Der Lehrer der Azteken
von
Wilhelm Hünermann
Wenige Wochen nach ihrer Landung in Vera Cruz, ziehen drei Mönche aus
dem Franziskanerorden in Mexiko, der Hauptstadt des alten
Aztekenreiches, ein, das nach jahrelangem mörderischem Ringen zu Füßen
der spanischen Eroberer liegt. Das Herz ist ihnen schwer von dem, was
sie auf ihrem langen Wanderweg geschaut. Noch künden ausgebrannte
Dörfer, verwüstete Felder von den Schrecken des gnadenlosen Krieges,
noch sind die Stufen der Tempel rot vom Blut der Geopferten. So sind
ihre Gesichter ernst und ihre Augen von Trauer verdunkelt, als sie
durch das Tor der Stadt schreiten, die soeben neu aus ihren Trümmern
ersteht. Noch am Tag ihrer Ankunft machen sie dem Statthalter von
Neuspanien ihre Aufwartung. Aufmerksam mustert der kühne Eroberer
Mexikos, Don Fernando Cortez, die Söhne des heiligen Franziskus.
«Ich bin glücklich, Sie in Neuspanien begrüßen zu können, und hoffe,
Sie hatten eine gute Reise», sagt er freundlich. «Die Seefahrt war
stürmisch und voller Gefahren», antwortet Pater Johannes von Tekto aus
Gent, einst ein berühmter Lehrer an der Pariser Hochschule und zuletzt
Beichtvater Kaiser Karls V. «Aber die Schrecken des Meeres sind nichts
gegen die Greuel, die wir auf dem Weg durch dieses Land schauen
mußten.»
«Sie denken an die Spuren der Menschenopfer in den Tempeln der
Azteken?» - «Und an den Blutweg der spanischen Bataillone», antwortet
Pater Johannes de Aora, der Sproß eines edlen schottischen
Geschlechtes. «Wir durchquerten ein herrliches Land, voll tiefer, mit
leuchtenden Blumen geschmückter Wälder und üppiger Fluren, aber es ist
geschändet durch Brand und Mord.»
«Je nun, der Krieg ist ein rauhes Handwerk», erwidert stirnrunzelnd der
mächtige Mann. «Es gibt kein Reich, das nicht mit Blut und Tränen
erobert wurde!» - «Der Herr hat sein Reich mit dem Strom seines eigenen
Blutes begründet und will nicht, daß man fremdes Blut vergießt, um auf
geschändetem Boden das Kreuz aufzupflanzen.» In das bleiche Gesicht des
Eroberers schießt jähe Röte. «Es ist auch viel gutes spanisches Blut
geflossen», stößt er hervor. «Allein in der 'noche triste' - der
'Trauernacht', verlor ich bei einem Aufstand der Mexikaner
achthundertfünfzig meiner besten Männer.»
In der Erinnerung an jene Schmach schwillt dem Conquistador die
Zornesader. Mit herrischem Schritt durchmißt er den Saal seines
Palastes, bezwingt mühsam seine Erregung. Schließlich sagt er in
ruhigem Ton: «Glauben Sie mir, Padres, ich war stets bemüht, unnützes
Blutvergießen zu vermeiden, und nun, da das Land bezwungen ist, will
ich es neu aufbauen in Ruhe und Frieden. Sie sollen mir dabei helfen,
und darum sind Sie mir von Herzen willkommen.»
Vor einer alten, windzerzausten Fahne bleibt er stehen, führt mit der
Hand wie liebkosend über das rote Kreuz auf blauen und weißen Streifen,
liest die Worte, die mit goldener Seide darunter gestickt sind:
«Freunde, laßt uns dem Kreuze folgen! In diesem Zeichen werden wir
siegen, wenn wir glauben! Das ist die Fahne, die über dem Flaggschiff
wehte, als ich die Fahrt in dieses Land wagte. Helfen Sie mir,
ehrwürdige Väter, das Kreuz über Neuspanien aufzurichten, lehren Sie
das Volk, das Knie vor ihm zu beugen, statt vor den bluttriefenden
Altären der Götzen!» Während der Audienz steht bescheiden im
Hintergrund ein Laienbruder, dessen schlichtes Gewand wenig von seiner
hohen Herkunft verrät. Es ist Peter von Mura aus Gent, ein Vetter Karls
V., an dessen Hof er weilte, bis er den Glanz der Welt verließ, um das
Kleid des heiligen Bettlers Fran-ziskus zu nehmen. Dreiundvierzig Jahre
mag er zählen. Unscheinbar ist seine Gestalt, mittelgroß und
schmächtig, aber seine tiefen, ernsten Augen leuchten von Geist und
Feuer. Des Priestertums hält er sich für unwert, obschon er auf der
Hochschule zu Löwen eine glänzende Bildung erwarb und vieler Künste
Meister ist. «Fürs erste bitte ich Sie, in unsere Nachbarstadt Tezcuoco
zu gehen», beschließt Cortez die Unter-redung. «Ich habe den Prinzen
Ixtilxochitl beauftragt, Ihnen den ehemaligen kaiserlichen Palast dort
als Wohnsitz anzuweisen.» «Die Söhne des heiligen Franz sind nicht
daran gewöhnt, in Palästen zu wohnen», erwidert Pater Johannes von
Tekto. «Eine bescheidene Hütte wäre uns lieber.» - «Nun, Sie werden,
wie ich hoffe, bald eine Schule für die eingeborenen Knaben eröffnen,
und brauchen daher Raum. Überwinden Sie also Ihre Bescheidenheit!»
So ziehen denn die drei Minderbrüder in den herrlichen Palast, richten
in einem der größten Säle ihre Kapelle ein und beginnen, mit Feuereifer
die Landessprache, den überaus schwierigen Nahuatl-Dialekt, zu
erlernen.
Prinz Ixtilxochitl rät den Franziskanern, sich möglichst verborgen zu
halten und sich in der Stadt nicht im Ordenshabit zu zeigen, auf den
die Minderbrüder aber um keinen Preis verzichten mögen. Feindselige
Blicke treffen sie, wenn sie in ihrer braunen Kutte durch die Straßen
gehen. Tezcuoco ist eine Hochburg des Heidentums, und trotz strengen
Verbotes fließt auch jetzt noch Menschenblut vor den Altären des
Kriegsgottes Uitzilopochtli, des Gottes der Winde Quetzalconatl und
anderer Götzen. «Diese Tempel sind keine Gotteshäuser, sondern
Schlachthäuser», sagt Bruder Peter von Mura entsetzt, als er von einem
Ausgang heimkehrt. «Man sollte sie niederbrennen.» «Haben Sie Geduld,
lieber Bruder!» mahnt sein flämischer Landsmann Pater Johannes von
Tekto. «Wenn sich das Volk bekehrt, wird es selbst seine Tempel
vernichten.» «Bis dahin wird noch viel unschuldiges Blut zu Ehren der
Dämonen fließen», seufzt Bruder Peter. Zunächst scheint jeder
Missionsversuch aussichtslos unter einer Bevölkerung, die die weißen
Eindringlinge tödlich haßt. Doch vertraut Prinz Ixtilxochitl dem
gelehrten Bruder aus Gent seine Söhne zum Unterricht an, und bald
folgen einige andere vornehme Familien seinem Beispiel.
Als Hilfe für den Unterricht verfaßt Bruder Peter einen Katechismus in
der Bilderschrift der Azteken. Im folgenden Jahr schon kann er die
ersten Schüler zur Taufe führen, auch Prinz Ixtilxochitl nimmt den
christlichen Glauben an. Der Grund für die erste Gottesgemeinde ist in
Tezcuoco gelegt. Die Franziskaner, die sich in den goldstrotzenden
Sälen des kaiserlichen Palastes nicht wohl fühlen, bauen ein
bescheidenes Kloster, dem sie eine Schule beifügen. Da Cortez im Jahre
1524 allen Kaziken befiehlt, ihre Söhne von den christlichen
Glaubensboten unterweisen zu lassen, bevölkert sich die Schule immer
mehr. In der ersten Zeit fügen sich die jungen Indianer nur widerwillig
dem Zwang.
Mit trotzigen Gesichtern sitzen sie auf den Bänken, antworten störrisch
auf die Fragen ihres Lehrers oder verharren in trotzigem Schweigen.
Aber Bruder Peter, der die Eingeborenensprache nun fehlerlos
beherrscht, bringt das Eis zum Schmelzen, und bald werden die stolzen
Söhne der Azteken seine begeisterten Schüler und die Apostel des
Christentums in ihren Familien. Auf offener Straße singen sie die
Lieder, die Bruder Peter sie lehrt, und selbst heidnische Indianer
beginnen die Weisen mitzusummen. Zumeist freilich sehen die Buben böse,
haßverzerrte Gesichter, wenn sie auf solche Art öffentlich ihren
Glauben bekennen. Manche Heiden wieder werden irre an ihren Göttern,
die sie trotz der Hekatomben von Blutopfern nicht vor den weißen
Eroberern zu retten vermochten. Man sinnt über uralte Verheißungen
nach, die sich ganz seltsam zu erfüllen scheinen.
Bruder Peter lernt durch einen Azteken ein uraltes Maya-Lied kennen,
das wie eine Prophetie des Christentums klingt:
«Am Ende des
dreizehnten Jahrhundert der Welt,
Wenn die Städte Itza und Tancah noch
blühen,
Wird das Zeichen des Herrn der Himmel erscheinen,
Das Licht der
Dämmerung wird das Land erleuchten,
Und das Kreuz werden schauen die
Menschengeschlechter.
Er wird euch ein Vater sein, Itzalanos,
Ein
Bruder für euch, ihr Bewohner von Tancah.
Empfanget wohl die bärtigen
Gäste, die kommen
Und das Zeichen des Herrn vom Morgen her bringen,
Des
Herrn der Meere, so gnädig und mächtig!»
Es gibt religiöse Vorstellungen, die den christlichen ähneln. Auch die
Azteken wissen noch um die Sündflut, verehren die Geburt ihres Gottes
Quetzalconatl aus einer Jungfrau, sie kennen eine Taufe, bei der Brust
und Lippen des Neugeborenen mit Wasser besprengt werden, die Sünde
abzuwaschen und das Herz zu reinigen. Auch die Heiden bekennen den
Priestern ihre Schuld, und das Beichtgeheimnis ist unverletzlich.
Selbst eine Art Kommunion findet sich.
Beim Fest zu Ehren Uitzilopochtlis vermengen die Priester Maismehl mit
dem Blut geopferter Kinder und formen es zu einem Kuchen, der den
Gläubigen zur Speise gereicht wird. «Teocualo, der Gott, der gegessen
wird», heißt dieses Brot. Geschickt knüpfen die Franziskaner, deren
Zahl sich stetig mehrt, an solche Vorstellungen und Kulthandlungen an,
und langsam wächst die Zahl derer, die sich zum Taufunterricht melden.
Um so erbitterter werden Haß und Widerstand der Götzenpriester, die
alles tun, die Menge gegen die christlichen Glaubensboten aufzuhetzen.
Eines Tages schlendert eine Gruppe von Klosterschülern über einen
großen Platz, wo gerade ein Markt abgehalten wird. Mitten zwischen den
Marktschreiern taucht plötzlich ein Priester des Götzen Ometochli auf,
das lang wallende Kleid mit den Zeichen seiner Gottheit bemalt. Durch
allerlei Gaukelkünste zieht er die Aufmerksamkeit der Gafflustigen auf
sich, jongliert mit Messern, macht die seltsamsten Verrenkungen, windet
sich schließlich in wilden, schlangenartigen Bewegungen und Zuckungen,
während dicker Schaum vor seinen Mund tritt. «Was geht hier vor ?»
fragt einer der Schüler die Umstehenden. «Seht ihr denn nicht, daß hier
der Gott Ometochli selbst erschienen ist?» wird ihm geantwortet.
Kaum hat der Priester die Knaben erblickt, als er aus seiner seltsamen
Ekstase erwacht, von seinem Postament springt und mit wutverzerrtem
Antlitz schreit: «Warum habt ihr unsere Götter verlassen und dient dem
Gott der Fremdlinge? Die Götter werden euch strafen, und ihr werdet
sterben für euren Verrat.» «Wir fürchten uns weder vor deinen Götzen,
noch vor deinem teuflischen Gesicht!» erwidert Fernando, ein Sohn des
Prinzen Ixtilxochitl. Der ganze Markt gerät in Aufregung. Alles drängt
zu den Knaben hin, die es wagen, dem Priester zu widerstehen. In den
Klosterschülern erwacht die Wildheit und Kampfeslust ihrer Rasse. Juan,
einer der Buben, schreit zornbebend den Priester an, der mit den Händen
wild in der Luft herumfuchtelt und die Menge gegen die Knaben hetzt:
«Wir wollen doch sehn, ob du ein Gott bist!» Dann rafft er einen Stein
auf und schleudert ihn dem Götzendiener an den Kopf. «Los, Freunde!
Los, auf diesen Teufel!» schreit er seinen Kameraden zu.
Während die Marktbesucher ob solcher Freveltat zurückprallen und wie
gelähmt dastehen, stürmen die Jungen auf den Priester ein. Von allen
Seiten fliegen Steine, Tongeschirre, Latten zertrümmerter Buden, bis
der Götzendiener kein Glied mehr rührt. Niemand hebt eine Hand zu
seiner Verteidigung, sehen doch alle im Tod des Priesters ein
Gottesgericht. Unbehelligt ziehen die Schüler, fromme Lieder singend,
ins Kloster zurück. Peter von Mura ist tief erschüttert über die
grausige Tat, aber lange währt es, bis er den jungen Indios, die ein
Heldenstück verbracht zu haben glauben, klar machen kann, daß sie
durchaus unchristlich gehandelt und eine schwere Sünde begangen haben.
Als Cortez im Jahre 1524 mit seiner Streitmacht gegen Honduras zieht,
erhebt sich das Heidentum trotziger als je zuvor. Es bleibt kein
Geheimnis, daß in den Tempeln von Tezcuoco und denen der Umgebung
wieder Menschenblut fließt. Mit dem Obsidianmesser schlitzen die
Götzenpriester unschuldigen, von den eigenen Eltern ausgelieferten
Kindern die Brust auf, reißen das noch zuckende Herz heraus und legen
es auf die Altäre ihrer dämonischen Gottheiten. «Das muß ein Ende
haben», erklärt Peter von Mura entsetzt. Er, der sonst jede Gewalttat
verabscheut, dringt am Neujahrstag an der Spitze seiner Schüler in die
Tempel der Stadt, Fackeln fliegen in das uralte Getäfel.
Die Indianer, die ihre Heiligtümer in Rauch und Flammen aufgehen sehen,
rühren keine Hand, den Brand zu löschen, schauen tatenlos zu, wie die
Tempel samt den Götzen in Schutt und Asche sinken. «Der Gott der
Christen ist stärker als unsere Götter!» murmeln sie und ziehen
enttäuscht von dannen. - Auch in der Umgebung zerstören die Kinder die
Götzentempel und zerschmettern die noch vom Blut der Opfer dampfenden
Altäre.
«Ich hätte das nie getan, wenn diese Tempel nur dem Gebet gedient
hätten», erklärt Peter von Mura einem alten Mitbruder, der über die
gewaltsame Zerstörung der heidnischen Opferstätten den Kopf schüttelt.
«Aber ich konnte nicht länger dulden, daß schuldlose Kinder vor den
scheußlichen Bildern der Götzen zu Tode gemartet werden. Wie sollte ich
mich ihrer nicht erbarmen!» Dreieinhalb Jahre wirkt Peter von Mura in
Tezcuoco, gründet dann eine Schule in Tlascala, vor dessen Toren einst
Cortez die erste große Schlacht schlug, baut 1527 in der Stadt Mexiko
ebenfalls eine Schule, unterstützt durch den neuen Erzbischof Juan de
Zumarraga, einen spanischen Franziskaner.
Hier bildet er eine große Zahl von Katechisten heran, die sich später
als die besten Helfer der Missionare der Bekehrung ihrer Landsleute
widmen. Die Schule wird zur Heimstatt aller Künste. Unter der Leitung
des musikfreudigen Flamen lernen die jungen Indianer alle Instrumente
spielen; bald schon erklingt die mächtige, siebenschiffige Kathedrale
von dem herrlichen Klang orchestrierter Messen, und Peter von Mura kann
seinem kaiserlichen Vetter mit berechtigtem Stolz versichern, selbst in
der Hofkapelle gebe es keine besseren Musikanten.
Eine besondere Klasse pflegt das Malen und Bildhauern, und die mehr als
hundert Kirchen, die Bruder Peter in Stadt und Land erbaut, schmücken
sich mit den Statuen und Gemälden aus der Schule von Mexiko. Der
kunstfertige italienische Bruder Daniel Caro lehrt das Sticken
kostbarer Paramente. In anderen Werkstätten webt man Atlas, Taft und
Leinen.
Es gibt kein Handwerk, das man in der Franziskanerschule nicht lernen
kann. Zu Tausenden lassen sich die Indianer unterweisen, und bald gibt
es Tuchscherer, Walker, Kürschner, Hutmacher, Seifensieder, Schneider
und Schlosser, so gut wie in Segovia oder Gent. Sogar die Kunst des
Goldschmiedens und Glockengießens lehren die Brüder. Auch ein großes
Krankenhaus, das fünfhundert Indianer aufnehmen kann, baut der
unermüdliche Flame.
Von Mexiko aus durchziehen zahlreiche Franziskaner-Missionare das Land,
predigen den Eingeborenen in den entlegensten Dörfern, besuchen selbst
die Baracken in den spanischen Goldminen. Ihre Arbeit zeitigt herrliche
Früchte. Das erste Märtyrerblut fließt und wird zum Samen neuer
Christen. In der Nähe von Tlascala wird der Sohn eines Großkaziken
seiner Glaubenstreue wegen vom eigenen Vater lebendig verbrannt. Jedoch
erwachsen der Mission in jenen Jahren neue große Schwierigkeiten.
Während sich Cortez in Spanien gegen die Anschuldigungen seiner Neider
verteidigen muß, übernimmt eine sogenannte «Neue Audienzia» die
Regierung Neuspaniens. Ihr Präsident Nunez de Guzman schindet die
Indianer bis aufs Blut, erpreßt ihnen Abgaben, die sie nimmermehr
zahlen können, treibt sie als Sklaven in die Gold- und Silberbergwerke,
läßt sie unter der Peitsche ihrer Aufseher härteste Fron beim Aufbau
seiner Paläste leisten, raubt die schönsten Frauen und Töchter der
Kaziken.
Viele der Unglücklichen fliehen in die Berge. Ganze Dörfer entvölkern
sich. Die Felder bleiben unbestellt, Not, Hunger und Seuche verheeren
das Land. Unerschrocken treten die Franziskaner mit dem Erzbischof den
Machthabern entgegen, jedoch nur mit dem Erfolg, daß sie der Präsident
in schändlichster Weise beim spanischen Hof verleumdet. Die Briefe, die
der Erzbischof an den Kaiser richtet, werden samt und sonders
unterschlagen. Bruder Peter gelingt es endlich, seinem kaiserlichen
Vetter in einem erschütternden Schreiben die Augen über die Greuel zu
öffnen, die in seinem Namen geschehen, und den verleumdeten Erzbischof
in Schutz zu nehmen. In flammender Anklage schildert er die Leiden der
Eingeborenen, erreicht es schließlich, daß die erste Audienzia abgelöst
und durch eine andere unter dem Vorsitz des Vizekönigs Don Antonio de
Mendoza ersetzt wird.
Die Lage scheint sich unter der milderen Regierung zu bessern, aber
immer noch ist die Not unbeschreiblich. In neuen Briefen beschwört
Bruder Peter den Kaiser, Abhilfe zu schaffen. «Ich flehe Ihr Mitleid
an», schreibt er. «Retten Sie die Eingeborenen dieses Landes! Geben Sie
nicht zu, daß sie verloren gehen, daß man sie ausrotte! Sie kommen vor
Elend, Arbeit und Entbehrung um, ganze Landstrecken werden entvölkert.
Aus Liebe zum göttlichen Heiland haben Sie Mitleid mit ihnen! Bedenken
Sie nur die Lage der armen indianischen Frau, die in ihrem Hause weder
für sich noch für ihre Kinder Brot hat; denn ihr Mann muß schwer
schaffen, um die geforderten Arbeiten und Abgaben leisten zu können. Es
ist geradezu unerhört, wie es hier zugeht. Die Indianer müssen Abgaben
von Dingen entrichten, die sie gar nicht besitzen. Wenn Sie nicht dafür
sorgen, daß dieser Frondienst abgeschafft wird, den man nur als
Sklaverei bezeichnen kann, dann geht es mit diesem Land zu Ende, und in
dreißig Jahren wird es weniger bevölkert sein als die Inseln.»
Nach eingehender Schilderung der himmelschreienden Not fährt er fort:
«Eure Majestät können sich wohl denken, wie sehr wir Ordensleute
darunter leiden. Wir kamen hierher, um Seelen zu retten. Am Anfang
führten wir viele zum wahren Glauben, jetzt, infolge der starken
Entvölkerung nur wenige. Wie sehr muß das unser Herz betrüben! Darum
flehe ich Eure Majestät an, wie ein guter Hirte für seine Herde sorgen
zu wollen und wohl zu bedenken, daß Christus, unser Erlöser, nicht
gekommen ist und sein kostbares Blut nicht vergossen hat, um Reichtümer
anzusammeln, sondern um Seelen zu gewinnen. Eine einzige Seele hat
größeren Wert als alle Schätze der Welt.»
Die erschütternden Klagen bleiben nicht ohne Erfolg. 1543 erläßt Kaiser
Karl ein Edikt, welches die Sklaverei unter Todesstrafe und Einziehung
der Güter verbietet und untersagt, die Indianer zur Zwangsarbeit in die
Bergwerke zu schicken. «Die Freiheit und das Wohl der Indianer liegen
mir zu sehr am Herzen, um zuzulassen, daß man sie selbst unter dem
Vorwand einer verdienten Strafe zu irgendwelchen Frondiensten zwingt!»
heißt es in dem Erlaß. Notgedrungen fügen sich die Spanier, hassen aber
um so mehr die Franziskaner, denen sie die Schuld an dem Erlaß des
Kaisers geben Die Indianer jedoch lernen die Ordensleute als ihre
wahren Väter, ihre Schützer und Helfer lieben. Schreckliche Seuchen
ziehen in den folgenden Jahren ins Land. Elf Jahre wüten die Pocken,
1544 fordert die Pest ungeheure Opfer. Die Franziskaner tuen alles nur
Mögliche, die grausame Not zu lindern, eilen selbst in das überfüllte
Spital, pflegen die Kranken, sorgen für eine würdige Bestattung der
Toten. Bruder Peter erlangt vom Kaiser abermals Hilfe und bewahrt viele
Hunderte vor dem Hungertod.
Als Erzbischof Juan de Zumarraga 1548 stirbt, glaubt Karl V., keinen
besseren Nachfolger finden zu können als Peter von Mura, und läßt ihm
durch den Päpstlichen Nuntius sagen, er möge sich auf die Priesterweihe
vorbereiten. Der demütige Bruder aber bewegt seinen kaiserlichen Vetter
durch flehentliche Bitten, von diesem Plan abzustehen. Als Kaiser Karl
V. im Jahre 1556 auf die Krone verzichtet und sich ins Kloster San
Yuste zurück-zieht, wo er zwei Jahre später stirbt, wendet sich Bruder
Peter mit seinen Bitten an dessen Nachfolger, und auch Philipp II.
zeigt sich ihm gewogen. Für das Spital stiftet er dreitausend Dukaten
und fügt jährlich noch vierhundert Dukaten hinzu. Fünfzig Jahre ist
Peter von Mura der große Lehrer der Indianer, ihr bester Freund,
Tröster, Helfer und Retter, bis er am 20. April 1572, als
zweiundneunzigjähriger Greis für immer die Augen schließt. Im ganzen
Land trauern die Indianer um den Toten, der in der von ihm gegründeten
Sankt-Josefs-Kirche die letzte Ruhestätte findet. Jahrhunderte lang
noch pilgern ihre Kinder zu seinem Grab wie zu einem Heiligtum. (aus:
"Geschichte der Weltmission" 1. Bd., Luzern/München 1960, S. 18 ff.)
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