BESSER ALS CHRISTUS
von
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Lauth, München
Es mag jetzt ungefähr ein Jahr her sein, als ein junger Theologe, der
im Bewußtsein der Greuel des Reformismus dennoch das Wagnis auf sich
genommen hatte, Priester werden zu wollen, sich nach einem langen und
ernsten Gespräch von mir verabschiedete. Er hatte den bitteren Kelch
einer mehrjährigen Existenz in einem moderden Priesterseminar schon
nahezu geleert, die dort herrschende zynische Glaubenslosigkeit und die
das Blasphemische streifende Praxis ertragen. Jetzt stand er vor der
Priesterweihe. Wir hatten über die Agonie gesprochen, in der sich der
Leib Christi in dieser Weltstunde befindet. Da fragte er mich beim
Gehen: Könnten Sie mir wohl mit Einem Worte sagen, was das Wesen des
unverfälschten katholischen Christseins ausmacht? Ich antwortete, ohne
zu zögern: die Demut. Die Grundlage der katholischen Rechtgläubigkeit
ist die Demut.
Wenn das aber so ist, so erkennt man jeden, der vom katholischen
Glauben abfällt oder abweicht, unfehlbar an seinem Hochmut. Dieser
Hochmut zeigt sich im Reformismus auf dreierlei Weise: der
Reformkatholik, ja jeder, in dem das reformerische Gift auch nur im
Geringsten zu wirken beginnt, ist klüger als Christus, er ist weiser
als Christus, er ist mehr als Christus. Klüger als Christus! Jesus hat
uns gesagt: "Eure Rede sei Ja = Ja, nein = nein. Was darüber
hinausgeht, ist vom Übel." (Matth.V7370)"Ihr könnt nicht Gott und der
Macht des Geldes ( dem Mammon ) dienen!" (Matth. VI,24.) Die Reformer
aber sagen: Wir stellen es klüger an als der Herr, und sie erliegen der
Politlk. Sle bewundern ihre eigene Finesse, wenn es ihnen gelingt, die
abweichendsten Ansichten mit einer sprachlich vieldeutigen Formel
abzudecken.
Auf den Salzburger Hochschulwochen hörte ich noch vor der Reform einen
Vortrag des damals schon "greisen evangelischen Bischofs Stählin. Er
berichtete von der ökumenischen Arbeit, die er zusammen mit dem
jetzigen Kardinal Jäger leistete. Dabei empfahl er dringend, nach
Glaubensformeln zu suchen, die verschiedene, logisch unvereinbare
theologische Standgunkte gleicherweise abdeckten. Man solle dies
kirchlicherseits ganz bewußt tun, um auf diese Weise eine Einigung im
Glauben zu erzielen. Es versteht sich heute fast von selbst, daß ein
Küng eine Verlautbarung der deutschen reform-"katholischen" Bischöfe
deshalb gut findet, weil sie zweideutig ist und eine verschiedene
Auslegung zuläßt. Daß das sich offen seiner Unehrlichkeit rühmen heißt,
bemerken unsere vom Massenwahnsinn erfaßten Zeitgenossen schon gar
nicht mehr.
Welch ein Hochmut liegt in dieser Haltung! Sie dünken sich in ihrer
Klugheit über alle Mitmenschen so erhaben, daß sie wie von einem keiner
Kontrolle mehr bedürfenden Grundsatz von der Voraussetzung ausgehen)
niemand sonst werde so klug sein, ihr qui pro quo zu bemerken, und
niemand so ehrlich um sein Heil bemüht, es nicht auf die leichte
Schulter zu nehmen, und auf diese Weise könne man den anderen Menschen
aufbinden, Schwarz sei Weiß und Weiß sei Schwarz.
Zweideutigkeit annehmen, heißt, der Wahrheit benehmen wollen, daß sie
allein Wahrheit ist, und da die Wahrheit ein Name Gottes ist, neben
Gott andere Götter haben wollen. Derjenige, der das Verschiedenartige
zusammenwirft, ist der Teufel (diabolos). Aber natürlich - das sagt die
Heilige Schrift, und Der, Der in ihr spricht, der Heilige Geist, ist
einfältiger als diese gelehrten Theologen und gewiegten Politiker
unserer Tage.
Die Versuchung der Politik ist bis tief in die Reihen der rechtglaubig
gebliebenen katholischen Christen am Werke. Man setzt auf die große
Zahl, auf die Publizität und den Öffentlichkeitserfolg. Es bedeutet
nichts, daß Gott dem hl.König David die Zahlung seines Volkes
untersagte und ihn schwer dafür strafte, daß er sie dennoch vornahm.
Damit wollte Gott uns eindringlich lehren, daß wir nicht auf die Zahl
vertrauen sollen. Aber schaffen es unsere Gegner nicht mit der
Quantität, mit der Mehrheit, die sie jetzt noch dazu demokratisch in
der Kirche institutionalisieren wollen? Und müssen wir nicht trachten,
es ihnen gleichzutun? - Der Heilige Geist sagt dazu: "Wie kann denn
einer [cf. die kleine Schar der bewußten Zerstörer der Kirche] tausend
[cf. das gesamte Kirchenvolk] und zwei zehntausend in die Flucht
schlagen? Doch nur, weil ihr Fels sie verkaufte, und weil Gott sie
preisgab. Denn nicht wie unser Fels ist ihr Fels." (Deut., XXXII,
30-31) - Wenn ihr nach meinen Gesetzen wandelt und meine Gebote
beobachtet, [...] dann werden hundert von euch zehntausend in die
Flucht schlagen und eure Feinde vor euch fallen." (Lev.XXVI,8.) Jesus
hat sich in der Wüste freiwillig alles Erfolges begeben. Er ist vor den
gotteslästernden Juden, die ihn dazu aufforderten, nicht vom Kreuz
herabgestiegen, weil er den Öffentlichkeitserfolg als Mittel zur
Annahme der Wahrheit verwarf. - Wir haben leider Priester in unseren
Reihen, die sagen: Wir zweifeln an der Legitimität Pauls VI., wir
überzeugen uns immer mehr, daß er die Kirche böswillig ruiniert; wir
sind der Auffassung, daß er seine merkwürdige Politik vor einem
kirchlichen Gerichte verantworten soll; - aber wir werden das unseren
Gläubigen nicht sagen, um sie zu schonen.
Und so erklären sie in der Öffentlichkeit, Paul VI. sei zweifelsfrei
rechtmäßiger Papst und wir hätten die Pflicht, ihm und den mit ihm
verbundenen Bischöfen zu gehorchen. Was soll nun aber gelten? Und warum
diese Zweideutigkeit? Etwa aus dem Grunde, den ein gewisser Mann
angibt, der sich eifrig bemüht, mit seinem Gelde die Gegenreformation
auf ein totes Geleise zu manövrieren: daß das einfache katholische Volk
zu dumm sei und immer zu dumm bleiben werde, daß es eine autoritative
Führung brauche und man ihm verhehlen müsse, daß die Autorität Pauls
VI. zweifelhaft geworden ist? Kann die Kirche sich jemals von der
gegenwärtigen Sünde reinigen, wenn sie diese Frage nicht stellt und
klärt? Und heißt, diese Klärung verhindern, nicht, wollen, daß der Leib
Christi an dem in ihm wütenden Eitergift stirbt? Ist hier Ja Ja und
Nein Nein? Sie sind also klüger als Christus?
Einer unserer fähigsten Priester verfällt auf seine Weise der Politik.
Es ist seiner hohen Intelligenz freilich nicht entgangen, daß mit der
Erklärung Johannes` XXIII., es werde unter seinem Pontifikat keine
Verurteilungen geben, die Regierung der Kirche nicht mehr ausgeübt
wird, sondern ruht. Er verkennt auch nicht, daß Paul Vl. und daß
"diesmal die gesamte Hierarchie sich für die modernistische und
progressistische Bewegung engagiert hat", die bereits durch den
hl.Papst Pius X. wirksam verdammt ist. Aber der hochwürdige Abbé hofft,
einige - und unter ihnen für Frankreich entscheidende - Bischöfe für
seine Erkenntnisse gewinnen zu können. Und da möchte er ihnen eine
goldene Brücke bauen. "Die Priester", schreibt er, "die die Revolution
predigen und die Liturgie umkrempeln und häufig enorme Dummheiten
propagieren [...] , diese Priester, die wir für verirrt halten, sind im
Grunde ihrer selbst zutiefst katholisch geblieben. "Eines schönen Tages
würden sie das entdecken, und dann brauchten sie nur wieder den rechten
Weg zu betreten und die wahre Kirche wiederherausteilen.
Das ist doch, als wenn man im Jahre 1792 gesagt hätte: alle die
Adligen, die die Revolution von 1789 gemacht haben, sind im Grunde
ihres Herzens treue Royalisten, auch wenn sie jetzt die staatliche
Verfassung von Grund aus umwandeln, für die Enthauptung des Königs
stimmen und die ungeheuerlichsten politischen Grundsätze vertreten.
Eines Tages werden sie das entdecken, und dann brauchen sie nur wieder
den rechten Weg zu beschreiten und die Monarchie wiederherzustellen.
Nein, Herr-Abbé! Nach einer solchen RevoIution gibt es keine
Wiederherstellung der Monarchie mehr. Unter Napoleon kam die Wahrheit
zu Tage: die Adligen stellten sich den Revolutionsgeneralen und
-beamten gleich, und diese wurden ihrerseits Könige, Herzöge und später
Pairs. Nach einer solchen Revolution gibt es bestenfalls eine
Restauration, und die ist nichts anderes als die Illusion einer Schein-
monarchie: eine österreichisch-ungarische Monarchie statt des Heiligen
römischen Reiches; einen Ludwig XVIII., den Napoleon zu verächtlich
fand, um ihn zu verhaften, als er bei der Rückkehr von Elba unerwartet
auf ihn stieß, und schließlich einen Orléans - aber keinen Ludwig XVI.
mehr.
Man kann nicht für die Enthauptung des rechtmäßigen Königs stimmen und
nachher so tun, als wenn nichts geschehen wäre! Man kann nicht das Ende
des Heiligen Reiches erklären und nachher so tun, als wenn Österreich
ja dasselbe Kaiserreich wäre. Man kann nicht die Wandlungsworte Christi
verfälschen und nachher so tun, als wenn alle die neuen "Messen", die
man inzwischen gelesen hat, in Ordnung gewesen wären. Diese Taten
folgen uns unauslöschlich nach!
Weiser als Christus! Jesus, der vollkommen Sündlose und Heilige, hat
sich in den Versuchungen der Wüste aller Macht begeben. Als der Tenfel,
an die Bestätigung im Jordan "Du bist mein geliebter Sohn" anknüpfend,
ihm sagte: "Wenn du der Sohn Gottes bist", dann steht es Dir auch dank
Deiner göttlichen Heiligkeit zu, aus Steinen Brot zu machen und Dir
durch Wunder zu helfen, wenn Du das brauchst, und
überhaupt alle Macht auf Erden zu haben, da antwortete ihm der Herr:
der Mensch lebe vom Worte Gottes, und nicht vom bloßen Brot; es hieße
Gott versuchen, wollte
man mit Wundermacht den Lauf der Ereignisse verbessern; er verehre nur Gott und diene nur ihm, nicht der Macht.
Die Reformer aber wissen es besser: Jesus hat es auf dem falschen Weg
versucht; er hat die Bedeutung der sozialen Frage nicht erkannt. Die
Kirche muß es sich zur ersten und wichtigsten Aufgabe machen, die
gesellschaftliche Ungerechtigkeit in der Welt zu beseitigen. Sie denken
nicht daran oder halten es für Torheit, daß Jesus gegen die furchtbare
politische Unterdrückung in Palästina zu Seinen Lebzeiten durch die
Herodäer und Römer und gegen die soziale Ungerechtigkeit der Sklaverei
nicht angegangen ist. "Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere
wird euch dazugegeben werden!" lehrte uns Jesus. Die Reformer sind
weiser; sie sagen: Suchen wir zuerst die irdische Gerechtigkeit, und
dann wird uns das Gottesreich dazugegeben werden. Warum aber der Mensch
noch die - wenn auch nur politische und soziale - Gerechtigkeit suchen
sollte, wenn er Gott verachtet, danach fragen sie nicht mehr. Jesus
wußte, daß nur die Wahrheit uns freimacht. Sie aber sind weiser und
lehren: die Freiheit wird uns wahrhaft machen.
Mit der Wahrheit läßt sich nicht markten! Sie kann nur ganz angenommen
oder abgelehnt werden. Da regt sich wohl einer unter unseren Lesern
darüber auf, daß es Léon Bloy "köstlich" fand, daß beim Brand des
Pariser "Liebesbazars" einige von denen, die dort blasphemische Dinge
getrieben hatten, verbrannten, und daß nur die geringe Zahl der Opfer
seine Freude eingeschränkt hätte. Als wenn es nicht ganz
selbstverständlich wäre, daß Bloy nicht einen pathologischen Blutdurst
befriedigen, sondern seiner unaussprechlichen Entrüstung über die
geistig-geistliche Korruption - den Segen des päpstlichen
Nuntius für das Cabaret zur liebesbrünstigen Sau der veranstaltenden
Herzoginnen - unzureichenden Ausdruck geben wollte.
Es lohnt sich nicht, darüber zu streiten, ob Bloy ein christlicher
Prophet ist oder nicht. Wer es nicht sieht, der sieht es eben nicht.
Aber daß die Kirche in ihrem Stundengebet und ganz besonders in der
heiligen Karwoche die Rachepsalmen betet, die ebendasselbe sagen und in
denen der Heilige Geist spricht, das muß man entweder in Demut als
Ausdruck der Wahrheit annehmen - oder eben aufhören, katholisch zu sein.
Wenn die Sünde wider die ersten drei Gebote unendlich viel schwerer
wiegt als alle anderen Sünden - Massenmord und perverseste Unzucht
eingeschlossen dann sind auch die Greuel der Konzentrationslager noch
nicht einmal der Anfang der Genugtuung, die derartige Sünden erfordern;
und Stalin und Hitler sind Säuglinge gegen jene Kirchenfürsten samt
ihren katholischen Herzoginnen`*) , die die heutige innerkirchliche
Blasphemie verschuldet haben.
Wir alle hoffen auf die stellvertretende Genugtuung Christi, auf daß
diese Strafen uns verschonen; aber wie können wir es wagen, diese Sühne
des Unschuldigen in Anspruch zu nehmen, wenn wir nicht zuvor die volle
Wahrheit erkennen, daß nämlich kein ausdenkbares Strafgericht an den
Menschen allein diese Sünde aufwiegen und uns erleichtern könnte. Aber
die Sünde gegen den Heiligen Geist wird nach Jesu Wort weder auf Erden
noch im Himmel vergeben! "Der Heilige Geist, dieser unerhörte Besucher,
wird keine Freunde haben, [wenn er kommt]." (Léon Bloy).
Anmaßung der menschlichen Weisheit, Versuchung der Politik! Und das ist
immer wieder jenes selbe "Descendat nunc de cruce, et credimus ei"!**)
Er soll nicht nur heilig sein; er soll sich der Macht und der List
bedienen. Kann es eine größere Verachtung des Armen - des Armen !!! -
geben, als diese Aufforderung an den am Kreuze Sterbenden, und folglich
- einen größeren Hochmut? Klüger, weiser, mehr - als Der, Der nur die
Wahrheit war und sein wollte und deshalb am Kreuze verblutete.
*) Ich schreibe Herzoginnen in Anführungszeichen, puisque les lys ne filent pas (Matth.VI, 28), sondern nur die truies.
**)"Er steige jetzt herab vom Kreuze, und wir glauben an ihn!"
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