„Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ (Matth. 5, 8)
Am Ende meiner Abhandlung „Die Frage bleibt: Ist Jesus Christus der Sohn Gottes?“ (EINSICHT 3/44, S. 69 ff.) habe ich mein weiteres Vorgehen abgesteckt: „Es bleibt also die Frage zu beantworten, welches Handeln Christi unverwechselbar diesem absoluten Anspruch genügt.“ Gemeint ist, welches Handeln Jesu Christi ihn als Sohn Gottes, als Gott ausweist.
Wir können einer Antwort auf religiöser Ebene näher kommen, wenn wir uns zunächst den 1. Brief des hl. Johannes zuwenden: „Carissimi, diligamus nos invicem: quia caritas ex Deo est. Et omnis, qui diligit, ex Deo natus est, et cognoscit Deum. Qui non diligit, non novit Deum: quoniam Deus caritas est.“ – „Geliebteste! Laßt uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht, denn Gott ist die Liebe.“ (1 Joh. 4, 7-8) Will ich - glaubensmäßig! – einen Zugang zu Gott haben, dann ist der Besitz, besser: das stetige Aktualisieren, das Innewohnen der Liebe die Bedingung jeder Gotteserkenntnis, jedes Zugangs zu Ihm. Fehlte darum die Liebe, fehlte auch der Zugang zu Gott.
Auf die Frage, woher diese Liebe kommt, wer uns diese Liebe schenkte, sagt Johannes: „Deus caritas est“ – „Gott ist die Liebe.“ Also muß Gott sie uns schenken, damit sie in uns ist. Das gleiche fordert auch der hl. Bernhard in seiner mystischen Schau: „Die Liebe Gottes gebiert die Liebe der Seele. Gott richtet als erster seine Aufmerksamkeit auf die Seele, und dadurch wird sie auf ihn aufmerksam. Er sorgt sich um sie, und sie fängt dadurch an, sich um ihn zu sorgen.“ (hl. Bernhard von Clairvaux, *1091 + 1153)
Wenn also die Liebe das Kriterium der Gotteserkenntnis ist, die Erfahrung einer moralischen Unbedingtheit, die in der Person Christi verkörpert wurde, dann erhebt sich die Frage, wie diese Liebe beschaffen sein muß und warum Petrus Christus antworten konnte: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Matth. 16, 16) Unter der Voraussetzung, daß ich die Aussage von seiten des Glaubens („Deus caritas est.“) annehme, kann man feststellen: Für die Zeitgenossen Jesu, die mit ihm verkehrten, besonders die Apostel und Jünger, die ständig um ihn waren, war die Erfahrung seiner Liebe dauernd gegeben, durch unmittelbares Agieren Christi mit und in seiner Umgebung und den ständigen Aufforderungen, sich ihm in der Liebe anzuschließen. Aber – und da fängt das erste Problem an, an dessen Beantwortung wir arbeiten – wie soll und muß eine Vermittlung der Liebe, die von Christus her kommen muß, aussehen zu Personen, die nicht seine Zeitgenossen, d.h. Personen sind, die nicht den Vorzug seines ständigen Kontaktes hatten, die also die Unmittelbarkeit seiner (göttlichen) Liebe nie genießen können und konnten?
Zum andern muß gefragt werden, wo ich die Kriterien entdecken kann, die wir an ein absolutes und unbedingtes Handeln, das sich als göttlich ausweisen muß, gestellt haben. Um noch einmal zur religiösen Sicht des Problems der vermittelten Vermittlung, d.h. der Erfahrung von Christi Willensintention für Personen, die nicht unmittelbar mit ihm in Beziehung standen, zurückzukehren. Die Zisterzienser-Mystiker hatten stets auf die Liebe als Geschenk des Hl. Geistes hingewiesen, weswegen der Hl. Geist das Bindeglied darstellt, damit „die Seele [das Ich] mit Gott vereint und das geistliche Leben zu einer Teilnahme am göttlichen Leben gemach wirdt“. (vgl. Stefan Gilson: „Die Mystik des heiligen Bernhard von Clairvaux“ Wittlich 1936, S. 50) Der hl. Johannes formuliert diese Vermittlerrolle des Hl. Geistes so: „Daran erkennen wir, daß wir in ihm bleiben und er in uns, weil er von seinem Geiste uns gegeben hat.“ (1 Joh. 4, 13) Dieses Leben der Liebe in uns, welche ein Geschenk des Hl. Geistes ist und uns zur eigentlichen Gotteserkenntnis befähigt, „ist für uns auch der Ersatz der uns noch fehlenden Gottesschau. Niemand hat Gott gesehen, aber wenn die Liebe in uns ist, bleibt Gott in uns – sie ist ja das Geschenk Gottes – und damit ist unsere Liebe zu ihm vollkommen.“ (Gilson, a.a.O., S. 51) Mit den Worten des hl. Johannes: „Gott hat niemand je gesehen. Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und die Liebe zu ihm ist in uns vollendet.“ (1 Joh. 4, 12) „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1 Joh. 4, 16) Das Erleben der reinen Liebe ist nach Bernhard wesentlich eine mystische Erfahrung, ein „excessus“, eine Verzückung von kurzer Dauer. „In ihr bleibt die Seele des Mystikers nur solange als Gott sie durch außergewöhnliche Gnaden mit sich vereint.“ (Gilson, a.a.O., S. 194)
Soweit die Betrachtungen, die uns den Zugang zu Gott von der religiös-glaubensmäßigen Seite aufzeigen. Wir haben von der philosophischen Seite her zu klären, wie diese Vermittlung der Liebe, die hier als Geschenk des Hl. Geistes beschrieben wird, zum einen im erkenntnis-theoretischen Sinne zu verstehen ist , und zum anderen wie diese Liebe in sich so aufleuchten muß, daß ich in ihr die Göttlichkeit ihres Urhebers erkennen kann.
Wir haben gesagt: In aller Tradition des Willens und der Lehre Christi muß ein Moment enthalten sein, was das bloße Tradieren übersteigt und wodurch er sich unmittelbar als er selbst zeigt und bezeugt, so wie er will und so will, wie er sich zeigt: die Identifikation von Erscheinen und Sein (Sein als absoluter, unbedingter Wille). Damit ist das, was Bernhard von der mystischen Erfahrung Gottes aussagt, die dieser durch außergewöhnliche Gnaden schenkt, hier als philosophische Bedingung der Gotteserkenntnis ausgewiesen. Diesen Willen Christi, der sich uns in seinem absoluten Charakter offenbaren muß, haben wir als Liebe ausgewiesen. Gott ist der Liebende, der den Liebesbund mit mir will.
Christus als Gott-Mensch hat den Liebesbund mit den Menschen gestiftet, der seinem Willen gemäß alle umfassen soll, in den aber nur jene eingeschlossen werden, die in ihn auch eingeschlossen werden wollen. Diejenigen, die diesen Liebesbund verschmähen, haben auch keinen Anteil an ihm. Wie vollzieht sich nun diese Weitergabe seiner Liebe, seiner Intention? Sie vollzieht sich in der interpersonalen Vermittlung der Liebe, die uns aufruft, sich mit ihr zu verbinden, um sie dann weiterzugeben an Personen, die ich aufrufe, sich in dies begonnene Liebesband mit einzuflechten, und durch die Weitergabe seines „Wortes“ (Lehre) in der Schrift (Bibel), die sein Handeln bezeugt und beschreibt. Dadurch entsteht durch die Zeit, durch die Jahrhunderte eine Kette der Liebe und der Weitergabe des „Wortes“ durch die Kirche, d.i. die von ihm gegründete Heilsanstalt zur Weitergabe seiner Gnadenmittel (Sakramente), die uns unmittelbar Anteil schenken an seinem göttlichen Leben, und die Er zur Hüterin seines „Wortes“ bestimmt hat. In und durch diese Liebeskette müssen wir erfahren, daß ihr Urheber, Christus, in seiner Unmittelbarkeit mitaufleuchtet... in dem Sinne, daß dieses Sich-zeigen von seiten Christi Erkenntnisbedingung seiner Göttlichkeit ist.
Ich bekomme dadurch Gewißheit von seiner Göttlichkeit, wenn ich in diesem Öffnen Christi mir gegenüber – also in einem Akt göttlicher Gnade – von meiner Seite: durch ein „reines Herz“, das ohne Argwohn und Vorbehalte sein Auge auf Gott richtet, erfahre, ohne mein eigenes Dazutun!, daß seine Liebe mich unbedingt umfassen will, mich in meiner ganzen Existenz annimmt, mir auch die Möglichkeit gibt, mich wieder „rein zu waschen“, wenn ich (durch Sünde) beschmutzt war, indem er für mich (am Kreuz) gesühnt hat und mich auffordert, sie in und nach seinem Willen umzugestalten, wobei diese Umgestaltung bzw. Durchgestaltung keineswegs als Fremdbestimmung erscheint, sondern als Aufgabe, in der ich mich selbst wiederfinde – was nach Bernhard „einem Zerren in die Höhe“ gleichkommt. Angesichts dieses totalen Liebeswillens, der sich von Christus auf mich zubewegt mit der Aufforderung, sich in ihn einzuschließen, damit eine Einheit von göttlichem und menschlichem Wollen entsteht, damit ich auch an der Frucht dieser Liebesbindung teilhaben kann, diese Unbedingtheit der Liebe, die sich für mich aufopfert sagt mir, daß Christus Gott ist.
Die vom hl. Bernhard in mystischer Schau gewonnene Vereinigung in und mit Christus erweist sich zugleich als der Endpunkt einer erkenntnistheoretischen Bemühung, Christus als Gott zu erfahren, weil die entscheidende Sicht, die wir erreichen können, erst dann eintritt, wenn sich unserem erkenntnistheoretischen Bemühen auf der einen Seite das "Gesicht Christi" von seiner Seite offenbart, unverwechselbar!
So ist dann auch das Wort im Evangelium des Matthäus zu verstehen, was Christus in der Bergpredigt denen verheißt, die ihn vorbehaltlos lieben: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ (Matth. 5, 8) (EINSICHT vom Dez. 2014, Nr. 4, S. 106-108)
*** Anmerkungen zur Abhandlung „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ (Matth. 5, 8)
Nach Überdenken meiner (philosophisch ausgerichteten) Abhandlung zum
Problem der Gotteserkenntnis bin ich auf eine erhellende Parallele im
religiösen Bereich aufmerksam geworden. Wir hatten gesagt (EINSICHT
4/44, S. 107): "In aller Tradition des Willens und der Lehre Christi muß
ein Moment enthalten sein, was das bloße Tradieren über-steigt und
wodurch er sich [der Wille] unmittelbar als er selbst zeigt und bezeugt,
so wie er will und so will, wie er sich zeigt: die Identifikation von
Erscheinen und Sein (Sein als absoluter, unbedingter Wille)." Als
Bedingung der Gotteserkenntnis - nicht in prinzipieller Hinsicht,
sondern im Bereich konkreter Offenbarung - hatten wir die (absolute)
Liebe ausgemacht. "Wenn also die Liebe das Kriterium der
Gotteserkenntnis ist, die Erfahrung einer moralischen Unbedingtheit, die
in der Person Christi verkörpert wurde, dann er-hebt sich die Frage,
wie diese Liebe beschaffen sein muß und warum Petrus Christus antworten
konnte: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Matth.
16, 16)
Ich bekomme also dadurch Gewißheit von seiner
Göttlichkeit, "wenn ich in diesem Öffnen Christi mir gegenüber [seinem
Sich-Offenbaren] – also in einem Akt göttlicher Gnade – (…) erfahre (…),
daß seine Liebe mich unbedingt umfassen will".
Dieses Moment der
Sich-Bezeugung durch Selbst-Offenbarung, welches wir als
erkenntnistheoretisches Moment ausgewiesen hatten, also auf dem Weg
philosophischer Reflexion, erfährt eine umfassende Bestätigung im Text
des Matthäus-Evangeliums. Denn als Christus die Frage an seine Jünger
stellt: "Für wen halten die Leute den Menschensohn?" (Matth. 16,13)
gaben ihm die Jünger zur Antwort: "Einige für Johannes, den Täufer,
andere für Elias, andere für den Jeremias oder für einen von den
Propheten." (Matth. 16,14) Auf die Nachfrage Christi, für wen aber sie -
die Jünger - ihn halten, gibt Petrus die bemerkenswerte Antwort: „Du
bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Matth. 16, 16)
Worauf Christus auch erklärt, weswegen Petrus zu dieser Erkenntnis
kommt: "Denn nicht Fleisch und Blut hat dir das geoffenbart, sondern mein
Vater, der im Himmel ist." (Matt. 16,17)
Mir ist im Nachhinein
bewußt geworden, hier erfährt die postulatorische Bedingung in
philosophischer Hinsicht ihre Bestätigung seitens der
Offenbarungsschrift, dem Evangelium des hl. Matthäus, in dem Christus
diese Unmittelbarkeit der Sich-Offenbarung Gottes gegenüber Petrus
bezeugt, damit er diese Erkenntnis auch aussprechen kann. Ohne das
unmittelbare Einwirken Gottes hätte Petrus diese Aussage nicht machen
können.
Diese Art des Sich-Bezeugens kennen wir auch aus
einfacheren Erkenntnisprozessen. Ich kann z.B. mein Auge auf Gegenstände
richten. Wenn sich aber dieser Gegenstand nicht (von sich) in einer
gewissen Farbe - z.B. rot - zeigt, sehe ich auch kein Rot, denn ich kann
mein Sehen nicht einfach manipulieren. Ich kann mein Sehen zwar sehr
aufmerksam gestalten, aber ich bin darauf angewiesen, daß er – der
Gegenstand - sich in der Farbe Rot präsentiert. Im Bereich der
Interpersonalität muß die andere Person sich mir auch als fremdes Ich in
seiner Freiheit zeigen. Dieses Erkenntnis-Schema auf Gott bezogen
bedeutet, daß ich, will ich Ihn erkennen, auf sein Sich-Zeigen
(Sich-Bezeugen) angewiesen bin.
Warum führe ich diesen Gedanken
so ausführlich aus? Im Lauf der Jahre, in denen ich mich neben einer
Reihe von anderen Tätigkeiten auch für die Bewahrung des Glaubens an
Jesus Christus als Sohn Gottes eingesetzt habe, der die Kirche als
Heilsinstitution gegründet hat, habe ich häufig erlebt, daß der Glaube
gleichsam nur als moralisches Regelwerk angesehen wird, welches in sich
stimmig ist. Der Glaube an den lebendigen Gott, an Jesus Christus, den
Mensch gewordenen Gottes-Sohn, mit dem ich mich interpersonal verbinden
kann, auch wenn mir sein personales Sein in der äußeren Anschauung
verborgen bleibt, ist diesem Personenkreis verborgen geblieben. Der
Glaube bleibt so auf ein theologisches System beschränkt. Und es kommt
nicht von ungefähr, daß anstatt der Liebe die Arroganz vorherrscht, die
sich damit begnügt, das System zu reproduzieren.
Der Glaube -
und das sollte klar sein - ist hauptsächlich ein Geschenk der Gnade
Gottes, welches ich mir aber durch mein Mitwirken an- und zueignen kann. (EINSICHT vom Febr. 2015, Nr. 1, S. 12 f.)
***
"Wir alle aber, die wir mit unverhülltem Angesicht den Glanz des Herrn widerspiegeln, werden zum selben Bild umgeformt von Glanz zu Glanz, wie er ausgeht vom Herrn, vom Geist." (2 Kor. 3,18)
Am Schluß des Kapitels „Selig, die reinen Herzens sind...“ hatte ich behauptet: „Ich bekomme dadurch Gewißheit von seiner [Christi] Göttlichkeit, wenn ich in diesem Öffnen Christi mir gegenüber – also in einem Akt göttlicher Gnade – von meiner Seite: durch ein reines Herz, das ohne Argwohn und Vorbehalte sein Auge auf Gott richtet, erfahre, ohne mein eigenes Dazutun!, daß seine Liebe mich unbedingt umfassen will, mich in meiner ganzen Existenz annimmt (...) – was nach Bernhard „einem Zerren in die Höhe“ gleichkommt. Angesichts dieses totalen Liebeswillens, der sich von Christus auf mich zubewegt mit der Aufforderung, sich in ihn einzuschließen, damit eine Einheit von göttlichem und menschlichem Wollen entsteht, damit ich auch an der Frucht dieser Liebesbindung teilhaben kann, diese Unbedingtheit der Liebe, die sich für mich aufopfert, sagt mir, daß Christus Gott ist.“
Wenn ich diese Erkenntnis erlangt habe, welche Auswirkungen ergeben sich bzw. können sich für mein (religiöses) Leben ergeben? Was kann sie für mich bedeuten? Was habe ich damit gewonnen? - Sie gewährt uns die Einsicht in sein absolutes Sein, - die Erkenntnis der Legitimität all seiner Forderungen, - die Einsicht in den Sinn und Zweck Seiner Gründung, der Kirche als Heilsinstitution.
Die Einsicht in sein absolutes Sein heißt die Erkenntnis der absoluten Gültigkeit Seiner Liebe, die bestimmend ist für alles Handeln. Ich gewinne eine feste Glaubensüberzeugung, d.i. Sicherheit in meiner Haltung: Ich vollziehe einen Aufstieg aus dem bloß traditionalistischen Ansatz meiner Glaubensposition, die auf einem Vertrauen gegenüber dem Vermittler dieses Glaubensgutes beruhte, zu einer unerschütterlichen Gewißheit. Ich glaube nicht nur, ich weiß, daß mein Glauben auf einem festen Fundament steht. Deswegen scheiden andere „Götter“, d.i. andere Religionen als gleichberechtigt aus. Sie haben kein Recht auf Akzeptanz. Wenn Christus Gott bzw. Gottes Sohn ist, kann es nicht der mohammedanische Allah sein; wenn Christus als Messias gekommen ist, warten die modernen Juden vergeblich auf sein Kommen. Da gibt es keine Gemeinsamkeiten und auch keinen Grund zum Dialog. Und es wird auch transparent, warum die angemaßten Führer, die vorgeben, die christliche Religion zu vertreten, die aber nicht daran glauben, daß Christus Gottes Sohn ist (wie einst Arius im 4. Jahrhundert) oder durch die Akzeptanz anderer Bekenntnisse oder/und Religionen diesen Glauben in verschiedenen Abstufungen relativieren, Christus verraten. Es dürfte aber auch klar sein, daß wir die, die Gott suchen, in Hoffnung annehmen und Geduld mit ihnen haben müssen, weil der Weg zu Gott kein einfacher ist, und wir müssen sie frei lassen, damit sie sich frei entscheiden.
Die Liebe Gottes offenbart sich uns, sie zeigt sich uns als absoluter Wert und fordert uns auf, in sie einzustimmen, d.h. mit Gott in ein Bündnisverhältnis einzutreten. Damit wird klar, was Gott von uns will und warum er uns geschaffen hat, warum er aus seiner trinitarischen Seinsweise herausgetreten ist. Hier erschließt sich uns der absolute Sinn der Schöpfung. Er, der absolut für sich, in sich, aus sich ist, verläßt diese Geschlossenheit, um sich uns zu zeigen, mit uns zu leben. Hier wird auch die vom hl. Anselm gestellte Frage „Cur Deus homo?“ (Warum Gott Mensch geworden ist) beantwortet. Diese Liebe Gottes steigert sich zur Überliebe, zur Sühneliebe, weil sie bereit ist, sich für uns aufzuopfern, um uns, wenn wir gefehlt haben, die Möglichkeit zu eröffnen, wieder mit Ihm in einen Bund einzutreten. Gott verwirft nicht, sondern bietet gleichsam dem Menschen eine „zweite Chance“. Darum kann sich das Vertrauen in Gott aufbauen, denn er erweist sich als treu und barmherzig.
Hier gewinne ich die Einsicht und die Transparenz in die Heilsgeschichte. Gott schafft den Menschen, um ihn an Seinem Leben (= Liebe) teilnehmen zu lassen. Er nimmt den Menschen in seiner Freiheit radikal ernst, weil das, zu was er sich entscheiden soll, das „Leben“ (Liebe in Gott) ist. Sie stellt sich dar als ein Ansprechen seitens Gottes und der Antwort seitens des Menschen. Dieses Aufrufen und Antworten vollzieht sich in der Zeit in einer interpersonalen Beziehung, in einem Prozeß, der einen realen Anfang voraussetzt, der zeitlich fixiert sein muß, d.h. es eröffnet sich die Dimension einer historischen Existenz Christi; denn die Liebe Christi hat uns konkret betroffen. Sie ist kein theoretisches Konstrukt. Damit stellt sich dann auch die Frage nach seinem irdischen Leben und den Quellen, die diese Existenz belegen bzw. beschreiben: Schrift und Tradition, wobei hier unter Tradition alle Manifestationen gemeint sind, in denen sich Christi Willen geäußert hat. Diese Manifestationen reichen bis in die Liturgie.
Das Heilsgeschehen wird einsichtig, weil sich in allen Äußerungen und Handlungen Gottes sein ursprünglicher Wille darstellt. Deswegen können auch die Antworten, die wir geben, aus sich heraus die Heilligkeit von Christi Willen beinhalten. Die Antwort bleibt immer frei. Hier aber ist die höchste Stufe erreicht, auf der die Freiheit Stellung nehmen muß, wo sie den göttlichen Funken in sich aufleuchten lassen kann, wenn sie sich Gott öffnet; mit den Worten des hl. Paulus: "Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." (2 Kor. 3,17) Die Liebe, die mich auffordert, sie weiterzugeben, wird so zum Motor der Gestaltung und Umgestaltung meines Lebens: Die Probleme bleiben, aber ihre Lösung speist sich aus der Gewißheit, daß sie mitgetragen ist im göttlichen Heilswillen: „Omnia vincit amor“. (Vergil, 10. Ekloge: Bucolica 10, 69) („Alles besiegt die Liebe“). Diese Aufforderung an die Freiheit ist ursprünglich, hier wird sie auch mit allen Konsequenzen in die Verantwortung genommen. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit einer Heilsgeschichte, aber ebenso die einer Unheilsgeschichte, wenn der Mensch auf Gottes Anruf ablehnend reagiert, wo nicht Liebe im Spiel ist, sondern Haß. Diese Situation bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit, denn es ist durch den Haß folgendes Problem eingetreten: Es ist etwas willentlich geschehen, was nicht sein sollte. Wie ist es möglich, dieses Nicht-Soll aufzuheben, sein Sein zu eliminieren? Denn das Nicht-Soll soll nicht sein. Hier greift die Idee der Satisfaktion, der Wiedergutmachung, der Sühne durch Christi Opfer.
Vom Aspekt einer Heilsgeschichte gewinne ich auch Einsicht in das Problem, daß Gott Abraham aufforderte, seinen Sohn zu opfern. Wie kann es eigentlich Gott sein, der von Abraham verlangt, seinen Sohn zu töten? Ist das nicht ein Mordauftrag? Diese Aufforderung kann nur so gerechtfertigt werden, daß Gott Abrahams Willen zum Opfern – wobei dieses Opfer im jüdischen Sinne auch als Selbstopfer verstanden werden kann, denn Abraham würde durch die Opferung seines Sohnes die Linie der Heilsverheißung unterbrechen – nur testen will. Denn Gott wollte von der Seite des Menschen den Willen zu opfern sehen, da Er ja selbst seinen Sohn opfert (am Kreuz), um die Menschen zu erlösen. Gott will also nur die Einstimmung des Menschen, sein Mitwirken an Seinem Opfer, in dem der Sohn den Willen des Vaters in Gehorsam vollzieht. Ähnliches gilt für seine Menschwerdung, wo Maria, die ohne Erbsünde empfangen ist, ihre Bereitschaft erklärt, die Magd des Herrn zu sein.
Um im Sinne der Heilsgeschichte weiter fortzufahren. Christus hat die Vollmacht und die Verantwortung für seine Gründung, die Kirche als eine Institution der Heilsvermittlung, vor seiner Himmelfahrt Menschen anvertraut, die ihm ihre verantwortende Garantie in der Bestätigung gaben, daß sie Ihn – Christus – lieben. Ich verweise nur auf die Frage Christi an Petrus „liebst Du mich?“, um ihm dann die Leitung seiner Kirche anzuvertrauen. Auch hier wird der Sinn dieser Gründung völlig klar. Wenn Gott die Liebe ist, dann hat er in den Gnadenmitteln (den Sakramenten), die diese Kirche verwalten und vermitteln soll – durch die Weitergabe seiner eingestifteten Vollmachten durch die Zeit hindurch durch deren Weitergabe an andere Personen (Sukzession) – den Gläubigen die Möglichkeit eröffnet, an Seinem absoluten Leben unmittelbar Anteil zu nehmen, am innigsten in der Eucharistie.
Da er – und nur er – sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh. 14,6), ist es absolut unverständlich, daß die (angemaßte) Führung der (Reform)Kirche von Ihm abgefallen ist. Es ist in der Tat das „mysterium iniquitatis“, das Geheimnis der Bosheit. Darum sollten wir versuchen, gleichsam zum Reflektor der göttlichen Liebe zu werden, damit das göttliche Feuer, auch als kleines Flämmchen, außen strahlen zu lassen. Der hl. Paulus schreibt: "Wir alle aber, die wir mit unverhülltem Angesicht den Glanz des Herrn widerspiegeln, werden zum selben Bild umgeformt von Glanz zu Glanz, wie er ausgeht vom Herrn, vom Geist." (2 Kor. 3,18)
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