Keine Chance für die Liebe
Aufklärung: Moderne Sexualpädagogik überschreitet immer mehr Grenzen und verletzt das Schamgefühl der Kinder
von Martin Voigt (aus: JUNGE FREIHEIT Nr. 47/14 vom 14. Nov. 2014)
Wer in Nordrhein-Westfalen zur „Schule der Vielfalt“ gehören will, muß ein Schild anbringen: „Come in. Wir sind offen. Lesbisch, schwul, bi, hetero, trans.“ Pflicht sind auch Aktivitäten gegen Homo- und Transphobie. Komplette Schülerjahrgänge sollen an Aufklärungsworkshops für Akzeptanz und gegen Diskriminierung teilnehmen.
Die Initiatoren der Aktion sind diverse Gruppierungen wie „SchLAu NRW“ oder der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD). Auf der Internetseite des Schulprojekts wird die Vielfalt unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten durch Buntstifte symbolisiert. In roter Farbe steht „lesbisch“ auf weißem Papier und darunter liegt der rote Stift und neben ihm ein oranger Stift und der Schriftzug „schwul“. Mit Gelb, Grün, Blau, Lila für trans und bi geht es weiter. Erst am rechten äußeren Rand steht „hetero“. Geschrieben in brauner Farbe. Zufall – oder eine subtile Zuschreibung, die einiges über das Weltbild derjenigen verrät, die sich für Antidiskriminierung stark machen?
Da insbesondere Schule ein „homophober Ort“ sei, wie es von seiten des LSVD heißt, möchten die Regierungen in Baden-Württemberg und Niedersachsen die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ künftig als Leitperspektive im Schulunterricht verankern. Elterninitiativen befürchten eine Neuausrichtung der Sexualmoral zur Umerziehung und Enthemmung kommender Schülergenerationen. In den Leitperspektiven des Stuttgarter Bildungsplans heißt es, Kinder sollten Informationen über Erscheinungsformen von Vielfalt recherchieren und wertneutral präsentieren. Sie sollen die Perspektive von diversen sexuellen Identitäten annehmen, die prägende Kraft von Rollenerwartungen kritisch hinterfragen und so offenbar eine heterosexuelle Identität mit der Erwartung ihrer Eltern in Verbindung bringen.
Grundlage dieses Vorhabens ist die Gender-Theorie (siehe unten), die zwischen sozialem (Gender) und biologischem Geschlecht (Sex) unterscheidet und die Unterschiede zwischen Mann und Frau ausschließlich als Ergebnis kultureller Prägung deutet. Gender-Identitäten seien frei wählbar, veränderbar und so vielfältig wie die Menschheit selbst, würde sich diese ihrer normativen Zwänge entledigen. Zweifel werden als biologistische oder patriarchalische Ressentiments abgetan. In deutschen Universitäten sind die Gender-Studies mit fast 200 Lehrstühlen verankert.
Auch ohne genaue Kenntnis von Gender-Theorien befürchten viele Eltern, daß sich die fächerübergreifende „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ als Trojanisches Pferd erweisen könnte und in der Schule kein pädagogischer Kontrapunkt zur ohnehin schon stark sexualisierten Lebenswelt vieler Kinder und Jugendlicher gesetzt wird. Anstatt im Sinne der Eltern etwa über Sexualität im Kontext von Liebe, Treue und Verantwortung aufzuklären, sollen Kinder lernen, ihre sexuelle Orientierung zu hinterfragen.
Von Liebe ist keine Rede, von gutem Sex um so mehr
Eltern stehen zunehmend alleine da, wenn sie eine Sexualpädagogik ablehnen, die unter dem Vorwand der Verhütung und Antidiskriminierung alle möglichen Sexualpraktiken in der Klassenöffentlichkeit detailliert vorlegt. Wer mit Schülern über Oral-, Anal- und Gruppensex diskutiert, nimmt die Verletzung ihres Schamgefühls billigend in Kauf. Eine auf Interaktion ausgerichtete Sexualpädagogik plant die Grenzverletzung sogar bewußt ein. Das öffentliche Besprechen sämtlicher Fragen, die Anleitung zu Gruppenarbeiten und Rollenspielen, das gemeinsame Ausprobieren von Kondomen an Holzpenissen oder auch nur das Reden über Sex vor der Klasse findet in einer schulischen Situation statt, der sich die Minderjährigen kaum verweigern können, auch wenn die aktive Teilnahme freiwillig ist. „Ich glaube nicht, daß Jugendliche von sich aus danach verlangen, in der Schulklasse Latex, Lack, Lederpeitsche, Aktfotos, Vaginalkugeln zu ersteigern oder von sich aus den neuen ‘Puff für alle’ zu kreieren und dabei vor der Schulklasse keine sexuellen Präferenzen auszulassen“, sagte die Psychologin und Traumatherapeutin Tabea Freitag dem SWR und bezieht sich damit auf Übungen aus dem Praxisbuch „Sexualpädagogik der Vielfalt“, in dem auch vom Ausdiskutieren verbotener Sexualpraktiken die Rede ist. Da die Scham und Scheu der Jugendlichen von den Autoren einkalkuliert wird, steht in der Anweisung für Pädagogen: „Jugendliche brauchen Ermunterung, Sexualität sehr vielseitig zu denken, sie müßten mehrfach darauf hingewiesen werden.“ Freitag kritisiert, daß „alle Optionen von Partnerschaft, Elternschaft und Sexualität als gleichwertig nebeneinandergestellt werden, letztlich auch Poly-amorie und Promiskuität“. Traditionelle Geschlechterrollen in der Kernfamilie werden hingegen stets in einem Atemzug mit Unterdrückung und überholten Moralvorstellungen genannt.
Die Internetseite von Pro Familia für Jugendliche zeigt die Auswahlfelder „Pille danach“, „Deine Rechte“, „Verhütung echt kraß“ und „Das erste Mal“. Für das erste Mal brauche man „einen bequemen, warmen, ungestörten Ort, Zeit und Ruhe und Verhütungsmittel“, lesen die interessierten Teenager, wenn sie auf das Feld klicken. „Für das Mädchen ist es manchmal sehr schön, wenn beim Verkehr der Kitzler gestreichelt oder gerieben wird“, aber „ihr solltet wirklich nur die Sachen versuchen, die euch wirklich Spaß machen“, lauten die Ratschläge und deren letzter: An das erste Mal wirst „du dich mit Sicherheit immer erinnern“. Nahezu identisch ist der Tenor auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Wenn trotz Verhütung „etwas passiert“, gibt es laut Pro Familia das Recht auf „Schwangerschaftsabbruch“.
Die psychosoziale Wirkungsebene von Sexualität wird in der sich selbst als „sexualfreundlich“ definierenden Sexualpädagogik vernachlässigt, während der Lustaspekt von Sexualität überbetont wird. „Sex – Wo geht’s hier zu den tollen Gefühlen?“ fragt die Pro-Familia-Broschüre „Sex, Respekt, Lust und Liebe“. Von Gefühlen ist kaum die Rede, von Liebe gar nicht, von gutem Sex um so mehr. Das größte Beratungsnetzwerk in der Bundesrepublik empfiehlt den Anfängern, sich durch „Berührungen und Selbstbefriedigung“ immer wieder neu zu erforschen. „Öfter mal Neues ausprobieren kann eine gute Idee sein. Sanft streicheln oder fest, massieren, kratzen, küssen, kitzeln, mit der Zunge spielen, drücken, reiben ...“ Wer seinen Körper kennengelernt hat, darf loslegen: „Zum Sex gehören alle Sinne. Sich ansehen, hören, spüren, riechen und schmecken. Tiefe Blicke, miteinander flirten, sich aneinander schmiegen, reden, küssen, streicheln, sich gegenseitig ausziehen – das alles kann sexy und erregend sein. Probiert, was euch gefällt.“ (...)
Manch ein Teenager wird da vielleicht stutzig, und die Experten wissen auch warum: „Es gibt viele Klischees beim Thema Sex. Zum Glück dürfen Mädchen und Jungen heute sagen, wenn sie puren Sex – eben ohne Romantik – wollen. Und beide dürfen sagen, wenn sie zärtlich gestreichelt werden wollen. Erlaubt ist, was beiden gefällt.“
Eltern sehen sich in ihrer Erziehung behindert
Therapeuten, die wie Tabea Freitag die Bindungsforschung mit einbeziehen, bezweifeln stark, daß die zwischenmenschliche Ebene von Sexualität auf den Augenblick des Koitus beschränkt bleibt. Sex sei nicht wie Essen, vermutlich auch der „pure Sex“ beim „One-Night-Stand“ nicht. In ihrem Praxisbuch „Fit for Love?“ für eine bindungsorientierte Sexualpädagogik beschreibt Freitag unter anderem die Wirkung des Bindungshormons Oxytocin. Es bleibt etwas hängen, und man läßt etwas von sich los, so umschreiben es Psychologen aus ihrer therapeutischen Erfahrung heraus. Teenager, deren Persönlichkeitsentwicklung noch in vollem Gange ist, sollten auf keinen Fall noch extra dazu ermutigt werden, vielfältige und promiske sexuelle Erfahrungen zu machen.
Bereits im Jahr 2004 konstatierte die BZgA: „In den Richtlinien ist keine Zielführung der Sexualerziehung im Hinblick auf Ehe und Familie auszumachen.“ Dies ist der eigentliche Stein des Anstoßes für Eltern, die ihren Kindern keine Biographie mit wechselnden Partnerschaften, Beziehungskrisen und Sex ohne Romantik, sondern eine glückliche Ehe wünschen. Sie sehen sich in diesem Erziehungsziel von der Schulpolitik nicht nur im Stich gelassen, sondern zunehmend behindert.
Die Politik müsse sich den verändernden Lebenswirklichkeiten anpassen, lautet eine der politischen Forderungen, mit denen man vom flächendeckenden Kita-Ausbau bis hin zur Sexualpädagogik alles begründen kann. Wer Bedenken daran äußert, macht sich der Diskriminierung und Stigmatisierung verdächtig. Manchmal fällt sogar der sprachliche Schleier: „Wir wollen die Ehe abschaffen und kämpfen für die freie Liebe“, heißt es beispielsweise auf der Internetseite der Grünen Jugend.
Wer die traditionelle Familie überwinden will, muß Mann und Frau gegeneinander ausspielen und ihre Kinder physisch und psychisch aus der familiären Bindung lösen. Wird die Bindungsfähigkeit der ganztags kollektivierten Kinder zusätzlich durch Sexualisierung geschwächt, kann die Auflösung der überlieferten Form des Zusammenlebens zum Selbstläufer werden.
Elisabeth Tuider und Stefan Timmermanns, die zu den fünf Autoren des Praxisbuchs „Sexualpädagogik der Vielfalt“ zählen, arbeiten mit der BZgA zusammen, gehören zur Gesellschaft für Sexualpädagogik (GSP) und danken im Vorwort ihrem Mentor Uwe Sielert, der Professor für Sozialpädagogik und Mitbegründer der GSP ist. Sielert äußerte sich im Oktober gegenüber der FAZ zu seinen pädagogischen Vorstellungen: „Eine ernstzunehmende Erziehungswissenschaft muß die Dominanzkultur zunächst in Frage stellen, um dann langsam menschenfreundliche und das Individuum berücksichtigende Inhalte zu konstruieren, die dann eben parlamentarisch auch eine Mehrheit kriegen müssen, um in die schulischen Curricula zu kommen.“ Timmermanns, Tuider und Sielert sind auch die Herausgeber des Buchs „Sexualpädagogik weiterdenken – Postmoderne Entgrenzungen und pädagogische Orientierungsversuche“, in dem etwa der Autor Robin Bauer fragt: „Warum wird nicht mit einem Perversionsbegriff zur Kernfamilie gearbeitet, wo diese doch bekanntermaßen ein Ort ist, an dem Macht gegenüber Kindern ständig mißbraucht wird?“
Diskriminierende Zustände sind also erst überwunden, wenn die traditionelle Familie nicht mehr als Normalität sichtbar ist? Offenbar gibt es größeren Klärungsbedarf als bisher angenommen, und der geht weit über die Sexualpädagogik hinaus.
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Gender Mainstreaming
Einflußreiche Interessengruppen sorgten auf der Weltfrauenkonferenz 1995 dafür, daß die UN-Vollversammlung die Ziele der Gender-Theorie annahm und diese sich so immer stärker durchsetzen konnten. Dazu gehört die „Befreiung der Frau“ durch die gesellschaftspolitische Aushebelung der Mann-Frau-Ehe, denn die traditionelle Familie sei Ursprung aller Unterdrückung. Die Teilnehmerin Dale O‘Leary faßte einige Thesen in ihrem Buch „The Gender Agenda“ so zusammen: 1. In der Welt braucht es weniger Menschen und mehr sexuelle Vergnügungen. Es braucht die Abschaffung der Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie die Abschaffung der Vollzeit-Mütter. 2. Es braucht freien Zugang zu Verhütung, Abtreibung für alle und Förderung homosexuellen Verhaltens, da es dabei nicht zur Empfängnis kommt. 3. Es braucht einen Sexualkundeunterricht, der zu sexuellem Experimentieren ermutigt; es braucht die Abschaffung der Rechte der Eltern über ihre Kinder. 4. Die Welt braucht eine 50/50-Männer/Frauen-Quotenregelung für alle Arbeits- und Lebensbereiche. Alle Frauen müssen zu möglichst jeder Zeit einer Erwerbsarbeit nachgehen. 5. Religionen, die diese Agenda nicht mitmachen, müssen der Lächerlichkeit preisgegeben werden.
„Gender Mainstreaming“ wurde für alle öffentlichen Institutionen in der EU verbindlich. In Deutschland legte die rot-grüne Regierung 1999 die Gleichstellung „nach der Methode des Gender Mainstreaming“ per Kabinettsbeschluß fest. (Redaktion JF) |