Von der Inflation zur Liquidierung Gedanken zu einem Artikel von Gerd-Klaus Kaltenbrunner
von Magdalena S. Gmehling
Der 2011 verstorbene Polyhistor Gerd-Klaus Kaltenbrunner veröffentlichte bereits 1994 einen umfangreichen Artikel (Von der Inflation zur Liquidierung), der auf eine sich ab-zeichnende Wirtschaftskrise zielte.
Man war damals nicht geneigt, seinen Ausführungen mit dem gebührenden Ernst zu begegnen. Umso eindringlicher möchte ich heute, in Zeiten irrsinnigen Finanzgebarens auf Kaltenbrunners Thesen hinweisen.
In einer Rahmenhandlung lässt der Essayist den alten verschwiegenen Florin Waldgass-ner auftreten. Dem lebenserfahrenen Veteranen legt er folgende Worte in den Mund: „.Friede sei doch von jeher die unwahrscheinliche Ausnahme gewesen, beinahe ein kostbares Wunder. Der offene und versteckte Krieg zwischen Imperien, Glaubensgemeinschaften, Völkern, Wirtschaftsklassen und anderen Großgruppen stelle das weltgeschichtliche Übel dar.“ Es entspinnt sich ein tiefsinniger Dialog bis Florin plötzlich bekennt:
„Einen Feind habe ich, und das ist der Staat ...der Staat ist mein Feind, seit genau siebzig Jahren.“ Und schließlich beschwört er die Wilde Jagd, die seit November 1923 fünf Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges tobte. Er spricht vom Heer invalider und arbeitsloser Sol-daten, den dürftig dahinlebenden Kriegswitwen und ihren Halbwaisen, von all den Er-niedrigten, Betrogenen und Enterbten, deren ehrliche Ersparnisse schlagartig zerronnen waren. Das babylonische Tohuwabohu betraf ganz Mitteleuropa. Ein Kilogramm Butter hatte 1914 etwa zwei Kronen gekostet. 8 Jahre später betrug der Preis 80000 Kronen, für ein Hühnerei zahlte man 2000 Kronen. Wollte ein Österreicher 1919 hundert Schweizer Franken eintauschen, so bekam er im Gegenzug 567 Kronen. Am 1. Juli 1922 mutete man ihm für die gleiche Geldmenge einen Devisenpreis von 360 000 Kronen zu. Ersparnisse, Geldguthaben, die Kriegsanleihen und Staatspapiere vertrauensvoller Pat-rioten nullifizierten sich. Der staatstragende Mittelstand wurde enteignet, Metallgeld gehortet, Papiergeld zu zellulosehaltigem Müll degradiert.
„Die einst stabile und allgemein geschätzte deutsche Mark begann an Delirium tremens zu leiden und kollabierte am Ende total... Ein Zentner Kartoffeln kostete am 15. Oktober 1923 eine Milliarde Mark, am 18. Oktober dreimal so viel, sieben Tage später bereits zehn Milli-arden...und am 12. November 525 Milliarden Mark... Jedem Kind leuchtet ein, dass eine fünfhundertfünfundzwanzigfache Preiserhöhung innerhalb von knapp vier Wochen keiner der altbekannten Teuerungen glich, die seit Semiramis, Sesostris und Solon gang und gäbe sind.“ Wenn wir heute im Jahr 2022 von kaum zurückzahlbaren Krediten und einer astronomischen Staatsverschuldung hören, wenn wir erleben, dass die Notenpresse in Gang gesetzt wird, statt anderweitig eine Kursberichtigung zu versuchen, so fühlen wir uns um 100 Jahre zurückversetzt.
Damals betrugen die vom Deutschen Reich aufgenommenen Kredite das Vierfache des Steueraufkommens. Die wahnwitzig emporschnellende Inflation führte zu Zwangsabga-ben, zu einem Todesurteil für Millionen ehrlicher Sparer, zu einer totalen Zersplitterung des Geldwesens. Schließlich begannen Stadtverwaltungen, Dorfgemeinschaften und pri-vate Unternehmen sogenanntes „Notgeld“ zu drucken. Es schlug die Stunde der Hamste-rer und Schieber, der Schwarz- und Schleichhändler. „Inflation ist nicht nur Diebstahl, sondern Bürgerkrieg, Krieg gegen das eigene Volk“, sagte Florin. „Ein Staat, der nicht imstande sei, den Bürgerkrieg zu verhindern; ein Staat, der, schlimmer noch, selbst den Bürgerkrieg von oben entfesselt, indem er immer noch wertloses Geld ausgibt und eben im Großen das verübt, was, wenn es ein Einzelner täte, Geldfälschung oder Falschmünzerei heißt - ein solcher Staat sei eigentlich kein Staat mehr.“ Da mit dem Geldwert auch das zwischenmenschlich gelebte Ethos sinkt, kommt es zu einer „Grenzmoral“. Der Pegel menschlicher Gesinnung versinkt in morastische Abgründe. Es ist ein gewaltiger Irrtum, die heutige Inflation in demagogischer Weise als „schleichend“ zu bezeichnen. Stefan Zweig erkannte dies, wenn er in seinen Lebenserinnerungen schreibt. „Nichts hat das Deutsche Volk - dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden - so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“ Sollen wir nun im 21. Jahrhundert, für den Great Reset vorbereitet werden, für die transhumanistische new world? Du wirst nichts haben (nicht einmal mehr dein eigenes Bewusstsein) und du wirst glücklich sein
Es sei daran erinnert, dass der Hitlerputsch (9. November 1923) mit dem Höhepunkt der Hyperinflation zusammenfiel. Erst am 15. November kam es dann zur Ausgabe der neuen Reichsmark, der Rentenmark (1 neue Mark auf eine Million alter Papiermark). Die Völkermorde des 20. Jahrhunderts zeigen eine Parallelität zu jener drohenden Auf-lösung, in welcher jegliches Gefühl für Maß, Sinnhaftigkeit und Normalität verloren geht. Kaltenbrunner schreibt. „Sie (die Menschen) gewöhnen sich an die traumatische Ungeheu-erlichkeit des perversen Geschehens, das sie zu Bettlern herabgewürdigt hatte. So unwich-tig Ihnen die Vernichtung des Geldwerts erschien, als die großen Zahlen ihren Sinn verloren hatten, so verliehen später die Millionenzahlen jener, die – wie es verräterisch hieß - liqi-diert wurden, dem Vorgang des Genozid den Anstrich des Irrealen.“ Der Essay: „Von der Inflation zur Liquidierung“ von Gerd-Klaus Kaltenbrunner er-schien 1994 als Sonderdruck der Zeitschrift „Scheidewege“ (Hg. Friedrich Georg Jünger und Max Himmelheber) Jahrgang: 24/1994/95-105 |