„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh. 20,29)
- zum Problem der Übertragung von Vollmachten -
von Eberhard Heller
Im letzten Heft hatte ich versucht zu erklären, wie es aus religions-philosophischer Sicht zu verstehen ist, daß Christus durch seinen Kreuzestod unsere Sünden hatte sühnen und dadurch hatte aufheben bzw. uns davon hatte befreien können. Die leitende Idee war: Nur das Soll – d.i. die Befolgung des göttlichen Sittengesetzes - soll sein, das Nicht-Soll – d.i. dessen Ablehnung - soll nicht sein. Wenn diese Ablehnung aber als Faktum besteht – das sind die begangenen Sünden der Menschen -, ist die Frage, wie dieses Faktum, dieses Vorhandensein des Nicht-Solls – also all der begangenen Sünden - wieder aufgehoben werden kann.
Dabei war ich an eine Grenze des Verstehens, d.h. des gedanklichen Nachkonstruierens geraten, weil ich (noch) nicht schlüssig nachweisen konnte, wie Christus diese Aufhebung innerlich hat vollziehen können. Ich hatte die Leser gebeten, sich an der Suche nach einer Lösung dieses Problems zu beteiligen. Doch leider blieb eine Resonanz aus.
Ich möchte aber noch eine Anmerkung zu dem Vollzug dieser Sühne machen. Sie wurde von Christus dadurch geleistet, daß er die Verurteilung zum Tod wegen angeblicher Gotteslästerung freiwillig auf sich genommen hat. Der Sühneakt Christi bezieht sich also auf die Annahme der ungerechten, schmähenden Verurteilung zum Tode durch die Juden wegen „Gotteslästerung“: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben; denn er hat sich selbst zum Sohn Gottes gemacht.“ (Joh. 19,7) Dieser Forderung nach Verurteilung zum Tod gibt Pilatus zögerlich nach, indem er zugleich sagt, er habe keine „Schuld“ an ihm entdeckt. (Darum haben die Juden „eine größere Schuld“ als Pilatus.)
Durch seinen Kreuzestod soll Christus bewirken, daß das, was nicht sein soll, aber noch besteht, nicht sein soll. Die Aufhebung dieses „Nicht-sein-sollens“ ist also verbunden mit der ungerechten, skandalösen Verurteilung durch die Juden. Die schlimmste Schmach, die die Juden Christus antun konnten, ist, ihn als Gotteslästerer anzuklagen, denn er hatte bekannt: „Ich bin der Sohn Gottes.“ (Mt. 27,43) (1) Diese ungerechte Verurteilung zum Tod wegen Gotteslästerung ist das Opfer, welches als Sühne gilt, um die bösen Taten der Menschen wieder aufzuheben, d.i. zu sühnen. D.h. auch Christus war der juristischen Willkür der aktuellen Macht ausgesetzt und hat sie angenommen, hat sie erduldet. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, würden meine Soldaten für mich streiten.“ (Joh. 18,36) Darauf Pilatus: „Also bist du doch ein König?“ Die Antwort Christi: „Dazu bin ich in die Welt gekommen, um Zeugnis für die Wahrheit zu sein.“ (Joh. 18,37)
Wenn dieser Sühnetod wegen der Verurteilung durch die Juden (bzw. durch Pilatus), den Christus erlitten hat, prinzipiell fähig ist, die Sünden der Menschen zu tilgen – unter der Voraussetzung, daß diese die durch den Opfertod vollbrachte Sühne annehmen -, dann müssen sich in dieser Verurteilung durch die Juden wie in einem Fokus die Verbrechen der Menschen widerspiegeln. Das hieße, daß die Verurteilung des Gottes-Sohnes als Gotteslästerer den Höhepunkt menschlicher, verbrecherischer Hybris darstelle würde, also ein Verbrechen ungeheuren Ausmaßes wäre, in dem sich alle anderen Sünden bzw. Verbrechen wie in einem Brennglas zusammenfassen ließen.
Aber abgesehen vom Fehlen einer durchgehend schlüssigen religions-philosophischen Einsicht war der Glaube an diesen Vollzug der Sühne nie in Frage gestellt.
Heute möchte ich auf eine Anwendung dieser wirkenden Sühneleistung zu sprechen kommen. Wir haben schon ausgeführt, daß die Adaption dieser Sühne uns von unseren Sünden befreit und uns fähig macht, wieder in einen Bund mit Gott einzutreten. Durch unsere Sünden, d.h. durch Mißachtung von Gottes Geboten bzw. durch unseren Ungehorsam, gegen seinen Willen gehandelt zu haben, hatten wir uns bündnis-unfähig gemacht. Die Annahme der Sühne Christi hat uns die Möglichkeit der Rückkehr eröffnet. Diese können wir antreten, wenn wir voll Reue unsere Sünden bei einem Priester beichten und von ihm die Lossprechung erhalten: „Empfangt den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ (Joh. 20,23) Und bei Matthäus (18,18) heißt es: „Wahrlich ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.“
Hier kommt ein weiteres Moment ins Spiel: die Übertragung von Vollmachten. Daß Christus selbst seine Vollmacht anwenden konnte, dürfte kein Problem darstellen. Seine Sühne voraussetzend sprach er zu dem Gichtbrüchigen: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ (Mk. 2,5) Wenn Christus den Aposteln den Auftrag gibt, Sünden zu vergeben, wird er ihnen auch die Vollmachten übertragen (haben), um seinen Auftrag auszuführen. Wie sind diese Beauftragung und die Übertragung von Vollmachten zu verstehen, die unmittelbar nach der Übertragung angewendet werden können? Ich hatte schon einmal vor zwei Jahren dieses Problem angesprochen und möchte auch auf die damaligen Ausführungen zurückkommen.
„Woher nehmen die Beauftragten - zunächst die Apostel und dann ihre Nachfolger, die wiederum per Delegation die von Christus vergebenen Vollmachten übernommen haben - die Sicherheit, den Auftrag Christi authentisch durch die Zeit, also bis ans Ende der Welt erfüllen zu können?
Um jedoch die Komplexität, die bei der Beauftragung der Apostel ins Spiel kommt, zu verstehen, versuche ich zunächst die verschiedenen Möglichkeiten einer Beauftragung aufzuzeigen, um dann die spezifische Beauftragung durch Christus hervorzuheben.
Eine Beauftragung oder Aufforderung kann grundsätzlich nur funktionieren, wenn zwischen Aufforderndem und dem Aufgeforderten darüber Übereinstimmung herrscht, daß zwischen ihnen ein bestimmtes Abhängigkeitsverhältnis besteht, welches von beiden Seiten auch anerkannt wird. Mit Beauftragung kann gemeint sein, daß eine andere Person meinen Willen übernimmt und ihn in die Tat umsetzt. So befiehlt z.B. ein Arbeitgeber einem seiner Angestellten oder Mitarbeiter eine bestimmte Arbeit auszuführen. Oder ein Vater fordert seinen Sohn auf, einem Nachbarn bei der Ernte zu helfen. In beiden Fällen kann die Beauftragung gelingen, weil derjenige, der den Auftrag erteilt, Autorität besitzt, die im Falle des Arbeitnehmers vertraglich geregelt ist. Die autorisierte Person delegiert eine Handlungsanweisung an jemanden, der sie auch als solche anerkennt.
Wir können also allgemein unterscheiden:
– Aufträge, die eine einfache Handlungsanweisung beinhalten,
– Aufträge, die eine besondere Disposition (Kompetenz) des Beauftragten voraussetzen.“ (Eberhard Heller: Die Beauftragung der Apostel...“ EINSICHT Sept. 2016)
Christus setzt, um u.a. seine Sühneleistung den Menschen zukommen zu lassen, ein spezielles Priestertum ein, und zwar zum Heil der Menschen. Er überträgt seine Vollmachten auf Menschen, die er dazu ausgesucht hat. Diese Übertragung der Vollmacht bleibt uns aber verborgen, wir sehen nicht, wie sich diese Übertragung sinnlich vollzieht. Wir nehmen sie im Glauben an. Eine solche Übertragung von Vollmachten und damit verbunden die Einsetzung eines speziellen Priestertums lehnt Luther bekanntlich ab.
„Im Falle der Apostel waren sie davon überzeugt, daß Christus Gottes Sohn ist und daß er auch berechtigt war, mit den Beauftragungen auch die Vollmachten, die er an sie band, auch selbst inne hatte:
– die Vollmacht, Sünden zu vergeben,
– Brot und Wein in sein Fleisch und Blut zu verwandeln,
– die Vollmacht, diese Vollmachten an weitere Amtsträger weiterzugeben.
So stellt der Auftrag im Abendmahlssaal am Gründonnerstag "Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tuet dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22, 19) einmal dar, was Christus selbst tut, sich selbst zur Speise zu reichen, indem er - sich selbst opfernd - Brot und Wein in sein Fleisch und Blut verwandelt. ("Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tag" (Joh 6, 54).) Denn ihm "ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden [vom Vater].“ (Mt 28, 18) Zum anderen heißt das, auch das weiterhin zu tun, was Christus gerade selbst getan hat. Aber das setzt voraus, daß er ihnen die Vollmacht verliehen hat, Brot und Wein in sein Fleisch und Blut zu verwandeln, d.h. die Transsubstantiation zu vollziehen. Darüber hinaus heißt dieser Befehl aber auch, die empfangene Vollmacht auf andere Personen übertragen zu können, um das Opfer durch die Zeiten hindurch zu vollziehen.“ (a.a.O. Die Beauftragung der Apostel... EINSICHT Sept. 2016)
Was hier interpretativ gewonnen wurde und das eher andeutet, was Christus im Abendmahlssaal dann noch vermittelt und übertragen hat, nämlich die Weihe der Apo-stel zu Priestern und Bischöfen anhand der biblischen Stelle "Tuet dies zu meinem Gedächtnis" (1 Kor. 11, 25), wird in den Visionen der Anna Katharina ausführlich geschildert. Ich lasse hier diese Vision einfließen, weil diese Weihen biblisch nur sehr kurz angesprochen werden.
"Jesus hielt nun noch eine Geheimlehre; er sagte ihnen, wie sie das heilige Sakrament fortsetzen sollten zu seinem Gedächtnis bis ans Ende der Welt (…). Dann aber lehrte er sie vom Priestertum und der Salbung und der Bereitung des Chrismas und der heiligen Öle. Es standen drei Büchsen, zwei mit verschiedenem Balsam und Öl, und auch Baumwolle bei dem Kelchapparat; man konnte sie aufeinander stellen. Er lehrte sie viele Geheimnisse darüber, wie die Salbe zu mischen, an welchen Stellen des Leibes sie anzuwenden und bei welchen Gelegenheiten. (…) Er sprach von verschiedenen Salbungen, auch von jener der Könige, und wie selbst ungerechte Könige, welche gesalbt seien, eine innere geheimnisvolle Gewalt vor andern besäßen. Er tat aber von der zähen Salbe und dem Öl in die leere Büchse und mischte beides (…). Ich sah hierauf, daß Jesus den Petrus und Johannes salbte, welchen er bei der Einsetzung des heiligen Sakraments auch von dem Wasser, das über seine Hände geflossen war, über die ihrigen gegossen hatte, und die den Kelch, von seiner Hand gehalten, getrunken hatten. Er schritt aus der Mitte des Tisches etwas zur Seite, legte dem Petrus und Johannes die Hände zuerst auf die Schultern und dann auf das Haupt. Sie mußten hierauf die Hände zusammenlegen und die Daumen kreuzen. Der Herr bestrich ihnen, die vor ihm sich tief beugten, ich weiß nicht, ob sie knieten, die Daumen und ersten Finger mit der Salbe und machte ihnen damit ein Kreuz auf das Haupt. Er sagte ihnen auch, dieses solle bis ans Ende der Welt bei ihnen bleiben. Auch Jakobus Minor, Andreas, Jakobus Major und Bartholomäus erhielten Weihen. Ich sah auch, daß der Herr dem Petrus die schmale Zeugbahn, welche sie um den Hals trugen, über der Brust kreuzweis verschlang und den andern von der rechten Schulter unter dem linken Arm quer über die Brust legte. (...) Ich sah aber - wie, das ist unaussprechlich -, daß Jesus ihnen durch diese Salbung etwas Wesentliches und zugleich übernatürliches gab. Er sagte ihnen auch, nach dem Empfange des Heiligen Gei-stes würden sie zuerst Brot und Wein selbst konsekrieren und auch die andern Apostel salben. Ich hatte hierbei einen Blick, wie Petrus und Johannes am Pfingstfest vor der großen Taufe den andern Aposteln die Hände auflegten, und daß acht Tage nachher dasselbe mehreren Jüngern geschah. (…) Alles, was Jesus bei der Einsetzung des heiligen Abendmahles und der Salbung der Apostel tat, geschah sehr geheim und ward auch nur als Geheimnis fortgelehrt und ist bei der Kirche bis heutzutage wesentlich geblieben, jedoch durch Eingebung des Heiligen Geistes nach ihren Bedürfnissen erweitert worden. (…) Ob Petrus und Johannes beide zu Bischöfen oder nur Petrus zum Bischof und Johannes zum Priester gesalbt wurden und welchen Grad von Würde die vier andern erhielten, vergaß die Erzählerin zu bemerken. Die verschiedene Art, wie der Herr dem Petrus und den andern die schmale Zeugbahn um den Hals schlang, scheint auf verschiedene Grade der Weihe zu deuten." (Anna Katharina Emmerich: "Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi" Aschaffenburg 1962, S. 86 ff.)
Um also seine Sühneleistung auch für die Zeit nach seiner Himmelfahrt für das Heil der Menschen wirksam werden zu lassen, überträgt Christus bestimmte Vollmachten. Er läßt sie an seiner (Voll)Macht partizipieren. Die Priester werden dadurch zum „alter Christus“, die nur in seinem Namen wirksam werden können. Diese Übertragung geschieht im Akt der Weihe (Priestertum und Bischofsamt). Mit der Beauftragung sind auch unmittelbar die entsprechenden Vollmachten verliehen.
Von Christus her betrachtet: „Du sollst, weil du kannst.“ Und aus der Sicht des Priesters: „Ich kann, weil ich soll.“ Diese Übertragung wirkt unmittelbar: der Beauftragte kann, weil er soll: Sünden vergeben (in der Beichte), das Meßopfer (Konsekration) vollziehen. Was genau passiert in der Beichte? Nach dem Sündenbekenntnis des Pönitenten spricht der Priester: „Ich spreche dich los von deinen Sünden.“ Der Priester erteilt in der Beichte die Absolution. Die Lossprechung bezieht sich unmittelbar auf die Sünden, die Christus für uns gesühnt hat. Zurück bleiben aber die Sündenstrafen, zu deren Tilgung der Priester dem Pönitenten eine Buße aufgibt. Nur wenn die Übertragung (durch Priester- und Bischofsweihe) von jemanden kommt, der selbst schon beauftragt worden war, ist sie wirksam: in einer ununterbrochenen Sukzession. Reißt die Kette, d.h. wird die Sukzession unterbrochen, kann sie nicht wieder neu gestartet werden.
Damit unterscheidet sich diese Art der Übertragung von der Bevollmächtigung für ein profanes Amt. Wenn jemand einer anderen Person sagt: Sei Arzt! Dann heißt das nicht, daß er sofort als Arzt praktizieren kann. Sondern er muß Medizin studieren, seine Probezeit absolvieren, bevor er dann wirklich als Arzt tätig sein kann.
Warum nehmen wir aber an, daß in der Weihe tatsächlich Vollmachten wirksam übertragen werden? Und welche Garantie habe ich, daß ich in der Beichte wirklich von meiner Sündenlast befreit werde? Viele zweifeln daran, daß dort etwas bewirkt wird; denn ein sichtbares Kriterium habe ich zunächst nicht. Aber im Glauben nehmen wir die Wirksamkeit dieser Vollmachtsübertragung an, weil wir davon überzeugt sind, daß Christus Gottes Sohn ist, der uns nur die Wahrheit vermittelt. Darum sagt Christus zu dem Apostel Thomas: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh. 20,29)
Anmerkung: (1) Wenn die heutigen Rabbiner diesen Vorwurf weiter aufrecht erhalten, dann versagt sich jede Diskussion mit ihnen. Alles andere wäre ein weiterer Verrat an Christus.
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Hinweis auf eine neue Zeitschrift INTROIBO: In Holland ist eine neue Quartalzeitschrift für „Trouw Kathiliek“ in Holländisch erschienen. Adresse: Docterskampweg 2-8512, NL – 5222 AM ‚s-Hertogenbosch
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