Zeitschriftenkritik:
Oswald Spengler wußte es besser: „Das Wesen aller Kultur ist Religion!“ Denn hinter der religiösen Fassade, die angeblich zur Gewalt im Namen Gottes aufstachelt, lugen unübersehbar immer auch politische, ethnokulturelle, soziale und ökonomische Ursachen hervor. So ist es in Wahrheit ein Gemisch aus den unterschiedlichsten Gründen, das Kriege, Bürgerkriege, Revolutionen, Massenausmordungen, Vertreibungen und Terrorismus entfesselt.
Man kann es sich aber auch leicht machen und von den mittelalterlichen Kreuzzügen bis zum heutigen Terror des Islamischen Staates eine gerade Linie konstruieren, um dann vollmundig zu erklären keine „reine Lehre“ und „letzte Wahrheiten“ zu verkünden. Nichts anderes geschieht in der aktuellen Ausgabe der vierteljährlich erscheinenden „Zeit Geschichte“ (Untertitel: Epochen. Menschen. Ideen), wenn beispielsweise die britische Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong allen Ernstes in ihrem Beitrag „Schrift und Schwert“ die endemische Gewalttätigkeit des Islams mit den „ständigen Angriffen des Westens“ entschuldigt. Zynisch ist ihre Aussage über den Völkermord an 350.000 griechischen Christen zwischen 1914 und 1923 im Osmanischen Reich, den sie lediglich als „Vertreibung“ bezeichnet. In dem Beitrag „Wem gehört Granada?“ wird einmal mehr das längst widerlegte Märchen der „goldenen Ära des Zusammenlebens von Muslimen, Christen und Juden“ im Kalifat Andalusien bemüht, bei dessen Eroberung es sich nicht um eine „Invasion“, sondern um „eine Art Expedition“ gehandelt habe. Es fehlt jeglicher Hinweis über die den „Ungläubigen“ auferlegte „Kopfsteuer“, die Drangsalierungen und Zwangskonversionen, bis die Reconquista im 12. Jahrhundert endlich den Süden Spaniens von den maurischen Invasoren befreite.
Durchaus lesenswert sind hingegen die Beiträge über die Glaubenskriege zwischen Katholiken und Hugenotten im Frankreich des 16. Jahrhunderts (Christian Wenzel) und Christoph Diekmanns „Reise über die Schlachtfelder des 17. Jahrhunderts“, die den Schwedenkönig Gustav Adolf („Gottes Raubtier“) als Retter der Protestanten im Dreißigjährigen Krieg porträtiert. Einer der wichtigsten Texte stammt von dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, der eine innerislamische Debatte über den komplexen Begriff des Dschihad anregt, da dieser sowohl als „innere Einkehr“, aber auch als kriegerische Auseinandersetzung mit Nicht-Muslimen interpretiert werden könne. Der Koran bleibe ein „deutungsoffener Text“, der es erlaube, ihn friedlich zu lesen oder für kriegerische Zwecke und Terror einzuspannen. Dazu benötige es aber die fortlaufende kritische Auseinandersetzung der Mohammedaner mit sich selbst, ihren Überzeugungen und ihrem Glauben. Ein frommer Wunsch, denn es wird nicht gelingen, aus einer totalitär-imperialistischen Polit-Religion einen moderaten „Euro-Islam“ zu zaubern. Dagegen spricht die ganze Geschichte des Islams und vor allem die schlimme Erfahrung, die die orientalischen Christen bis heute mit ihren muslimischen Unterdrückern machen.
Werner Olles
Kontakt: Zeit Geschichte. Leser-Service. Das Einzelheft kostet 5,90 Euro, das Jahresabo 20,60 Euro. www.zeit.de/zeitgeschicht |