FRANCESCO
von Luciano A. Cordo
Καρολωιτωι φιλωι χορηγωιεις αει μνημα
1. Der Jesuit Giorgio Bergoglio wurde zum ‚Papst’ gewählt. Von da an hat er oft und verschiedentlich versucht, ein uraltes αποφθεγμα - einen uralten Ausspruch in Wort und Tat umzusetzen, welchen Ausspruch er auch in seinem früheren Leben oft und verschiedentlich zum Ausdruck gebracht hatte: Die Kirche müsse sich um die Armen kümmern. Sonst laufe sie die Gefahr, una organización no gubernamental con fines piadosos – etwa “ein regierungsunabhängiger Verein, der fromme Zwecke verfolgt”- zu werden.
Also: • (die Aufgabe =) sich um die Armen kümmern [A]; • (die Gefahr =) die Herabsetzung der Kirche, indem sie zu etwas wird, was sie eigentlich nicht ist [B].
Genauer betrachtet heißt [A] dieser uralte Ausspruch, während [B] laut Bergoglio die mögliche Folge aus [nicht-A] wäre. Somit besagte [A] eine wesensbezogene Aufgabe der Kirche. Nun gilt es, diese Bezogenheit etwas näher zu berücksichtigen.
2.1 Sicher hat sich die Kirche um die Armen zu kümmern. Wäre aber der Vollzug von [A] die causa formalis der Kirche [A, dann nicht-B], so hätten wir es mit einer Kirche zu tun, die Muselmanen, Juden, Taoisten, Ungläubige usw. eventuell mit umfaßt. Oder sehen sich all die glaubensmäßig, d. h. dem jeweiligen (Un-)Glauben nach daran gehindert, sich um die Armen zu kümmern? So kann [A] auch die differentia specifica der Kirche unmöglich sein.
2.1.1 Fraglich bleibt jedenfalls, ob sich diese, letzten Endes aristotelische Begrifflichkeit proprie anwenden läßt auf die Kirche, die ja, wie Gottes Sohn 1) (und im übrigen auch Parmenides´ Sein), 2) ein μονογενες: Einzigartiges ist.
2.2 Ist der Vollzug von [A] nicht die causa formalis der Kirche, so dürfte er vielleicht deren causa sine qua non [nicht-A, dann B] sein. Dies würde aber aus Armut eine Vorbedingung für die Existenz der Kirche machen. Wer die lobenswerte Aufgabe übernähme, gegen Armut zu kämpfen, der kämpfte auch gegen die Existenz der Kirche: Denn Armut wäre demnach wesensnotwendig für diese Existenz.
3. Bestimmt hat jedoch Bergoglio nicht das, was die Kirche ist, sondern das, was sie nicht ist. Enzyklopädien lassen sich allerdings verfassen, indem man erzählt, was ein einzelnes Ding nicht ist. So vermissen wir hier eine klare Aussage, was denn die Rö-misch-Katholische Kirche doch eigentlich ist – etwas, worüber uns zu belehren Petrus´ Nachfolger auf dem Römischen Lehrstuhl imstande sein sollte. Gerade Bergoglio scheint aber – im schroffen Gegensatz zu seinem Vorgänger- alle Dimensionen der Kirche auf den homo viator beschränkt zu haben: es gibt keine doctrina – Glaubenslehre mehr: übrig bleibt nur noch etwa ein “laßt uns mit Jesu wandern!”
4. In keiner Weise dürfen wir Christen darauf engherzig reagieren. Denn auf das Weltgeschehen nehmen wir einen bi-dimensionalen Bezug: die Bezugnahme des Cäsars (des Staates), die Bezugnahme des Gottes (der Kirche). Trotz manchem Berührungspunkt sind beide Sphären voneinander unabhängig.
4.1 Die Sphäre des Cäsars ist die ältere und bietet oft den Raum für die Entwicklung der Kirche: man denke z. B. an Konstantin und Nikäa. Was diese Sphäre anbelangt, so darf man schließen, daß Bekämpfung von Armut an und für sich, d. h. sofern nicht an weitere, illegitime Zwecke gebunden, immer eine gute Sache ist. Illegitimes ergibt sich u. a., wenn Hilfeleistung ausschließlich im Austausch für politische oder konfessionelle Gegenleistungen stattfindet. ¬ 4.1.1 Dabei sollte man auch der Worte eines unbekannten argentinischen Bischofs eingedenk bleiben: “Solange ich die Armen bloß füttere, werde ich für einen Heiligen gehalten - für einen Umstürzler jedoch, wenn ich die Frage stelle, warum die Armen überhaupt arm sind.” Denn die Bekämpfung von Armut ist grundsätzlich eine politische Aufgabe und steht insofern der Sphäre des Cäsars zu.
4.2 Was die Sphäre des Gottes anbelangt, so sieht die Sache wesentlich komplizierter aus. Denn das Weiterleben der Kirche ist, sosehr Bekämpfung von Armut Wünschenswertes auch bedeutet, nicht an diese gebunden. Die Ungültigkeit der Weihe von Bischöfen, Priestern – kurzum: die Abschaffung des sakramentalen Kirchenlebens versetzt uns in eine Lage, die der des Judentums zur Zeit Jesu ähnelt, wie diese vom zum Christentum bekehrten Rabbiner Drach beschrieben wird: 3) Einmal unterbrochen, so läßt sich die sakramentale Nachfolge nicht so einfach wiederherstellen – geschweige denn fortführen. Die Folgen: • allmähliches Absterben der echten Priesterschaft (Aaroniten – Christliche Bischöfe), • eigenständige Entfaltung der “rein philologischen” Schriftauslegung am Rande der sacramenta (Rabbinerschulen – Evangelische Kirchen). Somit wäre das Christentum lediglich zu einer Buchreligion geworden [B]. 4)
5. Theoretisch sehen wir uns in der nächsten Zukunft vor drei Möglichkeiten gestellt:
5.1 Gott entzieht sich selber (αποχωρησις). Gottes Anwesenheit (παρουσια) wird allmählich und unvermeidlich zur Abwesenheit (απουσια). Im Rahmen der Kirche (und nur da) sind die Sakramente Gottes Anwesenheit, Gottes Wirklichkeit (praesentia). Die echte Kirche ist aber zum Tode verurteilt. Auf den Tag folgt die Nacht. Wer die Nacht überlebt, der wird einen neuen Tag, eine neue göttliche Selbstoffenbarung (κοσμωι θειναι) 5) erleben – die nicht unbedingt eine christliche sein wird.
5.1.1 Diese Auffassung hat z. B. der schon erwähnte (lesenswerte) Religionswissenschaftler F. Schuon (1907 – 1998) vertreten: Auf die Theophanie, die Jesus selber ist, sei die Hierophanie der Schrift (der Islam) gefolgt. Die vollkommene Hierophanie der Schrift besage Gottes vollkommene Abwesenheit. Ob sich das verwirklichen lasse?
5.2 Aus den Überresten der echten Kirche wird sich diese eines Tages neu herausstrahlen. Hierbei hieße das Schlüsselwort nicht Aaroniten, sondern Katakomben.
5.3 Das ständig geheimnisvolle Wesen der Kirche birgt in sich etwas, was wir bislang nicht haben begreifen können bzw. nicht begriffen haben. So wäre dieses Wesen erneut zu durchdenken – womit wir zur Anfangsfrage, zur auch anfänglichen Frage zurückgekehrt sind: was denn die (echte) Kirche (eigentlich) sei. Zweifellos soll das Leitwort dann ja heißen: Die Tradition darf nie ersetzt, nur zu einem tieferen Sachverständnis ergründet werden.
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Anmerkungen:
1 ) Dazu vgl. man Alfred Schmoller, Handkonkordanz zum griechischen Neuen Testament, 14Stuttgart 1968. 2) Parmenides VIII 4 (Leonardo Taráns Ausgabe, Princeton University Press 1965). 3) P. L. B. Drach, De l´Harmonie entre l´Église et la Synagogue ou Perpétuité et Catholicité de la Religion chrétienne. Paris 1844 2 Bde. I 111-116. 4) Dazu vgl. man auch Frithjof Schuon, Islam and the Perennial Philosophy, o. O. 1976, Kap. 1. 5) Herodot II 52.1: θεοι = κοσμωι θεντες τα παντα πρηγματα και πασας νομας εχοντες. So lautet die allem Anschein nach älteste Erklärung des Gottesbegriffes: θεος = κοσμωι θεις. |