Gott fordert uns von Eberhard Heller
Wenn man einmal das Handeln Gottes mit den Menschen betrachtet, nach welchen Prinzipien es abläuft bzw. welche Kriterien für eine Kommunikation mit Ihm gelten, fällt auf, daß Gott - sobald Er sich dem Menschen offenbart, sich ihm zeigt, von den Angesprochenen eine bestimmte Haltung verlangt, die der Forderung Gottes entspricht, unter der Er den Kontakt aufnimmt. Ich meine hier nicht das allgemeine Prinzip der Liebe, sondern eine konkrete, an die Situation bzw. an den Plan Gottes, den Er mit den Menschen verwirklichen will, angepaßte Forderung. Er verlangt also Resonanz! Verlangte Gott vom Volke Israel Vertrauen oder Gehorsam in einer bestimmten historischen Situation, so ging es dem Volke gut, solange es dem Willen Gottes entsprach. Entsprach es Gottes Wille nicht, wurde es teilweise empfindlich bestraft. Obwohl z.B. drei Monate nach dem Auszug aus Ägypten der Bundesschluß Gottes mit Moses auf dem Berg Sinai vollzogen worden war (Ex. 19-24), goß das Volk währenddessen das goldene Kalb und tanzte darum. Wegen seines späteren Murrens (Nm 14,1 ff) wurden die Israeliten mit der 40-jährigen Wüstenwanderung bestraft. Selbst Moses, der das Volk Israel ins gelobte Land führen sollte, durfte dieses zur Strafe wegen seines Mißtrauens gegenüber Gott (Nm 20,12) selbst nicht mehr betreten. Im Alter von 120 Jahren starb er auf dem Berg Nebo (Dt 34,1 ff) angesichts des Landes, das Gott den Israeliten verheißen und zugewiesen hatte.
Wenn man nun das Verlangen Gottes an Abraham betrachtet, der von diesem die Schlachtung seines Sohnes Isaak als Opfer fordert (1 Moses 22), wodurch die heilsgeschichtlich relevante Weiterführung seiner Linie abgerissen wäre, so kann man dieses Verlangen nur verstehen, wenn man es auf Gottes Absicht, Seinen Sohn Mensch werden zu lassen und ihn für die Entsühnung des sündigen Menschengeschlechtes zu opfern, bezieht. Ohne diesen Bezug, auch wenn Gott die Opferung nur zur Prüfung verlangt hatte, wäre dieses Tötungsansinnen nicht als Wille Gottes zu begreifen.
Es gehörte für mich persönlich zu den größten Herausforderungen, zu begreifen, zu verstehen, wie Gott von Abraham verlangen konnte, seinen Sohn Isaak als Brandopfer zu schlachten (Gen. 23,1-10). Wäre dieser Befehl an mich ergangen, ich hätte ihm sicherlich nicht entsprochen. Heute weiß ich, daß dieses Ansinnen nur an Abraham gerichtet war, daß es eine Wiederholung eines solchen Befehls aus heilsgeschichtlichen Gründen nicht mehr geben wird: Abrahams Gehorsam hatte Gottes Forderung genügt.
Was verlangte Gott von Abraham mit der Opferung des Isaaks, auch wenn er dessen Haltung nur prüfen wollte und diesen durch das Eingreifen eines Engels am tatsächlichen Opfern hinderte (Gen. 23, 11-12)? Gott hatte doch dem Abraham prophezeit: „Ich will dich zu einem großen Volke machen und dich segnen und deinen Ruhm erhöhen (...). In dir sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet sein.“ (Gen. 12, 2-3) Aber wie sollte das geschehen, da Sarah seine Frau als unfruchtbar galt? Doch wiederum prophezeite Gott: „Nein, Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären, den sollst du Isaak nennen, und mit ihm will ich meinen ewigen Bund aufrichten und desgleichen mit seinem Geschlecht nach ihm.“ (Gen. 17,19) „Der Herr nahm sich der Sarah an, wie er verheißen hatte; er tat an ihr, wie er gesprochen. Sarah empfing und schenkte dem Abraham für sein Greisenalter einen Sohn zur festgesetzten Zeit“. (Gen. 21, 1-2) Und nachdem der Erbe nach Gottes Willen geboren wird, verlangt nun dieser dessen Aufopferung. Was muß wohl in Abraham vor sich gegangen sein? Auf der einen Seite die Verheißung, daß in ihm „ alle Geschlechter der Erde gesegnet sein“ sollen(Gen. 12, 3), auf der anderen das Ende seines Geschlechtes, wenn er seinen Sohn aufopfert, tötet? Mit Isaak wären ja auch alle Verheißungen an Abraham gestorben. Israel und seine heilsgeschichtliche Bedeutung standen auf dem Spiel, denn aus dem Hause Davids sollte einst der Messias kommen. Schlußendlich wäre davon ja auch das gesamte Heilsgeschehen betroffen, das bei Abraham begann und in der Menschwerdung des Messias einmünden sollte?
Inzwischen weiß ich, daß diese Forderung Gottes nur im Zusammenhang gesehen werden kann mit seinem Vorhaben, seinen eigenen Sohn als Sühnopfer für die Erlösung der in Sünde geratenen Menschheit zu opfern. Gott will nicht nur geben, sondern er will auch die Bereitschaft seitens der Menschen sehen, dieses Opfers würdig zu sein, indem ich in diesen Opferwillen einwillige. Gott fordert uns nicht nur auf, seine Gebote zu befolgen, sondern er will auch, daß wir uns in sein Heilsgeschehen – und das in ganz konkreten Situationen!! – mit einbringen. Wenn er seinen Sohn als Sühnopfer hingibt und dieser im Gehorsam gegen seinen Vater diesen Willen annimmt, nämlich uns rein zu waschen in seinem Blut, um wieder eintreten zu können in seinen Bund, will er auch die Bereitschaft sehen, an diesem Opfergeschehen teilzunehmen, mit Christus zu leiden. Um wieder auf Abraham zurückzukommen: Gott wollte in der Tat nur dessen Opferbereitschaft sehen, nicht das wirkliche Opfern des Isaaks geschehen lassen.
Und wie verhielt es sich mit der Menschwerdung des Gottes Sohnes selbst?, der geboren wurde "ex Maria virgine", aus Maria der Jungfrau? Dem Willen Gottes mußte die Einstellung Mariens entsprechen. Darum brachte die Ankündigung des Engels Gabriel, sie werde einen Sohn gebären (Lk 1,30-33), zunächst Bestürzung bei ihr hervor: "Wie wird dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?" (Lk 1,34) Denn eine uneheliche Geburt würde ihr, die beständige Keuschheit gelobt hatte, nur Unehrenhaftigkeit einbringen. Erst als der Engel ihr versichert, "Heiliger Geist wird über [sie] kommen und Kraft des Allerhöchsten [sie] überschatten, darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Sohn Gottes genannt werden" (Lk 1, 35), spricht Maria ihr "fiat": "Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort" (Lk 1,38), nachdem sie sich in den Willen Gottes eingebettet sah. So wie Maria sich offen für diesen göttlichen Willen zeigte, dadurch verwundbar nach allen Seiten, weil ihr Kind als unehelich gelten mußte, so kam nun der Gottes-Sohn in aller Hilflosigkeit als kleines Kind, in Niedrigkeit und Armut.
Maria von Agreda schildert uns den Entschluß der drei göttlichen Personen zur Mensch-werdung und der Aufgabe Marias daran in der „mystischen Stadt Gottes“:
„Endlich kam der glückliche Tag, an dem der Allerhöchste, über die tiefe Unwissenheit der Jahrhunderte hinwegsehend, sich den Menschen offenbarte und ihre Erlösung begann, indem Er im Schoße Mariä ihre Natur annahm. Um das mir geoffenbarte Geheimnis besser zu erklären, muß ich zuvor von einigen Geheimnissen sprechen. Der Glaube lehrt, daß es in Gott drei Personen gibt, die aber eins sind in ihrem Wesen, Ihrer Natur, Ihrer Weisheit, Allmacht und in allen übrigen göttlichen Vollkommenheiten. Wie sie so gleich sind in ihrem Sein, so ist auch Ihr Wirken nach außen ungeteilt zwischen den drei göttlichen Personen; denn alle drei wirken, weil Sie ein und derselbe Gott sind und eine Weisheit, einen Verstand und einen Willen haben. Wie also der Sohn weiß, will und wirkt, was der Vater weiß und will, so weiß, will und wirkt auch der Heilige Geist das gleiche wie der Vater und der Sohn. In dieser Ungeteiltheit vollführen alle drei Personen das Werk der Menschwerdung in ein und derselben Tätigkeit, obwohl nur die Person des Wortes in hypostatischer Union die menschliche Natur annahm. Darum sagen wir, daß der Sohn vom ewigen Vater, aus dessen Erkennen Er hervorgeht, gesandt worden ist; daß der Vater Ihn gesandt hat durch die Mitwirkung des Heiligen Geistes. Als nun die Person des Sohnes auf die Welt kommen wollte, brachte Er, ehe Er vom Himmel niederstieg - ohne den Schoß Seines Vaters zu verlassen -, im Namen der Menschheit, die Er annehmen sollte, einen Vorschlag und eine Bitte im göttlichen Rate vor. Er stellte nämlich Seine vorher gesehenen Verdienste vor und bat um das Fiat des heiligsten Willens des Vaters, damit dem ganzen Menschengeschlecht von der göttlichen Gerechtigkeit Erlösung und Verzeihung gewährt werde durch die Werke, Leiden und Geheimnisse, die Er in der neuen Kirche und dem Gesetze der Gnade vollbringen wollte. Der ewige Vater gewährte Ihm alles und empfahl Ihm Seine Auserwählten als Sein Erbe. Darum sagt Jesus durch Johannes, daß jene, die Sein Vater Ihm gegeben habe, nicht verloren gehen werden, ausgenommen Judas, der Sohn des Verderbens. Ein anderes Mal sagt Er, daß niemand eines Seiner Schäflein Seiner Hand oder der des Vaters entreißen werde. Das würde für alle Menschen gelten, wenn sie sich bemühten, die Erlösung für sich wirksam zu machen. Niemand ist von der göttlichen Barmherzigkeit ausgeschlossen. Dies alles ging - nach unserer Vorstellung - im Himmel auf dem Thron der heiligsten Dreifaltigkeit vor sich, ehe das Fiat der seligsten Jungfrau gesprochen wurde. Als der Eingeborene des Vaters in den jungfräulichen Schoß Mariä niederstieg, bewegten sich die Himmel und alle Geschöpfe. Wegen der untrennbaren Einheit aller drei Personen kamen der Vater und der Heilige Geist mit dem göttlichen Wort herab, das allein Fleisch annahm. Mit ihnen stiegen alle himmlischen Heerscharen nieder, voll Glanz und überwältigender Stärke.“ (zitiert nach: „Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria“ Jestetten 1982, ins Deutsche übersetzt von Schwester Assumpta Volbert nach der „Nueva Edición de la Mistica Ciudad de Dios“ Barcelona 1911-1914, S. 95 f.)
Wenn Gott mit uns in Beziehung tritt, mit uns kommunizieren will, gibt es diesen Kontakt - um es salopp zu sagen -, nicht zum Nulltarif. Er verlangt von uns die Bereitschaft, daß wir uns auf das einlassen, was Er von uns will, was Er fordert, damit wir an dem teilhaben können, was Er vorhat, uns zu geben. Im Einlassen und der Adaption des göttlichen Willens liegt der Schlüssel für ein erfülltes Leben: in Demut die (unverdienten) Heilstaten anzunehmen, um an dieser Fülle andere teilnehmen zu lassen. D.h. in der Nachfolge Christi stehen.
Gott fordert, daß wir seiner Forderung nachkommen, sie erfüllen. Und worin besteht diese Forderung? Darin, daß wir sein Angebot, d.i. seine Liebe erwidern.
Gott fordert nicht nur, er fördert auch, seine Forderungen zu erfüllen, wenn er sagt, "Ich bin das Leben." (Joh. 14,6) Das Gebet, d.i. die Zwiesprache mit Gott, erfordert nach Meinung der alten Mystiker die höchste Willensanstrengung. Die Erfüllung ist die Erfahrung seiner Liebe, die er uns ganz konkret zuteilt. Gott fordert von uns, daß wir ihn lieben, daß wir seine Liebe erwidern. Und wenn wir das tun, schenkt er uns das "Leben", d.i. der Aufenthalt, das Verharren in der Erfüllung. Aus dieser Erfüllung resultiert dann auch das Gottvertrauen, d.i. das Vertrauen, daß Gott mich hält. Ich sehe, ich kann darauf vertrauen, daß seine Forderung und seine Entsprechung mich tragen.
Diese Gedanken sollten uns bewegen, wenn wir an Weihnachten die Krippe betrachten, die wir wie jedes Jahr wieder aufgebaut haben, um uns Gottes Heilsgeschehen zu vergegenwärtigen, dieses Abbild des ersten großen Wunders, das Gott für uns Menschen gewirkt hat. Und es sollte uns auch zeigen, daß wir trotz aller Verlassenheit hier auf Erden, die viele von uns erleiden müssen, aufgehoben sind in der Güte Gottes. |