Von Menschen und Göttern – eine Filmrezension
Algerien 1993. Im Kloster Notre Dame de l´Atlas nahe des Dörfchens Tibhirine im Atlas-Gebirge leben neun französische Trappisten-Mönche ein asketisches, kontemplatives Leben. Sie singen, beten und schweigen, bestellen ihr Feld, gehen ihrem Tagewerk nach. Während der Arzt Bruder Luc (Michael Lonsdale) die einheimische muslimische Bevölkerung mit Medikamenten versorgt und ihre Krankheiten und Verletzungen behandelt, berät der Abt Christian (Lambert Wilson), ein charismatischer Intellektueller, der sich im Koran so gut ausgeht wie in den Evangelien, die Dörfler bei ihren Problemen mit Behörden. Das Verhältnis der Mönche zu den Muslimen im Dorf ist geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt. Die Mönche werden zu den dörflichen Festlichkeiten eingeladen, doch schleichend geraten beide Seiten mitten hinein in den Bürgerkrieg, der seit dem Wahlsieg der islamistischen Heilsfront und dem folgenden Militärputsch das Land spaltet. Als in der Nähe des Klosters einer Gruppe kroatischer Bauarbeiter von islamischen Extremisten die Kehlen durchgeschnitten werden und kurz darauf ein junges Mädchen getötet wird, weil es sich weigerte den Schleier zu tragen, wird den Mönchen bewußt, daß der schon lange schwelende Konflikt zwischen der Armee und der GIA, der Groupe Islamique Armé (Bewaffnete islamische Gruppe), immer näher an sie herankommt und auch vor den Mauern ihres Klosters nicht Halt machen wird. Die Mönche wissen, daß ihr christlicher Glaube sie in große Gefahr bringen kann, dennoch weigern sie sich den Anordnungen des örtlichen Armee-Kommandeurs und des Gouverneurs zu folgen und das Land zu verlassen. Am Heiligabend überfällt eine Gruppe bewaffneter Islamisten das Kloster und verlangt Medikamente und ärztliche Hilfe für ihre Verwundeten. Der Abt kann Schlimmeres verhindern, weil er sich mit dem Rebellen-Kommandeur Fayattia verständigt, obwohl er nicht auf dessen Forderung eingeht. Die Islamisten verlassen das Kloster. Wenig später wird Fayattia vom Militär gefaßt und erschossen, seine Leiche hinter einem LKW durch das Dorf geschleift. Als Christian ihn identifizieren soll, tut er etwas Ungeheuerliches: Er verneigt sich vor dem Toten und segnet ihn, und entfacht damit den kalt glühenden Haß des algerischen Militärkommandeurs. Während die Mönche eine Heilige Messe halten, kreist ein Armeehubschrauber über der Kapelle, und die eingeschüchterten Brüder versuchen gegen den Lärm des Propellers anzusingen. Später diskutieren sie ihre Lage, zweifeln, kämpfen mit sich und entscheiden sich schließlich, daß sie gerade in dieser bedrohlichen Situation bleiben müssen und wollen. Jetzt und hier, an diesem Ort werden sie am meisten gebraucht – ungeachtet der großen Gefahr, der sie sich freiwillig aussetzen. Der zweite Überfall auf das Kloster findet mitten in der Nacht statt, zwei Brüdern gelingt es sich vor den Islamisten zu verstecken, die anderen sieben werden entführt. Eine Forderung an die französische Regierung, in dortigen Gefängnissen einsitzende Islamisten freizulassen, wird nicht erfüllt. Einige Wochen später findet die Armee die enthaupteten Leichen der Mönche.
In einem für heutige Filme völlig ungewöhnlichen getragenen Erzähltempo schildert Regsisseur Xaver Beauvois in „Des Hommes et des Dieux“ („Von Göttern und Menschen“, 2010) das asketische und bedächtige Leben einer Gruppe Trappisten-Mönche, die zunächst völlig isoliert von der politischen Realität des Landes in einem von beiden Seiten – der Islamisten und der Armee – mit äußerster Härte und Brutalität geführten Bürgerkrieg zwischen die Fronten geraten. Auf realen Tatsachen beruhend beschreibt der Film die letzten Monate im Leben der Mönche von Tibhirine, die 1996 schließlich auf grausame Weise ums Leben kommen. In bezwingend schönen Bildern, rhythmisch angepaßt an das Klosterleben, wird offenbar, wie sich die Mönche in einer zunehmend gewalttätigen und mörderischen Umgebung den Glauben an ihre eigene Vernunft und die eigenen Überzeugungen bewahren, und für die Sache eintreten, die ihnen am wichtigsten ist: die christliche Nächstenliebe. Dabei zeigt Beauvois die Mönche keineswegs als ätherische und entrückte Wesen, sie lassen sich im Gegenteil von ihren Emotionen leiten, sie streiten sich, fluchen und werden nach der Ermordung der kroatischen Arbeiter und des algerischen Mädchens von Ängsten heimgesucht. Ihr letztes gemeinsames Abendessen wird zu einem berührenden und kathartischen Moment. In Großaufnahmen zeigt Beauvois die lachenden und weinenden Gesichter der sich umarmenden Brüder. Begleitet von Tschaikowskys Schwanensee werden sie in einer an das letzte Abendmahl Christi und seiner Jünger erinnernden Szene von ihren Gefühlen übermannt, wissend, daß sie bald als christliche Märtyrer für ihren Glauben in den Tod gehen werden. Auf dem Festival de Cannes 2010 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet und mit 3 Cesars, den französischen Oscars, geehrt, ist „Von Menschen und Göttern“ ein Film, der einem als Zuschauer unter die Haut geht und noch lange nachwirkt.
Werner Olles
DVD von Warner Home-Video. Laufzeit ca. 117 Min |