Veni Creator Spiritus Das Pfingsterlebnis des Abtes Joachim von Fiore
von Magdalena S. Gmehling
Es ereignete sich an einem Pfingstmorgen um das Jahr 1190. Dem kalabresischen Zisterzienserabt Joachim von Fiore wurde die Schau von den drei Zeitaltern, jenem des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, die sogenannte Dreizeitenprophetie zuteil.
„Da ich im Kloster Casa Mari weilte, wo mich Geraldus der ehrwürdige Abt jenes Hauses und seine Brüder festhielten, mit denen ich durch ein unlösliches Band der Liebe verbunden war, geschah es ... Es kam der feierliche Tag, da die Gaben des heiligen Geistes ausgegossen, und ...der Gottesmutter und ihren Gefährten eingegossen (wurden). ... Während ich die Kapelle betrat und den allmächtigen Gott vor dem heiligen Altar anbetete, befiel mich eine Art von Zögern im Glauben an die heilige Dreifaltigkeit...Da dies geschah, betete ich inbrünstig, und in meinem Schrecken wurde ich heftig angetrieben, den Heiligen Geist anzurufen ... Sogleich ... sah ich das Geheimnis der Dreifaltigkeit so klar und offen, dass ich alsbald zu dem Ausruf hingerissen wurde. „wo ist ein so mächtiger Gott, wie du es bist, o Gott! (Ps.77.14)“ (1)
Joachim selbst schätzte seine Vision als die Enthüllung der Fülle und als Einsicht in die inneren Zusammenhänge neu-und alttestamentarischer Schriftzeugnisse ein. Drei seiner Hauptschriften sind erhalten: 1. Concordia Novi et Veteris Testamenti 2. Expositio in Apokalypsim 3. Psalterium decem chordarum Die Prophetie des hochangesehenen Asketen besteht in einem Geschichtssystem, welches auf Allegorien und religiösen Symbolen aufbaut. Es ging ihm darum, den geistigen Sinn (spiritualis) der Ereignisse aufzurichten. In seiner Zukunftsvision kommt er zu einer trinitarischen Auslegung. So schreibt er in seiner Bildsprache:
„Auf drei Weltordnungen weisen uns die Geheimnisse der Heiligen Schrift: auf die erste, in der wir unter dem Gesetz waren; auf die zweite, in der wir unter der Gnade sind; auf die dritte, welche wir schon aus der Nähe erwarten, in der wir unter einer reicheren Gnade sein werden, weil Gott-wie Johannes sagt-uns Gnade für Gnade gab, nämlich den Glauben für die Liebe und beide gleicherweise. Der erste Status steht also in der Wissenschaft, der zweite in der teilweise vollendeten Weisheit, der dritte in der Fülle der Erkenntnisse. Der erste in der Knechtschaft der Sklaven, der zweite in der Knechtschaft der Söhne, der dritte in der Freiheit. Der erste in der Furcht, der zweite im Glauben, der dritte in der Liebe. Der erste ist der Status der Knechte, der zweite der Freien, der dritte der Freunde. Der erste ist der Status der Knaben, der zweite der Männer, der dritte der Alten. Der erste steht im Licht der Gestirne, der zweite im Licht der Morgenröte, der dritte in der Helle des Tages. Der erste steht im Winter, der zweite im Frühlingsanfang, der dritte im Sommer. Der erste bringt Primeln, der zweite Rosen, der dritte Lilien. Der erste bringt Gras, der zweite Halme, der dritte Ähren. Der erste bringt Wasser, der zweite Wein, der dritte Öl. Der erste Status bezieht sich auf den Vater ...,der zweite auf den Sohn ..., der dritte auf den Heiligen Geist.“ (2)
Zwar mag uns heute die allegorische Redeweise des geistmächtigen Abtes und Ordensgründers (Ordo Florensis) durchaus abseitig erscheinen (sie brachte ihm sogar den Vorwurf des Tritheismus ein), allein sie enthielt und enthält eine nicht zu unterschätzende spirituelle Sprengkraft. Dante Alighieri gedenkt des Sehers in der Göttlichen Komödie im 12. Gesang des Paradiso: „ ...und mir zur Seite endlich (139) erglänzt Abt Joachim, der Calabrese, der mit dem Geist der Prophetie begabt war“.
Sauerteigartig wirkt die Dreizeiten-Prophetie durch die Geschichte. Nicht nur Thomas Müntzer, Campanella, Böhme, Franz von Baader, Lessing, Hegel, Comte, Marx und Erst Bloch sowie Ernst Jünger wären neben den spiritualistischen Sektenströmungen des Mittelalters und den Pansophen und Rosenkreuzern zu nennen, sondern auch jene, die Joachims Prophetie vom kommenden dritten Reich pervertierten und missbrauchten (Möller van den Bruck).
Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.) beschäftigt sich in seiner Habilitationsschrift (1956) mit der Rezeption von Joachims apokalyptischer Geschichtstheologie durch den hl. Bonaventura. Birgitta von Schweden und der hl. Ludwig Maria Grignion sprechen in Anlehnung an den mittelalterlichen Propheten von drei Zeitaltern der Welt.
Die dynamische Geschichtsauffassung des Seherabtes nimmt eine vom Heiligen Geist noch zu erfüllende Zukunft an, die tiefgehende Veränderungen in Kirche und Welt bringt. Eine Relativierung von Hierarchie, Papst und Priestertum, Sakramenten und schriftlichem Wort. Jedem wird von innen her die Sphäre des Heiligen Geistes zu teil. Die Empfänger dieser freien Geistunmittelbarkeit sollten sich in einem Orden sammeln, der dem mönchischen Ideal verpflichtet ist. Eine Gemeinschaft der Demütigen, Weisen und Armen bildet die Geistkirche. Dieses Mönchszeitalter stellt Joachim als johanneische der petrinischen Kirche des 2. Zeitalters gegenüber. Er denkt in diesem Zusammenhang auch an eine Wiedervereinigung der mit den Griechen und an eine Bekehrung der Juden. Seine Zukunftsschau entfaltete sich in einer Zeit der niederdrückenden kirchlichen Verhältnisse. Somit ist seine Prophetie in gewisser Weise auch ein Protest, der den Erwartungen und Wünschen einer schweigenden, leidenden Christenschar sprachmächtig Ausdruck verleiht.
Sicher wollte Joachim kein Häretiker sein. Seine überkühne Schau stieß jedoch auf Widerstand. „Die allzu eifrige Betonung seiner Übereinstimmung mit der kirchlichen Auffassung läuft auf eine Verharmlosung seiner Botschaft hinaus, während die schroffe Herausarbeitung seiner, die Klerikerkirche sprengenden Ausführungen wieder seine Selbstdeutung verzerrt.“ (3)
Anmerkungen: 1) zitiert nach Alfons Rosenberg: Das Reich des Heiligen Geistes. Übersetzung Rose Birchler. Turm Verlag 1977 2) Joachim von Fiore:Traktatus super quartuor Evangelia, ed. E. Buonaiuti, zit. Nach E. Benz: Schöpfungsglaube und Endzeiterwartung. München 1965. 50 f. 3) Walter Nigg: Vom Geheimnis der Mönche. Artemis-Verlag 1953. S.244 |