Warum ein Häretiker im Kanon der hl. Messe
nichts zu suchen hat
von
Papst Gelasius I. (492-496)
Dem geliebten Bruder Euphemius sendet Gelasius seinen Gruß! 1)
( . . .) Sehr gut ist jene Anordnung der katholischen und apostolischen
Kirche, welche lehrt, fortschreitend zum Besseren aufzusteigen, nicht
durch Herabsteigen zum Niedrigeren zu sinken. Indem du aber sagst, wir
sollen mit euch zugleich herabsteigen, zeigt ihr indes schon an, daß
ihr entweder schon herabsteigt oder herabgestiegen seid. Woher, so
frage ich, und wohin geht ein solches Herabsteigen? Es ist doch
jedenfalls nur ein solches, das alles von einem höheren Ort an einen
niederen herabsetzt. Daß ihr von der katholischen und apostolischen
Gemeinschaft zu einer häretischen und verurteilten herabgesunken seid,
seht ihr, erkennt ihr und leugnet es auch nicht; aber es genügt euch
nicht, daß ihr im Abgrund liegt, sondern ihr wollt, daß die auf einem
höheren Sitz Gebliebenen auch noch herabgezogen werden. Ihr fordert uns
auf, mit euch vom Gipfel in den Abgrund herabzustei-gen; wir bitten
euch, mit uns aus dem Abgrund zum Gipfel hinaufzusteigen. Nun möge also
im Angesicht jener hohen Gerechtigkeit das Menschengeschlecht
beurteilen, wer von uns dem anderen gehorchen soll.
Sagst du etwa, um das übrige nun beiseite zu lassen: "Der Herr selbst
ist vom Himmel herabgestiegen?" Allerdings ist Er herabgestiegen,
jedoch um den Menschen vom Irrtum zu befreien, nicht aber, um mit
seinem Irrtum gemeinsame Sache zu machen. Warnte Er nicht selbst davor,
daß "die, welche auf dem Dach stehen nicht herabsteigen sollen", auch
nicht, um zu holen, was im Hause ist? Sagt nicht für alle der eine
Apostel, welcher "mehr als alle gearbeitet", da, wo es sich um die
Behütung der Wahrheit handelte: "lhnen sind wir, um uns etwa zu
unterwerfen, auch nicht eine Stunde lang gewichen, damit die Wahrheit
des Evangeliums bei euch bleibe"? Ihr seht, daß der himmlische Meister
herabsteigt, das Schädliche zu bekämpfen. Nehmen wir endlich an, es sei
jemand gefallen, zu dem sich irgendeiner herabbeugen will, um ihm in
aller Güte aufzuhelfen. Aber zu dem Zweck, daß der Liegende
aufgerichtet werde, muß sich der, welcher sich seiner erbarmt, neigen,
nicht dazu, daß er mit jenem zusammen in die Grube stürzt. (. . .
)
Wohin sollen wir eurem Wunsche gemäß noch weiter herabsteigen? Warum
schweigt ihr? Warum scheut ihr euch noch mit Worten auszudrücken, was
ihr im Herzen hegt? Diese Scheu selbst sollte euch an das Unrecht
erinnern. Oder sollen wir etwa zustimmen, daß die Namen von Häretikern
und Verurteilten und solchen, welche mit diesen und ihren Nachfolgern
Gemeinschaft hielten, (zur Lesung beim Gottesdienst) zugelassen werden?
Das hieße nicht herabsteigen, um Hilfe zu leisten, son-dern sich
offenbar in den Abgrund zu stürzen.
Schont, ich bitte euch, uns und euch! Seid ihr um euch nicht so
besorgt, so laßt uns gewähren! Trauern und weinen können und müssen
wir; aber wir können und dürfen uns nicht in diesen Abgrund führen
lassen, weil wir unter dem Beistand unseres Gottes den reinen und
lauteren Glauben und die (rechtgläubige) Gemeinschaft nach der
Überlieferung unserer Väter festhalten und selbst unter Todesdrohung
von aller sündhaften Befleckung unversehrt bewahren wollen, indem wir,
wenn es so Gottes Fügung ist, lieber hier alles erleiden wollen, als
der ewigen Verdammnis anheimfallen. Nehmt es uns, sage ich, nicht übel,
wenn, während ihr aus Liebe oder Furcht vor irgendeinem Menschen euch
zu dergleichen bereitwillig erklärt, wir aus Liebe zu Gott und aus
Furcht vor der Hölle so etwas zurückweisen. Glaubt auch nicht, durch
irgendwelche Freundschaftsbezeugungen bei völligem Außerachtlassen der
Sachen und Personen uns täuschen zu können, denn weder seid ihr so fein
angelegt, daß man euch nicht verstehen könnte, noch findet ihr, mit
Gottes Hilfe, uns unvorsichtig.(...)
Zeigt uns also, welche Synode bei welcher Häresie immer mit den
Urhebern des Irrtums nicht auch zugleich alle mit diesen Gemein schaaft
haltenden Nachfolger und Gefährten verurteilt habe. (...) Wenn euch
aber die Gemeinschaft der Häretiker, nämlich der Verurteilten und
jener, welche mit ihnen und deren Nachfolgern Gemeinschaft hatten,
gefällt, was steht ihr noch da? Was schaut ihr noch umher? Verteidigt
zugleich deutlich und offen, ohne euch hindern zu lassen, ihre Lehre!
Denn was hilft es? Jedes erschwert die Schuld, mit Worten zu
versprechen, was durch die Tat verweigert wird. (...) Seht, zu welchen
Abgründen herabzusteigen ihr uns auffordert, und in welche Gefahren für
das ewige Leben uns einzulassen ihr verlangt! Heißt das, durch
Herabsteigen den Kranken zu retten oder als ebenfalls Kranker zugrunde
gehen? (...) Wer, ich bitte dich, könnte so etwas in der Kirche Gottes
hören, da doch die Herde dem Hirten folgen soll, wenn er sie auf
heilsame Weide ruft, nicht aber der Hirt der Herde, wenn sie in der
Wüste umherirrt? Sag mir, ich bitte dich, wird die Herde für dich, oder
du für die Herde Rechenschaft ablegen? (...)
Wir werden kommen, Bruder Euphemius, ohne Zweifel werden wir kommen vor
jenen furchtbaren Richterstuhl Christi (ich schweige von der dabei zu
befürchtenden Strafe), wo uns auch jene umgeben, von welchen dieser
Glaube verteidigt worden. Dort darf man sich nicht mit Leugnen, nicht
mit Zögern, nicht mit Vorspiegelungen abgeben, sondern muß ganz klar
nachweisen, ob das glorreiche Bekenntnis des heiligen Petrus
irgendeinem von jenen, welche er zu leiten erhielt, an seinem Heile
etwas geschadet oder ob ihm, der es nicht anhören wollte, seine bis zur
Lebensgefahr widerspenstige Hartnäckigkeit zum Verderben geworden. Da
wird es sicher aufgehellt werden, ob ich, wie ihr meint, bitter, rauh
und allzu hart und schwierig gegen euch bin, der ich an eurer Heilung
und eurem Heile mühsam arbeite, der ich euch zurufe: "Mag auch das
Gegengift herbe sein, nehmt es, ich bitte euch, trinkt es, lebt, ich
will nicht, daß ihr sterbt", oder ihr, die ihr, wenn man euch vor
Schädlichem behütet, die Ärzte verwünschen zu müssen glaubt, die ihr
sogar lieber wollt, daß die Ärzte mit euch krank werden, als daß ihr
wieder genest. (zitiert nach KE Nr.3/1996, S.81-83)
Anmerkung:
1) Papst Gelasius schrieb den vorleiegenden Brief 492 an
den Patriarchen Euphemius von Konstantinopel. Seine beiden Vorgänger
waren auf dem Konzil von Chalzedon wegen Häresie verurteilz worden.
Euphemius bekannte sich zwar zur orthodoxen Lehre und zur Einheit mit
Rom, wollte aber die beiden Namen seiner häretischen Vorgänger aus den
Diptychen (d.i. die Liste der geistlichen Obrigkeit, die bei dem
Gottesdienst vorgelesen wurde) streichen, wie dies von Papst Gelasius
gefordert worden war. Auf diesem Konzil von Chalzedon wurde der
Monophysitismus verurteilt, eine Irrlehre, die eine einzige Natur in
Christus annimmt. Dagegen ist Glaubenssatz, daß Christus eine göttliche
und eine menschliche Natur hat.
|