Franz fährt das Christkind im Schlitten
von Josef J. Link
aus: "Auf Gottes Waage - Christen in Glaubensnot und Zerstreuung" Paderborn 1956, S. 165-167
Franz war ein strammer Bursche von zwölf Jahren. Er lebte seit zwei Jahren mit seiner Mutter und seinen beiden jüngsten Geschwistern auf einem einsam gelegenen Bauernhof in Mecklenburg. Seitdem sie ihre Heimat verlassen hatten, war seine Mutter immer sehr krank. Sie hustete und mußte oft viele Tage zu Bett liegen. Aber Franz arbeitete auf dem Hof, verständig und umsichtig wie ein Erwachsener. Und der Bauer, der beide Söhne im Kriege verloren hatte, schloß den Jungen bald in sein Herz.
Mitten im Advent war das Land mit Hof, Acker und Wald von einer festen Schneedecke überzogen. Da spannte der Bauer den Schlitten an und fuhr mit Franz in den Wald, um Holz zu holen. Auf der Rückfahrt, als der Schlitten mit Reisern und Holz hoch beladen war, geriet das Gefährt auf einer abschüssigen Wegstrecke ins Schleudern. Das Pferd wurde wild und stürzte; der Schlitten streifte einen Baum an der Straße und schlug mit der Last des Holzes um. Franz, der mit dem Bauern auf dem Kutschbock saß, flog im hohen Bogen in den Schnee, aber der Bauer geriet unter das Holz und lag da hilflos und konnte sich nicht befreien. Franz meinte, alle Knochen im Leibe wären ihm gebrochen, so schmerzten ihm alle Glieder von dem Sturz. Aber er zögerte keinen Augenblick, machte sich an die Arbeit und brachte es fertig, den Bauern unter dem Holz hervor zu holen. Das war eine Quälerei! Der Schweiß rann ihm über den ganzen Körper. Aber in wenigen Minuten hatte er es geschafft. Der Bauer stand wohlbehalten wieder auf seinen Füßen. "Dafür kannst du dir etwas wünschen", sagte der Bauer und klopfte dem tapferen Jungen dankbar auf die Schultern. Nachher, als sie den Schlitten in den Hof fuhren, faßte sich Franz ein Herz und sagte seinen Wunsch: ob der Bauer denn am Weihnachtsmorgen die Mutter und die Geschwister in die Stadt fahren würde, zur Weihnachtsmesse! Da machte der Bauer ein verwundertes Gesicht. Dieser Wunsch paßte ihm gar nicht. Ob es sich denn lohne, 14 Kilometer weit zur Kirche zu fahren, fragte er erstaunt. Aber Franz war um die Antwort nicht verlegen: es lohne sich, noch viel weiter zur heiligen Messe zu fahren. Er würde ja auch zu Fuß hingehen, aber die Mutter könne das unmöglich, und gerade der kranken Mutter wolle er zu Weihnachten die Freude machen. Da sagte der Bauer ja, weil er es versprochen hatte. Und er dachte bei sich: Vielleicht ist die Frau so krank, daß sie gar nicht fahren kann.
Der Bauer sollte recht behalten: Als Weihnachten herankam, war die Mutter sehr krank und mußte zu Bett liegen. Der Bauer dachte: Jetzt brauchst du die lästige Fahrt nicht zu machen; denn er war seit zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr zur Kirche gefahren, und er war ja auch gar nicht katholisch. Darum staunte er um so mehr, als Franz jetzt erst recht auf der Fahrt bestand. Er wollte den Priester bitten, auf der Rückfahrt mitzukommen und der Mutter die heilige Kommunion zu bringen. "Auch noch einen Pfaffen hierherholen!" entfuhr es dem Bauern unwillig. Aber Franz hielt ihn bei seinem Wort. Als der Bauer die flehenden Augen des Jungen sah, dachte er an seine eigenen Söhne und sagte: "Ja, Franz, weil du so ein tüchtiger Junge bist und weil du mir immer so fleißig geholfen hast." In der Weihnachtszeit hatte es noch tüchtig geschneit, aber am Morgen schien die Sonne vom blauen Himmel und streute einen festlichen Glanz über das Land. Mit dem schönen Kutschschlitten flogen sie leicht dahin, und am Geschirr der Pferde klingelten fröhlich die Glöckchen. In der Stadt spannte der Bauer das Pferd bei Bekannten aus, und da der katholische Gottesdienst in der evangelischen Kirche gehalten wurde, traute sich der Bauer, da ihm das Warten zu lang wurde, in die Kirche hinein. Er dachte: Hinten unter dem Turm sieht mich keiner. Aber er wunderte sich, daß das Kirchlein zum Bersten voll war. So stand er in einem Winkel in der Nähe der Tür, und die Lieder und Gebete machten es dem Mann ganz warm ums Herz.
Nach der Messe kam Franz tatsächlich mit dem Priester. Der ging still und ohne überflüssiges Reden. Franz sagte zu dem Bauern: "Er trägt den Heiland bei sich." Das verstand der Bauer zwar nicht, aber ihn packte doch eine scheue Ehrfurcht. Er zupfte Franz am Ärmel: "Fahr du!" Jetzt sah Franz den Bauern erstaunt an, aber dann nahm er wie selbstverständlich die Zügel. Neben ihm saß der Priester, und Franz wußte: Neben mir sitzt der Heiland selbst. In der heiligen Hostie, unter dem Rock des Priesters, ist er wirklich und wahrhaftig gegenwärtig. So kam es, daß Franz das Christkind im Schlitten fuhr. Er dachte: Jetzt ist eine gute Gelegenheit, mit dem Christkind zu sprechen. Es wird mich sicher hören. Und er erbat sich vom Christkind das einzige Geschenk, daß die Mutter gesund würde. Tatsächlich ging es mit der Gesundheit der Mutter bald wieder bergauf. Der Bauer aber hat noch oft seine Pferde zur Verfügung gestellt, wenn der Priester zu kranken Leuten in der Nachbarschaft geholt werden mußte. Auch hat er das Wort "Pfaffe" nicht mehr in den Mund genommen, er sagte immer: der Herr Pastor. |