Endzeit – eine wahre Geschichtec
von Werner Olles
Seit er seine liebsten Freunde sterben und die Häuser, Straßen und Plätze seiner gelieb-ten Kindheit und Jugend sich mit technischem und menschlichem Unrat füllen sah, ver-bat er sich Ausflüge in seine Heimatstadt., die er einst so geliebt hatte, die sein zweites Zuhause gewesen war, und wo er so viel Schönes und so viele Abenteuer erlebt hatte: den ersten Kuß, die erste Liebe, wunderbare Freundschaften. Jeden Platz, jede Ecke, die die seelenlose, modernistische Architektur noch übrig gelassen hatte, verband er mit etwas Besonderem, Unvergeßlichem. Das babylonische Stimmengewirr der vielen Fremden verwirrte, ja ekelte ihn bisweilen sogar, während seine Muttersprache, und der heimatliche Dialekt völlig verschwunden schienen. Als er in die große Halle des Haupt-bahnhofs trat, und die Reisenden an ihm vorbei hasteten, fiel es ihm plötzlich wie Schuppen aus den Augen. Sie alle spürten diese grauenvollen Veränderungen nicht, die ihn niederdrückten, es interessierte sie einfach nicht! Mein Gott, mein Gott, mach´ sie doch endlich sehend, daß sie begreifen, was hier geschieht, wie hier ein Volk ausgelöscht wird mit all seinen Erinnerungen, seinen Traditionen, seiner Kultur, seiner Religion, sei-ner Identität und ersetzt wird durch feindliche Fremde. Er wollte schreien, aber seine Stimme versagte, es hörte ihm ja ohnehin niemand zu. Laß´ es nicht zu, mein Gott, das ist das Werk Satans, schoß es ihm durch den Kopf. Die Menschen, seine eigenen Landsleute, eilten an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Waren sie denn mit Blindheit geschlagen? Verstanden sie denn nicht, was das mit rücksichtsloser Macht aus den Steppen und Slums Asiens und Afrikas in das Land drängte, was einmal sein Vaterland war, die Hei-mat seiner Vorväter und Ahnen, die jetzt von den Fremden frech in Anspruch genom-men und verunstaltet wurde. Dann endlich begriff er: Dies war das Werk des Fürsten der Welt, des Fürsten der Dunkelheit.
Er war mutlos geworden. Es war doch alles sinnlos, dieses Volk, das seine eigenen Kin-der eiskalt tötete, wollte sterben, jeder Widerstand war vergebens. Er nahm die kleine Gruppe junger Männer und Frauen nicht mehr wahre, die mit Fahnen und Transparen-ten die Bahnhofshalle betraten. Er hörte ihre Sprechchöre nicht mehr, mit denen sie die nationale Solidarität und Identität hochleben ließen, Heimat Freiheit und Tradition fei-erten. Als ihre Rufe ihn schließlich doch erreichten, liefen Tränen über seine Wangen. Dann sah er, wie Bundespolizisten die jungen Leute mit ihren Fahnen und Transparen-ten abführten, weil sie die Reisenden störten und „fremdenfeindliche“ Parolen gerufen hatten. Lange sah er ihnen nach, und seine Gedanken waren bei diesen Jungen, die sich der dämonischen Macht nicht beugen wollten. Er trat aus der Halle des Bahnhofs, um zu sehen, wie sie abtransportiert wurden. Dann fiel warmer Regen. |