Künder der Mysteriendämmerung Vor 1800 Jahren starb der Kirchenvater Clemens Alexandrinus
von Magdalena. S. Gmehling
Er wurde nie offiziell heiliggesprochen und das Prädikat „Kirchenvater“ stellte man immer wieder in Frage. Seine genauen Lebensdaten sind äußerst spärlich. Dennoch gilt er als einer der liebenswürdigsten und gebildetesten Gestalten der frühen Christenheit. Die Rede ist von Titus Flavius Clemens von Alexandrien, einem christlichen Hellenen, der vermutlich in Athen zwischen 140/150 geborenen wurde und um 216 in Kappadokien verstorbenen ist. Er muss eine faszinierende Persönlichkeit gewesen sein, ein überaus gebildeter und belesener Mann. Gilt er doch als eigentlicher Begründer der wissenschaftlichen Theologie und der christlichen Literaturgeschichte. Sein berühmtester Schüler und Nachfolger war der große Origines. Zeitzeugen sprechen vom gottseligen Presbyter Clemens. Alexander von Jerusalem nennt ihn „einen heiligen Mann“, Johannes von Damaskus preist ihn glücklich und im Martyrologium von Usuardus ist sein Name am 4. Dezember aufgeführt.
In neuerer Zeit haben Theologen und Gelehrte wie Franz Overbeck, Adolf von Harnack, Fénelon, Hans von Campenhausen, Ernst Benz, Adam Möhler, Gerhard Wehr und Gerd-Klaus Kaltenbrunner die geistesgeschichtliche Bedeutung des Kirchenvaters gewürdigt. Der Begründer des Symbolismus Dimitri Mereschkowskij (1865-1941) folgt seinen Spuren ebenso, wie der zeitgenössische Schriftsteller Dzevad Karahasan und der Esoteriker Valentin Tomberg.
Ein gewisses Aufsehen erregten die umstrittenen Forschungen des amerikanischen Professors Morton Smith (1915-1991) im Wüstenkloster Mar Saba. Unter dem Titel „ Clement of Alexandria and a secret gospel of Mark“ veröffentlichte er in der Harvard University Press Texte, in denen er den Fund eines unbekannten Clemensbriefes, welcher ein nicht kanonisches Geheimevangelium des hl. Markus enthalten soll, darstellt. Tatsache ist, dass wir in den Werken des Clemens Alexandrinus viele Stellen finden, die sich gegen den alexandrinischen Gnostiker Karpokrates und seinen Sohn Ephiphanes wenden. Karpokrates behauptete im Besitz gewisser Geheimlehren zu sein. Er verwendete ein geheimes, angeblich von Markus verfasstes Evangelium, das erotische Rituale enthielt.
Wie nun haben wir uns die Zeit des Alexandriners vorzustellen?
„Zu den erregendsten Kapiteln der abendländischen Geistesgeschichte gehört die sich schon früh vollziehende Begegnung von christlichem Glauben und antiker Philosophie, von biblischer Religion und heidnischer Metaphysik, die Auseinandersetzung zwischen dem Gott Platons und dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs... Mag Clemens nun, wie allgemein angenommen wird in Athen geboren worden sein oder nicht, so ist er jedenfalls ein Grieche, erfüllt von griechischer Philosophie und Bildung; aufgrund der Art wie er von den heidnischen Mysterien spricht, dürfen wir sogar die Vermutung wagen, dass er in sie eingeweiht gewesen war, bevor er sich zum Christentum bekehrte.“ 1) Gewiss ist, dass der junge Clemens, dessen Eltern wie berichtet wird „in Finsternis und Todesschatten“ (also im Heidentum) verharrten, eine glänzende Erziehung und Bildung genoss. Es ist zu vermuten, dass er das hellenistische Wissen enzyklopädisch beherrschte. Bei Eusebius finden wir die Aussage, der bewunderungswürdige Clemens kenne die heidnischen Zeremonien aus Erfahrung. Er habe sie in ihrer Abscheulichkeit aufgedeckt. 2) Es dürfte sich wohl um die Eleusinischen Mysterien gehandelt haben, bei denen der Schwur der Eingeweihten den heidnischen Zeugen den Mund verschloß. Jedenfalls führte den Jüngling seine Sehnsucht nach der Wahrheit schließlich nach Ägypten. Hier nun fand er einen Lehrer, der ihm genügte. Er schreibt: „Als ich aber einen letzten angetroffen hatte (seiner Wirkung nach war er jedoch der erste), da gab ich weiteres Suchen auf, nachdem ich ihn in Ägypten, wo er verborgen war, aufgespürt hatte. Er war in der Tat eine sizilische Biene, indem er aus den Blumen der prophetischen und apostolischen Wiese Honig sog und in den Seelen seine Zuhörer ein lauteres Erkenntnisgut erzeugte.“ 3) Gemeint ist der Wanderphilosoph Pantainos (Pantänus) ein Zeitgenosse des Ammonios Sakkas, des Lehrers des Neuplatonikers Plotin. Clemens spricht vom begnadeten Geist des Pantainos und seinem Bestreben die selige Überlieferung unverlierbar zu bewahren. Schriftliche Zeugnisse haben wir von ihm nicht. Es ist jedoch bekannt, dass er im Jahr 179 n.Chr. Vorsteher der Katechetenschule in Alexandria war. Clemens beschloss ebenfalls dort zu bleiben.
Alexandria, wurde 331 v. Chr. von Alexander dem Großen an der Stelle der altägyptischen Siedlung Rhakotis gegründet. Die Stadt entwickelte sich zu einem der wichtigsten Zentren der hellenistischen Welt. Geplant von dem griechischen Architekten Deinokrates wurde sie Residenz des Ptolemäerreiches. Als griechische Polis galt sie formal nicht als Teil Ägyptens. In ihrer Blütezeit zwischen 300 v. Chr. und 395 n. Chr. war sie ein kulturelles Zentrum, welches allenfalls noch von Rom übertroffen wurde. Nahe der Mündung des Kanopischen Nilarms gelegen, stieg Alexandria zur einzigen bedeutenden Hafenstadt der Nilmündung auf. Näherte man sich zu Schiff, so fiel als erstes der Leuchtturm von Pharos (Bauzeit 299-279 v. Chr.), eines der sieben Weltwunder, ins Auge. Die üppige und luxuriöse Metropole war Zentrum des Geldes und des Lasters. Geheimlehren, orientalisches Heidentum und Mysterienkulte blühten ebenso, wie jüdisch-hellenistische Intellektualität. Villen, Paläste, Tempel und Theater gaben der kosmopolitischen Handelsstadt ein besonderes Flair. Die von den Ptolemäern eingerichtete Akademie zur Pflege der Wissenschaften mit ihren Bibliotheken dem Museion und dem Serapeion barg Schätze des Wissens. Während die Bedeutung Roms allmählich verblasste, nahm jene Alexandriens zu. Es gab nahezu kein philosophisches System, welches hier nicht vertreten war. Das Christentum sah sich also zu einer Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen gezwungen. Die Katechumenen sollten ertüchtigt werden nicht allein Rechenschaft von ihrer Religion abzulegen, sondern diese auch zu verteidigen. Hieraus lässt sich die Entstehung der Kathechetenschule erklären, deren Leitung Clemens in der Nachfolge des nach Indien ausgewanderten Pantainos, 189 n. Chr. übernahm. Sein Anliegen war es, die Funken der Wahrheit in den heidnischen Systemen aufzuspüren und für das Christentum fruchtbar werden zu lassen. Davon zeugen seine Schriften, die allerdings nicht vollständig erhalten sind.
Zwischen 190-194 n.Chr. entstanden die Werke Paidagogós (der Erzieher) eine christliche Ethik. Sie enthält Weisungen des christlichen Lebens. Ferner die umfangreichen Stromateis (Teppiche / 8 Bände) welche die epistemologische Überlegenheit des christlichen Glaubens über die griechische Philosophie erweisen. Es heißt dort: „Nun war vor der Ankunft des Herrn die Philosophie für die Griechen zur Rechtfertigung notwendig; jetzt aber wird sie notwendig für die Gottesfurcht, indem sie eine Art Vorbildung für die ist, die den Glauben durch Beweise gewinnen wollen. Denn "dein Fuss", so heißt es, "wird nicht anstoßen", wenn du alles Gute, mag es sich bei den Griechen oder bei uns finden, auf die Vorsehung zurückführst.“ 4)
Besonders bemerkenswert ist die Stellung des Kirchenvaters zur Gnosis (Erkenntnis). Dieser Begriff spielte in den ersten drei Jahrhunderten nach Christus eine bedeutende Rolle. Es handelt sich nicht um Philosophie, sondern um eine religiös gefärbte Schau. Für die Gnostiker waren vor allem die Ägypter eines jener Völker, welche die heiligen und ehrwürdigen Mysterien, die Riten, wie die Orgien der Götter, verstanden. Clemens setzt sich mit dem in Alexandrien blühenden häretischen Gnostizismus, der perverse Abirrungen zeitigte und auch jüdische Elemente in sich aufnahm, auseinander. Mit schneidendem Spott verweist er die, durch irrige Gedanken angereicherten Geheimtraditionen, in ihre Grenzen. Den wahren Gnostiker, dessen Ideal er in seinem eigenen Leben zu verwirklichen suchte, beschreibt er wie folgt: „Derjenige fürwahr, der das Gesetz versteht, und fähig ist, seine Bedeutung zu durchschauen, der ist der Gnostiker ... die ihn kennzeichnende Haltung besteht allein in dem Vollbringen guter Werke aus Liebe, einer Handlungsweise, die für den Gnostiker des Schönen selbst wegen erstrebenswert ist.“ 5) Auch sich und seine Arbeit kennzeichnet der Kirchenvater wenn er schreibt: „ Unser Gnostiker ist es also allein, der in der Beschäftigung mit der Heiligen Schrift selbst alt geworden ist und an den rechtgläubigen Lehren der Apostel und der Kirche festhält und ganz rechtschaffen nach den Geboten des Evangeliums lebt.“ 6)
In seinem Protreptikòs (Mahnrede an die heidnischen Griechen) setzt Clemens sich vielfach mit unwürdigen Gottesvorstellungen und Kultformen auseinander. Er zeichnet ein abschreckendes Bild von der Torheit und Unsittlichkeit der Mysterienkulte. „ Kümmert euch also nicht um die gottlosen Heiligtümer, nicht um die Öffnungen der Klüfte, voll von Zauberei (...). Verstummt ist jetzt die Quelle Kastalia und ebenso die Quelle von Kolophon, und die übrigen wahrsagenden Wasser sind in gleicher Weise versiegt. (...) Ebenso sollen die Heiligtümer der Ägypter und die Totenbeschwörungen der Tyrrhener dem Dunkel der Vergessenheit überliefert werden. (....) Gehilfen dieses Schwindels sind auch die zum Wahrsagen abgerichteten Ziegen und Krähen, die von Menschen gelehrt wurden, Menschen die Zukunft zu prophezeien. (...) Soll ich dir auch die Mysterien noch aufzählen? (...) Dem rasenden Dionysos zu Ehren feiern die Bakchen ihre Orgien, indem sie durch Essen rohen Fleisches ihren heiligen Wahnsinn zeigen; und sie feiern die Verteilung des Fleisches der Schlachttiere, bekränzt mit Schlangen, wozu sie Euan rufen, den Namen jener Eva, durch die die Sünde in die Welt kam (...)“. 7) Ausführlich schildert Clemens dann die schamlosen und grausigen Einzelheiten der Mysterien, den verderblichen Betrug und Aberglauben. Er nennt die Ausschweifungen und Abartigkeiten und verurteilt auch die lüsternen und trügerischen Kunstwerke. Schließlich mahnt er: „(...) keiner von euch soll die Sonne anbeten, sondern er soll sich nach dem Schöpfer der Sonne sehnen; und keiner soll die Welt vergöttern, sondern den Schöpfer der Welt soll er suchen. Die einzige Zuflucht also für den Menschen, der zu den Toren des Heils gelangen will, ist, wie sich zeigt, die göttliche Weisheit (...)“. 8)
In der kleinen Schrift „Quis dives salvetur“ (Welcher Reiche kann gerettet werden) handelt es sich um eine Erklärung der Perikope vom reichen Jüngling, die Clemens allegorisch auslegt. Anlass dürfte wohl die heidnische Polemik gegen das gerne als Fischer-und Zöllner Religion abgestempelte Christentum gewesen sein. Die Feststellung, dass es allein auf den richtigen Gebrauch der irdischen Güter ankommt, ist wohl als eine erste theoretische Rechtfertigung der Vereinbarkeit von Christentum und Reichtum zu betrachten.
Verloren gegangen sind die Schriften „Hypotyposeis“ (Umrisse, Skizzen), „Über das Pascha“, „Ermahnung zur Geduld oder über die Neugetauften“, die Predigten über das Fasten und die üble Nachrede“, die Briefe, sowie eine Schrift über den Propheten Amos.
Zwölf Jahre wirkte Clemens Alexandrinus segensreich in Alexandria. Dann brach um 202 unter Septimus Severus eine Christenverfolgung aus. Clemens wusste um die Gefahr die ihm drohte. War er doch ein stadtbekannter Gelehrter. In Palästina fand er eine neue Bleibe und wirkte als Vertrauter und Berater des (früheren kappadozischen) Bischofs Alexander von Jerusalem. Um 216 scheint er verstorben zu sein.
Worin nun besteht das „neue Lied“, welches der Alexandriner seiner universalen erlösenden Kraft wegen rühmt: „Der Logos war zwar von Anfang an. Er unterwies die größten Weisen in allen Völkern, vornehmlich bei den alten Griechen und den gesetzesfrommen Hebräern. Aber dieser Logos, der Christus unseres Seins von alters her und unseres Wohlseins Urheber, ist jetzt erst den Menschen (tatsächlich) erschienen. (...) Dieses ist das neue Lied, die jetzt unter uns aufleuchtende Erscheinung des im Anfang seienden und noch zuvor seienden Logos. Angesichts dieser einmaligen und einzigartigen Christuserscheinung ist für den alexandrinischen Weisheitslehrer in der Menschheitsgeschichte eine völlig veränderte Lage entstanden. Die Mysterien der Vorzeit erweisen sich nicht nur als Niedergangs Erscheinungen (...) Die Mysteriendämmerung ist ... seit der Inkarnation des Logos „in eines Menschen Hülle“, vom Licht der Welt, das alle Menschen erleuchtet (Joh 1), ins Wesenlose versetzt.“ 9)
Anmerkungen: 1) Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Europa. Seine geistigen Quellen in Porträts aus zwei Jahrtausenden. Bd. III S.80 Glock- und Lutz Verlag 1985. 2) Vgl. Euseb. praep. evang. lib.II.c.2. 3) Clemens Alexandrinus: Teppiche I.11,2; Bibliothek der Kirchenväter, München, Kösel 1936. 4) Clemens Alexandrinus: Teppiche I. 5,28 5) Clemens Alexandrinus: Teppiche IV.,22, 135.1 6) Clemens Alexandrinus: Teppiche VII. 104,1 7) Protreptikòs. II. 11,1und 12,1 8) Protreptikus, IV.61,5 9) Gerhard Wehr: Esoterisches Christentum S.100 Klett-Cotta 1995 |