Weckruf aus der Tiefe der Verzweiflung Jelena Tschudinowas Vision: Die Moschee Notre-Dame Anno 2048
von Magdalena S. Gmehling
Zwölf Jahre nach der russischen Erstveröffentlichung liegt seit 2017 im Renovamen-Verlag, übersetzt von Barbara Lehmann, der futuristische zivilisationskritische Roman „Die Moschee Notre-Dame Anno 2048“ vor. Die populäre Autorin Jelena Tschudinowa wurde am 3.9.1959 in Moskau geboren. Sie ist Schriftstellerin, Dramatikerin und Rundfunksprecherin. Das Buch möchte sie als Warnung verstanden wissen. Man darf es allerdings mit Sicherheit auch als apokalyptische Dystopie bezeichnen. Um es vorweg zu nehmen: für empfindsame Gemüter ist dieses Werk weder sprachlich noch inhaltlich leicht zu lesen. Gelegentlich wirkt es wie eine eiskalte Zumutung. Worum geht es? Man schreibt das Jahr 2048. Das christliche Abendland ist einem Staat Eurabien gewichen. In Westeuropa haben radikale Strömungen des Islam die Oberhand gewonnen. Heere von arroganten Besatzern, die wir ernährten und willkommen geheißen haben, fallen in die Städte ein. Die Kirchen werden für ihre Bedürfnisse umgestaltet. Paris ist Kristallisationspunkt der neuen muslimischen Elite. Die altehrwürdige Kathedrale Notre-Dame wurde in eine Moschee verwandelt. Es regiert die Scharia. Der Papst hat bereits 2031 abgedankt. Das Ende eines liberalen Katholizismus, der verkündete „jeder hat auf seine Weise recht“, ist gekommen. Der Petersdom wird als Müllkippe genutzt. Jene, die widerstanden und von der Römischen Kirche als schismatisch ausgegrenzt wurden, leben zusammen mit Nonkonformisten und der französischen Widerstandsorganisation Maquis, in fünf Ghettos im Pariser Untergrund, in den Katakomben. Man bereitet sich auf das Martyrium vor. Der Roman beginnt mit zwei Morden. Ein alter Winzer, der es wagte Trauben für Messwein beiseite zu schaffen, wird von dem entfesselten Mob, zu welchem auch Kinder und „Damen“ gehören öffentlich gesteinigt. Den Richter Kadi Malik tötet kurze Zeit später eine Autobombe. Das Attentat geht auf das Konto der Maquis. In den unterirdischen Verstecken prallen Welten aufeinander. Vater Lotaire, ein junger Priester der Tradition und Sophia Sévazmiou, der gefürchtetste Kopf jener sieben, welche die Widerstandsbewegung anführen, Eugéne-Olivier der Auftragskiller und Jeanne Sainteville, die gläubige Rebellin – alle treffen sie aufeinander, mit ihren Problemen, ihren Visionen. Tschudinowa, die orthodoxe Christin, scheut sich auch nicht, eine sogenannte Gottesnärrin auftreten zu lassen: Das stigmatisierte Kind Valérie. Im Russischen kennt man den Begriff des „jurodiwy“, einer exzentrischen, auch äußerlich auffälligen Person, die provokativ eine mehrdimensionale Verrücktheit aufweist, welche aus ihrer verzückten Gottesliebe entspringt. „Die Wunden Christi... Sie öffnen sich von selbst und bluten. Bei ein paar Heiligen, Gerechten. Valérie-ist eine Gottesnärrin. Sie weiß alles, sie kennt alle und etwas vormachen kann man ihr erst recht nicht. (...) Kein Mensch weiß, wo sie plötzlich herkam. (...) Sie ist immer barfuß, sogar im Winter und schläft draußen. Man sollte gar nicht versuchen, ihr Schuhe oder warme Kleidung anzubieten...Gut möglich, dass sie auch mal eine ganze Woche lang nichts zu sich nimmt, abgesehen vom Abendmahl. Aber sie liebt es, Hostien zu knabbern, Vater Lotaire lässt immer ein paar ungeweihte für sie zurück.“ (1) Valérie also streift schmutzstarrend durch Paris, dorthin wo die Muttergottes weint (Notre-Dame). Kein Muslim wagt sie aufzuhalten oder auch nur zu berühren. Die Christenfeinde belegt sie ungeniert mit einem Fäkalwort, welches deren Gebetshaltung kennzeichnet.
Durch Rückblenden wie auch durch die Schilderung der Kriegsereignisse auf dem Balkan (Kosovo-Konflikt 1998/99) und der Tschetschenienkriege (1994/96 und 1999/2009), verdichtet sich die Handlung. Keine Grausamkeit wird ausgespart. Der Widerstand nimmt genau jene Haltung ein, welche die Schriftstellerin für sich selbst reklamiert. In dem Nachwort zur russischen Ausgabe schreibt sie: „(...) damit die Gesellschaft ihr Gleichgewicht findet, muss jemand am Rande balancieren. Er muss sich dabei Strömen von Schmutz und Lügen aussetzen, Anschuldigungen und Drohungen standhalten (...) “(2) Schließlich enthüllt der zunächst für einen Araber gehaltene Ahmad ibn Salih, bei welchem es sich eigentlich um den Serben Slobodan handelt, während eines konspirativen Treffens mit Sophia Sévazmiou und weiteren führenden Köpfen der Maquis den teuflischen Plan der Dschihadisten. Eine sogenannte schmutzige Bombe, die nukleare Zerfallsprodukte enthält, soll gebaut werden. Gleichzeitig sind Abschreckungsaktionen durchzuführen. Ziel ist die vollständige Vernichtung aller Ghettos, angefangen mit Paris. „Sie werden in die fünf Pariser Ghettos, bildlich gesprochen, den ganzen Abschaum der Stadt werfen, die freiwilligen Helfer der Shariapolizei ... Sie werden die Straßen wie eine Lawine aus Schlamm überrollen. Jeder, der auch nur wagt zu zittern, wird von ihnen gezwungen werden zu konvertieren. Und sie werden sich die letzten freien Menschen bei lebendigem Leib vorknöpfen ... Die Massaker werden von den Kameraleuten gefilmt werden.“ (3) In einer Woche, am Jahrestag der Eroberung Konstantinopels wird es soweit sein. Vater Lotaire befürchtet, dass die Ghettobewohner und unter diesen auch die Christen, an ein Massaker von diesem Ausmaß nicht glauben werden. Es gibt nur einen Weg. Gleichzeitig mit der Evakuierung der Untergetauchten, muss man mit einem Akt der Abschreckung dem teuflischen Plan zuvorkommen. In konfliktreichen Diskursen nimmt die Idee Gestalt an, die Besatzer aus Notre-Dame zu vertreiben, die geschändete Kathedrale neu zu konsekrieren, also den Ritus reconcilliandi ecclesiam violatam durchzuführen. Alsdann soll eine heilige Messe gehalten werden. Nach deren Ende sprengen sich Vater Lotaire und Sophia Sévazmiou mit dem Gotteshaus in die Luft. „Die Zeitschaltuhren zählten rhythmisch die letzten Augenblicke, die der Kathedrale noch verblieben waren. Der junge Priester betete weiter. Und die alte Frau, erfüllt von seinen Worten, kniete aus einem spontanen Impuls nieder, wohl zum ersten Mal in ihrem Leben. Ohne eine Antwort zu finden, fragten sich beide, ob sie sich fürchteten, dass in wenigen Minuten ihre Seelen aus der körperlichen Hülle gerissen würden, um sich in einem Moment kurzer, unvorstellbarer Qual nach oben aufzuschwingen, im gigantischen Wirbelsturm der Steine und Flammen.“ (4) Es ist keine Frage, Tschudinowa zeichnet meisterhaft profilierte Charaktere und sie sieht in deren mutigem Sterben ein Gleichnis für Freiheit, Würde und Religionstreue. Man hat ihr Werk nicht zu Unrecht mit Jean Raspails „Heerlager“ und Houellebecqs „Unterwerfung“ verglichen. Der Heroismus kleiner todesmutiger Gruppen, die dem zerstörerischen Zug der Geschichte widerstehen, ist eine der wenigen Möglichkeiten, der Barbarei zu entkommen. Ähnlich wie der große amerikanische Jude, Leon Uris, in seinem Bestseller „Mila 18“ retrospektiv die ergreifenden Ereignisse im Warschauer Ghetto darstellte, so richtet die orthodoxe Russin den Focus auf das künftige dunkle Bild eines islamisierten Westeuropas und hofft gleichzeitig, sie möchte sich als schlechte Prophetin erweisen. Das Werk wurde ins Englische, Französische, Serbische, Polnische und nun eben auch ins Deutsche übersetzt. Anmerkungen: 1) Die Moschee Notre-Dame Anno 2048 Renovamen-Verlag, Bad Schmiedeberg 2017 S. 49 ff 2) ebd. S.425 3) ebd. S. 145 f 4) ebd. S. 419
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