Ist Jesus Christus der Sohn Gottes?
von Eberhard Heller
Im letzten Heft der EINSICHT hatte ich die Frage nach der Erkennbarkeit Jesu Christi als Sohn Gottes, als das „Wort“, das sich im „Fleische“ niedergelassen, sich darin entäußert hat, das also Mensch geworden ist, bereits schon einmal gestellt. „Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria virgine: et homo factus est“, wie uns das Glaubensbekenntnis lehrt.
Um diese aufgestellte Behauptung, die uns durch die Tradition der Kirche – Schrift und Leben der Kirche (Tradition im engeren Sinne) vermittelt wurde, verifizieren zu können, hatte ich folgendes postuliert:
„In der Tradition muß ein Moment enthalten sein, ein genetisches, das mir den Zu-gang zu der absoluten Person weist, die sich dann auch als solche zeigen, sich offenbaren muß. Das Problem der Gottsuche für jede Person ist das: Glaube ist Gnade, die ich ohne das Zutun Gottes nicht erfahren würde. Gott muß sich mir also zeigen, mir das Tor zu [sich als] Gott als Person öffnen, mit dem ich in Verbindung trete, wenn er von sich aus den Kontakt aufnimmt (Johannes-Evangelium).“
Wie ist also die Frage nach der Erkennbarkeit Jesu Christi als Sohn Gottes zu beantworten, an welche Bedingungen ist die Erkennbarkeit geknüpft, lassen sich solche Bedingungen aufzeigen? Die Antwort auf diese Frage ist hoch aktuell.
Wenn es eine Entwicklung gibt, die unsere geistig-kulturelle Situation, unsere vollkommen durchgeformte säkulare Welt entscheidend prägt, dann ist es der schleichende Verlust des Glaubens an das „eingefleischte Wort“. Dieser Glaube an Jesus Christus, der immerhin noch die Basis bildete, auf der Luther noch stand, ist verdunstet wie „die Tautropfen in der Morgensonne“... mit all den damit zusammenhängenden Folgen. Um es klar zu machen: Wenn wir die Frage nach der Erkennbarkeit Christi als Gottes-Sohn nicht beantworten (können), haben wir kein Recht, andere Religionen abzulehnen. Denn wenn wir uns nur auf das bloße Tradieren der Glaubensinhalte berufen können, die im Gegensatz zum Islam historisch gesichert sind, während beim Islam die Frage nach der Herkunft des Koran und der Authentizität der Vita Mohammeds ungesichert ist, wie uns Islamgelehrte westlicher Provenienz versichern, müssen wir diesen erlauben, sich eben-falls auf ihre Tradition zu stützen.
Die lapidare Feststellung des hl. Johannes „er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh. 1,11), die er hinsichtlich der Verweigerung der Juden, den Messias anzuerkennen und ihn aufzunehmen als solchen, gemacht hatte, gilt in besonderem Maße für unsere heutige säkularisierte Zeit. Womöglich war auch die mangelnde Glaubensüberzeugung der Grund für die Annahme der häretischen Dokumente „Lumen gentium“, „Dignitas humanae“ und „Unitatis redintegratio“ auf dem II. Vatikanischen Konzil, in denen den anderen Religionen (u.a. Judentum und Islam) ebenso Heilswirksamkeit und Anerkennung zugesprochen wird.
Die Ablehnung Christi als wahrer Gott zeigt sich auch im alltäglichen Leben. Es ist immer weniger auf die Bewältigung geistiger, moralischer Probleme ausgerichtet, sondern auf die Durchführung materieller Interessen, bestenfalls noch auf humane. So verlagert sich der Besuch einer Kirche mehr und mehr auf den Gang in ein teures Restaurant, wo die Genüsse eines „Sterne-Koches“ quasi-liturgischen Charakter annehmen. Auf Bayern übertragen heißt das: Der Besucher des „Heiligen Berges“ in Andechs, des berühmtesten Wallfahrt- und Pilgerortes hier, geht nicht mehr in die Kirche mit den Hostienwundern, sondern bleibt gleich im nächsten Wirtshaus hängen.
Inzwischen ist von einigen Personen die Relevanz der Beantwortung dieser Frage erkannt worden. So äußerte sich der ehemalige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Norbert Blüm in einer öffentlichen Talkrunde in der ARD bei dem Moderator Günther Jauch am 14.10.2013 dahin gehend, daß aktuelle, strittige theologische Positionen nur geklärt werden könnten, wenn die entscheidende Frage beantwortet wäre, ob Christus Gottes Sohn ist, ob sich Gott tatsächlich geoffenbart habe.
Inzwischen hat auch die Piusbruderschaft eine Broschüre herausgegeben, die sich eben-falls mit der Frage beschäftigt „Ist Jesus Christus der Sohn Gottes? (pius.info, Stuttgart 2013) und sie dahingehend beantwortet, daß sie einmal die Quellen aufführt, die Christi historische Existenz belegen, daß sie zum anderen die Echtheit der Evangelien aufzeigt. Die Erfüllung der von Christus ausgesagten Prophezeiungen im Alten Testament wird ebenfalls als Beleg für die Wahrheit der göttlichen Offenbarung in Jesus Christus angeführt wie auch die Selbstzeugnisse Christi über seine irdische Mission. Diese Zeugnisse über und von Christus bestätigen aber nur das, was die Tradition als solche bereit hält. Die entscheidende Frage, was mich berechtigt sagen zu können, daß Christus Gottes Sohn ist, wird leider nicht beantwortet.
Das ist auch weiter nicht verwunderlich, denn mit diesem Problem betreten wir mehr oder weniger religions-philosophisches Neuland. Und ich bitte darum, daß meine Ausführungen zu diesem Problem nur als Versuch anzusehen sind, um schrittweise zu einer Lösung zu gelangen. Ich bin offen für jeden Einwurf, der hoffentlich zu einer weiteren Klärung der Frage nach Gottes irdischem Auftreten führt.
Das (bloß) Tradierte – Schrift und Tradition – liefern zwar ein umfassendes Wissen über die Person Jesu Christi und von ihr – ähnlich wie andere historische Zeugnisse ebenfalls, legen aber aus sich keine Basis, aus Überzeugung sagen zu können, daß er das „Fleisch gewordene Wort“ (Johannes 1, 1 ff.) ist.
Wenn sich aber dennoch die Behauptung von der Inkarnation im Erkennen begründen lassen sollte, dann muß in dem tradierten Material ein Moment enthalten sein, welches so beschaffen ist, daß sich diese Behauptung begründen lassen kann bzw. für deren Beantwortung Gründe anführen lassen. Ich habe dieses Moment bereits als das „genetische“ bezeichnet. Dieses muß einerseits in der Tradition verankert sein, zum anderen aber diese überragen. Es muß seine eigene Diginität aus sich heraus als absolut gültig zeigen, formal wie inhaltlich.
Auf der einen Seite wird es als Moment der Tradition weitergegeben – von Person zu Person, auf der anderen Seite muß aber jeder für sich dieses Aufleuchten des genetischen Momentes, d.i. des göttlichen Seins erfahren. Im Alten Testament wird vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs geredet. D.h. nun nicht, daß von drei Götter – für jeden einen – die Rede ist, sondern davon, daß jeder dieser Personen seine Gotteserfahrung machte.
Dieses Moment muß – formal gesehen -, da es die Ebene des bloß behaupteten Gott-Seins überschreiten soll/muß, nicht von außen bzw. von etwas anderem herangetragen werden, sondern muß sich selbst bezeugen. Da es sich bei Gott nicht um ein bloßes Sein handelt, sondern um eine absolute Sollens-Forderung, die ihrerseits ihre absolute Erfüllung fordert, also ein Soll, das auch sein Soll-Sein verlangt. Es muß in seinem Sich-Bezeugen erscheinen als das, was es soll und es soll, was es ist. Im Alten Testament bezeugt sich Gott mit der Aussage: „Ich bin der, der ich bin.“ „Ego sum, qui sum.“(Ex. 3,14) Um diese formale Struktur inhaltlich zu füllen, müssen wir auf das zurückgreifen, was uns dann in den tradierten Zeugnissen entgegentritt: der Wille Christi, der den Menschen nicht nur seine Liebe als Willen zur Liebes-Union, d.i. in einem gemeinsamen Willensschluß entgegenbringt, sondern der uns durch seinen Sühnetod aus unserer sündhaften Verstrickung herausholen will und uns wieder bundesfähig mit ihm machen will - wenn wir nur sein Angebot annehmen. D.h. wir erfahren von Gottes Liebe und seiner Überliebe, wobei er sich die Sünden der Menschen als die seinen auflud. „Christus ward für uns zur Sünde.“ (2 Kor. 5,21)
Was muß nun geschehen, daß ich in dieser Vita den Aufstieg zur Einsicht bekomme, daß sich darin nun tatsächlich Gott zeigt, der so handelt und nicht nur ein heiligmäßige (irdische) Person? Wenn ich z.B. die Biographie des hl. Franziskus studiere, erschließt sich mir sein heiligmäßiges Handeln, aber deswegen rede ich nicht von ihm als Gott. Das gleiche gilt für alle Heiligen, für den hl. Pfarrer von Ars wie auch für den hl. Don Bosco, der in meinen Augen eines der größten pädagogischen Genies war. Wo liegt der Unterschied in den willentlichen, heiligmäßigen Bezeugen der Angeführten zu Christus? Formal gesehen darin, daß sich diese Personen im Bemühen um ein heiligmäßiges Leben nicht auf sich selbst als Grund ihres Handeln berufen, sondern auf das Beispiel, auf das Vorbild Christi, in dessen Nachfolge, in der Imitatio Christi sie sich sehen. Sie versuchen, ihren Willen mit dem Christi zu einen, sich mit diesem gleichförmig zu machen. Das wäre der eine Punkt, daß sich heiligmäßige Personen nicht aus sich heraus verheiligen, sondern auf die Berufung auf Jesus Christus.
Inhaltlich muß es aber so sein, daß ich in Christi Willen das absolut heilige Tun sehe, welches sich mir in seiner Vita erschließt, d.h. im Studium der hl. Schrift oder in der Liebe einer anderen Person, die mich auf den Grund von dessen Liebe führt. Wenn also mein Wissen über Christus das des historischen Horizonts übersteigen soll, daß ich also in ihm nicht eine besonders hl. Person sehe, wie es Arius getan hat, dann muß mir in dem und aus dem, wie Christus in den Quellen (der Tradition) dargestellt wird, etwas aufleuchten, worin ich Christus als Prinzip der absoluten Heiligkeit erkenne, worin sich eben Christus als Gott zeigt und sich als solchen bezeugt. Wenn diese Einsicht vollzogen wird, dann erscheint Christus als Gott, wie er ist, und er ist, wie er erscheint: als die absolute Liebe, die in der Sühne-Liebe ihre eigene Überhöhung leistet und die nun auch in mir, in meinem Herzen brennt.
Damit wäre die eingangs gestellte Frage „Ist Christus Gottes Sohn?“ zumindest in groben Zügen beantwortet.
Ich werfe noch einmal einen Blick auf die Heiligen. Diese haben sich in ihrem Leben um Vervollkommnung bemüht, als sind von Punkt A nach B vorangeschritten, aus einem unheiligen Leben (hl. Franziskus) zu einem sich verheiligenden Leben. Gott dagegen muß erscheinen, muß sich bezeugen als das absolute Prinzip dieser Liebe, die kein Werden kennt.
N.b. ich merke hier an, daß Prof. Ratzinger in seiner Christologie von Christus redet als Gottes Sohn, weil er den Willen des Vaters vollkommen adaptiert hat. Damit wird aber der prinzipielle Unterschied zwischen der Erfüllung von Gottes Wille, wie sie die Heiligen leisten, und der Offenbarung der absoluten Liebe durch und in Jesus Christus aufgehoben und Christus als ein werdender Gott vorgestellt, wodurch sich Ratzinger zumindest als Semi-Arianer präsentiert (vgl. auch Wigand Siebel: „Zur theologischen Position von Kardinal Ratzinger - Ist Ratzinger ein Arianer?“ in EINSICHT Nr. 6 vom Okt. 2005) .
Die Identität von Sein und Erscheinen als formale Bedingung der angestrebten Einsicht in das göttliche Sein Christi wird inhaltlich eingeholt durch die Ansichtigkeit des absoluten Solls, das sich selbst bezeugt und das sich mir anschaulich (einschaubar) offenbart. Hier wird auch klar, warum der Glaube auch immer ein Akt der Gnade ist, d.i. die freie Gabe Gottes, sein Geschenk, das er denen verleiht, die sich zu ihm aufmachen.
Diese Einsicht fordert zugleich ihre Anerkennung als gültig, aus der heraus die Glaubensüberzeugung hervorgehen soll und aus der heraus ich aufgefordert bin, mein Leben zu gestalten. |