Weihnachten 2014
von Eberhard Heller
Das Dorf, in das wir vor ein paar Monaten umgezogen sind, Beuerberg, liegt in der Ge-gend, von der der Fotograf Löbl als „Land vor den Bergen“ spricht. Wenn ich vom Balkon nach Süden schaue, wandern meine Blicke hinüber zur Benediktenwand, von da zum Rabenkopf und Jochberg, weiter zum Herzogstand, bis sie an der Zugspitze hängen blei-ben. In den höheren Lagen ist bereits der Winter eingezogen. Und auch bei uns hat er schon einmal angeklopft.
Es ist die Zeit, die man bei uns die „stade“, die stille nennt. Es ist Advent, die Zeit des An-kommens. Unversehens ist das Kirchenjahr zu Ende gegangen. Die Liturgie zeichnet im Advent die Ankunft des Herrn nach. Christus ist in diese Welt gekommen, um uns Seine Liebe zu schenken, die uns in Ihm und mit Ihm vereinigen soll. Aber wo kommen wir an? Wo wollen wir ankommen? Welche Ziele haben wir uns gesteckt? Was können wir noch bewältigen? Allein gelassen in einer Welt, die grausamer und perverser geworden ist. Einige Beiträge in diesem Heft zeugen davon überdeutlich.
Auch wenn uns kein ISIS-Terrorist den Kopf abschlagen wird und unsere Kinder dem versauten Sexualkunde-Unterricht längst entwachsen sind... diese Welt bleibt bedrohlich.
Und wenn ich an unsere religiös-kirchliche Situation denke: Wir werden immer einsa-mer, immer stummer, immer hilfloser, verlassen, ohne kirchliche oder nur priesterliche Unterstützung. Auch wenn wir versucht haben, Sie verehrte Leser, auf diese Situation der Vereinzelung, der Diaspora vorzubereiten und entsprechend einzustellen, d.h. ihnen zu sagen, wie Sie in einer Zeit ohne Priester Ihr religiöses Leben gestalten können, Tatsache ist: Uns fehlen die Gnadenmittel der Kirche... und die kann man nicht durch Surrogate ersetzen.
Müssen wir deswegen geistig verhungern? Nein. Uns bleibt das Gebet, in dem wir uns unmittelbar an Gott wenden und Ihm unsere Not schildern können. Denken wir an die Kriegsgefangenen, die Jahre lang ohne priesterlichen Beistand auskommen mußten und dennoch ihre Hoffnung nicht verloren haben, denken wir an die Situation in den klassischen Diaspora-Regionen, wo die Katholiken in der Minderheit waren und teils von den Atheisten oder Protestanten verspottet wurden – eine mitfühlende Ökumene gab es da-mals nicht. Denken wir auch an all die Personen, die aus arbeits-technischen Gründen Dienst tun müssen in Gegenden, die geistig völlig dahindarben, wo es nicht einmal kultu-relle Anregungen gibt, oder denken wir an die wirklich alten Leute, die über 80-, 90 Jährigen, die häufiger sehr alleine sind, nicht deswegen, weil sich die Angehörigen nicht um sie kümmern wollen, sondern weil diese es auch nicht können, und die die Mühsale des Alters tapfer tragen, ohne zu jammern.
Also uns bleibt das Gebet, das nach den Aussagen der Mystiker die höchste Willenskraft benötigt. Gebet heißt sich versenken in Gottes Gegenwart. Wir verlassen die „Welt“ und öffnen uns Gott. Wir können uns Ihm öffnen, um Ihm unser Herz zu zeigen. Wir müssen lernen, Ihn als Person zu nehmen, dem wir auch zuhören, Ihm entgegen-hören können, ohne zu jammern, denn das würde Seine Hilfsbereitschaft anzweifeln, denn die „Welt“ ist immer auch etwas, was wir aus ihr machen, wie wir sie gestalten und umgestalten. Und uns bleiben noch viele Möglichkeiten, die wir bei uns und in unserer Umgebung umsetzen können.
Der Advent muß sich ja nicht im Besuch der zahlreichen sog. Weihnachtsfeiern erschöp-fen, zu denen die Firmen und Vereine einladen. Es sollte doch so sein, daß diese „stade“ Zeit genutzt wird, uns auf das Geheimnis von Weihnachten, dem Fest der Menschwer-dung Gottes zu konzentrieren, das uns Gottes Liebe geschenkt hat, an der wir noch heute Anteil haben. „Die Liebe Gottes gebiert die Liebe der Seele. Gott richtet als erster seine Aufmerksamkeit auf die Seele, und dadurch wird sie auf ihn aufmerksam. Er sorgt sich um sie, und sie fängt dadurch an, sich um ihn zu sorgen.“ (Bernhard von Clairvaux 1091 - 1153) Ja, die Tradition in ihrer moralischen Dimension, im Sinne einer Weitergabe der Willensintention Christi funktioniert bis heute, indem wir die Liebe, die unsere Vor-Vorfahren – also die ersten Christen – an ihre Nachfahren bis heute, also an uns, weiter-gegeben haben und die wir aufnehmen und wieder weitergeben sollen, auch wenn de-ren Intensität nicht mehr die gleiche ist wie in Zeiten leidenschaftlicher, glühender Got-tesverehrung. Der hl. Bernhard rät bei der Weitergabe der Liebe: „Sei wie eine Brunnenschale, die zu-erst das Wasser in sich sammelt und dann überfließend es weitergibt.“ Aber diese Liebe, von uns aufgenommen und weitervermittelt sollte in uns brennen, wie ein Licht, das die Finsternis überstrahlt. Die Liebe ist das, worin wir Gott begegnen. „Alle menschliche Liebeskraft muß auf eine unaussprechliche Weise sich selbst ganz verflüssigen und sich ganz und gar in das Wollen Gottes ergießen. Denn wie anders würde Gott alles in allem sein, wenn im Menschen noch etwas vom Menschen übrig bliebe?“ (hl. Bernhard von Clairvaux 1091 - 1153)
Ich möchte aber noch einen weiteren Gedanken anführen, der uns Zuversicht geben soll. Vor kurzem hatten wir Besuch von einem Ehepaar, das von der Insel Sylt kam und in Südtirol Urlaub gemacht hatte. Die Landschaft habe ihnen sehr gefallen, berichtete der Ehemann, aber er habe die Horizonte vermißt. Ich sagte ihm, die weiten Horizonte, die er von seiner Heimat kennen würde, verkörperten die Idee der Unendlichkeit, der Frei-heit und damit verbunden die Vorstellung von Freiräumen mit all den unendlichen Mög-lichkeiten. Wenn er im Gebirge unterwegs sei und das Gefühl der Weite erleben wolle, brauche er nur auf einen Gipfel zu steigen, dann würde er nicht nur die Unendlichkeit des Horizontes erfahren, sondern auch das Gefühl, herausgehoben zu sein in die Höhe. Die Vorstellung der Unendlichkeit würde noch überhöht durch die Idee der Majestät. Später fiel mir ein, daß die Erfahrung der weiten Horizonte durchaus ambivalent sein kann. Das Gefühl der Unendlichkeit, der Freiheit könne durchaus umschlagen in die Er-fahrung von Einsamkeit, Verlorenheit, der Bedeutungslosigkeit in einem schier unendli-chen Raum, während in den Gebirgstälern sich leicht das Gefühl der Enge, der Begren-zung durch die Hänge und Wände einstellen kann. N.b. es ist interessant, daß die Archi-tekten Häuser im Gebirge mit Erkern versehen, um die Räume auszuweiten, die so das Gefühl von Weite vermitteln sollen.
Warum erzähle ich das? Die Erfahrung der räumlichen Weite läßt sich durchaus mit der Erfahrung unserer geistigen Situation vergleichen. Wir erleben heute die Weiten geisti-ger Öde. Wir fühlen uns verlassen auf den endlosen Straßen moralischer und religiöser Verirrungen. Von vielen fühlt man sich unverstanden. Man ermesse nur einmal die Mit-schuld der Reform-Kirche an den Verirrungen vieler Jugendlichen, die in den Islam ab-driften, der von dieser „Kirche“ bei uns erst hoffähig gemacht wurde, und Halt suchen bei den ISIS-Kämpfern. Und diese Irrwege werden fleißig weiter eingetrampelt.
Wir sind eingeengt, nicht nur von einer Flut von Verordnungen, die versuchen, den Bür-ger immer mehr zu entmündigen – erlassen von einem Heer idiotischer Bürokraten, die selbst den Gurken vorschreiben wollen, wie krumm sie sein müssen, wir sind auch ein-geengt in der Entfaltung unseres religiösen Lebens, und das wirklich fühlbar. Nicht nur, daß wir nicht mehr verstanden werden, wenn wir es wagen sollten, am Glanz eines Ber-goglio/Franziskus zu kratzen, wir werden ausgegrenzt in der Gesellschaft, werden iso-liert wegen unserer (authentischen) Glaubensauffassungen. Es fehlen die Gesprächs-partner, mit denen man sich austauschen, die die eigenen Sorgen mittragen könnten. Es fehlt die priesterliche Betreuung, das kirchliche Leben, das früher auch das bürgerliche Zusammensein mitgestaltet hatte. Nicht umsonst spricht Georg Faber vom „warmen Mantel“ (vgl. EINSICHT, 44/3, S. 89), den die Kirche gleichsam um die Schultern der Gläubigen gelegt hatte.
Was können wir angesichts dieser unendlichen Öden und der allseitigen Bedrückung tun, der Ohnmacht?
Ich sagte es schon, das Tal, die Niederungen, die Enge verlassen, um auf die Gipfel zu steigen, um dort eine Vorstellung zu gewinnen, was es heißt, die Grenzen unseres irdi-schen Daseins abzustecken, in der Unendlichkeit - zeitlich gesprochen: in der Ewigkeit - verankert zu sein, die Anteil hat an dem majestätischen Ausblick, der als Lohn für die Anstrengungen dieses Aufstiegs winkt.
Und dabei ist diese Erfahrung nur das Abbild jenes Aufstiegs, den wir machen können, wenn wir uns auf den inneren Marsch aufmachen, uns durch Konzentration und Medita-tion an die zentralen Aussagen unseres Glaubens heranwagen. Dann kommen wir nicht nur auf dem „Gipfel“ an, dort oben sind wir dann im wahrsten Sinne „Gott näher“. Und was sind diese zentralen Glaubensaussagen – und nun bin ich wieder bei den Gedanken, die ich im ersten Teil vorgetragen habe -: Gott hat sich uns Menschen offenbart. Er ist Mensch geworden – Gott und Mensch („et incarnatus est et homo factus est“), um unter uns zu sein, um uns seine Liebe zu schenken. Als Jesus mit seinen Jüngern in die Gegend von Cäsaräa Philippi kam, fragte er sie: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Da antworte-te Simon Petrus: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Matth. 16, 15 f.) Dieser ist gekommen, um uns so zu beseelen, um unsere Welt damit zu erhellen. „Lieb ist wohl allen das Licht; aber am liebsten denen, die lange in finsterer Nacht wandelten“, Worte, die in unsere Zeit gesprochen scheinen und mit denen uns der hl. Bernhard trös-ten möchte.
Wieder einmal sind wir im Advent angekommen. Die zitierte „stade“ Zeit ist angebro-chen zur Besinnung, nutzen wir sie, um gegen alle Öde gewappnet zu sein. Der hl. Paulus ermahnt seine Gemeinde in Ephesus: „Zieht an die Vollrüstung Gottes, damit ihr beste-hen könnt gegenüber den Anschlägen des Teufels. Wir haben ja nicht zu kämpfen gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Mächte und gegen die Gewalten, gegen die Weltbe-herrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister im Überirdischen. So legt denn an die Vollrüstung Gottes, damit ihr am bösen Tag widerstehen und alles erfolgreich beste-hen könnt. Tretet also an, eure Lenden umgürtet mit Wahrheit, angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit und die Füße beschuht in der Bereitschaft für das Evangelium des Friedens. Zu allem ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr alle feurigen Pfeile des Bösen auszulöschen vermögt. Nehmt den Helm des Heiles und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes. Betet zu jeder Zeit in jeder Art von Gebet und Anrufung im Geis-te, und wacht dazu in aller Beharrlichkeit und Fürbitte für alle Heiligen und auch für mich, damit mir das Wort gegeben werde beim Öffnen meines Mundes, um freimütig zu künden das Geheimnis des Evangeliums. “ (Eph. 6, 10-19)
Ich wünsche Ihnen, verehrte Leser, ein gnadenreiches Weihnachtsfest und Gottes Segen für das Neue Jahr. Wie mir gerade Fr. Krier aus Las Vegas schrieb, wird er in der Weih-nachtsmesse alle Leser der EINSICHT in seine Fürbitten mit einschließen.
Eberhard Heller |