Der "verlorene Sohn" - kommt er zurück?
Luc. 15,21: "Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen."
von Eberhard Heller
Seit ca. 1970 beschäftige ich mich mit den Problemen, die durch die Veröffentlichung und Umsetzung der Beschlüsse des II. Vatikans in der Kirche entstanden sind. Wenn man sieht, wie dadurch ein Prozeß des schleichenden Verlustes des Glaubens an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus eingeleitet wurde, der noch längst nicht an sein Ende gekommen ist, wird einem ein Grauen vor dem endlichen Resultat nicht erspart bleiben: eine Welt ohne Gott, mit den Früchten eines sog. Humanismus, der sich als Perversion geltender Werte und Sittenschranken erweist: legalisierte Abtreibung, Feminismus, Genderismus, Homophilie… mit der dunklen Variante des Kindesmißbrauchs. Da ohne feste Prinzipien, ist diese entchristtliche Welt zum Spielball aller möglichen, radikal auftretenden Ideologien und Religionen, die ihren Glauben dann um so leichter vertreten können, geworden. Es gibt Soziologen, die bereits vor einer Islamisierung Europas warnen. Was ist von unserer Seite, die wir doch alle behaupten, einen orthodoxen, d.i. recht-gläubigen Standpunkt zu vertreten, dagegen getan worden? Anfangs eine ganze Menge! Die Priestergeneration, die noch das Konzil hautnah miterlebt hatte, war sich sukzessive der ungeheuren Konsequenzen bewußt geworden. Es entstanden überall Meßzentren, nachdem die öffentliche Feier der hl. Messe zu Beginn der Fastenzeit 1976 verboten worden war. Man begann sich auf die Sicherung der gefährdeten apostolischen Sukzession zu konzentrieren. Abhandlungen über eine Wiederherstellung der Kirche wurden vorgelegt. Diese Kleriker-Generation war an einer Gesamtlösung der kirchlichen Probleme interessiert. Ihren ersten Höhepunkt erreichten diese Bemühungen in der Veröffentlichung der "Deklaration" von S.E. Erzbischof Ngô-dinh-Thuc, in der er den römischen Stuhl für vakant erklärte und Bemühungen in Aussicht stellte, den Prozeß der Salvierung einzuleiten, und den von ihm gespendeten Bischofsweihen an P. Guerard des Lauriers, P. Carmona und P. Zamora, beide aus Mexiko. Leider wurden diese Bemühungen zur Sicherung der Sukzession durch Streitigkeiten, die von Bischof Guerard des Lauriers ausgingen, der die Annahme seines (unhaltbaren) Konzeptes vom "Papa formaliter, non materialiter" als conditio sine qua non verlangte, empfindlich gestört. Die Unternehmungen zur Rettung der Sukzession gestalteten sich leider zusätzlich zur Farce, weil Kandidaten, die geweiht wurden, persönlich unwürdig oder unfähig zur Ausübung eines solchen Amtes waren. Dadurch wurde dem Anliegen des Wiederaufbaus schwer geschadet. Der eigentliche Niedergang des Widerstandes setzte ein mit der Nachfolge-Generation der Kleriker, die lediglich die Betreuung eines eher unaufgeklärten Klientels übernahm. Hinsichtlich der Wiederherstellung kirchlicher Strukturen geschah nichts! Oder fast nichts. Als ich im Jahr 2000 zusammen mit Herrn Klominsky und meinem Sohn Bernhard die Reise nach Mexiko zur Union Trento unternahm, geschah das in der Absicht, auf der Basis der Nachfolge-Deklaration - publiziert in EINSICHT Nr. 3 vom August 2000 - eine Restitution der Kirche als Heilsinstitution einzuleiten. Diese Nachfolge-Deklaration sollte die Deklaration von Mgr. Ngô-dinh-Thuc, in der er den römischen Stuhl, den Stuhl Petri für vakant erklärt hatte, insofern weiterführen, als darin die Schritte aufgeführt waren, wie denn die schon bei Mgr. Thuc angesprochene Wiederherstellung der Kirche zu leisten sei. Trotz allgemeiner Zustimmung zu der von Fr. Krier, Herrn Jerrentrup und mir vorbereiteten Erklärung seitens des Bischofs Davila und der Kleriker der Union Trento wurde aber der Vorstoß für eine direkte Initiative zur Restitution mit dem Hinweis, man müsse Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten des amerikanischen Bischofs Pivarunas, abgelehnt. Zwischen ihm und der Union Trento gab es eine gewisse Abhängigkeit: Pivarunas hatte einige Jahre zuvor Davila zum Bischof geweiht, weswegen sich zwischen ihm und der Union Trento eine pastorale Kooperation gebildet hatte, die man durch einseitige Aktivitäten nicht gefährden wollte. Mein Hinweis, daß Pivarunas sich durch seine bisherigen Aktivitäten nicht als maßgebend im katholischen Widerstand etabliert hatte - er verglich seine Aktivitäten mit denen von Ecône! -, wurde nicht akzeptiert. Auch die erbetene und zugesagte Übernahme einer Verantwortlichkeit für die pastorale Arbeit in Europa durch Entsendung von Priestern wurde nicht eingehalten. Die Mexikaner hatten noch darauf hingewiesen, daß sie es gleichsam als Gegenleistung für die Missionsarbeit der Franziskaner in Mexiko ansehen wollten, wenn nun sie nach Europa zur Betreuung kommen würden. Wahrscheinlich hatte bei dem Scheitern Pivarunas auch seine Hände im Spiel. Wie bereits gesagt, diejenigen, die von ihrer Ausbildung her eventuell das intellektuelle Potential gehabt hätten, um die raffinierten Formulierungen der vat. Dokumente zu durchschauen, haben sich wegen falscher persönlicher Rücksichtnahme zurückgezogen und sind in der Untätigkeit verschwunden. Die Laien haben in ihrer überwiegenden Mehrheit auch nur an die Sicherung ihres (persönlichen) Heilsweges gedacht, und die Kleriker haben sich damit begnügt, diese Erwartungen zu erfüllen. Sie haben so ihre Klientel "ruhig" gestellt. Was ist von dem sog. "orthodoxen" Widerstand zu erwarten? In der Zukunft? Seit dem Tod von Bischof Carmona 1991, der noch das Vertrauen genoß, diese orth. Bewegung zu einen, ist weltweit Funkstille eingetreten. Was also ist von diesen Siebenschläfern zu erwarten? Ja, vielleicht wacht der eine oder andere noch einmal auf. Kirchengeschichtlich gesehen gibt es keinen Krisenfall, der mit der heutigen Krise vergleichbar wäre. Wie soll dann eine geistige Besserung, eine Gesundung oder gar eine Erneuerung eintreten? Zunächst muß man konstatieren, daß eine Restitution nicht unbedingt eintreten muß. Wir können noch weiter in den Abgrund schliddern… bis hin zum freien Fall. Wenn es aber doch in Gottes Ratschluss beschlossen ist, diesen weltweiten Irrweg zu beenden, von wem ist bzw. kann dann eine Erneuerungsbewegung ausgehen? Ich erwarte sie mir noch am ehesten von denen, die diese Misere mitverursacht haben, denen es inzwischen vor den Früchten graust, die sie großgezogen haben, die aus tiefem Herzen ein "mea culpa" noch sagen können und sich auf die Umkehr aufmachen, ähnlich wie der verlorene Sohn (Lk. 15,11-32), der bei seinen Verfehlungen an einen Punkt gekommen war, der in ihm die Einsicht über die Konsequenzen seines Engagements für die falsche Sache wachsen ließ und der sich dann konsequent auf den Weg nach Hause begibt und dem Vater um Verzeihung bittet: "Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir." (Lk. 15,21) Der "verlorene Sohn" kann auch derjenige sein, der zunächst die Reformen mitinitiiert hat, dann aber deren theologische Haltlosigkeit, ihre religions-philosophische Verfehltheit entdeckt hat, obwohl er wußte, daß mit den Reformen bereits die Grenzen zur Tradition - das ist die conditio sine qua non, d.i. eine unüberschreitbare Grenze, die nur zum Schaden der Kirche überschritten wird, also völlig klarsichtig hinsichtlich der Konsequenzen - verlassen worden waren, der aber seine Fehler wieder gutmachen möchte. Denn es wurden nicht primär orthodoxe Ziele verfolgt, Ziele, die der Vertiefung des Glaubens und seiner Verbreitung dienten, sondern sog. politische, die umschrieben wurden mit Ökumene, mit Einheit mit den getrennten Brüdern, den Protestanten, mit interreligiösem Dialog, den Juden - was habe ich mit Rabbinern zu reden, die heute, heute! mit Kaiphas Christus für einen Gotteslästerer halten, der zu Recht zum Tode verurteilt wurde. Was gibt es da für einen Christen noch zu reden, zu dialogisieren? Wie könnten aber überhaupt Mitglieder der apostasierten Amtskirche sich wieder salvieren und für den Widerstand tätig werden? Sind sie durch ihren Abfall oder durch ihre Mitläufertum nicht amtsunfähig geworden? Natürlich können sie sich nicht einfach meinetwegen als Bischof von Fulda präsentieren, auf einen Sitz, auf den sie von der Amtskirche gesetzt wurden, falls sie ihre Fehler eingestanden haben. Aber unter der Voraussetzung der Spendung einer gültigen Weihe, die sie noch vor den Reformen erhalten haben müßten, und dem öffentlichen Bekenntnis ihrer Verfehlungen vor dem Forum "aller Rechtgläubigen und aller, die den katholischen und apostolischen Glauben fördern" (vgl. "Te igitur" im Canon Missae), dem Gremium, das die Kirche repräsentiert, wenn keine rechtmäßig installierten Bischöfe die Kirche führen, könnten diese Personen meiner Meinung nach zumindest bischöfliche (oder priesterliche) Funktionen ausüben. Eine andere Gruppe, die umkehren könnte, wäre die endlose Schar der Getäuschten., d.s. Personen, die zunächst gutwillig bei der Reformkirche eingestiegen sind, sich dort selbstlos engagiert hatten, besonders bei sozialen und karitativen Unternehmungen, die sogar Theologie studiert hatten und sich sogar zum Priester haben weihen lassen, die aber dann sukzessive gemerkt haben, daß da etwas schiefläuft, ja schieflaufen muß. So hat z.B. eine ganze Reihe von Gläubigen via Internet die EINSICHT als Quelle orthodoxer Positionen ausgemacht, denen man aber mangels fehlender kirchlicher Strukturen keine wirkliche Alternative zum kirchlichen Leben anbieten kann. Was ist dann von den Bruderschaften - der Pius- und der Petrus-Bruderschaft - zu halten? Ich antworte mit einer Gegenfrage. Wes Geistes Kind muß man sein, wenn einem die Oberen beider Bruderschaften empfehlen, für die Bekehrung des sog. Hl. Vaters zu beten. Wie können sie den als Oberhaupt der Kirche anerkennen, dem sie laufend Verletzungen des Glaubens und der Morallehre vorwerfen? Wie kommt man aus dieser widersprüchlichen Position heraus? Das Klientel dieser Gruppierungen ist theologisch und kirchlich über einen langen Zeitraum systematisch versaut worden. Wie sie sich entscheiden, ist ungewiss, weil zumindest die Mitglieder dieser Bruderschaften sich spekulativ verhalten haben, als "Schafe" im negativen Sinn. Und auch die, die die Bruderschaften wegen der widersprüchlichen Positionen verlassen haben, haben nur als klerikale Solisten, als clerici vagantes weiteroperiert, ohne sich um kirchliche Strukturen zu bemühen. Warum aber schauen wir immer aus nach Priestern als Mitgliedern einer kirchlichen Obrigkeit? Könnte man nicht als Laienorganisation die Restitution der Kirche weiter betreiben? Was wir als Laien unternehmen können, haben wir in einem erheblichen Um-fang schon geleistet: Aufklärung, Entwerfen von Programmen für die Restitution. Aber da enden auch die Anstrengungen der Laien. Warum? Weil das kirchliche System auf dem Klerus als Führerschaft und den Laien als Geführten aufgebaut ist: Hirten und Schafen, wie Christus im Gleichnis die Kirche sieht, wobei die Hirten diejenigen sein sollen, die das System durch die Zeit als Heilsinstitution hindurchtragen sollen. Die Kirche ist nicht bloß eine Gesinnungsgemeinschaft (das ist das protestantische Kirchenverständnis!), sondern eine Institution, die die von Christus eingesetzten Heilsmittel verwaltet und sich dabei selbst regenerieren kann (durch Übertragung der von Christus eingegebenen Vollmachten via Weihe), wobei es so ist, daß die kirchliche Gemeinschaft auch als Notgemeinschaft weiter existieren kann, indem die Sakramente der Taufe, auf der die Zugehörigkeit zur Kirche basiert, und die Ehe, auf der die sakramentale Gemeinschaft von Mann und Frau basiert, von Laien gespendet werden können. Um es zusammenzufassen: ein Laie könnte zwar einen Prozeß anstoßen, die Durchführung bliebe dem Klerus vorbehalten, also die Ideen zur Restitution müssen an die Priesterschaft delegiert werden. Solche Aufrufe, diesen Prozeß der Wiederherstellung kirchlicher Strukturen zu beginnen, sind in den letzten Jahrzehnten hörbar ausgesandt worden - und zwar mit Erscheinen jedes einzelnen Heftes der EINSICHT, also die Ideen sind auch nachlesbar! Aber dieses ständige Rufen fiel leider nicht auf den erhofften fruchtbaren Boden, sondern "fiel zwischen die Disteln", wo die Botschaft wegen Desinteresses und Bequemlichkeit von "den Dornen erstickt" (Mkc. 4,8) wurde. |