54. Jahrgang Nr. 6 / September 2024
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1. 9. Oktober 2012 – ein beklemmender Jahrestag
2. 30 Jahre Sedisvakanz-Erklärung
3. MACHT UND OHNMACHT DER KIRCHE
4. DAS FINSTERE MITTELALTER
5. Erneut auf dem Prüfstand
6. Von Abbas Agathon
7. Glaubensstarke Kämpferin für Wahrheit und Recht
8. Das Ankupplungsmanöver
9. In memoriam H.H. Pfr. Paul Schoonbroodt
10. Mitteilungen der Redaktion, Hinweise
11. October 9th, 2012 – an Oppressing Anniversary
Das Ankupplungsmanöver
 
Das Ankupplungsmanöver

von
Eberhard Heller

Fast geräuschlos haben sich die Verhandlungen zwischen Rom und Econe aus dem öffentlichen Interesse verabschiedet. Offensichtlich sind beide Seiten darum bemüht, ihre Verhandlungen auf kleiner Flamme weiterzukochen. Angeblich soll es sogar schon zu einem Abschluss auf der Basis des keinsten gemeinsamen Nenners gekommen sein. So berichtet http://www.katholisches.info:
"(Vatikan) Wie die französische Internetseite Riposte Catholique berichtet, wurden die unter strikter Geheimhaltung geführten Versöhnungsgespräche zwischen dem Heiligen Stuhl und der Priesterbruderschaft St. Pius X. bereits erfolgreich abgeschlossen. (…)

Während Nachrichten kursieren, wonach der Generalobere der Piusbruderschaft vergangene Woche [d.i. 24. KW] in Rom vom Präfekten der Glaubenskongregation William Kardinal Levada einen „unmöglich“ unterzeichenbaren Text erhalten habe, berichtete der gut informierte französische Blog für „Reinformation“, daß Msgr. Fellay „bereits unterschrieben“ hat. Es geht dabei um die Fassung der „Doktrinellen Präambel“ beziehungsweise den Anmerkungen der Piusbruderschaft dazu, die deren Generaloberer am 15. April dem Heiligen Stuhl übergeben hat. Die darin eingenommene Position der Priesterbruderschaft, die jener von Erzbischof Marcel Lefebvre, des Gründers der Bruderschaft, von 1988 entspricht, ist der „unterzeichnete“ Text. (…) Bereits am 5. Juni gab Pater Niklaus Pfluger, der erste Assistent des Generaloberen bei einem Vortrag im wesentlichen die Hauptelemente der Versöhnungsformel bekannt, nachdem sie von der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei als befriedigend befunden worden war. Das Verhandlungsgeschick und die Standhaftigkeit von Msgr. Fellay führten faktisch schließlich zu einer Lösung nach der bereits seinerzeit von Erzbischof Marcel Lefebvre eingenommenen Position. In ersten Stichworten ist lediglich bekannt, daß die zweitausendjährige Tradition der katholischen Kirche das entscheidende Interpretationskriterium ist, an dem auch das Zweite Vatikanische Konzil gemessen werden muß und nach dem es zu lesen ist." Das hieße dann auch, daß all jene "Kröten", an deren Herunterschlucken Schmidberger noch so viel Würgen verspürte, den Schlund hinuntergespült worden sind. (Vgl. EINSICHT Nr. 2 vom Mai 2012) Nach Plänen des Vatikans ist die Errichtung einer Personalprälatur für die Piusbruderschaft vorgesehen, eine Rechtsform, wie sie bisher nur für Opus Dei gilt.

Wie dem auch sei, zwei Punkte blieben noch anzusprechen. Einmal wäre dann das Manöver abgeschlossen, welches Mgr. Lefebvre immer im Auge hatte, nämlich die Traditionalisten wieder an die sog. "Amtskirche" anzukoppeln, ein Unternehmen, welches nicht vom einstigen Chef zu Ende geführt werden konnte, sondern mit Fellay und dem ehemaligen Generalobern Schmidberger, der einst zu seinem Kameraden Zeitler sich dahin anvertraute: "Wenn Du bei Lefebvre was werden willst, mußt Du Dein Hirn an der Pforte abgeben", was heißen soll: auf eigenständiges Denken zu verzichten. Wie es trotz mancher Zuckungen scheint, hat Schmidberger sein "Hirn an der Pforte" liegen lassen.

Bereits 1977 hatte ich in einem Artikel "Der Ankuppler" dieses Manöver einer Reunierung beschrieben. Seine Umsetzung hat etwas länger gedauert und war auch nur möglich, weil Ratzinger den Streit beenden wollte, weil er auch auf der Seite Econes keine unüberwindlichen Hindernisse sah, denn die Piusbrüder haben es bisher nicht fertig gebracht bzw. nicht gewollt, ihre Position durchgängig mit theologischen Argumenten zu stützen. So hätte es Ratzinger geschafft, jenen ärgerlichen Appendix, der lange Zeit noch die Tradition bemüht hatte, in den Armen seiner "Ecclesia" einzufangen und sie der Bedeutungslosigkeit preiszugeben.

In letzter Zeit bin ich darauf angesprochen worden, was von jenem Teil der Priesterbruderschaft zu halten sei, der den Deal mit Rom nicht mittragen würde und sich von ihrem Oberen Fellay eventuell abspalten könnten - das wäre der zweite Punkt, zu dem noch etwas gesagt werden kann. Wie ich mitbekommen habe, hegen etliche Gläubige die Hoffnung oder besser gesagt den Wunsch, daß sich dieser Teil, die das Unierungsdekret nicht unterschreiben und seine Distanz zu Rom weiterhin aufrecht erhalten würde, zu einer starken Front mit orthodoxer Ausrichtung entwickeln könnte, mit dem man, wenn man sich ihm nicht unterstellen, so doch kooperieren wollte.

Das sind Wünsche, verständlich angesichts der autoritätslosen Ansammlung von sedisvakantistischen Klerikern, die zudem untereinander noch zerstritten sind. Doch zu was sind diese angeblichen Hoffnungsträger fähig? Ihre Position, ihre Aktivitäten sind überprüfbar und lassen sich leicht bewerten. Zum einen hält diese retardierende Gruppierung um Williamson und den anderen Bischöfen am status quo fest. Econe überhaupt und auch diese Gruppierung haben sich nie dogmatisch so festgelegt, wie wir das getan haben. Nach ihnen ist Ratzinger zwar ein schlechter Papst, aber legitimer Oberhirte, der viel Unheil über die Kirche gebracht hat, indem er den Synkretismus gefördert hat, der aber auch viel Gutes im Sinne der Tradition bewirkt hat durch die Wiederzulassung der sog. alten Messe und die Korrektur der verfälschten Wandlungsworte. Außerdem hat Econe nie die Ungültigkeit des N.O.M. behauptet, weswegen die römischen Verhandlungspartner es nicht verstehen konnten, warum die Priesterbruderschaft einen von ihnen als gültig anerkannten Ritus nicht gebrauchen wollten. Also argumentativ sind und bleiben die Econer Papiertiger. Sie haben die Krise weitgehend auf dem Niveau eines Ritenstreites abgehandelt und damit die gesamte Auseinandersetzung mit der Reform-"Kirche" verfälscht. Was sollen wir von Leuten erwarten, die nur sagen, das "Wasser schmecke schlecht", obwohl es "vergiftet ist".

Aus einem Briefwechsel, der die Spannung innerhalb der Bruderschaft belegt

Brief an den Generalrat der Bruderschaft St. Pius X. – 7. April 2012


„Gewiss wünschen viele auf  beiden Seiten der derzeitigen Spaltung zwischen der Konzilskirche und der Priesterbruderschaft St. Pius X., dass  die katholische Einheit wiederhergestellt wird. Ein Bravo für diese Leute auf  beiden Seiten. Aber die alles beherrschende Realität, vor der all diese aufrichtigen Wünsche zurückstehen müssen, ist, dass seit dem Vatikanum II die offiziellen Autoritäten der Kirche sich von der katholischen Wahrheit getrennt haben, und heute zeigen sie sich ebenso entschlossen wie je, der Lehre und Praxis des Konzils treu zu bleiben.“

 (Sie zitieren aus einem Vortrag Lefebvres vor Priestern seiner Bruderschaft ein halbes Jahr vor seinem Tod, worin dieser sagte,) „dass es sich bei den Dokumenten des 2. Vatikanums und ihrer Interpretation durch die Autoritäten der Kirche weder  um oberflächliche Irrtümer noch um einzelne Irrtümer  wie Ökumenismus, religiöse Freiheit, Kollegialität handelt sondern um eine totale Perversion des Geistes, um eine neue, auf den Subjektivismus gegründete Philosophie“.

Sie kommen zu der Feststellung, „dass das Denken des derzeitigen Papstes ebenfalls durchtränkt ist vom Subjektivismus. Es ist die ganze subjektive Phantasie des Menschen anstelle der objektiven Realität Gottes. Es ist die ganze katholische Religion der modernen Welt unterworfen. Wie kann man glauben, dass ein praktisches Abkommen ein solches Problem in Ordnung bringen könnte?

Aber, wird man uns sagen, Benedikt XVI. ist wirklich wohlwollend gegen die Bruderschaft und ihre Lehre. Als Subjektivist  kann er es gut sein, denn die subjektivistischen Liberalen können sogar die Wahrheit dulden, aber nicht, dass sie es ablehnt, den Irrtum zu dulden. Er würde uns im Rahmen des relativistischen und dialektischen Pluralismus annehmen unter der Bedingung, dass wir in der ‚vollen Gemeinschaft’ bleiben in Bezug auf die Autorität und gegenüber den anderen ‚kirchlichen Realitäten’. Deswegen können die römischen Autoritäten dulden, dass die Bruderschaft weiterhin die katholische Lehre verkündet, aber sie würden absolut nicht zulassen, dass sie die Konzilslehre verurteilt. Deshalb würde selbst ein rein praktisches Abkommen notwendigerweise auf Seiten der Bruderschaft zunehmend jede Kritik am Konzil oder an der neuen Messe zum Schweigen bringen. Wenn sie aufhörte, die bedeutendsten Errungenschaften der Revolution anzugreifen, würde die arme Bruderschaft notwendigerweise aufhören, sich der allgemeinen Apostasie unserer beklagenswerten Zeit entgegenzustellen, und sie selbst würde verschwinden. Wer würde uns letztendlich garantieren, dass wir bleiben, was wir sind, indem er uns vor der römischen Kurie und den Bischöfen schützten? Papst Benedikt XVI.? Man mag es abstreiten, aber dieses Abrutschen ist unvermeidlich. Sieht man nicht schon in der Bruderschaft Symptome dieser Schwächung? (...) Wie soll man gehorchen und weiterhin die ganze Wahrheit predigen? Wie soll man ein Abkommen schließen, ohne dass die Bruderschaft im Widerspruch verkommt? (...)

Sollte sich die Bruderschaft, nachdem sie mehr als 40 Jahre lang gekämpft hat, nun in die Hände von Modernisten und Liberalen geben, deren Hartnäckigkeit wir festgestellt haben?

Monseigneur, ihr Herren Abbés, geben Sie acht, Sie führen die Bruderschaft zu einem Punkt, an dem sie nicht umkehren kann, zu einer tiefen Spaltung ohne Wiederkehr, und wenn Ihnen ein solches Abkommen gelingt, zu mächtigen destruktiven Einflüssen, denen sie nicht standhalten kann.

De Galareta
Tissier de Mallerais
Williamson

Antwort Mgr. Fellays – 14. April 2012


 (...) Die Beschreibung ist mit 2 Fehlern behaftet in Bezug auf die Realität der Kirche. Es fehlt ihr an Übernatürlichem und gleichzeitig an Realismus.

An Übernatürlichem: Wenn man sie liest, fragt man sich ernstlich, ob Sie noch glauben, dass diese sichtbare Kirche, deren Sitz in Rom ist, noch die Kirche unseres Herrn Jesus Christus ist, eine gewiss furchtbar entstellte Kirche..., aber eine Kirche, die trotzdem und immer noch unseren Herrn Jesus Christus zum Haupt hat. Man hat den Eindruck, dass Sie dermaßen Ärgernis genommen haben, dass Sie nicht mehr annehmen, dass das noch wahr sein könnte. Ist für Sie Benedikt XVI. noch der rechtmäßige Papst? Wenn er es ist, kann Jesus Christus noch durch seinen Mund sprechen? Wenn der Papst uns betreffend einen legitimen Willen ausdrückt, der gut ist, der keinen Befehl gegen die Gebote Gottes gibt, hat man da das Recht, diesen Willen zu vernachlässigen?

Bei der Haltung, die Sie befürworten, gibt es keinen Platz mehr für die Gedeons und die Davids, noch für die, welche auf die Hilfe des Herrn zählen. Sie werfen uns vor, naiv zu sein oder Angst zu haben, aber Ihre Sicht der Kirche ist zu menschlich und sogar fatalistisch. Sie sehen die Gefahren, die Verschwörungen, die Schwierigkeiten, aber Sie sehen nicht mehr den Beistand der Gnade und des Heiligen Geistes. Wenn man annehmen will, dass die göttliche Vorsehung die Angelegenheiten der Menschen leitet und ihnen dabei ihre Freiheit lässt, dann muss man auch annehmen, dass die Gesten der letzten Jahre zu unseren Gunsten, unter ihrer Leitung stehen. Sie lassen nun eine – nicht ganz gerade – Linie erkennen, die aber klar zugunsten der Tradition ist. ...

Gleichzeitig fehlt es ihr an Realismus sowohl hinsichtlich der Intensität der Irrtümer als auch hinsichtlich ihres Ausmaßes. In der Bruderschaft ist man dabei, aus den Irrtümern des Konzils Super-Häresien zu machen, das wird so etwas wie das absolute Böse, schlimmer als alles, ebenso wie die Liberalen dieses Pastoralkonzil dogmatisiert haben. ... Es gibt keine Unterscheidung mehr. Während doch Mgr. Lefebvre mehrmals die nötigen Unterscheidungen bezüglich des Liberalen gemacht hat. Dieser Mangel an Unterscheidung führt den einen oder anderen von Ihnen zu einer „absoluten“ Verstocktheit. Das ist schlimm, weil diese Karikatur in der Wirklichkeit nicht mehr ist, und sie wir logischerweise in der Zukunft zu einem richtigen Schisma führen. Und vielleicht ist das ein Argument, das mich antreibt, nicht mehr mit der Antwort an die römischen Instanzen zu zögern.

Ausmaß: Einerseits bürdet man den heutigen Autoritäten die Verantwortung für alle Irrtümer und Übel auf, die man in der Kirche findet, und lässt außer acht, dass sie wenigstens zum Teil versuchen, die schwersten unter ihnen zu beseitigen. ... Andererseits behauptet man, dass ALLE in dieser Hartnäckigkeit verwurzelt seien („alle Modernisten, alle verdorben.“) Nun ist das offensichtlich falsch. Eine große Mehrheit ist noch immer von der Bewegung mitgerissen, aber nicht alle.

In der entscheidenden Frage von allen, derjenigen, der Möglichkeit zu überleben unter den Bedingungen einer Anerkennung der Bruderschaft durch Rom, kommen wir nicht zu demselben Schluss wie Sie.

Es sei am Rande bemerkt, dass WIR KEIN praktisches Abkommen GESUCHT HABEN. Das ist falsch. Wir haben nicht, wie Sie es verlangen, a priori abgelehnt, das Angebot des Papstes zu erwägen. Für das Gemeinwohl der Bruderschaft würden wir bei weitem die derzeitige Lösung des Status quo bevorzugen, aber offensichtlich duldet Rom es nicht mehr.

In sich ist die vorgeschlagene Lösung der Personal-Prälatur keine Falle. Das geht zunächst daraus hervor, dass die heutige Situation im April 2012 ganz verschieden ist von der des Jahres 1988. Zu behaupten, dass sich nichts geändert habe, ist ein historischer Irrtum. Die gleichen Übel lassen die Kirche leiden, die Folgen sind noch schwerer und offenkundiger als damals; aber gleichzeitig kann man in der Kirche eine Änderung in der Haltung feststellen, gefördert durch die Gesten und Taten Benedikts XVI. der Tradition gegenüber. Diese neue Bewegung ... wird immer stärker. Sie betrifft eine große Zahl (noch immer eine Minderheit) junger Priester, Seminaristen und sogar schon eine kleine Anzahl junger Bischöfe, die sich klar von ihren Vorgängern unterscheiden, die uns ihre Sympathie und ihre Unterstützung ausdrücken, die aber noch einigermaßen unterdrückt werden von der in der Hierarchie vorherrschenden Linie zugunsten des Vatikanums II. Diese Hierarchie wird abgebremst. Das ist objektiv und zeigt, dass es nicht mehr illusorisch ist, einen Kampf „intra muros“ in Betracht zu ziehen, dessen Härte und Schwierigkeit uns sehr wohl bewusst ist. Ich konnte in Rom feststellen, wie die Rede über die Herrlichkeiten des Vatikanums II, die man uns wiederkäuen wird, wenn sie noch im Munde vieler ist, jedoch nicht mehr in allen Köpfen. Immer weniger glauben daran.

Diese konkrete Situation mit der vorgeschlagenen kanonischen Lösung ist ganz verschieden von der von 1988.

 (aus: Sous la Bannière, Nr. 161, Mai-Juni 2012, S. 3-7, übers. von Elfriede Meurer)
 
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