Eine allumfassende moderne Irrlehre: Der Hominismus - die Vergöttlichung des Menschen
von Norbert Dlugai
I. Einführende Vorbemerkungen
Der katholische Glaube, die Religion und die Theologie sind seit Jahrhunderten, besonders aber in der gegenwärtigen postkonziliaren Ära von einer kaum mehr zu übersehenden Vielzahl von Irrlehren unterwandert, ja geradezu verseucht. Unsere Zeit begegnet dem jedoch mit weithin absoluter Gleichgültigkeit bzw. gar offener Toleranz, die das alles als verträglich und sittlich-moralisch akzeptabel erachtet, fern jedem Empfinden von Gottesfurcht und dem daraus hervorbrechenden Gespür für das, was die reine unantastbare (göttliche) Wahrheit darstellt.
Ist letztere somit nicht zum Manipulations- und Beliebigkeitsobjekt o.g. Irrlehren und infolgedessen einem Prozeß der Entwertung und Entwürdigung unterworfen worden? In einem vom "Oratorium von der göttlichen Wahrheit" (Oratorium Divinae Veritatis) veröffentlichten Katechismus werden die heutigen Irrlehren umfassend und verständlich aufgelistet - und eine von diesen wird dem Christen unter der Bezeichnung "Hominismus" vergegenwärtigt und dem menschlichen Urteilen rational-kritisch vermittelt.
Hominismus - ein arglos scheinender Begriff! Aber dahinter verbirgt sich eine Unheilsideologie, deren verheerende Auswirkungen und Konsequenzen nicht gesehen und wahrgenommen werden… und für unsere Gesellschaft als Problem schon seit langem nicht mehr existent ist.
II. Das Wesen des Hominismus - sein Siegeszug in der Gesellschaft und der Kirche
Das Wesen des Hominismus wird in dem angeführten Oratoriums-Katechismus klar definiert: "Der Hominismus ist diejenige Irrlehre, die dem Menschen einen besonders hohen Rang und eine besonders hohe Würde gegenüber Gott einräumt und den Menschen und die Menschlichkeit als Ziel menschlichen Handelns erscheinen läßt. Der Hominismus (von lat. homo = Mensch) ist eine Übersteigerung des Humanismus. In ihm wird dem Menschen Ehre gezollt, als sei er - trotz seiner erbsündlichen Natur - (fast) Gott gleich. Alles muß auf den Menschen als das höchste Ziel ausgerichtet werden."
Es tut sich da eine gewichtige Erkenntnis auf: Die Wesensmerkmale des Hominismus stehen über allem, treffen im Grunde auf alles zu, was seit Jahrhunderten, vornehmlich jedoch in unserer postkonziliaren Gegenwart über die Kirche Jesu Christi an Irrungen, Ideologien und Doktrinen der Zerstörung und dgl. hereingebrochen ist - somit das Antlitz und die göttliche, durch das messianische Erlösungswirken Christi geprägte Wesensstruktur der Kirche entstellt hat. - Wenn z.B. der heilige Papst Pius X.in seiner berühmten Antimodernisten-Enzyklika „Pascendi Dominici Gregis“ vom 8.9.1907 den Modernismus als das „Sammelbecken aller Häresien“ bezeichnet, so sind wiederum diese Häresien allesamt im Grunde vom tödlichen Schatten dessen umhüllt, was man den Hominismus nennt.
Denn der Mensch wurde und wird, wenn nicht offiziell, so doch de facto vergöttlicht, und damit in Bezug auf den einzig wahren Gott theodezentriert. Der Mensch machte sich selbst bzw. erfährt ein Emporgebobenwerden zur Zentralinstanz seines Handelns, ja seiner ganzen existentiellen Lebenswirklichkeit, wobei Gott allenfalls noch eine Funktion eines alles absegnenden Erfüllungsgehilfen menschlicher Ambitionen zugestanden wird. Jedoch, wie gesagt, alles mit der Maßgabe der Verlagerung des Levels einer uneingeschränkten Gotthinwendung zu dem hin, was mit dem Menschen, der Menschlichkeit, der (alleinigen) menschlichen Ehre und Würde als höchste konstitutive Zielsetzungen konform geht.
Der Hominismus spielt nach allem zweifellos seit Jahrhunderten eine stets beängstigender werdende Rolle innerhalb der Gesellschaft und der Kirche. Durch letztere erfuhr schließlich im Konzil und in der Nachkonzilszeit das System der Menschenverherrlichung gleichsam höhepunktmäßig die spirituelle Sanktionierung und mit der anschließenden Promulgierung z.B. in „Gaudium et Spes“. In der Tat, der erbsündige Mensch ist im Begriff, sich den nur Gott und dem von ihm ausgehenden Heiligen Geist gebührenden Thron anzueignen.
Denn der Mensch ist, ob bewußt oder unbewußt, Opfer des Vergessens dessen gewor-den, was P. Gerhard Hermes in seinem Buch „Herrlichkeit der Gnade“ mit markigen Worten in - das Gewissen aufrüttelnder Weise - Erinnerung bringt, wenn er schreibt: „Es gibt das Böse, das furchtbare wahrhaftige Böse - gegen die Beschwichtigungen einer alles verstehenden sich selbst gar über das Gericht Gottes setzenden Güte - muß das gerade heute hart und deutlich gesagt werden. Es gibt das Böse, das aus dem Reich der Geister herüberwest ins Land der Menschen, das mysterium iniquitatis. Das Böse ist nicht ein gelegentlicher, kaum zu vermeidender Betriebsunfall auf dem Weg der Evolution, sondern ein die ganze Welt und Geschichte anwehender Eishauch vom Pol der ewigen Verneinung, ewigen Hasses, ewiger Zerstörungswut (...). Und der Mensch hat die schreckliche Freiheit, sich von Gott abzuwenden und sich dem Bösen zuzuneigen" (S. 52/54).
III. Beispiele für die unterminierende und zerstörerische Macht des Hominismus
Mit Blick auf die unverkennbare Progredienz des Hominismus in der vom Konzilsgeist beherrschten kirchlichen Gegenwart im besonderen, mögen insoweit zunächst den radikalen aggiornamentalen Wandel transparent machende Beispiele angeführt werden. Denn die Initialzündung für den damit in stärkere Bewegung gebrachten, sich mehr und mehr übersteigernden Hominismus ging eindeutig vom II. Vatikanischen Konzil aus. So wird z.B. in der Konzils-Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ einem (Fast) Gottgleichsein des Menschen trotz seiner erbsündebehafteten Natur das Wort geredet, wenn es u.a. heißt: "Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und der Nichtgläubigen, daß alles auf Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hinzuordnen ist (...) Christus stärkt die Bestrebungen, durch die die Menschheitsfamilie sich bemüht, ihr eigenes Leben humaner zu gestalten und die ganze Erde diesem Ziel dienstbar zu machen" (GS Nr. 12,1 u. Nr. 38,1).
Bei einer anderen Gelegenheit äußerte sich Paul VI. in Ansprachen vom 7.12.1965 und 21.7.1969 wie folgt: „Auch wir, und wir mehr als alle, sind Verehrer des Menschen". Und dann diese Huldigung: "Ehre sei Gott! Und Ehre sei euch, ihr Urheber der großen Weltraumtat! Ehre sei den verantwortlichen Männern, den Forschern, den Erfindern, den Organisatoren, den Technikern! Ehre sei all denen, die diesen unvergleichlich kühnen Flug möglich gemacht haben! Euch allen sei Ehre, die ihr in irgendeiner Weise beteiligt seid! Ehre sei euch, die ihr, hinter euren wundervollen Geräten sitzend, die Anweisungen gebt, und euch, die ihr der Welt die Tat und die Stunde bekannt macht, welche die weise und kühne Herrschaft des Menschen bis auf die Tiefen des Himmels ausgedehnt hat!“ - Wahrhaftig, das ist Hominismus auf einem hohen Niveau ohnegleichen!
Nicht weniger enthusiastisch in Richtung Hominismus lehrte Johannes Paul II. in seinen Enzykliken „Redemptor Hominis“ vom 4.3.1979 und in „Dominum et Vivificantem“ vom 18.5.1986, dem Zeitgeist gerecht werdend, u.a. folgendes: "Das tiefe Staunen über den Wert und die Würde des Menschen nennt sich Evangelium, frohe Botschaft. Der Mensch in der vollen Wahrheit seiner Existenz (...) ist der erste und grundlegende Weg der Kirche. Auf diesem Weg wird die Welt, die des göttlichen Geschenkes teilhaftig geworden ist, immer menschlicher, und so immer tiefer menschlich".
Es dürften schon diese vorerwähnten Beispiele als ur-typisch anzusehen sein für die alles Existentielle erfassende Umwertung aller Werte im Verhältnis Gott und Mensch – das ist in einer immer tiefer werdenden Kluft zu Gott. Für eine Kirche aber und den mit ihr verbundenen Gläubigen, welche dem sich hier offensichtlich gewordenen hoministischen Irrwahn mit Ignoranz und Gleichgültigkeit begegnen, wird dieser Weg ein Weg des Verderbens.
Hier kommt zum Ausdruck, daß die nicht infrage zu stellende schöpschungsmäßige Abhängigkeitsbeziehung des Menschen von Gott - trotz seiner göttlichen Ebenbildhaftigkeit und trotz seiner Berufung zur Teilhabe am einst vollendeten Gottesreich - den Menschen (folgerichtig) auf Erden zum „Knecht“ werden läßt, der stets der Schuldner Gottes ist und bleibt.
Deshalb begibt sich die Kirche und mit ihr der Christ blindlings in ein Verhängnis, wenn man die Stellung des Christenmenschen Gott gegenüber, sofern man ihn noch ernst nimmt, als eine Art brüderlicher Partnerschaft betrachtet, und so die Beziehung zu Gott bedenkenlos einer entsprechenden Umdeutung unterzieht.
Der Mensch ist „Knecht Gottes“ (im richtig verstandenen Sinne): Dem liegen die klaren unzweideutigen eigenen Worte Jesu Christi zugrunde, wenn er in Lk. 17,10 zu seinen Jüngern und damit zu allen Christen sagt: „Ihr sollt, wenn ihr alles getan habt, was man euch aufgetragen hat, denken: Wir sind geringe (unnütze) Knechte, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan". Wer diesen Mahnworten Christi seine uneinsichtige Selbstsüchtigkeit entgegensetzt, wie Christus uns warnt, "sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden" (Matt. 23,12).
So gewinnt etwa in diesem Zusammenhang die Psalmstelle 9,20 eine echte Bedeutung, zugleich als Wegweisung für den Menschen, wenn es da heißt: "Steh auf, o Herr, damit der Mensch sich nicht überhebt.“ Denn im „Überheben“ des Menschen identifiziert sich der Hominismus in all seinen verführerischen, den Menschen fast gottgleich machen wollenden Facetten und Erscheinungsformen. Zu ihnen zählen die seit undenklichen Zeiten in die Welt gesetzten Ideologien und Lügendoktrinen, welche an den Grundfesten der göttlichen Ordnung rüttelten, indem sie mehr oder weniger offen den Menschen zum Herrn und Herrscher anstelle Gottes machen wollten.
Was die katholische Kirche betrifft, so glaubte sie - was beim II. Vatikanischen Konzil offenkundig wurde - sich den modernen Trends auf ihre Weise nicht verschließen zu dürfen, indem sie im Zuge der allgemeinen weltweiten seinerzeitigen Aufbruchstimmung dem modernen Menschen, religiös gewandet, mit sozial-pastoralen Konzepten dem Zeitgeist zugewendet entgegenkommen wollte. Das Stichwort dazu lautete: „Aggiornamento“.
Hierbei wurde allerdings zwangsläufig in den Hintergrund gedrängt und damit dem Vergessen preisgegeben, was zum Rückgrat von Glauben, Theologie und Dogmatik unabdingbar zählt, nämlich die Gotteskindschaft der Knechte Gottes und das ganze Erlösungsmysterium überhaupt, in das der Mensch hineingenommen ist.
In dem Maße, wie dies geschieht, und d.h. auch, wie die sozial-pastorale Komponente in der Kirche an Bedeutung gewinnt, erwächst, so sieht es zurecht Reinhard Raffalt, die Gefahr, daß „Heerscharen tiefgläubiger, aber kritikloser Menschen von Gott abfallen“. („Der Antichrist“ S. 31)
Und diese Menschen gründen dann vielleicht ihre eigene menschenfreundliche und brüderliche Gott-Mensch-Partnerschafts-Religion, wobei sie sich all dessen entledigen, was den wohlverstandenen Knechtsstatus in Bezug auf Gott betrifft.
Von der so erfolgten hoministischen Glorifizierung des Menschen, der auf jeden Fall Gott auf seiner Seite weiß, ist es nur ein kleiner Schritt dahin, wo der Hominismus als Be-weihräucherung des Menschen seine scheußlichste Fratze zeigt, indem sich das Eben-bild Gottes, und das auf breiter Front, zum Herrn über Leben und Tod aufwirft. Da brennen sich in unser Gedächtnis Namen und Tatsachen des Grauens ein etwa: Millionen Weltkriegstote, Terror und Holocaust-Auschwitz, Dachau, Buchenwald, Archipel Gulag; zerstörte Städte wie Dresden, Hiroshima, Nagasaki u.v.a.m.
IV. Abschließende Gedanken und Überlegungen
Warum ist Gott, der Herr, nicht aufgestanden, um den Menschen an seiner „Selbsterhöhung“ zu hindern? Es ist schon an anderer Stelle betont worden, daß, so P. Gerhard Hermes in seiner bereits erwähnten Abhandlung „Herrlichkeit der Gnade“, die von Gott respektierte Freiheit des Menschen zu einer „schrecklichen Freiheit“ werden kann, wenn der Mensch eigene Wege beschreitet, die zu einer Abwendung von Gott, und da- mit letztlich in die Falle des Bösen führen.
Wenn am Anfang des Kapitels vom „Aufstehen Gottes“ die Rede ist, darf nicht verschwiegen werden, daß ein solches Aufstehen Gottes, der die Freiheit des Menschen achtet, gegen die heutigen bewußten perversen Willensverkehrungen des modernen Menschen wohl so gut wie nichts bewirken würde. Denn der in den vernaturalisierten, ja paganisierten Weltgeist eingetauchte Zeitgenosse will seinen vom Hominismus bestimmten eigenen Weg gehen, und deshalb „weicht er“ wie P. Hermes es sagt, „vor dem alles vom Menschen fordernden Gott zurück“.
Hierzu verweist Hermes auf den Philosophen Josef Pieper, der in seinem Traktat „Über die Hoffnung“ die Situation treffend analysiert, wenn er schreibt: „Er (der Mensch) flieht vor Gott, weil er den Menschen zu einem höheren, göttlichen Sein emporgestaltet und ihn also an einen höheren Maßstab des Sollens gebunden hat, und verfällt so der Ungeheuerlichkeit, daß er überlegt und ausdrücklich den Wunsch hat, Gott möchte ihn nicht erhöhen, sondern in Ruhe lassen".
Und P. G. Hermes fährt fort: „Wie viele Christen haben bereits die Last Gottes abgeworfen und denn auch wirklich den Zustand erreicht, wo sie von Ihm in Ruhe gelassen wer-den, was freilich ein unheilbares Stadium der Krankheit zum Tode anzeigt".
Die hoministischen Irrlehrer aber, die als „Wölfe im Schafspelz“ (Mt. 7,15) den „Knecht“ auf den Weg des zeitlichen und ewigen Verderbens führen, „sprechen sich“, wie Paulus (Tit. 3,11) die Christen lehrt „wegen ihrer Sünde selbst das Urteil“.
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Zitat: „Inneres Beten ist Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, daß er uns liebt.“
Teresa von Avila
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