Himmelfahrt
vom hl. Augustinus
Der ganze Christus fährt auf
[118] Aufsteigen willst du? Halte dich am Aufsteigenden fest. Denn durch dich selber kannst du nicht steigen. Denn «niemand steigt auf zum Himmel, als wer vom Himmel herabstieg, der Menschensohn, der im Himmel ist» (Joh 3,13). Wenn niemand aufsteigt, als wer abstieg, und dieser der Menschensohn, Christus, unser Herr, ist, wie willst dann auch du aufsteigen? Sei das Glied dessen, der allein aufstieg. Denn er ist als Haupt mit den übrigen Gliedern zusammen ein einziger Mensch. Und wenn niemand aufsteigen kann, außer wer in seinem Leibe sein Glied geworden ist, so erfüllt sich das Wort, daß «niemand aufstieg, außer der abstieg». Denn nicht kannst du zum Beispiel sagen: Warum steigt Petrus auf, warum steigt Paulus auf, warum steigen die übrigen Apostel auf, wenn doch «niemand aufsteigt, außer wer abstieg»? Es lautet die Antwort: Petrus, Paulus und die andern Apostel und alle Gläubigen, was kündet ihnen der Apostel? «Ihr seid der Leib Christi und Christi Glieder, jeder zum Teile» (i Kor 12,27). Wenn also der Leib Christi und seine Glieder einem einzigen angehören, so mache nicht zwei daraus. Denn jener verließ Vater und Mutter und hing seiner Gattin an, auf daß zwei in einem Fleische seien (Eph 5,31,32). Den Vater verließ er, weil er sich hier nicht dem Vater gleich zeigen wollte, er vernichtigte sich vielmehr und nahm Sklavengestalt an (Phil 2,7). Auch seine Mutter, die Synagoge, verließ er, aus der er fleischlich geboren wurde. Er hing seiner Gattin an, das heißt der Kirche. Dieses Zeugnis gab er sich selbst, als er davon sprach, daß man die Ehe nicht trennen dürfe: «Habt ihr nicht gelesen, daß Gott die Menschen am Anfang als Mann und Weib schuf? Zwei sollen in einem Fleische sein. Was also Gott verband, das soll der Mensch nicht trennen.» Und was besagt: Zwei in einem Fleische? Er fahrt weiter und sagt: «Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eines» (Mt 19,4-6). «Niemand steigt empor, der nicht abstieg.»
Denn ihr wißt ja, daß Bräutigam und Braut ein einziger Mensch sind. Und zwar dem Fleische Christi nach, nicht seiner Gottheit: denn nach seiner Gottheit können wir, was er ist, nicht sein; er ist ja der Schöpfer, wir das Geschöpf; er der Bildner, wir das Gebilde; er der Begründer, wir das Begründete; aber damit wir mit ihm zusammen eines sein könnten in ihm, wollte er unser Haupt werden, indem er Fleisch annahm aus uns, worin er stürbe für uns: und so... ist er Bräutigam und Braut. Er ist Bräutigam im Haupt, Braut im Leib. «Denn zwei», heißt es, «werden in einem Fleische sein» und «nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch» ist er.
Himmelfahrt des Herzens
[119] Hebt euch auf von der Erde: der Leib kann es nicht, so fliege die Seele. Hebt euch auf von der Erde: auf Erden ertraget die Mühe, im Himmel erwäget die Ruhe: seht zu, daß ihr es hier gut treibet, damit ihr dort ewig bleibet. Auf der Erde ist kein Ort für das Herz, wo es seine Unversehrtheit bewahre: liegt es auf der Erde, so geht es zugrunde. Was ein jeder Kostbares besitzt, das birgt er hoch und sicher: viele Menschen, ja alle, wenn sie von einem drohenden Kriege hören, dann suchen sie ein Versteck für alle ihre Wertsachen. Ist es nicht so? Kann es im Menschengeschlecht anders zugehen, als ich sage? Es hat einer Silber, es hat einer Gold, er hat Edelsteine, wertvolle Kleinodien, teure Gewänder: er sucht, wo er es berge, um seine Habe nicht zu verlieren. Was er Besseres hat, das verwahre er besser oben, er berge es oben. Was hat er Besseres als sein Herz? Vom Herzen aus besitzt man das Irdische. Die kleinen Kinder, die noch keinen Sinn und Verstand in Gebrauch haben - er ist ihnen gleichsam hinterlegt, in ihnen ist noch nicht erwacht, was Gott in ihnen gemacht - was besitzen denn die? Da wird der künftige Erbe aller Güter geboren, und obschon ihm Rechtens schon alles gehört, besitzt er doch noch das Seinige nicht, weil er nicht hat, wodurch man besitzt. Darum sagt der Apostel: «Solang der Erbe noch klein ist, unterscheidet ihn nichts vom Sklaven» (Gal 4, i).
Das also, wodurch wir etwas auf Erden besitzen, ist das Herz, der Verstand, die Einsicht, der Geist, die Vernunft, das Denken, das Sinnen. Wie viele Worte, und doch - was hab ich gesagt? Wer versteht sich selbst? Um wieviel weniger den, der ihn schuf? Dort mag hinterlegt sein, was wir an Wert besitzen. Durchstöbert rings all eure Habe, Brüder, und sucht zusammen, was ihr an Wertvollem habt. Ich ermahne auch die Geizigen: wie viel leichter hören mich die Nichtgeizigen! Ich überzeuge die Geizigen: O du Knauser, du gieriger Mensch, der du von überallher ehrlich oder schändlich Gewinn raffst, vielen Lehm scharrst du dir zusammen: Lehm sammelst du dir und fürchtest nicht, daß du daran kleben bleibest; Irdisches ist dir wert! Mensch bist du, du hast einen Körper, hast eine Seele: nun frage ich dich: Was ist dir an deinem Körper am meisten wert? Ich denke, du findest am Leib nichts Lieberes als deine Augen... Lenke nun den Blick auf deine Schätze, schau, was du bewahrst. Würde einer dir sagen: Entweder gibst du mir, was du auf Erden besitzest, oder ich raube dir sogleich deine Augen; gäbst du nicht alles dahin für deine Augen? Alles gäbst du, um nicht inmitten deiner Schätze blind zu verbleiben; du besäßest nicht mehr, was du nicht mehr sähest! Und dein Geiz besitzt zwar Gold, irgendeinen winzigen und dürftigen Teil der Erde: mit deinen Augen aber besitzest du den Himmel, mit deinen Augen betrachtest du die Sonne, mit deinen Augen beschaust du die Sterne, durch deine Augen bist du der Herr der Welt.
Wozu viele Worte? Frage dich selbst, deine Seele wird dir für deinen Körper antworten: Gib alles hin, aber wahre mir meine Fenster! Das sagt dir deine Seele: Zwei Fenster hab ich in meinem Gesicht, durch diese sehe ich das Licht: laß das Gold nur fließen, daß sich meine Fenster nicht schließen! Du gibst also alles für deine Augen.
Gewiß, du hast nichts Lieberes als deine Augen, nichts Lieberes, doch nur im Leibe. Denn ich zeige dir etwas, was dir lieber ist als die Augen: bald wirst du mir zugeben, du, zu dem ich rede, daß etwas dir lieber ist als die Augen. „Zu dem ich rede“, sage ich, - nicht: „womit ich rede.“ Durch das Ohr treffe ich den Geist, durch das Ohr erreg ich den Geist, durch den Ton rede ich mit dem Geist, ermahn ich den Geist, erbau ich den Geist. Ich befrage nun den Geist selbst, und über den Geist selbst, und frage den Menschen also: Wenn man beides behalten kann: die Augen und den Geist, so ist das ein Glück. Wenn es nicht möglich ist und man die Wahl zwischen beiden hat: Wähle, was dir besser scheint: die Augen des Leibes zu verlieren, oder den Geist. Verlierst du den Geist, so wirst du ein Tier; verlierst du die Augen, so hast du Geist, bist ein Mensch. Sprich, wähle, was dir gefällt. Was willst du sein: ein blinder Mensch? ein sehendes Tier?
An euren Beifallsrufen erkenn ich eure Wahl. Wo habt ihr gesehen, was ihr gewählt? Was zeigte ich euch vor, daß ihr so rieft? Schöne Farben? Herrliche Formen? Gold oder Silber? Hab ich euch Edelsteine zur Schau vorgelegt? Nichts dergleichen: und doch rieft ihr Beifall und zeigtet durch Beifall an, was ihr gewählt. Das, womit ihr gesehen, was ihr gewählt, ist eben der Geist, dem ich rede. Das, womit du gewählt, was du gehört durch mein Wort, das glaube als Gottes Wort. Das hörst du und tust du beim Worte: «Empor das Herz» Dann denke dir Christus sitzend zur Rechten des Vaters: denke ihn, der kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten. Der Glaube denke: Der Glaube wohnt im Geist, in der Grundfeste des Herzens, da wohnt der Glaube.
aus: DAS ANTLITZ DER KIRCHE, Einsiedeln - Köln 1955, S. 163 f.
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