BRAND IM "BAZAR"
von
Léon Bloy
Gestern abend großes Brandunglück im "Charitasbazar"
(Wohltätigkeitsbazar). In weniger als einer halben Stunde fand eine
große Zahl schöner Damen einen kläglichen Flammentod. Non pro mundo
rogo (Nicht für die Welt bitte ich), sagt der Herr. Coppée schreibt
dazu in seinem Kommentar den albernen Satz: "Sie hatten sich
zusammengefunden, um einen Akt christlicher Liebe zu vollbringen". -
Alles klagt selbstverständlich Gott an. Die Erregung wegen des
Bazarbrandes nimmt ihren Fortgang. Man stelle sich doch bitte vor: so
reiche Leute, in ihren allerschönsten Gesellschaftstoiletten, Leute,
die ihre Equipagen vor dem Eingang stehen hatten! Ihre herrlichen Wagen
nun für alle Zeit herrenlos. Und das alles aus Liebe zu den Armen!
Jawohl! Wenn man reich ist, so heißt das doch, daß man für die Armen
ein Herz hat! Die prächtigen Abendkleider sind ja der Lohn für die
Liebe, die man der Armut entgegenbringt! Und da soll man nicht das
Evangelium anklagen!? Der päpstliche Nuntius war eigenserschienen, die
"Spinnende Sau" einzusegnen, eine Minute vor Ausbruch des Feuers. Kaum
war er gegangen, da ging es los.... Judex tremebundus ante januam.
An meinen Freund André R.:
EIN VERSUCH, SCHWACHKÖPFEN DIE GALLE ZU ERREGEN
"Mein lieber André! Sie möchten von mir einige Worte vernehmen
über die kürzliche Katastrophe. Ich erfülle Ihren Wunsch mit umso
größerer Bereitwilligkeit, als ich stark darunter leide, nicht das laut
hinausschreien zu können, was mir zutiefst das Herz bewegt. Ich hoffe,
Sie sind nicht allzu rücksichtslos vor Ihr Köpfchen zu stoßen, mein
lieber Freund, wenn ich Ihnen sage, daß ich beim Lesen der ersten
Meldungen über das furchtbare Unglück die ganz klare und dazu köstliche
Empfindung eines mir von der Seele genommenen ungeheuren Gewichtes
hatte. Einzig die geringe Zahl der Opfer stimmte meine Freude etwas
herab. "Endlich", sagte ich mir dennoch, "endlich! ENDLICH ein Anfang
waltender Gerechtigkeit!" Dies gräßliche Wort "Bazar" in unmittelbare
Verbindung gebracht mit dem Worte Charitas "Christenliebe"! Der
gewaltige, der Feuer name Gottes zur Funktion eines Genitivs dieses
übelkeitserregenden Wortgebildes herabgewürdigt!!! Auf diesem Bazar
anreißerische Aushängeschilder, kitschige, fast obszöne
Publikumsreklamen, die man Kaschemmen, Bordellen, Nachtlokalen - der
"Spinnenden Sau" zum Beispiel - zu entleihen sich nicht entblödet
hatte. Und mitten in diesem aristokratischen Tingeltangel mit der
größten Selbstverständlichkeit der Welt einherwandelnde Priester und
Ordensschwestern, die noch dazu gewissenlos genug waren, an diesen Ort
der Verworfenheit arme unschuldige Seelen mitzuschleifen! Und der
päpstliche Nuntius in Person, all dem seinen Segen erteilend! Ah,
lieber Freund, welch Stoff für eine großartige Anklageschrift! "Der
Brandstifter des Bazars der Christlichen Liebe!"
Solange der Nuntius des Papstes den schönen Toiletten noch nicht seinen
Segen gespendet hatte, vermochten die mit den Sinnbildern des Reichtums
behangenen zarten, lustgeschwellten Gerippe nicht das ihren verworfenen
Seelen entsprechende kohlengeschwärzte Äußere anzunehmen, das sie erst
später erhalten sollten. Bis zu diesem Augenblick war keine Gefahr.
Erst der Segen, der unaussprechlich lästerliche Segen desjenigen, der
den Stellvertreter Christi und damit Christus selbst verkörperte, nahm
seinen Weg dahin, wohin er immer geht, nämlich zum Feuer welches die
donnerumgrollte, unstet wandernde Wohnstätte des Heiligen Geistes ist.
Und so schlug die leckende Flamme unverzüglich hoch und alles kehrte zu
seiner gewollten Ordnung zurück .
Te autem faciente eleemosynam, nesciat sinistra tua quid faciat dextera
tua: Ut sit eleemosyna tua in abscondito (Matth.66 3,4 - Wenn du
Almosen gibst, soll deine Linke nicht wissen, was die Rechte tut, damit
dein Almosen im Verborgenen bleibt.) .
"Du hast dich den Teufel geschert um dies erhabene Wort, nicht wahr,
schöne Dame? Was du wolltest, das war doch just das Gegenteil! Nun
fügte es aber das Geschick, daß da gerade ein Armer war, den es sehr
hungerte: und dem niemand zu essen geb. Und es war derjenige unter den
Armen, den der Hunger am meisten plagte. Sein Name war Feuer! Doch
unser Herr Jesus Christus erbarmte sich seiner, ER sandte SEINEN Segen
durch den Bediensteten SEINES irdischen Statthalters, und da reichtest
du ihm, schöne Dame, vor aller Augen, wie es ja dein Wunsch war
...hochherzig die Liebesgabe deines eigenen wohschmeckenden Fleisches.
Was deine "Rechte" und deine "Linke" anlangt, so sei ganz ohne Sorgen!
Das Wort, das da gesprochen worden ist, wird sich an ihnen ohne
Abstrich erfüllen, und selbst deine prächtig in Damast und Seide
daherstolzierende Aufzucht wird nicht imstande sein, die eine von der
anderen zu unterscheiden. Um das zu können, heißt es die Auferstehung
der Toten abwarten!"
Cum facis eleemosynam, noli tuba canere ante te, sicut hypocritae
faciunt in synagogis, et in vicis, ut honorificentur ab hominibus. Amen
dico vobis, receperunt mercedem suam (Matth.6, 2 - Wenn du Almosen
gibst, so posaune es nicht aus, wie die Heuchler in den Synagogen und
auf den Straßen es tun, um von den Menschen geehrt zu ,werden. Wahrlich
ich sage euch: Sie haben schon ihren Lohn).
Auch für dich wurde dieses Wort gesprochen, nicht wahr, edle Marquise?
Weiß doch ein jeder, daß das Evangelium allein für das Volk in Lumpen
geschrieben worden ist, und du hättest JENEM wohl schön
heimgeleuchtet, der es gewagt hätte, dir zu raten, in abscondito (im
Verborgenen) deine kostbaren Rüschen und Spitzenvolants zur Linderung
der Not von Unglücklichen zu veräußern! Aber dennoch wirst du nicht um
deinen "Lohn" kommen, und morgen in der Frühe, gnädigste Gräfin, wird
man dich mitsamt deinen Juwelen und deinem geschmolzenen Golde mit
Schaufel und Besen aus dem Schutt zusammenkehren ...Was indessen das
Betäubendste, das Verwirrendste, das am meisten zur Verzweiflung
treibende ist, ist nicht die Katastrophe an und für sich, denn
verglichen mit der armenischen zum Beispiel, welche doch kaum einem
einzigen aus diesem aristokratischen Kreis auch nur eine Träne des
Mitgefühls entlocken konnte, ist sie verhältnismäßig belanglos. Nein,
das ist es nicht. Es ist vielmehr das geradezu ungeheuerliche
Schauspiel einer universellen Heuchelei! Es besteht darin, sehen zu
müssen, wie alles, was fähig ist, eine Feder zu führen, in der
schamlosesten Weise die Welt und sich selbst belügt! Und es ist - last
but not least - die grenzenlose und dabei
seelenruhig-selbstverständliche Verachtung nahezu eines jeden für das,
was Gott sagt und Gott tut.
Der besondere Charakter und die näheren Umstände dieses Geschehens,
seine schier unfaßbare, blitzartig niederfahrende "Plötzlichkeit",
welche jede Hilfe unmöglich machte und für die es seit dem "vom Himmel
fallenden Feuer" nur wenige Beispiele gibt; der einheitliche Anblick
der Leichen, auf welche sich das "Sinnbild der Christenliebe" mit einer
Art göttlichen Grimmes herabstürzte, als gälte es eine namenlose
Freveltat zu sühnen; all das war immerhin noch einigermaßen klar und
verständlich.
Denn dies trug alles ganz offensichtlich das Merkmal einer Züchtigung
des Himmels an sich und das um so mehr, als zusammen mit den Schuldigen
auch Unschuldige getroffen wurden, was bekanntlich nach der Bibel der
"Abdruck der Fünf Finger der Hand Gottes" ist. Der so natürliche
Gedanke: "Gott schlägt zu, also ist Sein Schlag gerecht" ist
augenscheinlich niemandem gekommen, oder aber falls er jemandem kam, so
suchte man, von Entsetzen gepackt, ihn also bald zu verscheuchen. Ja,
hätte es sich um Bergarbeiter gehandelt, um verdreckte Kumpels mit
kohlengeschwärzten Händen, so hätte man wohl klarer gesehen, hätte
weniger den Blick anzustrengen brauchen, den unbedeutenden
Tränenschleier zu durchdringen, der sich einem vor die Augen legte!
Aber Herzoginnen, oder Gattinnen berühmter Bankiers, "die sich
zusammengefunden hatten, um einen Akt christlicher Liebe zu
vollbringen", wie sich wörtlich der edle Laller Franz Coppee ausließ
..., "denken Sie doch nur, teuerste Gnädige!" Inzwischen hat es das
Blatt La croix fertiggebracht, aus ureigenster Machtvollkommenheit die
Opfer des Unglücks heiligzusprechen! Mit einem gewollten Seitenblick
auf die Jungfrau von Orleans (!!!), mit deren Jahresfest die
Bazarkatastrophe so ungefähr zusammen fiel, sprach dort in einem
Nachruf Pater Bailly, der unfehlbare Eunuch in allen einträglichen und
daher begehrten Vorzimmern der großen Welt, von dem Scheiterhaufen, auf
welchem die Lilien der Reinheit Seite an Seite mit den Rosen der Liebe
in Rauch und Flammen dahinschwanden..."
Ich für meine Person bin allerdings der Überzeugung, daß sowohl die
"Lilien in ihrer Reinheit" wie auch die "Rosen in ihrer Zartheit" es
beiweitem vorgezogen haben würden, schleunigst Reißaus zu nehmen und
sich in Sicherheit zu bringen sei es selbst um den Preis einer
finsteren Mordtat oder der körperlichen Hingabe an den ersten besten,
habe ich mir doch sagen lassen, daß die robusteren unter besagten
Kindern Floras sich durchaus nicht scheuten, die schwächeren ihrer
Schwestern, die sich ihnen bei ihrer Flucht in den Weg stellten,
einfach über den Haufen rennen oder mit der Faust niederzuschlagen.
- "Ein jeder denke nur an sich, Verehrteste!" Dies Wort wurde
gesprochen und gehört. Vielleicht kam es aus dem Munde der "Spinnenden
Sau", die das Weite suchte. Doch um auf die Zeitung La Croax
zurückzukommen! Meinen Sie nicht ebenfalls, mein lieber André, daß ein
derart lästerliches Gerede, eine solch wahrhaft teuflische
Gefühlsheuchelei mit Notwendigkeit eine neue Katastrophe
heraufbeschwören muß, ganz so wie es bestimmte Stoffe gibt, welche
unfehlbar den Blitz an sich ziehen? Man treibt nicht ungestraft sein
Spiel mit göttlichen Dingen, und es erfüllt einen mit Entsetzen,
anhören zu müssen, wie in dieser Weise Schindluder getrieben wird mit
dem Namen der "Christlich. Liebe", welche doch der Name der "Göttlichen
Dritten Person" selber ist? Nun "teurer Freund" das ist so ziemlich
alles, was ich Ihnen mit Bezug auf die Brandkatastrophe zu sagen hätte.
Auf jeden Fall nehmen Sie meinen Dank dafür, daß Sie mir durch Ihr
Schreiben Gelegenheit geboten haben, mich ein bißchen auszutoben. Ich
hatte es nötig. Im übrigen müssen Sie sich in Zukunft auf noch ganz
andere Katastrophen gefaßt machen - und auf sie einrichten -, neben
welchen diejenige des erbärmlichen "Bazars" als ein harmloses
Alltagsgeschehen zu betrachten sein wird. Das Jahrhundertende steht vor
der Tür und ich weiß, daß die Welt von Unheil bedroht ist wie nie
zuvor. Es ist sicherlich nicht das erste Mal, daß ich Ihnen dies sage,
denn ich pflege es jedem zu sagen, der es hören will. Doch heute sage
ich es Ihnen mit ganz besonderer Eindringlichkeit und bitte Sie, dieser
meiner neuerlichen Worte in Zukunft eingedenk zu sein.
Erit enim tune tribulatio magna, qualis non fuit ab initio mundi usque
modo, neque fiet ... Orate. (Matth.24, 21 - Dann wird nämlich eine so
große Drangsal eintreten, wie es von Anbeginn der Welt bis jetzt keine
gegeben hat noch je geben wird... Betet.) Bis dahin umarme ich Sie ..."
Übersetzt aus dem Tagebuch von Léon Bloy, 5., 8. und 9. Mai 1897
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