Cur Deus Homo? Warum Gott Mensch wurde Wir feiern Weihnachten
von Eberhard Heller
An Weihnachten feiern wir das Fest der Geburt des Gottessohnes. Es ist das Fest der Liebe und der Freude, die diese Geburt des göttlichen Kindes bis heute auf uns ausstrahlt: zuerst auf die Hirten, die dem Ruf des Engels gefolgt waren, und dann über die hl. Drei Könige bis herauf zu uns durch all die Jahrhunderte hindurch, dadurch, daß diese Freude in den Herzen der Menschen tradiert wurde bis hinauf zu uns, wenn wir bereit sind, diese Freudenstrahlen und diese Liebe auf uns wirken zu lassen.
Nachdem wir uns in den Beiträgen von Dr. Ante Križić ausführlich mit dem Problem beschäftigt haben, wie Christus einmal als Sohn Gottes und dann als wahrer Mensch zu verstehen sei, fragen wir nun nach dem Sinn der Offenbarung Gottes, eine Frage, die schon den hl. Gregor berührt hat: „Allein dieses Geheimnis der Menschwerdung kann der menschliche Scharfsinn nicht ergründen; wie nämlich das Wort könne Fleisch werden - wie der höchste und allbelebende Geist in einer Mutter Leibe gleichsam anfangen könne zu leben, und wie derjenige, der um keinen Anfang weiß, habe können entstehen, und empfangen werden." (Gregor d. Gr.: IV. Homilie auf den dritten Adventsonntag, gehalten zu Rom um das Jahr 590, also 72 Jahre vor dem Tode des Maximus Confessor.)
Anselm von Canterbury stellte explizit die Frage, warum Gott Mensch wurde. „Cur Deus Homo?“ Es soll also die Frage beantwortet werden, warum Gott Mensch wurde, die der hl. Anselm in seinem Werk „Cur Deus Homo“ erörtert. Danach kam der Gottes-Sohn auf die Erde, um durch seinen Sühnetod den gefallenen Menschen die Rückkehr ins Vaterhaus zu ermöglichen. Die Menschwerdung Gottes ist nach Anselm auf die Sühne hin geschlüsselt, um den Preis zu zahlen, den die vielen und schrecklichen Vergehen der Menschen gefordert hatten, am Schluß noch überhöht durch das Verbrechen des Hohenpriesters, der den Sohn Gottes wegen Gotteslästerung dem Tod überlieferte - eine Einstellung, die bis heute von den rabbinischen Gelehrten vertreten wird. Gott opfert seinen Sohn für die Sünden der Menschen, der im Gehorsam seinem Vater gegenüber diesen Auftrag auch ausführt: „Vater wie du willst“. Dadurch will Gott den Menschen sozusagen eine zweite Chance geben, um wieder in ein Verhältnis mit ihm eintreten zu können.
In einem Beitrag von Eugen Golla aus dem Jahr 2000, in dem er uns das Leben des hl. Anselm von Canterbury vorstellt, geht er auch ausführlich auf eines seiner Hauptwerke ein: „Eines der bedeutendsten Werke Anselms ist der Dialog "Cur Deus Homo" ("Warum Gott Mensch wurde“), in welchem Anselm als Gesprächspartner einen Nicht-Christen wählt. Die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung Christi für die Sünden der Menschen ist zwar bereits im Alten und Neuen Testament klar ausgedrückt, z.B. in Isaias prophetischem Wort über den leidenden Gottesknecht oder in dem Ausruf Johannes des Täufers: "Sehet das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt", nach verschiedenen richtigen Theorien der Kirchenväter gab es aber auch falsche, wie z. B. die des Origenes, der eine unbiblische Loskauftheorie vertrat, weil der Teufel infolge der Erbsünde ein förmliches Eigentums- und Herrschaftsrecht über den Menschen besitze. In seiner Schrift entwickelte nun Anselm folgende Lehre: Die Würde und Ehre Gottes verlangt nicht nur Rückerstattung, sondern auch eine Genugtuung oder Bestrafung. Da aber Gottes Barmherzigkeit eine Bestrafung, d.h. die Verdammung des nach den Engeln höchsten Geschöpfes, des Menschen, nicht zuläßt, dieser aber für die Größe seiner Schuld Sühne zu leisten außerstande ist, ergibt sich der Schluß, daß zur Leistung der Sühne nur der fähig ist, wer Gott und Mensch zugleich ist. Dieser vollbrachte schuldlos eine unendliche Leistung. Deren Lohn war die Übertragung dieses Verdienstes auf die Menschen, die an den Heiland glauben, die sich bemühen, Gottes Gebote zu halten, und die diese unverdiente Leistung in Demut annehmen wollen. Jedenfalls hat Anselm mit seiner Satisfaktionstheorie die Grundlagen für die Erlösungslehre des Konzils von Trient geliefert, wenn auch kritische Stimmen an dieser - oberflächlich betrachtet - juristischen Lösung Anstoß nahmen.“ (Eugen Golla: Der heilige Anselm von Canterbury, EINSICHT Nr. 1 vom April 2000)
Die Frage nach der Menschwerdung Gottes greift auch Maria von Agreda auf (* 2.4.1602 zu Agreda/Spanien; + 24.5.1665 ebd.). Seit 1627 war sie Äbtissin des Klosters v. der Unbefleckten Empfängnis. Sie führte ein unglaublich strenges Ordensleben. Sie genoß außerordentliche Gnaden Gottes: Außer Visionen der Bilokation verfügte sie auch über die "eingegossene Wissenschaft“. In den folgenden Passagen geht sie auf einen Zweifel ein, den sie „dem Herrn über die in den letzten Kapiteln enthaltene Lehre vortrug“.
„Über die in den letzten beiden Kapiteln enthaltenen Geheimnisse und Lehren ist mir ein Zweifel aufgestiegen, veranlaßt durch die Meinungsverschiedenheiten, die ich schon öfters von gelehrten Männern gehört habe. Der Zweifel ist folgender: Wenn der erste Zweck und Beweggrund der Menschwerdung des ewigen Wortes der war, daß der Gottmensch der Erstgeborene und das Haupt aller Geschöpfe sei und daß mittels des Gottmenschen die göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten in einer der Gnade und Glorie entsprechenden Weise den Auserwählten mitgeteilt werden, und wenn das genugtuende Leiden und Sterben des Gottmenschen im Ratschlusse Gottes der sekundäre und untergeordnete Zweck war - wenn, sage ich, dieses die Wahrheit ist, warum gibt es dann in der Kirche so verschiedene Ansichten über diesen Punkt?
Und warum ist die entgegengesetzte Ansicht, daß nämlich das ewige Wort hauptsächlich zu dem Zwecke vom Himmel auf die Erde herabgestiegen sei, um durch sein heiligstes Leiden und Sterben die Menschen zu erlösen, sogar die allgemeinere? Diesen Zweifel habe ich in Demut dem Herrn vorgetragen, und Seine göttliche Majestät würdigte sich, mir darauf zu antworten. Der Herr verlieh mir nämlich eine klare Erkenntnis und ein sehr großes Licht, worin ich viele Geheimnisse erkannte und verstand; ich kann dieselben aber nicht vollkommen erklären, weil die Worte, die der Herr an mich richtete, gar vieles in sich schließen und bedeuten. Der Herr sprach zu mir: «Meine Braut, meine Taube, höre! Als dein Vater und Lehrmeister will Ich deinen Zweifel beantworten und in deiner Unwissenheit dich belehren. Wisse, daß der hauptsächliche und eigentliche Zweck meines Ratschlusses, die in der Person des Wortes mit der menschlichen Natur persönlich vereinigte Gottheit mitzuteilen, kein anderer war als die Verherrlichung, welche sowohl für Meinen Namen als auch für die Meiner Gnade fähigen Geschöpfe aus dieser Mitteilung hervorgehen sollte.
Daß dieser Ratschluß in der Menschwerdung ausgeführt worden wäre, auch wenn der erste Mensch nicht gesündigt hätte, ist nicht zu bezweifeln; denn es war ein ausdrücklicher und im wesentlichen bedingungsloser Ratschluß. Mein Wille, der in erster Linie darauf ging, Mich der mit dem Worte geeinten Menschheit des Erlösers und insbesondere Seiner menschlichen Seele mitzuteilen, mußte wirksam sein; denn so entsprach es meiner Heiligkeit und der Gerechtigkeit meiner Werke. Und wenn auch dieser Ratschluß der letzte war der Ausführung nach, so war er doch der erste der Intention oder Meinung nach. Und wenn Ich zögerte, meinen Eingeborenen in die Welt zu senden, so geschah dies deshalb, weil ich Ihm zuvor in der Welt eine auserlesene, heilige Gemeinschaft von Gerechten stiften wollte, welche unter Voraussetzung des allgemeinen Sündenfalles doch gleichsam Rosen unter den Dornen der übrigen Sünder sein sollten. Nachdem aber der Fall des Menschengeschlechts tatsächlich erfolgt war, beschloß Ich durch ein ausdrückliches Dekret, daß das Wort in leidensfähiger, sterblicher Gestalt (Natur) auf Erden erscheinen solle, um Sein Volk, dessen Haupt Es war, zu erlösen. Damit wollte Ich, daß meine unendliche Liebe zu den Menschen um so mehr geoffenbart und erkannt, und Meiner heiligsten Gerechtigkeit die schuldige Genugtuung geleistet würde. Wie jener, der zuerst gesündigt hat, ein Mensch, und zwar dem natürlichen Sein nach der erste Mensch war, so sollte auch der Erlöser ein Mensch, und zwar der erste Mensch der Würde nach sein (1 Kor 15, 21).“ (aus: Maria von Agreda: "Leben der Jungfrau und Gottesmutter Maria", Bd. 1, aus dem Spanischen übersetzt, hrsg. vom Albert-Magnus-Verein, Gosheim 1978, S. 121 ff.)
Die freie Offenbarung Gottes aus Liebe gegenüber den Menschen, um ihnen Seine Liebe zu zeigen, ist nach Maria von Agreda das ausschlaggebende Motiv für die Inkarnation. Diese Sichtweise war dem hl. Anselm verborgen geblieben. Wir feiern an Weihnachten in dieser Hinsicht gleichsam ein doppeltes Fest: das Fest der sich frei offenbarenden Liebe Gottes, der uns an seiner Liebe teilnehmen lassen möchte, und das Fest der übergroßen Sühne-Liebe Gottes, der auch gekommen ist, für unsere Sünden zu sühnen, um uns von übergroßer Schuld zu befreien. D.h. aber auch; Hätte es den Sündenfall nicht gegeben, wäre Gott auch zu uns herabgestiegen, zu uns Menschen. |