"Doce me, Domine, vias tuas."
("Lehre mich, Herr, Deine Wege.")
Mit dem Jahre des Herrn 1978 trete ich in mein 80. Lebensjahr ein.
Deshalb scheint es mir an der Zeit, einen Blick auf mein vergangenes
Leben zu werfen: Kindheit, Jugendzeit, Mannesalter; Seminarist,
Priester, Bischof und Erzbischof.
Ein einziges Wort, um diese Epoche zu beschreiben: Erfolg! - Geboren in
einer praktizieren-den katholischen Familie wurden mir alle Beispiele
zum Glauben vorgelebt, wie dem kleinen Jesus, in Weisheit vor Gott und
den Menschen. Doch meinerseits ergibt sich ein Defizit: meine Schuld.
Hinsichtlich des Intellekts begann ich mich in den fähigen Händen von
Brüdern christlicher Schulen anzustrengen. Man müßte sagen: es hat für
mich ausdrücklich angefangen in Hue, denn ich war die Nr. 12 in ihrem
Schülerregister. Unser Direktor, der T.C.F. Aglibert Marie, war ein
heiligmäßiger Erzieher; ein anderer war Bruder Neople, der ehemalige
Erzieher des Königs Ham-nghi. Er war von Frankreich nach Tunesien
verbannt worden; ein anderer Bruder, ein Bretone war auch noch da, er
war die lebendige Heiligkeit, immer das Ave auf seinem Rosenkranz
betend. Es gab dort auch viet-namesische Brüder, vor allem den sehr
frommen Bruder Georges.
Auch da, wenn ich vom Weg der Tugend abwich: das ist meine übergroße
Schuld. Der Er-folg in meinen Studien ist recht einfach zu erklären:
ich war der erste in allem. Alles war für mich sehr leicht. Ich
beendete in kürzester Zeit meine schriftlichen Aufgaben und lernte
jeweils in einigen Minuten meine Lektionen, den Rest der Zeit
langweilte ich mich. Deshalb fielen die Strafen betreffs der Regel
stets auf meine Schultern. Die schlimmste Strafe war, vor den Latrinen
knieen zu müssen - bei offener Tür. Nur waren die damaligen Latrinen
zum Himmel offene Gruben, die von Würmern wimmelten... Die Knie
befanden sich einige Male auf Jacquier-Rinde, welche mit Stacheln
bespickt waren.
Die Strafen waren, wenn man sie mit den heutigen vergleicht, hart. Aber
sie waren wirksam, und als Bengel von sechs Jahren war ich gegenüber
meinen Lehrern immer dankbar. Sie haben mir die Augen über meinen zu
trägen Charakter, unterstützt durch eine allzu große Leichtigkeit im
Ler-nen, geöffnet. Der einzige Vorwurf, den ich meinen Lehrern mache,
ist der, daß sie nicht wußten, wie sie die mir zur Verfügung stehende
Zeit ausfüllen sollten, außer sie so zu verbringen: kniend vor den
Latrinen in Betrachtung der Würmer...
Im Alter von sechs Jahren habe ich meinen französischen Unterricht bei
den guten Brüdern begonnen. Mit zehn bereitete ich mich auf meine erste
hl. Kommunion vor. Auch hierbei haben mich die lieben Brüder gut
vorbereitet, indem sie den Katechismus erklärten, daß sich alle, sowohl
Katho-liken als auch Heiden, sich die Fragen und Antworten merken
mußten.
Diese Methode erscheint heute auf den ersten Blick aus der Mode
gekommen; aber sie ist für das Leben wirksam. Denn es ist eine Gnade
für's Leben, daß meine heidnischen Mitschüler getauft worden sind,
wenigstens in articolo mortis, in diesem entscheidenden Augenblick für
das ewige Leben. Der Katechismus, gründlich in das Gedächtnis des
Sterbenden eingeschrieben, legte ihm nahe, den Priester zu rufen und
die Taufe zu verlangen. - Das Gedächtnis ist wie eine Bibliothek, in
der man in Muße das entsprechende Werk finden kann.
Meine erste hl. Kommunion habe ich inbrünstig in der schönen Kapelle
der lieben Brüder erhalten. Am hl. Tisch war ich von meiner Familie
umgeben. Dann, ein Jahr später, erhielt ich die hl. Firmung.
Hierher gehört eine Begebenheit, welche in meinem geistigen Leben eine
wichtige Rolle spielen sollte. Ich befand mich in Begleitung meines
Vaters in der Kapelle der Brüder. Dort sah ich einen Missionar, dessen
Gesicht mich an Christus erinnerte, und ich bat meinen Vater, den
Missio-nar zu fragen, ob er mein Firmpate sein wolle. Der sehr
freundliche Pater willigte ein. Nun, er war Professor am großen Seminar
von Hue, und als ich in dieses Seminar eintrat, war er einer meiner
Professoren. Er war ein Priester mit einer engelgleichen Einfachheit
und Unschuld. (Er endete nie-dergeschmettert von Hunger und
Mißhandlungen in den Wäldern, in die ihn die Kommunisten trieben.) Er
war später Prior der Zisterzienser von der strengen Observanz in
Phuöc-Son (Gebirge der Seligkeiten). Dorthin wurde er vom Bischof von
Hue, Msgr. Joseph Allys, einem Bretonen, gesandt, um dem Gründerpater,
dem R.P. Denis, einem Heiligen, einem Intellektuellen - aber leider
nicht mit dem Sinn fürs Praktische versehen - und vor allem seine
Religiosen, von denen obendrein noch eine große Anzahl tuberkulös
wurden und schlecht ernährt waren, zu helfen.
Pater Mendibourne, meinem Paten, einem praktischen Mann, gelang es,
seine Wenigen genügsam, aber ausreichend zu versorgen. Nach dem Tode
des Gründerpaters wurde mein Pate zum Prior ernannt. Sein Leib ruht
jetzt seit etwa zehn Jahren in dem mit-begründeten Zisterzienserkloster
in Thu-Due nahe Saigon. Diesem Martyrer, dem ich meine Berufung zum
Priestertum zu verdanken habe, schulde ich ganz bestimmt Dank.
Berufung zum Priestertum: Menschenfischer zu sein. "Ich bin es, der
dich gerufen hat." "Alles das hat sich zu eurer Knechtschaft
verwirklicht." In der Tat, ich wußte nichts von der Auf-gabe eines
Priesters. Meine Sendung in das kleine Seminar von Anninh in der
Provinz von Quang-tri wurde zwischen zwei Personen entschieden: meinem
Vater, er war selbst ehemaliger Seminarist, und einem sehr
vergeistigten Priester der Mission von Hue. Mein Vater sagte zum
Priester: "Von meinen zahlreichen Kindern wünsche ich dem Herrn jenen
zu opfern, von dem ich glaube, daß er der Beste sei, intelligent und
über dem Durchschnitt liegend. Er muß vor allen Dingen sein Zertifikat
'primaire français' machen. Meiner Meinung nach muß er nach der
Erwerbung dieses Zertifikats an das kleine Seminar geschickt werden."
Pater Dong - so war sein Name - entgegnete ihm: "Nein, nein, das wird
ihm weltliche Ideen eingeben."
Pater Dong hatte seine Gründe, denn zu dieser Zeit konnte man sich mit
dem Zertifikat 'pri-maire' einen guten Posten in der französischen
Verwaltung und ein gutes Gehalt verschaffen. Mein Vater fand, daß Pater
Dong recht hatte, und entschied, mit unserem Pfarrer in der Pfarrei von
Phu-Cam, dem Pater Allys, zu sprechen. (Dieser wurde später
apostolischer Vikar von Hue.) In unseren Missionen trat man nicht in
ein Seminar ein, ohne daß man durch einen Priester, seinem geistigen
Vater, vorgestellt worden war. Mein Vater schickte mich also zum Pater
Allys, um ihm bei der Messe zu dienen, den Tischdienst zu versehen,
ihn, wenn er zu den Kranken ging, zu begleiten, oder ihm behilflich zu
sein, wenn er andere Sakramente spendete. Mein Vater bemühte sich
selbst, um mich in die Anfangsgründe des Kirchenlateins einzuweihen,
begonnen bei "ro sa, rosae..." Er war ein perfekter Lateiner.
Einst, während der Verfolgung, war er im Generalseminar der
Auslands-mission gewesen, und zwar in Malaysia auf der Insel Poulo
Pinang, das ein Zufluchtsort von Semi-naristen der Auslandsmission von
Paris war, wo sich Japaner, Chinesen, Siamesen und Vietname-sen mit dem
Ellbogen stießen. Dort sprach man nur Latein. Man kehrte erst dann in
sein Heimatland zurück, wenn man die Kurse des kleinen oder großen
Seminars beendet hatte. Der Kandidat machte dann dort seine Probezeit
als Katechet in einer Pfarrei oder als Lehrer am großen oder kleinen
Semi-nar. Wenn er seine Probezeit bestand, wurde er geweiht. Mein Vater
machte seine Probezeit am großen Seminar von Hue. Er kam nie zum
Priestertum und mußte mitansehen, wie seine Schüler geweiht wurden. Er
mußte Laie bleiben, weil Msgr. Caspar, der Bischof - ein Elsässer -,
eine be-stimmte Anzahl von Auserwählten festgesetzt hatte und mein
Vater nicht mitaufgeführt war. Er war ohne Grund in der Zahl der
Auserwählten nicht enthalten. So versteifte er sich darauf, bis zu
seinem 30. Lebensjahr als Professor für Philosophie im Seminar zu
bleiben. Endlich rief ihn der Direktor des Seminars zu sich und sagte
zu ihm: "Mein armes Kind, wenn Sie hier auch bis zu Ihrem 100.
Geburtstag bleiben, Sie werden niemals geweiht, denn ohne daß es Ihr
Verschulden ist, sind Sie in der Liste der Auserwählten von Msgr.
Caspar nicht enthalten. Nun haben Sie aber eine alte Mutter, die keine
Hilfe mehr hat. Sie müssen dorthin zurückkehren, um für sie in ihren
letzten Tagen zu sorgen. Hier ist ein wenig Geld für das Schiff, das
die Leute vom Seminar an das gegenüberliegende Ufer des Flusses 'des
Parfums' bringt."
Mein Vater gehorchte, schnürte sein Bündel und kehrte zu meiner
Großmutter zurück. Dann ging er zum Pfarrer der Pfarrei von Phu-Cam,
dem Pater Allys, um Hilfe zu erbeten. Dieser ver-schaffte ihm einen
Dolmetscherposten für Latein bei den Marineoffizieren, ein Umstand, der
Viet-nam für die französische Dominierung öffnete. Dank diesem Umstand
hatte mein Vater etwas zum Leben, konnte seine Mutter ernähren, sich
verheiraten und sein Französisch vervollkommnen, das er gleichermaßen
sprach wie schrieb. Mein Vater behielt eine tiefe Dankbarkeit gegenüber
dem Seminar von Hue, und er zog uns all die Jahre dazu heran, es zu
besuchen und dem Pater Ökonom eine bestimmte Geldsumme zu geben, um den
eintretenden Seminaristen zu helfen. Oftmals sagte er zu uns: "Ich
verdanke alles dem Seminar: Erziehung, Lebensregeln; meine Schuld wird
niemals ganz bezahlt sein." Daher ist es an mir, den Rest der Schuld zu
zahlen. Ich trat im Alter von 12 Jahren in Anninh ein. Ich war mit
einem kleinen Wäschepaket und einigen Süßigkeiten, die mir meine
heilig-mäßige Mutter zugesteckt hatte, versehen. Ihren Gebeten und
ihrer heroischen Liebe gegen die Ar-men verdanke ich meine Treue
gegenüber meiner Berufung. Folglich bin nicht ich es, der gewünscht
hat, Priester zu werden: Jesus hat mich erwählt und berufen. An mir lag
es, ein Menschenfischer zu werden und kein Dieb, wie Er Judas genannt
hat.
Das Seminar von Anninh hat seine Geschichte, eine tragische Geschichte,
denn es wurde während Monaten durch die 'Gebildeten' belagert und durch
die Seminaristen und die Christen der Nachbarpfarrei verteidigt. Der
Regimentsstab der Verteidigung wurde aus den Katecheten gebildet,
welche die Schlacht dirigierten. Sie flüchteten sich in die Mitte der
Gebäude und machten in die Ho-sen, so groß war ihre Angst. Das Seminar
konnte sich bis zur Ankunft einer französischen Truppe halten, die ein
Missionar herbeigerufen hatte.
In diesem Seminar verbrachte ich acht Jahre, obwohl ich die Studien in
vier Jahren beendet hatte. Aber die Professoren glaubten, um mein
hochmütiges Gehabe zu ersticken, daß ich mich der Geschwindigkeit des
Hauses anzupassen habe. Sicherlich, meine Lehrer waren im guten Glauben
und hatten bestimmt recht, übernatürliches Recht, ohne Zweifel, aber
die erzwungene, aufgebürdete Muße, ohne mir einen Rat zu geben, wie ich
die vier Jahre des Nichts-Tun nützlich hätte zubringen können, brachte
mir so viele Bestrafungen ein, daß wenig daran gefehlt hat, mich aus
dem Seminar zu werfen. Jener, den die Vorsehung bestimmt hatte, mich zu
überwachen und mich zu bestrafen, war ein Missionar von großer
Tugendhaftigkeit, aber allem Anschein nach von mittelmäßiger
Urteilskraft. Dieses Fehlen an Urteilskraft hatte ihn als unfähig
erwiesen, eine Pfarrei zu verwalten. Seine Pfarrangehörigen hatten
gegen seine seltsamen religiösen Einfälle revoltiert. Der Bischof
sandte ihn daraufhin als Professor der jüngsten Klasse ins Seminar,
denn er war in Latein nicht besonders gut. Er hatte seine Studien
mehrmals wiederholt, eine Spätberufung. Sein Mangel an Urteilskraft
hatte ihn von der Ehe ausgeschlossen, die jungen Mädchen waren vor ihm
geflüchtet. Selbst die Armee hatte ihn abgeschoben, denn er hatte bei
Schießübungen wiederholt ohne Über-legung abgedrückt und dabei
Kameraden getötet. Daher blieb nur ein einziger Ausweg für diesen
frommen Marseiller: das Seminar, und hier das Seminar der
Auslandsmission, welches seine Ange-hörigen aus den jungen, frommen,
aber ein wenig abenteuerlichen Leuten rekrutierte. Diese waren dazu
ausersehen, die rückständigen Völker zu bekehren; denn hier konnte man
die Lorbeeren des Martyriums ernten oder den Abenteuern nachlaufen, die
es in einer zivilisierten Welt nicht mehr gab.
In unserer Mission von Hue habe ich eine gute Zahl von diesen
Abenteurern des lieben Got-tes kennengelernt, unter denen mein
Professor dieser acht Jahre besonders hervorschillerte. Der tapfere
Pater befand sich einem Jungen gegenüber, der in einigen Minuten seine
Aufgaben gemacht und seine Lektionen gelernt hatte, aber danach seine
freie Zeit mit unschuldigen Späßen auszufüllen suchte: z.B. einen
kleinen Spatz in seinem Pult zu halten, der lärmte, wenn der Pater vor
seinen Schülern "rosa, rosae..." deklinierte. Daher war mein Platz in
der Klasse regelmäßig beim Pult, auf den Knien vor dem Pater oder
außerhalb der Klasse. Außerhalb des Unterrichts, wenn die Semina-risten
im Studiersaal zusammen waren und der Pater einen Blick auf meinen
Platz warf, war ich natürlich überrascht, daß gerade ich lärmen sollte,
was zur Folge hatte: Thuc, auf die Knie.
Die Vorsehung hat genügend oft, eher unangemeldet, ein Wiedersehen
zwischen uns beiden vorbereitet. Solcherart war das Treffen zwischen
meinem Professor, der acht Jahre im großen Seminar von Hue war, und mir
selbst, frisch von den römischen Universitäten und der Sorbonne
gekommen. Damals war ich gerade zum Professor der hl. Schrift ernannt
worden. Mein Ex-Scharf-richter wohnte im Seminar, wo er sein Zimmer und
seine Kost hatte. Er ging jeden Tag als Anstalts-geistlicher in das
Waisenhaus, welches von den Schwestern von Chartres geleitet wurde, zu
den kleinen Waisenkindern. Im Hinblick auf die Schalkereien im kleinen
Seminar von Anninh, dessen Abtrennung er mehrere Male vorgeschlagen
hatte, war der Pater nun die Güte selbst. So weit so gut, doch der
Pater beklagte sich, daß sich sein ehemaliger Schüler ganz verändert
hatte, und noch Schlimmeres.
Dieser Pater war, wie ich es schon sagte, ein heiligmäßiger Mann und
hatte mehrere groß-artige Seminaristen als Beichtkinder, welche er zu
den hohen Gipfeln der Heiligkeit führte und ihnen dabei eine komische
Buße auferlegte. In der Tat, der arme Pater litt an Hämorrhoiden und
mußte daher oft seine Hosen wechseln. Seine ungebührlichen
'Geschichten' trocknete er, weniger elegant, auf den beiden wilden
Teehecken, die die majestätische Allee schmückten, welche die Besucher
von der monumentalen Pforte des großen Seminars zu dem Gebäude, in dem
die Patres wohnten, führte. Diese sonderbare Hosenausstellung,
ausgebreitet auf den beiden Hecken - sie waren gleich zuge-schnitten -,
wurde von Pater Roux, dem Pater Superior, beanstandet. Er sagte dies
auch ohne Um-schweife seinem Mit-Patrioten. Jener nahm die Bemerkung in
Demut auf. Und von nun an trocknete er die beschuldigten Hosen auf
seinem breiten Betstuhl, dort, wo sich seine Beichtkinder hinknieten,
um zu beichten und um sich seine langen und frommen Ausführungen
anzuhören, gewürzt mit dem weniger katholischen Geruch der Kleidung des
Paters. Eine zusätzliche Buße, welche selbst die berühmtesten Bekenner
unserer Kirche nicht erdacht hatten. Man möge diese lange Abschweifung
entschuldigen, welche aber nur die Heiligkeit meines Ex-Professors und
die Geduld der büßenden Vietnamesen unterstreicht...
Im großen Seminar von Hue studierte ich unter der Leitung des Pater
Roux thomistische Philosophie, einem Priester, dessen Charakteristikum
"mit klarer Überlegung zu suchen" war. Er war ein guter Lehrer. Für
mich wurde er ein von der Vorsehung gesandter geistiger Lehrer. Diesem
Mann meinen herzlichen Dank! Er, der nur eine mittelmäßige Intelligenz
besaß, der aber durch seinen Skrupel, es besser machen zu wollen, groß
war. Zum ersten Male verstehe ich, daß Gott das von uns allen wünscht:
ihm ähnlich zu werden. Also, Beichten ist nicht mehr nur ein Auspacken
seiner Fehler, um sich durch die Absolution zu erleichtern, sondern die
Suche des besseren Weges, um zu Gott zu gelangen, um die Hindernisse zu
erraten, welche diesen Weg versperren, die ver-schiedensten
Hindernisse, je nach Temperament der Person: Hochmut, Sinnlichkeit,
Faulheit, mit einem Wort: die Hauptsünde, welche besiegt, unseren
Aufstieg zu Gott freimacht: eine Arbeit, die das ganze Leben lang
dauern kann. Diese Beförderung kann durch den Überfluß der göttlichen
Gnade beschleunigt werden; Antworten auf einen viel größeren Edelmut
der Seele.
Pater Roux zeichnete sich dadurch aus, daß er uns seine Direktiven mit
auf den Weg gab. Er half uns, indem er uns Opfer auflud, um uns das
nötige 'Kleingeschriebene' zu verschaffen. Des-halb Dank diesem
wirklichen Priester des lieben Gottes! Ich habe verstanden, was ich tun
muß, um Priester zu sein: ein anderer Christus werden. Daß Gott diesen
Priester hundertfach belohne, der mir das gelobte Land gezeigt hat, den
Aufstieg zu Gott, dem Gott-Retter der Welt. Es kann sein, daß
Rückschläge diesen schroffen Aufstieg markieren, aber da ist der
"goal", um uns erkennen zu las-sen: dies ist die Hoffnung des Triumphes.
Hier habe ich mich entschlossen, nach Rom zu gehen und meine Studien
zum Priestertum zu absolvieren. Welcher Vorzug vom lieben Gott! aber
welche Opfer für meinen Vater, der, seine Trä-nen zurückdrängend, mich
an den Bahnhof von Hue begleitete, genau wissend, daß es das letzte Mal
sein würde, daß er mich auf dieser Welt sähe. Aber sein Opfer wurde
angenommen. Es blieb ihm noch Zeit zu erfahren, daß ich zum Akolyten
und beim gleichen Mal, daß ich zum Subdiakon ge-weiht worden war. Aber
als Priester sah er mich erst vom Paradiese aus.
Meine Studien in Rom waren, vom menschlichen Gesichtspunkt aus gesehen,
eine einzige Reihe von Erfolgen: ich raffte alle Preise; Doktor in der
Philosophie, in der Theologie, im kano-nischen Recht, mit der Note
"sehr gut" oder "gut"; dann Genehmigung, an der Sorbonne zu dozie-ren.
Ich kehrte 1927 nach Hue zurück. Damals wurde ich zum Professor der
vietnamesischen Brüder ernannt, welche von Mgr. Allys gegründet worden
waren; dann Professor am großen Seminar, dann Studiendirektor des
Kollegs von der göttlichen Vorsehung, von wo ich, durch den Heiligen
Stuhl gerufen, fortging, um den Stuhl des apostolischen Vikariates von
Vinh-long zu besetzen.
Ich war der dritte Vietnamese, der zum Episkopat berufen wurde. Der
erste war Mgr. J. B. Nguyen-ba-Tong, ein Cochin-Chinese, für Phat-Diem
in Tonkin ernannt. Der zweite, Mgr. Can, mein geistiger Bruder, dann
geistiger Sohn von Mgr. Allys, besetzte in Vinh-long ein apostolisches
Vikariat, welches vom großen Vikariat Saigon abgetrennt worden war, von
dem der heiligmäßige Mgr. Dumortier Bischof war.
Es war im Jahre 1938. Ich war 41 Jahre alt. Nachdem ich am 8. Januar
1938 zum Titular-bischof von Sesina erwählt worden war, wurde ich am 4.
Mai 1938 konsekriert.
Der liebe Gott war mir bei der Verwaltung dieser Diözese behilflich:
ein Seminar zu errichten und den Pfarreien ihre 'Selbst-Genügsamkeit'
zu verleihen. Es entstand eine Musterdiözese. Vinh-long hat der
vietnamesischen Kirche schon zwei Bischöfe geschenkt, ein anderer
Bischof wurde letztens als Coadjutor geweiht. Diese drei Bischöfe
wurden von mir nach Europa gesandt, um die höheren Studien zu machen.
Neben der Verwaltung meiner Diözese hat der Heilige Stuhl und der
Episkopat mir die Gründung und die Organisation der Universität von
Dalat anvertraut. Der liebe Gott half. Ich konnte mit dem Geld, das im
Schweiße des Angesichts verdient wurde - durch die Nutzung eines
Waldes, ungefähr 30 Kilometer von Saigon entfernt -, diese Universität
erbauen, und zwar in amerikanischem Tempo. Ich fand Professoren, die
genauso dotiert wurden wie die mich ersetzenden Rektoren. Dies alles
waren die notwendigen Voraussetzungen für die Existenz dieser
Einrichtung, alles so, wie es sich für die Rektoren der verschiedensten
Universitäten gehört.
Die Anfangsgelder beliefen sich auf ungefähr zwei Millionen Dollar. Es
sind seither schon mehr als 15 Jahre vergangen. Diese Universität gilt
als die beste von Vietnam.
Endlich, am 25. November 1960 wurde ich in die Haupt-Erzdiözese von Hue
versetzt, dahin, wo ich am 6. Oktober 1897 das Licht der Welt
erblickte. Diese Fahrt, in den Augen der Welt glänzend, wurde durch den
Willen des 'Papstes' Pauls VI. gestoppt, der mir mit 73 Jahren die
Demission aufbürdete, um seinem Sohn den Platz zu überlassen: Mgr.
Philippe Nguyen-Kim-Dien. Ich sage 'sein Sohn', denn Mgr. Dien teilt
die Ostpolitik des jetztigen 'Papstes'.
Hier begann mein Kreuzweg, durch den mich der liebe Gott den Wendepunkt meines Lebens erkennen ließ.
Deo gratias!
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