geistesschwäche oder
böser Wille.
"Irrtum" scheidet aber in unserem bestimmten Fall von vorneherein aus.
Ein Irrtum wäre nur denkbar in "schwebenden Fragen", in denen die
Kirche sich noch nicht ausdrücklich und endgültig festgelegt hat. Eine
solche "schwebende Frage" war es zum Beispiel, die Petrus in jenen
Irrtum bezüglich der Heidenchristen geraten ließ, auf Grund dessen ihm
dann Paulus "ins Angesicht widerstand". Eine solche "schwebende Frage"
war es, die Johannes XXII. in seinen Irrtum in bezug auf die Letzten
Dinge führte (der übrigens von ihm selbst noch widerrufen wurde - erst
sein Nachfolger Benedikt XII. legte die diesbezügliche kirchliche Lehre
in einem feierlichen Entscheid vor)
Die wichtigsten der Paul VI. zur Last gelegten Vergehen (z.B. die
Approbation und der Gebrauch eines ungültigen Meßformulars) können
jedoch nicht als "schwebende Fragen" bezeichnet werden, da sie Vorstöße
gegen absolut bindende Rubriken darstellen (gesetzt den unmöglichen
Fall, er könnte beweisen, diese Rubriken nicht zu kennen, so wäre er
allein auf Grund dieser Unkenntnis als "niemals Papst geworden" zu
betrachten, da ein Papst das, was er bei seinem Amtsantritt mit dem
Einsatz seines Lebens zu verteidigen beschwört, ja zumindest kennen
muß...).
Lassen wir dennoch "Irrtum" als mögliche Ursache der Häresie/Apostasie
Pauls VI. gelten, so müßten wir für den Fall eines kirchlichen Gerichts
implizieren, daß ein (ansonsten) irrender Papst in dem Urteilsspruch,
durch welchen er sich seiner Macht und Würde begibt, nicht irrt. Das
hieße aber notwendig, daß er seinen Irrtum als Irrtum eingesehen habe,
andernfalls er sich ja nicht richten würde. Hätte er seinen Irrtum aber
nicht eingesehen und bestünde weiter auf seiner falschen Ansicht, so
gäbe er zwar "deutlich" zu erkennen, daß er sich, obwohl das Gegenteil
behauptend, nicht mehr auf dem Boden der wahren Lehre befinde. Einen
"Urteilsspruch" könnte man dies jedoch höchstens in einem
metaphorischen Sinne nennen. Keinesfalls ließe sich behaupten, daß hier
ein Papst in seiner Funktion als Richter aller Gläubigen handle.
Nehmen wir "Geistesschwäche" als mögliche Ursache der Häresie/Apostasie
Pauls VI. an, so implizieren wir, daß ein geistesschwacher Papst
zumindest in diesem einen Augenblick, da er das Urteil über sich fällt,
nicht geistesschwach ist.
Nehmen wir "bösen Willen" als Ursache an, so konzedieren wir einem
böswilligen Papst für eine gewisse Dauer Gutwilligkeit. All diese
Überlegungen führen konsequenterweise zu dem Ergebnis:
Wenn "Paul VI." die päpstliche Jurisdiktionsgewalt tatsächlich besitzt,
kann er von keiner "Versammlung" noch von sonst einer irdischen Macht
abgesetzt bzw. gezwungen werden, sich selbst abzusetzen. Wir müssen die
vorgeschlagene Lösung des Abbé de Nantes daher verwerfen.
Kehren wir also zu der Argumentation H.M.Kellners zurück, die den
Vorteil hat, in sich widerspruchefrei zu sein. Mittlerweile liegt uns
Kellners Aufsatz Nr. 21" (EINSICHT I/3), verfaßt im Jahre 1967, vor,
der den in seinem an Marianne Geisler (EINSICHT I/2) dargelegten
Gedankengang etwas präziser ausspricht.
Der wesentliche dogmatische Stützpunkt Kellners ist der Modus der
"automatischen Exkommunikation", eine Eigentümlichkeit des kirchlichen
Gesetzes, die im Wesen der Kirche, welche sich als eine spirituelle und
zugleich als eine juridische Gemeinschaft begreift, ihre Wurzel hat.
(Bezeichnenderweise arbeitet bereits eine: "päpstliche" Kommission an
der Abschaffung dieses Modus.)
Paul VI. alias Montini sei infolge seiner offenkundigen
Häresie/Apostasie automatisch aus der Kirche auegeschlossen, behauptet
Kellner. Da nur ein (rechtgläubiger) Katholik Mitglied der Kirche und
ihr Oberhaupt sein könne, sei der häretische "Paul VI." ipso facto ein
"papa depositus" bzw. sei aus dem genannten Grunde niemals Papst
geworden.
I
n seinem "Aufsatz Nr.21" folgert er:
"Nun kann es nach der Definition des Papstums keinen häretischen oder
apostatischen Papst geben, weil er, entsprechend dem katholischen
Dogma, vom Augenblick seiner rechtmäßigen Einsetzung an in der
Regierung der Kirche vor Abweichungen vom orthodoxen Glauben durch
Christi Verbrechen an den hl.Petrus bewahrt ist, gemäß Matth.16, 18.
Daher kann ein Mann, der Papst zu sein beansprucht und sich als
häretisch oder apostatisch erweist, kein legitimer Papst sein, und der
Grund für seine Unrechtrnäßigkeit kann nur in einem oder in mehreren
Mängeln liegen, die seine Wahl betreffen. Da es keinen Grund gibt zu
bezweifeln, daß die kanonischen Vorschriften bei Pauls Wahl streng
eingehalten wurden, so müssen einer oder mehrere Gründe für seine
Unrechtmäßigkeit vorliegen. Wie eine Prüfung zeigt, liegt der
Hauptgrund darin, daß er nicht die oben besprochenen unerläßlichen
Erfordernisse jedes Kandidaten für ein kirchliches Amt erfüllte,
nämlich zum Zeitpunkt seiner Wahl zum Papstamt einen orthodoxen
katholischen Glauben zu besitzen." (S.30) Kellner muß also,
wohlgemerkt, den Beweis erbringen, daß Montini schon vor seiner Wahl
manifester Häretiker bzw. Apostat vom katholischen Glauben war.
Die Indizien, die Kellner nun vorlegt, sind gewisse "öffentliche
Äußerungen des Kardinal-Erzbischofs G.B.Montini von Mailand während der
letzten Jahre vor seiner Erwählung zum Papstamt". Die von Kellner für
seine Beweisführung ausgewählten Stellen - wir können leider hier nicht
darauf eingehen sondern müssen den Leser bitten, selbst die Nr.3 der
EINSICHT (S.31) aufzuschlagen*), - sind, für sich genommen, in der Tat
häretisch (existentialistisch bzw. pantheistisch) zu interpretieren,
sie sind jedoch - wie uns scheint - nicht in so eindeutig heterodoxer
Weise formuliert, daß man sie nicht, mit einiger Dialektik und
Rabulistik, auch katholisch "lesen" könnte. Wir selbst müssen
eingestehen, zu einem strikten Beweis, daß die angeführten Stellen
keine andere als eine häretische Deutung zulassen, nicht imstande zu
sein. Allerdings kennen wir den Kontext nicht, in dem diese Aussagen
stehen. Keineswegs - das würde uns Kellner vielleicht selbst zugestehen
- haben diese Zitate eine solche durchschlagende Beweiskraft wie die
offenkundige Fälschung der Wandlungsworte im neuen Meßformular.
Ließe sich aber nicht strikt beweisen, daß Paul VI. schon vor seiner
Wahl der Apostat war, als der er sich heute zweifellos darstellt - und
dieser Beweis wäre nach Kellners Definition des Papsttums absolut
notwendig - stünden wir wie der Abbé de Nantes - vor der
ungeheuerlichen Tatsache, daß ein offensichtlich
häretisch-apostatischer Papst de iure Inhaber des Stuhles Petri ist.
Wie oben dargelegt, kann ein rechtmäßiger Papst von niemandem
rechtmäßig abgesetzt werden. Wäre es möglich, daß das Gesetz der Kirche
eine so peinliche Lücke aufwiese?
Nach Kellner kann es keinen häretisch-apostatischen Papst geben, weil
dieser, "entsprechend dem katholischen Dogma", vom Augenblick seiner
rechtmäßigen Einsetzung an in der Regierung der Kirche vor Abweichungen
vom orthodoxen Glauben bewahrt sei gemäß Matth.16,18. Mit anderen
Worten: ein rechtmäßiger Papst kann nicht in Häresie fallen. Diese
Auffassung wäre aber nicht allzu weit entfernt von dem
unausgesprochenen Glaubenssatz fideistischer Sekten (wie der deutschen
"Bewegung für Papst und Kirche" oder der französischen "Silencieux"),
daß nämlich der jeweilige Papst in all seinen Akten unfehlbar und das
größte lebende Genie sein müsse - sozusagen eine Marionette des
Heiligen Geistes.
Die Matthäusstelle lautet: "Ich sage dir: du bist Petrus, und auf
diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle
werden sie nicht überwältigen." Und die Stelle bei Lukas (22, 31-32),
auf der die von Kellner gemeinte dogmatische Definition aufruht:
"Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben, wie man
den Weizen siebt. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht
wanke, und nach deiner Bekehrung stärke deine Brüder!" Die dogmatische
Formulierung selbst lautet: "Diese Gnadengabe der Wahrheit und des nie
versagenden Glaubens ist dem Petrus und seinen Nachfolgern auf diesem
Stuhl von Gott verliehen worden, auf daß sie ihr erhabenes Amt zum
Heile aller ausüben, daß die gesamte Herde Christi durch sie von der
vergifteten Speise des Irrtums ferngehalten und mit der Speise der
himmlischen Lehre genährt werde, die ganze Kirche einig erhalten bleibe
und, gestützt auf ihre Grundfeste, stark dastehe gegen die Tore der
Unterwelt." (Vat.I, Sess.IV, 1837 Denz.)
Würde man dies so verstehen, daß die "Gnadengabe der Wahrheit und des
nie versagenden Glaubens" nicht von demjenigen, welchem sie verliehen
worden, mißbraucht werden könnte, so wäre in dem betreffenden Falle die
Willensfreiheit aufgehoben. Solches anzunehmen, widerspräche
entschieden der katholischen Gnadenlehre. Jedes Kind lernt (besser
gesagt, lernte bisher), daß alle Menschen - auch ein Papst sündigen
können. Es ist nicht einzusehen, warum es prinzipiell nicht möglich
sein sollte, daß ein rechtmäßiget Papst vom Glauben abfällt, um der
Lüge zu dienen. Wenn er dies aber - wie Paul VI. - offensichtlich tut,
so muß - da diese Gnadengabe ja dem Papst in einer ausdrücklichen Weise
garantiert ist wie keinem Menschen sonst - unbedingt darauf geschlossen
werden, daß er es frei willentlich, bewußt und in Erkenntnis der
Schwere des Tatbestands tut. Das kann aber nur bedeuten, daß er
ausgesprochen bösen Willens ist. Damit ist auch die Frage nach der
"subjektiven Intention" beantwortet.
Wenn ein Mensch, der das Charisma der Wahrheit und des nie versagenden
Glaubens besitzt, das ihm zu dem Zweck verliehen wurde, die Kirche
einig und wahr zu erhalten, dieses Charisma mißachtet und mißbraucht,
so kann er das nur in der Absicht tun, die Kirche zu zerstören. Ein
solcher Mensch wäre eine satanische Bestie von derartigen Graden, daß
sich die furchtbarsten Verbrechen, von Diokletian bis Hitler, gegen
seine Untat wie Kavaliersdelikte ausnähmen.
Wir können dies von Paul alias Montini nur deshalb nicht mit Sicherheit
behaupten, weil Kellners These, er sei niemals Papst geworden (und
folglich nie im Besitze des päpstlichen Charismas gewesen), zwar
(unseres Wissens) nicht strikt bewiesen, aber auch nicht strikt
widerlegte werden kann; es dünkt uns vielmehr als sehr wahrscheinlich,
daß Kellner mit seiner Annahme, Montini sei schon vor seiner Wahl
Häretiker gewesen recht hat.
Wäre dem so, dann bestünde seit 1963 Sedisvakanz.
Gehen wir aber davon aus, daß auch ein rechtmäßig eingesetzter Papst in
Häresie fallen könne, und machen wir Ernst mit dem Satze des hl.Robert
Bellarmin, daß ein häretischer Papst ipso facto seiner Funktion
enthoben sei, so kommen wir indem wir uns an streng beweisbare Fakten
halten, ebenfalls zu dem Schluß, daß Sedisvakanz besteht, wenn wir auch
nicht genau angeben können, ab wann.
Für die prinzipielle Möglichkeit, daß ein rechtmäßiger Papst in Häresie
fallen könne, spricht auch der in dieser Nummer der EINSICHT, S.23
wiedergegebene Eid, den der Papst bei seiner Einsetzung zu schwören
hat; dieser Eid beweist ferner auf das klarste, daß Paul VI. in den
letzten Jahren in einer geradezu triumphalistischen Weise eidbrüchig
geworden ist.
Wir wollen nunmehr unseren Standpunkt wie folgt definieren:
WIR BEKENNEN, NACH MASSGABE UNSERER ERKENNTNIS UND IN VOLLSTÄNDIGER
UNTERWERFUNG UNTER DAS ORDENTLICHE UND AUSSERORDENTLICHE, STETS
LEBENDIGE LEHRAMT DER HEILIGEN RÖMISCH-KATHOLISCHEN KIRCHE:
DER SOGENANNTE ODER WIRKLICHE PAPST
PAUL VI. ALIAS GIOVANNI BATTISTA MONTINI HAT SICH DURCH EINDEUTIG
HÄRETISCHE UND HÄRESIE BEGÜNSTIGENDE AKTE UND UNTERLASSUNGEN,
INSBESONDERE DURCH DIE APPROBATION EINES ANGEBLICH FÜR DIE GANZE
RÖMISCHE KIRCHE VERBINDLICHEN UNGÜLTIGEN MESSFORMULARS, SELBST AUS DER
KIRGHE AUSGESCHLOSSEN UND KANN DAHER IN KEINER WEISE PÄPSTLICHE
LEHRAUTORITÄT UND JURISDIKTIONSGEWALT BESITZEN. ER IST IN KEINER WEISE
(MEHR) ALS LEGALER PAPST ANZUSEHEN. ES BESTEHT GEGENWÄRTIG SEDISVAKANZ.
(Wir bitten den Leser um Nachsicht, daß
unser Aufsatz nicht, wie angekündigt, für dieses Heft abgeschlossen
werden konnte. Wir haben nicht vorausgesehen, daß unsere Erörterung des
Falles Montini so umfangreich ausfallen würde, und wir stehen außerdem
unter Zeitdruck. Die aus der obigen Standpunktsbestimmung sich
ergebenden moralisch-rechtlichen Fragen in bezug auf die Kirche als
Ganzes sowie die abzuleitenden moralischen und technischen Richtlinien
für eine möglichst bald und möglichst umfassend ins Werk zu setzende
Restauration der kirchlichen Organisation können unmöglich in
skizzenhafter Kürze abgehandelt werden. Wir spielen mit offenen Karten
und sind uns der in diesem Falle besonders schweren Verantwortung für
das gedruckte Wort bewußt.
Wenn auch die Verständlichkeit und Wirksamkeit des Gesagten darunter
leidet, können wir den eigentlichen Schlußteil des Aufsatzes erst in
der nächsten Nummer der EINSICHT folgen lassen.)
*)[und den in dieser Nummer vorliegenden 2.Teil dazuzunehmen (S.30-34,
EINSICHT I/4), (welcher aber unseres Wissens auch dem Verfasser bei
Abfassung dieses Beitrags noch unbekannt war.)- Anm.d.Red.]
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