WIDERSPRUCH
zwischen einer Erklärung von Vatikan II und
der traditionellen Lehre der Kirche
von
Michel Martin
(Übersetzt von Günther Mevec, Gröbenzell aus
"PORTS DANS LA FOI", 5/1970, S.302-312)
"Die katholische Lehre wurde durch
das Konzil weder in Frage gestellt, noch grundlegend verändert. Da sein
Charakter pastoraler Art war, hat es vermieden, Dogmen zu proklamieren,
denen der Charakter der Unfehlbarkeit eignet."
Paul VI., 12.1.1966
Diese Deklaration des Hl.Vaters zur Beständigkeit der Lehre und der Nichtunfehlbarkeit
der "Lehren" des II.Vatikanums wird mit Erleichterung aufgenommen
werden. Denn trotz gegenteiliger Bestätigungen ist es trauriger Weise
und -wenigstens in Bezug auf einen bestimmten Punkt gewiß, daß die
Deklarationen des II. Vatikanums zur Religionsfreiheit einer Lehre
absolut widersprechen, die durch das höchste Lehramt als unfehlbar
definiert worden ist. (Wir sagen ausdrücklichs in Bezug auf einen
gewissen Punkt und nicht in Bezug auf alle Punkte.)
Die Erklärung des II.Vatikanums bestätigt eigentlich, daß die Freiheit
in religiöser Hinsicht vor dem äußeren Richterstuhl und die Freiheit
des Gewissens vor dem inneren Richterstuhl ein auf die Würde des
Menschen gegründetes Recht ist, das vom Staat in der Weise anerkannt
werden soll, daß es ein ziviles Recht darstellt. Diesem Recht kann sich
die öffentliche Gewalt nicht entgegenstelln, insofern die öffentliche
Ordnung gewahrt werden soll.
Die Kirche nun, die die Freiheit des Gewissens vor dem äußeren
Richterstuhl immer anerkannt hat, hat jedoch bis heute immer gelehrt,
daß alleine die Wahrheit das Recht hat sich öffentlich zu manifestieren
und daß demzufolge der einzige Kult, der Rechte für sich beanspruchen
kann, der katholische ist.
Die Kirche hat jedoch anerkannt, daß die öffentliche Gewalt unter
gewissen Umständen die anderen Kultformen dulden kann und daß diese
Toleranz manchmal das kleinere Übel sein kann. Sie gestand sogr zu, daß
diese Toleranz gesetzlich festgelegt werde, falls es zur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erforderlich sei.
Dennoch hat sie es zu allen Zeiten entschieden abgelehnt zuzugestehen,
daß eine solche Toleranz im Namen der Gerechtigkeit oder eines Rechtes
gefordert werden könne. Dem auf die Würde des Menschen gegründeten
Recht, wie es Vatikanum II heute proklamiert, stellte sie die
höherstehenden Rechte Gottes und der Wahrheit entgegen.
Dies war zu aller Zeit die einheitliche Lehre der Kirche, an die uns besonders folgende Päpste und deren Dokumente erinnern:
GREGOR XVI. - Enzyklika "Mirari vos" von 1832
PIUS IX. - "Quanta Cura" und "Syllabus" von 1864
LE0 XIII. - Enzyklika "Immortale Dei" von 1885 und "Libertas"
PIUS XI. - "Quas primae" von 1925
PIUS XII. - Ansprache v. 6.12.1953
Es ist nicht möglich, diese Texte hier zu zitieren. Wir begnügen uns
daher mit der Herausstellung der Aussagen des II.Vatikanums und der
Aussagen, die PIUS IX. in "Quarta Cura" macht. - Warum wir diese
Enzyklika unter vielen anderen ausgewählt haben, wird sich weiter unten
zeigen.
Vatikanum II 1)
2 - "Das vatikanische Konzil deklariert, daß der Mensch ein Recht auf
die Religionsfreiheit besitzt. Sie besteht darin, daß der Mensch allem
Zwang, sei es durch Individuen oder durch gesellschaftliche Gruppen
oder durch jede menschliche Gewalt entzogen ist; sodaß, was die
Religion angeht, niemand gezwungen werde, gegen sein Gewissen zu
handeln, noch daß er gehindert werde, innerhalb der rechtmäßigen
Grenzen nach seinem Gewissen, in privater wie in öffentlicher Hinsicht,
alleine oder zusammen mit anderen zu handeln. Das Konzil erklärt
ferner, daß das Recht auf Religionsfreiheit seine Grundlage in der
Würde des Menschen hat, so wie es im Wort Gottes und durch die Vernunft
bekannt ist.
DIESES RECHT DER MENSCHLICHEN PERSON
AUF RELIGIONSFREIHEIT IN DER RECHTSORDNUNG DER GESELLSCHAFT SOLL IN DER
WEISE ANERKANNT WERDEN, DASS RELIGIONSFREIHEIT EIN ZIVILES RECHT
DARSTELLT.
"Quanta Cura"
5 - "Gegen die Lehre der hl.Schrift und der Kirche der hl.Väter
behaupten sie ohne Zögern: "Der beste Zustand der Gesellschaft ist
jener, wo man der Gewalt nicht die Pflicht zugesteht, mittels
gesetzlicher Strafen die Verletzung des katholischen Glaubens zu
bestrafen, es sei denn es wird im Rahmen der öffentlichen Ordnung
erforderlich."
Ausgehend von dieser gänzlich falschen Idee der Regierungen und der
Gesellschaften, scheuen sie sich nicht, diese irrige Meinung, die der
katholischen Kirche und dem Heil der Seelen höchst schändlich ist, und
die unser Vorgänger, der selige Gregor XVI. als Wahn bezeichnete, zu
vertreten:
"DIE FREIHEIT DES GEWISSENS UND DER
KULTE IST EIN RECHT FÜR JEDEN MENSCHEN. IN JEDER WOHL GEORDNETEN
GESELLSCHAFT SOLLTE ES DAHER VON GESETZES WEGEN PROKLAMIERT UND
GARANTIERT WERDEN."
Der Gegensatz zwischen beiden Texten ist grundlegend. Das "Recht des
Menschen auf Religionsfreiheit in der rechtlichen Ordnung", wie es vom
II. Vatikanum proklamiert wurde, haben Gregor XVI. und Pius IX. als
"WAHN" bezeichnet.
Um nun hinsichtlich des Sinnes der zitierten Passage des II.Vatikanums
jeden Zweifel auszuschalten, geben wir noch einige weitere Passagen aus
dieser Deklaration wieder, die die erste Passage präzisieren.
"6 - Wenn der Staat infolge besonderer
Umstände, in der sich die Völker befinden, eine besondere zivile
Anerkennung (der Religionsfreiheit) im Rahmen der Rechtsordnung einer
religiösen Gemeinschaft gewährt, so ist es erforderlich, daß das Recht
auf Religionsfreiheit zugleich in Bezug auf alle Bürger und religiösen
Gemeinschaften anerkannt und respektiert wird."
"13 - Die Christgälubigen, wie die anderen Menschen auf ziviler Ebene,
haben das Recht, in der Führung ihres Lebens nach ihrem Gewissen nicht
gehindert zu werden. Es besteht also eine Übereinstimmung zwischen der
Freiheit der Kirche und dieser Religionsfreiheit, die für alle Menschen
und Gemeinschaften als ein juristisches und garantiertes Recht
anerkannt werden sollte."
Es besteht somit kein Zweifel über die Tatsache, daß Vatikanum II. und
"Quarta Cura" hinsichtlich der Frage der Religionsfreiheit wenigstens
vor dem äußeren Richterstuhl im Widerstreit sind. Uns obliegt nun zu
zeigen, warum "Quarta Cura" eine jener seltenen Enzykliken ist, der die
Theologen in ihrer Quasi-Übereinstimmung einen unfehlbaren2) Lehrgehalt
zuschreiben.
Vatikanum I deklariert:
Wenn der Papst, da er ex cathedra spricht, d.h. wenn er im Vollzug
seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen und kraft seiner
übergeordneten apostolischen Autorität definiert, daß eine Lehre über
Glauben und Sitten von der ganzen Kirche beachtet werden soll, so hat
er durch göttlichen Beistand, der ihm in der Person des hl.Petrus
versprochen wurde, an dieser Unfehlbarkeit teil, von der der göttliche
Heiland wünschte, daß seine Kirche ausgerüstet sei, wenn sie Glaubens-
und Sittenlehren festlegt. (Vgl. Denzinger 1839 S 4, c.4, Bartmann
S.161) Infolgedessen sind die Entscheidungen des Papstes durch sich
unverrückbar 3) und nicht kraft der Zustimmung der Kirche (in ihren
Mitgliedern).
Die Theologen, die diese Passage kommentieren, erklären ausführlich die
Bedingungen der Unfehlbarkeit. Der ehrw. Pater Choupin und der
"Dictionnaire apologétique" von Alés fassen diese Erklärungen
folgendermaßen zusammen: Damit eine päpstliche Lehrentscheidung ex
cathedra geprochen und unfehlbar sei, ist erforderlich daß:
1) der Papst eine Lehrentscheidung in Bezug auf den Glauben und die Moral fälle;
2) daß er als oberster Lehrer spreche, d.h. daß er sich nicht in der
Eigenschaft einer Privatperson äußere, sondern als öffentliche Person,
d.h. in der Eigenechaft, die ihm als dem Oberhaupt der universellen
Kirche zukommt.
3) Daß er eine definitive Entscheidung fällt, d.h. daß er entweder
explizit oder implizit zum Ausdruck bringt, daß er durch seine
Entscheidung dem Schwanken der Geister ein Ende setzt.
4) Daß die Absicht genügend deutlich zum Ausdruck kommt, daß die Entscheidung für alle Gläubigen verpflichtend ist.
Der ehrwürdige Pater präzisiert, daß, wenn alle diese Bedingungen
erfüllt sind, sie zugleich hinreichend sind und es keiner weiteren mehr
bedarf. Das besagt: "Der Papst ist daher nicht an eine besondere,
äußerliche Form, Wendung oder wesentliche Formalität gebunden.
Qualifiziert er z.B. die entgegenstehende Lehre als häretisch oder
belegt er diejenigen, die sie vertreten, mit dem Anathem, so ist das
ein unzweideutiges Zeichen seiner Intention, seines Willens, zu
definieren; aber das ist nicht das einzige Anzeichen seiner Intention."
Die Enzyklika "Quarta Cura" von Pius IX. scheint die oben angeführten vier Bedingungen zu erfüllen.
1) Sie bringt ein Urteil über die Moral
der Gesetze der religiösen Toleranz oder Intoleranz zum Ausdruck, wie
sie von den Staaten erlassen sind. Des weiteren kann man in "Quarta
Cura" lesen:
14 - "Inmitten einer solchen Perversität verwerflicher Meinungen haben
Wir es UNS UNSERER APOSTOLISCHEN PFLICHT ERINNERND, in unserer
lebendigsten Sorge um unsere heiligste Religion, die heilige Lehre, das
Heil der uns von Gott anvertrauten Seelen und um das Wohl der
menschlichen Gesellschaft für richtig befunden, UNSERE APOSTOLISCHE
STIMME erneut zu erheben. Damit im Zusammenhang verurteilen und ächten
Wir kraft UNSERER APOSTOLISCHEN AUTORITÄT alle und jede der
irregeleiteten Meinungen, sowie die in diesem Brief näher bezeihneten
Lehren; und Wir WOLLEN UND ORDNEN AN, DASS ALLE SÖHNE DER KATHOLISCHEN
KIRCHE DIESELBEN ALS ABSOLUT VERWORFEN, GEÄCHTET UND VERURTEILT
ANSEHEN."
Man muß kein Professor der Theologie sein, um festzusteilen, daß in
dieser Aussage die drei letzten Bedingungen eines unfehlbaren
Lehrsatzes vereinigt sind.
2) Der Papst spricht hier als Hirte und Lehrer aller Christen; an drei
Stellen nimmt er explizit auf seine Apostolische Autorität Bezug.
3) Es handelt sich um eine definitive Aussage. Das zeigt die Anwendung der Zeitwörter "verwerfen", "ächten" und verurteilen".
4) Die Verpflichtung, welche die Gläubigen haben, sich der päpstlichen
Äußerung zu unterwerfen, ist ausdrücklich ausgesprochen. Müßte in
diesem Zusammenhang nicht der berühmte Satz angeführt werden: "Roma
locuta est, causa finita"?
Eine unfehlbare Lehrentscheidung der Kirche ist aus sich unveränderbar.
Dies sagt uns das I.Vatikanische Konzil. Weder der Papst, noch das
Konzil können sie ändern. Nicht einmal Gott könnte sie ändern, ohne
sich zu widersprechen.
Auch sagt uns Paul VI. in seiner Ansprache vom 12.1.1966, daß "uns das
II. Vatikanische Konzil nicht von der traditionellen Lehre der Kirche
entbindet."
MIT GROSSER TRAUER, ABER IM NAMEN DES GLAUBENS UND AUS GEHORSAM
GEGENÜBER DER KIRCHE UND IHREM OBERHAUPT, VERWEISEN WIR DAS RECHT AUF
RELIGIÖSE FREIHEIT VOR DEM ÄUSSEREN RICHTERSTUHL IN DIE ANGEMESSENEN
GRENZEN ZURÜCK, OBWOHL EIN SOLCHES RECHT IN EINER "DEKLARATION" VOM
7.12.1965 PROMULGIERT WURDE !
Mit Vertrauen erwarten wir den unvermeidlichen Tag, an dem Paul VI.
oder sein Nachfolger diese Erklärung entweder umarbeiten oder
annullieren wird, eine Erklärung, die dem ausdrücklichen Willen des
Konzils und des Papstes zufolge nicht für den Glauben verpflichtend
ist. Die Sache ist nicht ohne Präzedenz.4) Doch wir erklären, daß die
traurige Feststellung, die alle Welt bezüglich dieser Deklaration5)
machen kann, in keiner Weise unseren Glauben an die Göttlichkeit der
Kirche erschüttert.
Sie erinnert uns jedoch - falls wir dazu neigten, das zu vergessen -,
daß an der Kirche eine menschliche Seite ist, und daß 2308 Bischfe und
460 Experten in die Falle des Urhebers des Irrtums gehen können, der
sich, der Warnung Piust.X (in seiner Enzyklika "Pascendi") entsprechend
inmitten der Kirche selbst verbirgt."
Die traurige Feststellung möge uns gleichermaßen daran erinnern, wie
sehr wir Gott für die Gabe der Unfehlbarkeit, die Er seiner Kirche
geschenkt hat, dankbar sein müssen, denn wir können jetzt ermessen, bis
zu welchem Grad wir dem Irrtum und der Unwissenheit verfallen waren,
hätten wir uns nur durch den Verstand, die Wissenschaft und selbst die
tugendhafteste Weisheit der Menschen belehren können.
Die Verantwortlichen der öffentlichen Gewalt sind die Laien. Daraus
wird man verstehen, warum wir, die Laien, die in verschiedener Weise
mehr oder weniger Anteil an der öffentlichen Gewalt haben, über die DEKLARATION ZUR RELIGIONSFREIHEIT besonders beunruhigt sind.
Rücken war zuerst den bestimmten Punkt, an welchem die Uneinigkeit
zwischen der traditionellen Lehre der Kirche und der Deklaration von
Vatikanum II heraustritt, ins rechte Licht.
Pius IX., den wir zitierten, behauptet keineswegs, daß jedes Gesetz,
das einen nicht-katholischen Kult schützt, absolut verwerflich sei,
sondern daß die Einführung solcher Gesetze nicht als ein Recht
gefordert werden könne. Unter bestimmten Umständen können solche
Gesetze, als das kleinere Übel erlaubt werden. Dies war immer die Lehre
der Kirche, wie sie in zahlreichen päpstlichen Enzykliken niedergelegt
ist, besonders aber in der eben zitierten "Quarta Cura". Davon kann man
sich jederzeit durch Heranziehung des "Dictionnaire de Théologie
Catholique" von Vacquant und Mangenot vergewissern. Im Absatz über
"Freiheit" heißt es:
"Unter keinen Umständen und unter keinem Vorwand darf ein
Staatsoberhaupt die Freiheit der Kulte gutheißen, so als ob sie ein
Recht jedes Menschen wäre, das in jeder wohlgeordneten Gesellschaft
proklamiert und bestätigt werden muß... Denn die so verstandene
Freiheit der Kulte steht dem Glauben entgegen und ist in sich
verwerflich... ! Die zivile Duldung gewisser Kulte steht ihnen nicht zu
unter dem Rechtsanspruch eines Kultes; denn sie beruhen auf einem
Irrtum, während jedes Recht immer auf Wahrheit beruht. Diese Freiheit
ist ihnen vielmehr zugestanden, sei es als ein größeres Gut, sei es, um
so ein größeres Übel zu vermeiden... Diese Toleranz kann in gewissen
Fällen nur eine Toleranz der Tatsachen sein, während sie in anderen
Fällen, wo ernsthafte Gründe es gebieten, gesetzlich verankert werden
kann und so legal wird.
DAS BÜRGERLICHE RECHT AUF TOLERANZ als
ein gesetzlich gewährleistetes ist ganz verschieden vom VORGEBLICH
NATÜRLICHEN UND UNANTASTBAREN RECHT AUF TOLERANZ."
Manchen mag der Unterschied zwischen beiden Auffassungen als
unerheblich und bedeutungslos erscheinen. Für uns, die katholischen
Laien, ist er enorm; denn hiermit steht die Frag, nach dem katholischen
Staat auf dem Spiele.
Für uns, die katholischen Laien, handelt es sich in der Tat darum zu
wissen, ob wir weiterhin versuchen sollen, mit Gottes Hilfe die
christlich politische Ordnung zu begründen, wie sie von Leo XIII. und
Pius XI. in "IMMORTALE DEI" und "QUAS PRIMAS" dargelegt ist, oder ob
wir darauf verzichten sollen, um die neuen, von Vatikanum II
ausgesprochenen Prinzipien zu respektieren.
Es geht darum zu wissen, ob wir versuchen sollen, das zeitliche
Königtum Jesu Christi nach der in "Quas primae" dargelegten Lehre zu
verwirklichen, oder ob wir uns darauf beschränken sollen?- für IHN die
gleichen Rechte zu fordern, wie sie den Götzen und Göttern des Buddha
und Mohamed zugebilligt werden.
Es geht darum zu wissen, ob die Kirche auf Grund der Sorge um eine
legitime Unabhängigkeit, die zu anderen Zeiten nicht durchwegs beachtet
wurde, bewußt auf alle Hilfe und den Schutz der zeitlichen christlichen
Gewalt verzichtet.
Es geht darum zu wisse, ob sie dieses "Christentum" verneint, das trotz
siner Unvollkommenheiten ihr schönstes geschichtliches Gelingen gewesen
ist, das während 13 Jahrhunderten ihren Ruhm und ihre Kraft begründete,
und ob sie jetzt ihre Hoffnug in diese Gesellschaft "der
Rechtsansprüche des Menschen" 6) setzt, wie sie von den
antichristlichen Philosophen des 18.Jahrhunderts konzipiert und durch
die (französische) Revolution mehr oder weniger realisiert wurde.
ES GEHT DARUM ZU WISSEN, OB DIE KIRCHE
VON DEN LAIEN VERLANGT, IM KAMPF UM DAS ZEITLICHE KÖNIGREICH JESU
CHRISTI, ZU DEM SIE DIE LAIEN SELBST AVFGERUFEN HAT UND IN DEM DIESE
NOCH 1925 VON PIUS XI. BESTÄRKT WURDEN, ZU KAPITULIEREN.
Entfaltung oder Widerspruch ?
Die Auffassung der Experten
Wir haben gezeigt, daß die Erklärung zur Frage der Religionsfreiheit
wenigstens in einem ganz bestimmten Punkt - mit der vormals von der
Kirche vorgetragenen Lehre im Widerspruch steht. Nun kann aber die
Kirche das Prinzip selbst eines derartigen Widerspruchs nicht zugeben,
denn sie vertritt, daß sich die Lehre nicht wandle.7)
Zudem hat Paul VI. selbst am 12.1.1966 erklärt:
"Die katholische Lehre ist durch das
Konzil weder in Zweifel gezogen, noch grundlegend verändert worden.
Ganz im Gegenteil, das Konzil hat sie bestätigt, erklärt, verteidigt
und weiterentfaltet."
Das Konzil selbst präzisierte in seiner Deklaration:
"Dieses Vatikanische Konzil untersucht
die heilige Tradition und die heilige Lehre der Kirche, entzieht daraus
Neues, jedoch in festem Zusammenhang mit dem Vorherigen."
Diejenigen Theologen, die den neuen Gedanken wohlgesonnen
gegenüberstehen, finden sich dadurch mit der peinlichen Aufgabe
konfrontiert zu versuchen? uns zu überzeugen, daß die neue Lehre der
vorangehenden (alten) nicht entgegensteht, sondern eine
Weiterentwicklung derselben ist."
Für uns ist es nicht uninteressant zu sehen, wie sie versuchen, die Quadratur des Zirkels nachzuweisen.
Über diesen Gegenstand befragen wir den am meisten qualifizierten
Theologen, denjenigen, der als Konzilsexperte, als der Hauptredakteur
der Konzilsdeklaration angesehen wird: den Jesuiten R.P.Murray.
Dazu beziehen wir uns auf seinen Artikel "Das Problem der
Religionsfreiheit auf dem Konzil". Dort lesen wir: "Wir werden zuerst
versuchen, mit aller nur möglichen Objektivität die beiden
Stellungnahmen zur Frage der Religionsfreiheit zu definieren."
In der Tat beginnt der Autor mit der Darlegung dieser beiden Positionen
und stellt sie mit einer bemerkenswerten Objektivität und Klarheit dar.
Die traditionelle These, die er als "Erste Position" bezeichnet, legt
er zuerst dar; danach die neue Lehre, die er als "Zweite Position"
bezeichnet.
Anschließend widmet er ein ganzes Kapitel den Schwierigkeiten eines Dialogs zwischen beiden Standpunkten.
Ehe wir darüber fortfahren, sei bemerkt, daß es uns einfache Laien
befremdet, daß eine Lehre zwei Standpunkte umfassen kann, die derart
getrennt sind, daß es schwierig wird zwischen beiden einen Dialog
aufzubauen. Es befremdet uns besonders deswegen, weil der zweite
Standpunkt nur als die Entfaltung und Vertiefung des ersten hingestellt
wird. Und wenn sich der Dialog zwischen beiden als schwierig erweist,
liegt das nicht einfach daran, weil die beiden Standpunkte sich in
mehrfacher Hinsicht widersprechen, wie oben schon gezeigt wurde? Wir
werden im Folgenden sehen, daß der ehrwürdige Pater seine Ausführungen
mit dem Eingeständnis dieses Widerspruchs beschließt.
Es ist uns nicht möglich, hier die 14 Seiten wiederzugeben, die der
Pater den Dialogschwierigkeiten zwischen den Standpunkten widmet und
die ein dialektisches Meisterwerk darstellen. Aus den folgenden Zitaten
kann man sich aber ein Bild davon machen:
"So fragt z.B. die erste Position, ob ein Mensch das Recht habe, eine
falsche Religion zu begründen. Sie antwortet negativ und erwägt, daß
sie damit der zweiten Position einen tödlichen Schlag versetst hat.
Ärgerlich ist, daß die zweite Position auf diese Frage nicht bejahend
antwortet. Eigentlich sieht sie gar keinen Grund, überhaupt darauf zu
antworten. Die Art, wie die Frage gestellt ist, nämlich ohne die
mindeste Beziehung auf irgend eine historische Wirklichkeit, bewirkt,
daß diese Frage mit dem Problem der Religionsfreiheit in ihrer
gegenwärtigen Bedeutung, die einen historischen, sozialen und
politischen Zusammenhang voraussetzt, gar nichts zu tun hat. Aus diesem
Grund erfolgt kein Dialog."
Wir sind überzeugt, daß es schwer sein würde, einen noch deutlicheren
Beweis darüber zu erbringen, wie die dialektisch-marxistische Methode
in die gegenwärtige Theologie eingedrungen ist.
Fahren wir indes mit der Lehre fort:
"Die zweite Position stellt ihrerseits
einige Fragen. Sie verlangt z.B. ,daß , wenn das Problem der
Menschenrechte diskutiert werden soll, man zu Beginn der Diskussion
voraussetzt,daß das Wesen des Menschen ein historisches (ein ständig
sich grundlos änderndes) ist, dessen rationelle Erfordernisse sich in
fortschreitender Entwicklung und im Zusammentreffen des sich ständig
wandelnden politisch-sozialen Kontextes äußern, sowie in der sich
ebenfalls wandelnden Stellungnahme eines sich erweiternden persönlichen
und politischen Bewußtseins."
Mit dieser Frage konfrontiert, neigt die erste Position dazu, entweder
fassungslos zu sein, oder mit der Anschuldigung eines
gesellschaftlichen und Juristischen Modernismus zu antworten. In beiden
Fällen findet kein Dialog statt."
Es steht ganz außer Frage, daß die zweite Position einen juristischen Modernismus offenbart. Doch fahren wir fort.
"Dieser verfehlte Dialog scheint
anzuzeigen, wo das eigentliche Problem liegt. Die Erste und die Zweite
Position treten sich nicht einfach wie Bejahen und Verneinen gegenüber.
Ihre Verschiedenheit liegt viel tiefer begründet, so tief in der Tat,
daß es schwierig wäre, mit der Darstellung der Differenz zwischen
beiden noch weiter zu fahren. Sie stellen vielmehr den gegenwärtigen
Zusammenstoß zwischen der klassischen Geisteshaltung und dem
historischen Bewußtsein dar."
Besser kann es gar nicht ausgedrückt werden. Es ist in der Tat - wie
der Pater sich ausdrückt - der Zusammenstoß der "klassischen
Geisteshaltung" mit der modernistischen Mentalität, um nicht zu sagen,
mit der marxistischen.
"Die erste Position beschuldigt die
zweite doktrineller Fehler: des Liberalismus und Neo-Liberalismus, des
Subjektivismus, Relativismus, Indifferentismus, des humanistischen
Personalismus, Existentialismus, Laizismus, des gesellschaftlichen und
rechtlichen Modernismus, der Situationsethik...
Doch ist es ein leichtes zu zeigen, daß all diese Anschuldigungen auf
einem Mißverständnis beruhen. Die zweite Position braucht sich nur
näher zu erklären, um zu beweisen, daß diese Anschuldigungen
doktrineller Fehler ohne Grundlage sind."
Unglücklicherweise bleibt der verehrungswürdige Pater uns die Erklärung
schuldig, obwohl sein Artikel 112 Seiten umfaßt. Höhren wir ihn
indesweiter an:
"Die zweite Position urteilt weniger
hart. Sie beschuldigt die erste zwar nicht wegen doktrineller Fehler,
sehr wohl aber falscher theologischer Argumente und des Paralogismus
(Fehlschlusses)."
Wir behaupten jedoch, daß die erste Position orthodox ist, bekennen
aber unser Erstaunen, daß eine Position, die doktrinell fest ist, auf
falschen Argumenten beruhen sollte."
"Der erste Fehlschluß besteht in dem Fixismus, d.h. die erste Position
weigert sich, ins Auge zu fassen, daß sich die Grundlage des Fragens
gewandelt hat und daß die Antwort des 19.Jahrhunderts nicht mehr
ausreichend ist."
Diese Aussage zeigt, daß die erste Position nicht unrecht tut, wenn sie
die zweite der Situationsethik beschuldigt. Eine weitere
Selbsterklärung der zweiten Position lautet: "Zu bemerken bleibt der
archaische Charakter der ersten Position, denn ihr fehlt jegliches
persönliches und politisches Bewußtsein."
Könnte man es noch offener sagen, daß die zweite Position gebildet
wurde, um die Lehre der Kirche dem alltäglichen Geschmack anzupassen?
Doch schließlich sagt uns der ehrwürdige Pater noch, wie die zweite
Position in der Tradition der Kirche verwurzelt ist: "Die zweite
Position stellt sich dar als der Stand der aktuellen Ausbreitung im
Verständnis der Tradition. Diese Ausweitung des Verständnisses war im
19.Jahrhundert noch nicht eingetreten. Sie kam erst durch die
dynamische Qualität, die dem 20.Jahrhundert eignet, zustande und zwar
durch die Bewußtseinserweiterung des politischen und persönlichen
Bewußtseins, die zu allererst von Pius XII. aufgezeigt und in der Folge
von Johannes XXIII. in der Fülle ihrer Implikationen entfaltet wurde.
Die Theologen des 19.Jahrhunderts blieben nicht bei dem Gedanken der
Religionsfreiheit als einem menschlichen und zivilen Recht stehen, denn
sie ist das Resultat einer Entdeckung der Erfordernisse des
persönlichen und politischen Bewußtseins, die im 20.Jahrhundert gemacht
wurde."
Es fällt schwer zu glauben, daß die Theologen des 19.Jahrhunderts von
der Deklaration der Menschenrechte von 1789 keine Kenntnis hatten,
deren zehnter Artikel die erste Proklamation der Religionsfreiheit
darstellt, und daß Gregor XVI., Pius IX. und Leo XIII die Erfordernisse
des persönlichen und politischen Bewußtseins nicht ahnten, in deren
Namen man die Revolution machte.
Es war somit die Revolution, welche die Kirche über den wahren Sinn der
Tradition aufklärte, nur hat die Kirche 175 Jahre gebraucht, um das zu
verstehen!
Nach vielen Seiten Darlegung dieser Art schließt der Pater mit dem
Eingeständnis, daß die beiden Positionen in dem Punkt, welcher
Gegenstand der Untersuchung ist, unvereinbar sind. Nachdem er die "Cura
religionis" als die "Rolle der öffentlichen Gewalt in religiösen
Angelegenheiten" definiert hat, schließt er:
"Aus der Untersuchung, die wir oben unternommen haben, geht eindeutig
hervor, daß die erste und die zweite Position in Bezug auf ihre
Stellungnahme zur Frage der "Cura religionis" verschiedene Positionen
behaupten, die teils kontradiktorisch, teils widersprüchlich sind."
Wir ziehen daraus den Schluß, daß der Konzilsexperte, der der
Hauptredakteur der Deklaration des II.Vatikanums ist, die Auffassung
vertritt, daß die zweite Position, d.i. die in der Deklaration
dargelegte, mit der vorangehenden Tradition bezüglich der Frage der
Rolle des Staates in religiösen Angelegenheiten im Widerspruch steht.
Anmerkungen:_____________________________________________________________________________
1) Über die Aussage Pauls VI. vor der UNO zum Thema der
allgemeinen Religions- und Gewissensfreiheit als "ein universell
anerkanntes Dogma" vgl. CONTRE-REFORME-CATHOLIQUE, Nr. 38/1970, S.7-8,
in Übersetzung veröffentlicht in EINSICHT Nr.2, Mai 1971, Seiten 9-12 .
2) Hervorhebung durch den Übersetzer.
3) Vgl. Dogmatik von Dr.B.Bartmann, 2 Bände, Freiburg i.Brg. 1920, 141,
S.154-161, insbesondere zur Frage über die "Unfehlbarkeit des
Lehramtes".
Zur Frage des Papstes als Inhabers der obersten unfehlbaren Lehrgewalt, vgl. ebd. S. 161-164.e
4) Auf dem Konzil von Konstanz (1414-1418) wurde der Satz von der
Überordnung des Konzils über den Papst (Konziliartheorie) verkündet.
... Der Satz ist irrig und steht im Widerspruch zur gottgewollten
Gliederung der Kirche. Als Papst Martin den Dekreten des Konzils seine
Bestätigung gab, nahm er denn auch diesen Satz aus." J.Lortz,
Geschichte der Kirche, Münster 1953, S.204
5) Der Verfasser unterscheidet konsequent zwischen der bloßen
Deklaration der Religionsfreiheit durch das II.Vatikanische Konzil, das
von Paul VI. expressis verbis als dogmatisch nicht verpflichtend
bezeichnet wurde, und der verpflichtenden Bindung der katholisch
Christgläubigen durch eine unfehlbare Lehrentscheidung.
6) Im Zusammenhang mit der hier angesprochenen Demokratisierung der
Kirche sind besonders die Ausführungen Abb de Nantes in seinen
verschiedenen Rundbriefen sehr aufschlußreich. Er bezeichnet die
Demokratisierungsbemühungen in der Kirche mit dem Namen MASDU =
Mouvement d'animation spirituelle de la Democratie universelle. Zu
deutsch: Bewegung zur geistlichen Förderung der universellen
Demokratie. Besondere Beachtung verdient, daß die Bewegung nicht
geistiger, sondern geistlicher, daher religiöser Art ist. Ihr Ziel ist
die demokratisch fundierte Religion, eine vom Menschen erkonstruierte
Pseudoreligion, auch Synkretismus genannt (die Verschmelzung aller
konfessionellen Unterschiede mit der Absicht der Verbreitung der neuen
Religion der universellen Brüderlichkeit.)
Zur einstweiligen Einführung in die Gedanken des Abb de Nantes mag
folgende Erklärung dienen. "Wenn Sie noch an eine durch Jesus Christus,
den Sohn des erlösenden Gottes, ins Leben gerufene Religion zur
Errettung aller Menschen glauben, die er durch die Sakramente der
einen, heiligen Kirche zum ewigen Leben führt, so kommen Sie mit Ihrer
Erwartung an ein Konzil (das II. Vatikanische) und einen Papst zu spät.
Denn die prophetische Erleuchtung des II.Vatikanischen Konzils und
Pauls VI. verkündet der modernen Welt eine andere Offenbarung des
Geistes. Nämlich einen Appell an alle Menschen, sich der Bewegung zur
geistlichen Förderung einer universellen Demokratie anzuschließen,
indem sie alles Sektentum, allen Fanatismus (versteht sich in erster
Linie den der wahren Religion), alle Intoleranz zwischen den
verschiedenen Konfessionen und Kirchen überwinden. Sie werden ihre
gemeinsame Seele entdecken, sie werden die neuen Strukturen dieser
universellen Religion entdecken, indem sie sich zusammenschließen, um
für die großen menschlichen Ziele der Entwicklung, der Brüderlichkeit
und des Friedens arbeiten.
Bei der Arbeit werden die bisherign Differenzen schwinden. Ohne seine
Berufung des christlichen Glaubens (scheinbar) zu verneinen und ohne
aufzuhöhren, der katholischen Kirche vorzustehen, entwickelt Paul VI.
eine unermüdliche Aktivität im Dienst dieses großen Planes. Keine
Möglichkeit läßt er ungenützt (siehe Besuch in Genf beim
Weltkirchenrat, um die Religionen einzuladen, ihre bisherigen
dogmatischen Grenzen zu übersteigen, wie dies die postkonziliare Kirche
so vorbildlich getan hat; und er selbst arbeitet für diese Versöhnung
der verschiedenen christlichen Konfessionen, die sich über ihre
bisherigen dogmatischen Differenzen vollziehen soll."
7) Zur Frage der Unwandelbarkeit einer unfehlbaren Lehrentscheidung vergl. Beschlua des I. Vatikanischen Konzils:
"Definimus, Romanum Pontificem, cum ex cathedra loquitur, id est, cum
omnium Christianorum pastoris et doctoris munere fungens pro suprema
sua Apostolica auctoritate doctrinam de fide vel moribus ab universa
ecclesia tenendam definit, per assistentiam divinam ipsi in beato Petro
promissam, ea infallibilitate poliere, qua divinus Redemptor ecclesiam
suam in definienda doctrina de fide vel moribus instructam esse voluit;
ideoque eiusmodi Romani Pontificis definitiones ex sese, non autem ex
consensu ecclesiae, irreformabilis esse (s.4, c.4: Denz. 1839).
(Wir definieren: Wenn der Papst von der Kathedra aus spricht, d.h. wenn
er sein Amt als Hirte und Lehrer aller Christen ausübt und kraft seiner
höchsten Apostolischen Autorität eine für die gesamte Kirche
verpflichtende Lehre über Glaube und Sitten definiert, dann besitzt er
durch göttlichen Beistand, wie er dem hl.Petrus versprochen worden ist,
diese Unfehlbarkeit, mit welcher der göttliche Erlöser seine Kirche
ausgerüstet wissen wollte, wenn sie eine Lehre über Glaube und Sitten
verkündet. Daher sind die Definitionen dieser Art des Papstes aus sich
nicht aber aufgrund der Übereinstimmung der Kirche, unwandelbar.)
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