Zum Problem der Autorität in der Kirche: „Wer euch hört, hört mich.“ ... oder?
von Eberhard Heller
Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat. (Luk. 10,16)
Wenn man gefragt wird, warum wir die Reformen des II. Vatikanums ablehnen, das doch ein Konzil war, das von den Autoritäten (rechtmäßigen?) einberufen wurde, dann war und ist unsere Antwort: weil die dort gefällten Beschlüsse mit den bisherigen Lehren der Kirche nicht übereinstimmten bzw. ihnen widersprachen. Und weil sie häretisch sind, konnte derjenige, der sie promulgiert hatte, d.h. verbindlich für die Kirche vorgeschrieben hatte, Paul VI. , nicht rechtmäßiger Papst sein. Denn ein Häretiker kann nicht das Amt der obersten Lehrautorität innehaben.
Die Entscheidung, diese Beschlüsse abzulehnen, basierte also auf der Unvereinbarkeit zweier Positionen, zweier Antworten zum gleichen Problem, wobei die bisher geltende Auffassung als wahr vorausgesetzt wurde und deswegen die abweichende Position als falsch deklariert wurde (mit den entsprechenden Konsequenzen).
Könnten die Reformer nicht anführen, daß gewisse Positionen nicht zeitgemäß seien, daß die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht ein Umdenken in vielen Feldern erfordert? Ohne eine solche Annäherung an den Zeitgeist (Akzeptanz von Homosexualität, vorehelichen Beziehungen, Verhütung) würden die Gläubigen der Kirche davonlaufen. Es gäbe doch auch im Kirchenrecht Bestimmungen, die, weil sie sich nicht unmittelbar an göttliches Recht binden würden, sondern in der Zeit und nach den Umständen verschiedene Festlegungen erfahren hätten. So sei zwar die Pflicht, nach dem Tod eines Papstes einen neuen zu wählen, einen Nachfolger für den Stellvertreter Christi, göttlichen Rechtes, die Wahlmodi selbst aber hätten sich im Laufe der Kirchengeschichte geändert. Könnte es sich also bei den Beschlüssen des II. Vatikanums die Liturgie betreffend nicht auch bloß um zeitliche Anpassungen gehandelt haben?
So weit so gut. Hier erhebt sich aber ein viel weiterführendes Problem. Deswegen sind wir davon ausgegangen, daß die früheren Autoritäten in der Festlegung der Glaubenssätze Recht hatten. Um einer Lösung näher zu kommen, können wir uns fragen, wie wir selbst zum christlichen Glauben gelangt sind. Er wurde uns neben unseren Eltern, den Verwandten, der Schule von Vertretern der Kirche vermittelt, wobei die Eltern in der Regel von Priestern der Kirche darüber unterrichtet wurden, die den Anspruch erhoben, die Lehre sei wahr und wir sollten alles glauben, was uns die Kirche zu glauben vorstellt. Die Kirche trat also hier auf als Autorität, (der wir normalerweise auch glauben konnten).
Was ist aber nun die zentrale Aussage, die die Kirche vermitteln kann? Daß Christus, der Sohn Gottes sich uns als Mensch geoffenbart hat, um uns seine Liebe zu schenken, um mit uns einen Bund zu schließen, aber auch, um für unsere Sünden zu sühnen, damit wir entsühnt in diesen (neuen) Bund mit ihm eintreten können.
Wenn sich die Kirche in ihrer Autorität nicht einfach diktatorisch vor- und darstellen will, was sie nicht darf, denn sie vermittelt ja die Aufforderung zu lieben, was nur in Freiheit geschehen kann, dann darf sie ihre Autorität nur so verstehen, daß sie das, zu was sie autorisiert wurde – von Christus! -, so vermittelt, indem sie eine Vorgabe mit der Aufforderung verbindet, diese Vorgabe geistig nachzuvollziehen. Hier trifft zu, was Goethe sagte: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ („Faust“ 1808, 1. Teil) als geistiges Eigentum, welches man aber nicht bei sich ablegen kann wie die Zeitung von gestern, sondern welches man nur hat im lebendigen Vollzug. Damit ist gemeint, daß ich dieses geistige Gut präsent halten muß, es zu mir als Ich hinzufüge und es in meiner unmittelbaren Verfügung bewahre. Es ist eine Beschreibung der Möglichkeit, wie sich der Mensch ererbte Güter zu eigen machen sollte. Gemeint ist ein selbständiges Aneignen, nicht einfach ein Haben, sondern ein Aufnehmen in den Geist. D.h. ich darf die Vorgaben, die mir die Kirche gibt, nicht einfach blind vertrauend übernehmen, sondern zu der Erkenntnis gelangen, daß Christus der wahre Messias, Gottes Sohn ist, der zu Recht seine Forderung absolut stellt. Diesen Erkenntnisprozeß haben wir in den letzten beiden Jahren versucht zum Ergebnis zu führen. Das Resultat dieser Überlegungen hatte ich so formuliert: „Ich bekomme dadurch Gewißheit von seiner [Christi] Göttlichkeit, wenn ich in diesem Öffnen Christi mir gegenüber – also in einem Akt göttlicher Gnade – von meiner Seite: durch ein reines Herz, das ohne Argwohn und Vorbehalte sein Auge auf Gott richtet, erfahre, ohne mein eigenes Dazutun!, daß seine Liebe mich unbedingt umfassen will, mich in meiner ganzen Existenz annimmt (...) – was nach Bernhard „einem Zerren in die Höhe“ gleichkommt. Angesichts dieses totalen Liebeswillens, der sich von Christus auf mich zubewegt mit der Aufforderung, sich in ihn einzuschließen, damit eine Einheit von göttlichem und menschlichem Wollen entsteht, damit ich auch an der Frucht dieser Liebesbindung teilhaben kann, diese Unbedingtheit der Liebe, die sich für mich aufopfert, sagt mir, daß Christus Gott ist.“ (EINSICHT vom Sept. 2015, Nr. 4, S. 123)
Erst wenn diese Stufe der Erkenntnis – ich sage nicht, daß die diskursive Methode die einzige ist, um zur Gotteserkenntnis zu gelangen! - erreicht ist, kann ich auch die Beauftragung, die Christus seinen Aposteln, die er Petrus gegeben hat, als wahr annehmen. Ohne Überzeugung in diesem Punkt bliebe mein weiteres Handeln hypothetisch, es stünde immer unter der Voraussetzung: wenn A, dann B, aber ich weiß nicht, ob A ist. Ich muß zu Christus gekommen sein, um zur Kirche zu gelangen als seine Gründung/Stiftung zur Heilsverwaltung, die die verbindliche Lehre, den Glauben mit einschließt.
Eine ganze Reihe von Gläubigen fühlen sich durch die dogmatischen Festlegungen in der Lehre von der Kirche bevormundet nach dem Motto „Vogel friß oder stirb“. Sie pochen auf ihre Freiheit. Heißt es nicht bei Paulus (2. Kor. 3,17): „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Die Freiheit verschwindet nicht. Verschwinden wird dagegen die Vorstellung einer Bevormundung, wenn man konzediert, daß die Kirche auf der einen Seite das Erbe Christi treulich zu bewahren und zu verwalten hat – und Christi Wille hat sich in ganz bestimmten Festlegungen manifestiert, die unser Heil bewirken wollen -, und daß auf der anderen Seite, auf der Seite der Gläubigen die Aneignung dieses Gnadenangebotes, welches die Kirche gewährt, in freier Weise vollzogen werden soll. Einerseits kommt mir eine bestimmte Form entgegen, andererseits muß ich nicht zustimmen, d.h. ich werde durch das Heilsangebot nicht gezwungen, es anzunehmen, sondern diese Annahme geschieht von meiner Seite in Freiheit. Es ist unmöglich, daß ich zur Moralität gezwungen werden kann, denn sie ist nur dann sie selbst, wenn sie als freie Entscheidung vollzogen wird. Um es auf einen Nenner zu bringen: Liebe (zur Lehre der Kirche) kann man nicht erzwingen.
Diese Konsequenz im Glaubensvollzug schlägt sich auch in den Formulierungen des Credo nieder. „Credo in unum Deum“ – ich glaube an Gott aber „credo Ecclesiam“, ich glaube der Kirche. Die angemahnte Autorität an die Gläubigen ist also solange problematisch und vorläufig, d.h. ohne absolute Geltung für die Gläubigen, so lange sie nicht zur Überzeugung von der Gottessohnschaft Christi gekommen sind. Wenn aber dieser Standpunkt erreicht ist, erhalten von da aus dann auch die Aussagen der Kirche ihre Autorität. Wenn Christus, der Offenbarer, Gott ist, der seine geistige Hoheit absolut setzt, dann gilt auch das, was von ihm authentisch überliefert ist, dann stehen diese weiteren Bestimmungen auch unter dem Horizont der Wahrheit, wobei diese Aussagen sich immer unmittelbar beziehen müssen auf das, was von Gott gesagt werden kann.
Um zum Anfang zurückzukommen: Wenn wir die divergierenden Aussagen von vor und nach dem Konzil gegenüberstellen und die nachfolgenden konziliaren Positionen verwerfen, als Häresien bezeichnen, können wir das rechtens nur tun, wenn wir von der bisherigen Position, die die kirchlichen Autoritäten so fixiert hatten, aus Überzeugung sagen können, daß sie in Christus und seiner Lehre ihren Ursprung hat. Das Urteil über wahr und falsch kann nicht nur auf der Basis des Widerspruches – die kann auch herangezogen werden, um zu zeigen wie hier mit der Wahrheit Mißbrauch getrieben wird, der man unterstellt, sie könne sich in der Zeit wandeln -, sondern aus der Überzeugung, daß sie in Gott ihren Ursprung hat, mit der göttlichen Wahrheit übereinstimmt.
Von daher wird auch klar, wenn Christus sagt: „Wer euch hört, hört mich“ (Luk. 10,16), weil zwischen dem Wort Christi und dem der Apostel Übereinstimmung herrscht, wobei es nicht um genaues Zitieren des Christus Wortes geht, sondern um die Übereinstimmung in prinzipieller Hinsicht.
Und von daher kann dann auch die Kirche als legitimierte Heilsinstitution zu Recht sich auf Autorität stützen, in dem sie das tradiert – und nur das! -, was sie übernommen hat. Wenn die Kirche sich in der Nachfolge Christi sieht und sich daraus auch rechtfertigt, kann sie darauf auch ihre Autorität gegenüber den Gläubigen stützen. Dann ist es auch ihre Pflicht, diese Autorität geltend zu machen. Tut sie das nicht, vernachlässigt sie ihre Pflicht als Hüterin des Glaubens aufzutreten. Denn es wird nicht so sein, daß sich die Irrtümer im Lichte der Wahrheit auflösen wie die Nebel vor dem Sonnenlicht, wie das Johannes XXIII. einmal gesagt hat. Eine Häresie ist nicht nur eine theologisch falsche Position, sondern sie muß auch willentlich von ihrem Urheber behauptet werden. Die Häresie ist also kein Nebel, der sich von alleine auflöst, sondern eine frei gewählte, ablehnende, negierende Einstellung zu bestimmten Glaubenssätzen.
Um es auf einen Nenner zu bringen: Seit Beginn der Kirchengeschichte gibt es im Christentum eine Theologie und eine Religionsphilosophie (Fundamentaltheologie), d.h. eine Wissenschaft, die Gott und seine Offenbarung reflektiert, wobei die Gewinnung der Grundüberzeugung von der Gottessohnschaft Christi Voraussetzung ist. Das betraf u.a. auch die Frage, wie es zu verstehen sei, daß Christus zugleich Gottes Sohn und Mensch sein kann, ein Problem, an dessen Lösung die Theologie über vier Jahrhunderte gearbeitet hatte. Die theologische Aufarbeitung, wie zu verstehen sei, daß Gott Mensch werden könne - ewiger Gott und zugleich wahrer Mensch -, d.h. wie sich der Ewige und Absolute in die Zeitlichkeit und die Ohnmacht eines Kindes versetzen könne, löste eine länger anhaltende theologische Diskussion aus. Diese wurde erst in der Lehre von der hypostatischen Union, wonach Christus zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch sei, daß also göttliche und menschliche Natur in der Person (Hypostase) Christi verbunden seien, auf den Konzilien von Ephesos (431), von Chalcedon (451) und dem 2. Konzil von Konstantinopel (553) beendet. Cyrill von Alexandrien schrieb im Jahre 431 in der Verteidigung seiner 12 Kapitel gegen Theodoret von Cyrus: "Es erfolgt die Einigung nach der Hypostasis, wobei der Ausdruck nach der Hypostasis nichts anderes bedeutet als nur dies, daß die Natur oder Hypostasis des Logos, d.h. der Logos selbst, mit seiner menschlichen Natur wahrhaft geeint wird ohne jede Veränderung und Vermischung und … als Ein-Christus gedacht wird und es auch ist, derselbe Gott und Mensch."
Schauen wir einmal auf den Islam. Dort gibt es den Koran, aufgeschrieben von dem Propheten Mohammed. Der Koran gilt den Muslimen als (unhinterfragbares) Wort Allahs, total autoritativ, wobei es verboten ist, diese angebliche Offenbarungsschrift kritisch zu hinterfragen. Das gleiche gilt für den Propheten Mohammed. Wo der Koran keine Auskunft mehr liefert, wird die Sunna, das Regelwerk befragt, in der die Handlungsweise des Propheten beschrieben wird, welche dann auch für die Muslime bindend ist. Eine eigentliche Theologie findet im Islam selbst nicht statt. Diese Aufgabe haben westliche Theologen, Philologen und Religionsphilosophen übernommen. Den Imamen geht es nur noch um Exegese.
Im Zusammenhang mit den Greueltaten, die vom IS begangen werden, wurde der Vorschlag gemacht, doch den Islam auf den Teil zu begrenzen, in dem von Allahs Barmherzigkeit gesprochen wird, und sich von den Passagen zu trennen, in denen zur Tötung der Ungläubigen, u.a. der Christen, aufgerufen wird. Man muß dazu sagen, daß eine solche Ausgliederung der Textstellen, auf die sich der IS beruft – der Chef dieser Truppe ist promovierter Islam-Theologe – nicht stattfinden wird, ja nicht stattfinden kann, wenn sich der Islam nicht selbst aufgeben wollte. Und dafür gibt es im Gegensatz zum Christentum, welches sich über weite Strecken schon aufgegeben hat, keine Anzeichen. Denn eine solche Ausgliederung würde bedeuten, sich zum Richter über Allahs Wortzu erheben, sich über Allah zu stellen.
Wenn es eine Veränderung für die Muslime geben soll, dann könnte das nur über eine Konversion (zum Christentum) geschehen. Aber man muß nur einen Blick auf diese teilweise fanatisierten Menschen werfen, um zu sehen, daß das höchstwahrscheinlich nicht passieren wird.
Viele dieser Islam-Gesundbeter behaupten (wider besseres Wissen), die Tötungsaufrufe hätten mit dem Islam nichts zu tun, er sei friedfertig durch und durch. Einmal abgesehen davon, daß ein Blick in den Orient zeigt, wie das Blut zwischen Schiiten und Sunniten nur so dahinrauscht, wird das Lesen des Koran verdeutlichen, daß beide Tendenzen – Barmherzigkeit, Aufforderung zum Töten – nebeneinander bestehen und gleichermaßen den Muslimen als Wort Allahs gelten.
Um noch einmal auf die Kritik bzw. deren Berechtigung an den Beschlüssen des II. Vatikanums einzugehen: Sie stimmen prinzipiell nicht überein mit den Aussagen Christi und dann mit den Glaubensfixierungen, die durch das ordentliche Lehramt der Kirche getroffen wurden. Deshalb werden sie als falsch, häretisch deklariert. Darum kann man sich auf diejenigen, die diese Beschlüsse vorgelegt bzw. die ihnen zugestimmt haben, nicht als authentische Autoritäten berufen. Für sie gilt nicht: „Wer euch hört, hört mich.“ Wie könnte es anders sein, wenn diese Reformer es leugnen, daß die kath. Kirche die Kirche Christi ist (est), daß sie also identisch mit Christi Stiftung ist, wo diese Reform-Theologen ihr noch zugestehen, daß sie – die kath. Kirche – nur noch an der Kirche Christi teilhat (subsistit in). Das würde bedeuten, daß neben der kath. Kirche eine Vielzahl von „Kirchen“ gleichberechtigt existieren oder sogar noch entstehen könnten. Und das widerspricht offenkundig dem Willen Christi, der sich an Petrus wendet: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche (ecclesiam meam) bauen. Und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“ (Matth. 16,18) |