54. Jahrgang Nr. 6 / September 2024
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1. 9. Oktober 2012 – ein beklemmender Jahrestag
2. 30 Jahre Sedisvakanz-Erklärung
3. MACHT UND OHNMACHT DER KIRCHE
4. DAS FINSTERE MITTELALTER
5. Erneut auf dem Prüfstand
6. Von Abbas Agathon
7. Glaubensstarke Kämpferin für Wahrheit und Recht
8. Das Ankupplungsmanöver
9. In memoriam H.H. Pfr. Paul Schoonbroodt
10. Mitteilungen der Redaktion, Hinweise
11. October 9th, 2012 – an Oppressing Anniversary
Erneut auf dem Prüfstand
 
Erneut auf dem Prüfstand:
die Übersetzung der Wandlungsworte "pro multis":
"für alle" oder "für viele"?


Vorwort der Redaktion

Es gibt sicherlich eine Reihe von Traditionalisten, die den Schritt Ratzingers/Benedikt XVI., die gefälschten Wandlungsworte ("für alle") wieder korrekt zu übersetzen ("für viele") und so in eine Korrektur des N.O.M. zu überführen, für den zweiten Schritt seiner Bekehrung zurück zur Orthodoxie halten wollen, nachdem er doch schon nach millionenfachem Beten von Rosenkränzen (Econe) die "alte Messe" wieder zugelassen hatte. Doch sieht man sich seine Erklärung genauer an, so geht es ihm mit dieser Korrektur nicht um die Beseitigung einer häretischen Interpretation, die mit der Verfälschung der Wandlungsworte verbunden war, sondern nur um die Behebung eines philologischen Fehlers.

Wir drucken zunächst Ratzingers Schreiben an Zollitsch ab, um es im Anschluß daran zu kommentieren.

Eberhard Heller

***

SCHREIBEN VON PAPST BENEDIKT XVI. AN DEN ERZBISCHOF VON FREIBURG UND VORSITZENDEN DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ, DR. ROBERT ZOLLITSCH

(http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/letters/2012/documents/hf_ben-xvi_let_20120414_zollitsch_ge.html)

Vatikanstadt 14.4.2012

Seiner Exzellenz dem Hochwürdigsten Herrn Dr. Robert Zollitsch
Erzbischof von Freiburg, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Herrenstraße 9, D - 79098  F R E I B U R G

Exzellenz! Sehr geehrter, lieber Herr Erzbischof!

Bei Ihrem Besuch am 15. März 2012 haben Sie mich wissen lassen, daß bezüglich der Übersetzung der Worte „pro multis“ in den Kanongebeten der heiligen Messe nach wie vor keine Einigkeit unter den Bischöfen des deutschen Sprachraums besteht. Es droht anscheinend die Gefahr, daß bei der bald zu erwartenden Veröffentlichung der neuen Ausgabe des „Gotteslobs“ einige Teile des deutschen Sprachraums bei der Übersetzung „für alle“ bleiben wollen, auch wenn die Deutsche Bischofskonferenz sich einig wäre, „für viele“ zu schreiben, wie es vom Heiligen Stuhl gewünscht wird. Ich habe Ihnen versprochen, mich schriftlich zu dieser schwerwiegenden Frage zu äußern, um einer solchen Spaltung im innersten Raum unseres Betens zuvorzukommen. Den Brief, den ich hiermit durch Sie den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz schreibe, werde ich auch den übrigen Bischöfen des deutschen Sprachraums zusenden lassen.

Lassen Sie mich zunächst kurz ein Wort über die Entstehung des Problems sagen. In den 60er Jahren, als das Römische Missale unter der Verantwortung der Bischöfe in die deutsche Sprache zu übertragen war, bestand ein exegetischer Konsens darüber, daß das Wort „die vielen“, „viele“ in Jes 53, 11f eine hebräische Ausdrucksform sei, um die Gesamtheit, „alle“ zu benennen. Das Wort „viele“ in den Einsetzungsberichten von Matthäus und Markus sei demgemäß ein Semitismus und müsse mit „alle“ übersetzt werden. Dies bezog man auch auf den unmittelbar zu übersetzenden lateinischen Text, dessen „pro multis“ über die Evangelienberichte auf Jes 53 zurückverweise und daher mit „für alle“ zu übersetzen sei. Dieser exegetische Konsens ist inzwischen zerbröckelt; er besteht nicht mehr. In der deutschen Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift steht im Abendmahlsbericht: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Mk 14, 24: vgl. Mt 26, 28). Damit wird etwas sehr Wichtiges sichtbar: Die Wiedergabe von „pro multis“ mit „für alle“ war keine reine Übersetzung, sondern eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist.

Diese Verschmelzung von Übersetzung und Auslegung gehört in gewisser Hinsicht zu den Prinzipien, die unmittelbar nach dem Konzil die Übersetzung der liturgischen Bücher in die modernen Sprachen leitete. Man war sich bewußt, wie weit die Bibel und die liturgischen Texte von der Sprach- und Denkwelt der heutigen Menschen entfernt sind, so daß sie auch übersetzt weithin den Teilnehmern des Gottesdienstes unverständlich bleiben mußten. Es war ein neues Unternehmen, daß die heiligen Texte in Übersetzungen offen vor den Teilnehmern am Gottesdienst dastanden und dabei doch in einer großen Entfernung von ihrer Welt bleiben würden, ja, jetzt erst recht in ihrer Entfernung sichtbar würden. So fühlte man sich nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, in die Übersetzung schon Interpretation einzuschmelzen und damit den Weg zu den Menschen abzukürzen, deren Herz und Verstand ja von diesen Worten erreicht werden sollten.

Bis zu einem gewissen Grad bleibt das Prinzip einer inhaltlichen und nicht notwendig auch wörtlichen Übersetzung der Grundtexte weiterhin berechtigt. Da ich die liturgischen Gebete immer wieder in verschiedenen Sprachen beten muß, fällt mir auf, daß zwischen den verschiedenen Übersetzungen manchmal kaum eine Gemeinsamkeit zu finden ist und daß der zugrundeliegende gemeinsame Text oft nur noch von weitem erkennbar bleibt. Dabei sind dann Banalisierungen unterlaufen, die wirkliche Verluste bedeuten. So ist mir im Lauf der Jahre immer mehr auch persönlich deutlich geworden, daß das Prinzip der nicht wörtlichen, sondern strukturellen Entsprechung als Übersetzungsleitlinie seine Grenzen hat. Solchen Einsichten folgend hat die von der Gottesdienst-Kongregation am 28. 3. 2001 erlassene Übersetzer-Instruktion Liturgiam authenticam wieder das Prinzip der wörtlichen Entsprechung in den Vordergrund gerückt, ohne natürlich einen einseitigen Verbalismus vorzuschreiben. Die wichtige Einsicht, die dieser Instruktion zugrunde liegt, besteht in der eingangs schon ausgesprochenen Unterscheidung von Übersetzung und Auslegung. Sie ist sowohl dem Wort der Schrift wie den liturgischen Texten gegenüber notwendig. Einerseits muß das heilige Wort möglichst als es selbst erscheinen, auch mit seiner Fremdheit und den Fragen, die es in sich trägt; andererseits ist der Kirche der Auftrag der Auslegung gegeben, damit – in den Grenzen unseres jeweiligen Verstehens – die Botschaft zu uns kommt, die der Herr uns zugedacht hat. Auch die einfühlsamste Übersetzung kann die Auslegung nicht ersetzen: Es gehört zur Struktur der Offenbarung, daß das Gotteswort in der Auslegungsgemeinschaft der Kirche gelesen wird, daß Treue und Vergegenwärtigung sich miteinander verbinden. Das Wort muß als es selbst, in seiner eigenen, vielleicht uns fremden Gestalt da sein; die Auslegung muß an der Treue zum Wort selbst gemessen werden, aber zugleich es dem heutigen Hörer zugänglich machen.

In diesem Zusammenhang ist vom Heiligen Stuhl entschieden worden, daß bei der neuen Übersetzung des Missale das Wort „pro multis“ als solches übersetzt und nicht zugleich schon ausgelegt werden müsse. An die Stelle der interpretativen Auslegung „für alle“ muß die einfache Übertragung „für viele“ treten. Ich darf dabei darauf hinweisen, daß sowohl bei Matthäus wie bei Markus kein Artikel steht, also nicht „für die vielen“, sondern „für viele“. Wenn diese Entscheidung von der grundsätzlichen Zuordnung von Übersetzung und Auslegung her, wie ich hoffe, durchaus verständlich ist, so bin ich mir doch bewußt, daß sie eine ungeheure Herausforderung an alle bedeutet, denen die Auslegung des Gotteswortes in der Kirche aufgetragen ist. Denn für den normalen Besucher des Gottesdienstes erscheint dies fast unvermeidlich als Bruch mitten im Zentrum des Heiligen. Sie werden fragen: Ist nun Christus nicht für alle gestorben? Hat die Kirche ihre Lehre verändert? Kann und darf sie das? Ist hier eine Reaktion am Werk, die das Erbe des Konzils zerstören will? Wir wissen alle durch die Erfahrung der letzten 50 Jahre, wie tief die Veränderung liturgischer Formen und Texte die Menschen in die Seele trifft; wie sehr muß da eine Veränderung des Textes an einem so zentralen Punkt die Menschen beunruhigen. Weil es so ist, wurde damals, als gemäß der Differenz zwischen Übersetzung und Auslegung für die Übersetzung „viele“ entschieden wurde, zugleich festgelegt, daß dieser Übersetzung in den einzelnen Sprachräumen eine gründliche Katechese vorangehen müsse, in der die Bischöfe ihren Priestern wie durch sie ihren Gläubigen konkret verständlich machen müßten, worum es geht. Das Vorausgehen der Katechese ist die Grundbedingung für das Inkrafttreten der Neuübersetzung. Soviel ich weiß, ist eine solche Katechese bisher im deutschen Sprachraum nicht erfolgt. Die Absicht meines Briefes ist es, Euch alle, liebe Mitbrüder, dringendst darum zu bitten, eine solche Katechese jetzt zu erarbeiten, um sie dann mit den Priestern zu besprechen und zugleich den Gläubigen zugänglich zu machen.

In einer solchen Katechese muß wohl zuerst ganz kurz geklärt werden, warum man bei der Übersetzung des Missale nach dem Konzil das Wort „viele“ mit „alle“ wiedergegeben hat: um in dem von Jesus gewollten Sinn die Universalität des von ihm kommenden Heils unmißverständlich auszudrücken. Dann ergibt sich freilich sofort die Frage: Wenn Jesus für alle gestorben ist, warum hat er dann in den Abendmahlsworten „für viele“ gesagt? Und warum bleiben wir dann bei diesen Einsetzungsworten Jesu? Hier muß zunächst noch eingefügt werden, daß Jesus nach Matthäus und Markus „für viele“, nach Lukas und Paulus aber „für euch“ gesagt hat. Damit ist scheinbar der Kreis noch enger gezogen. Aber gerade von da aus kann man auch auf die Lösung zugehen. Die Jünger wissen, daß die Sendung Jesu über sie und ihren Kreis hinausreicht; daß er gekommen war, die verstreuten Kinder Gottes aus aller Welt zu sammeln (Joh 11, 52). Das „für euch“ macht die Sendung Jesu aber ganz konkret für die Anwesenden. Sie sind nicht irgendwelche anonyme Elemente einer riesigen Ganzheit, sondern jeder einzelne weiß, daß der Herr gerade für mich, für uns gestorben ist. „Für euch“ reicht in die Vergangenheit und in die Zukunft hinein, ich bin ganz persönlich gemeint; wir, die hier Versammelten, sind als solche von Jesus gekannt und geliebt. So ist dieses „für euch“ nicht eine Verengung, sondern eine Konkretisierung, die für jede Eucharistie feiernde Gemeinde gilt, sie konkret mit der Liebe Jesu verbindet. Der Römische Kanon hat in den Wandlungsworten die beiden biblischen Lesarten miteinander verbunden und sagt demgemäß: „Für euch und für viele“. Diese Formel ist dann bei der Liturgie-Reform für alle Hochgebete übernommen worden.

Aber nun noch einmal: Warum „für viele“? Ist der Herr denn nicht für alle gestorben? Daß Jesus Christus als menschgewordener Sohn Gottes der Mensch für alle Menschen, der neue Adam ist, gehört zu den grundlegenden Gewißheiten unseres Glaubens. Ich möchte dafür nur an drei Schrifttexte erinnern: Gott hat seinen Sohn „für alle hingegeben“, formuliert Paulus im Römer-Brief (Röm 8, 32). „Einer ist für alle gestorben“, sagt er im zweiten Korinther-Brief über den Tod Jesu (2 Kor 5, 14). Jesus hat sich „als Lösegeld hingegeben für alle“, heißt es im ersten Timotheus-Brief (1 Tim 2, 6). Aber dann ist erst recht noch einmal zu fragen: Wenn dies so klar ist, warum steht dann im Eucharistischen Hochgebet „für viele“? Nun, die Kirche hat diese Formulierung aus den Einsetzungs-Berichten des Neuen Testaments übernommen. Sie sagt so aus Respekt vor dem Wort Jesu, um ihm auch bis ins Wort hinein treu zu bleiben. Die Ehrfurcht vor dem Wort Jesu selbst ist der Grund für die Formulierung des Hochgebets. Aber dann fragen wir: Warum hat wohl Jesus selbst es so gesagt? Der eigentliche Grund besteht darin, daß Jesus sich damit als den Gottesknecht von Jes 53 zu erkennen gab, sich als die Gestalt auswies, auf die das Prophetenwort wartete. Ehrfurcht der Kirche vor dem Wort Jesu, Treue Jesu zum Wort der „Schrift“, diese doppelte Treue ist der konkrete Grund für die Formulierung „für viele“. In diese Kette ehrfürchtiger Treue reihen wir uns mit der wörtlichen Übersetzung der Schriftworte ein.

So wie wir vorhin gesehen haben, daß das „für euch“ der lukanisch-paulinischen Tradition nicht verengt, sondern konkretisiert, so können wir jetzt erkennen, daß die Dialektik „viele“ – „alle“ ihre eigene Bedeutung hat. „Alle“ bewegt sich auf der ontologischen Ebene – das Sein und Wirken Jesu umfaßt die ganze Menschheit, Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft. Aber faktisch, geschichtlich in der konkreten Gemeinschaft derer, die Eucharistie feiern, kommt er nur zu „vielen“. So kann man eine dreifache Bedeutung der Zuordnung von „viele“ und „alle“ sehen. Zunächst sollte es für uns, die wir an seinem Tische sitzen dürfen, Überraschung, Freude und Dankbarkeit bedeuten, daß er mich gerufen hat, daß ich bei ihm sein und ihn kennen darf. „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad’ in seine Kirch’ berufen hat…“. Dann ist dies aber zweitens auch Verantwortung. Wie der Herr die anderen – „alle“ – auf seine Weise erreicht, bleibt letztlich sein Geheimnis. Aber ohne Zweifel ist es eine Verantwortung, von ihm direkt an seinen Tisch gerufen zu sein, so daß ich hören darf: Für euch, für mich hat er gelitten. Die vielen tragen Verantwortung für alle. Die Gemeinschaft der vielen muß Licht auf dem Leuchter, Stadt auf dem Berg, Sauerteig für alle sein. Dies ist eine Berufung, die jeden einzelnen ganz persönlich trifft. Die vielen, die wir sind, müssen in der Verantwortung für das Ganze im Bewußtsein ihrer Sendung stehen. Schließlich mag ein dritter Aspekt dazukommen. In der heutigen Gesellschaft haben wir das Gefühl, keineswegs “viele“ zu sein, sondern ganz wenige – ein kleiner Haufe, der immer weiter abnimmt. Aber nein – wir sind „viele“: „Danach sah ich: eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen“, heißt es in der Offenbarung des Johannes (Offb 7, 9). Wir sind viele und stehen für alle. So gehören die beiden Worte „viele“ und „alle“ zusammen und beziehen sich in Verantwortung und Verheißung aufeinander.

Exzellenz, liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Mit alledem wollte ich die inhaltlichen Grundlinien der Katechese andeuten, mit der nun so bald wie möglich Priester und Laien auf die neue Übersetzung vorbereitet werden sollen. Ich hoffe, daß dies alles zugleich einer tieferen Mitfeier der heiligen Eucharistie dienen kann und sich so in die große Aufgabe einreiht, die mit dem „Jahr des Glaubens“ vor uns liegt. Ich darf hoffen, daß die Katechese bald vorgelegt und so Teil der gottesdienstlichen Erneuerung wird, um die sich das Konzil von seiner ersten Sitzungsperiode an gemüht hat.

Mit österlichen Segensgrüßen verbleibe ich im Herrn Ihr

BENEDICTUS PP XVI

***

Kommentar


von
Eberhard Heller

Eigentlich ist zu dem Thema, ob die lateinische Fassung in der Konsekrationsformel "pro multis" mit "für viele" oder mit "für alle", wie es die progressistischen Liturgiereformer getan haben, übersetzt werden kann, alles gesagt. In der EINSICHT wurde die Verfälschung in "für alle" in den frühen 70ern in der Hauptsache von dem gelernten Theologen Franz Bader eingehend und ausführlich abgehandelt. In der DEUTSCHEN TAGES-POST, die damals noch von der sog. Deutschen Bischofskonferenz gesponsert wurde, tobte jahrelang eine kontrovers geführte Auseinandersetzung zwischen Befürwortern der Übersetzung von "für viele" bzw. denen, die aus "pro multis" ein "für alle" herauslesen mußten.

Es ist darum erstaunlich, warum Ratzinger die Debatte darüber erneut angestoßen hat, zumal er sie, wenn es ihm um den ökumenischen Gleichklang mit den Protestanten gegangen wäre, schon als Präfekt der sog. Glaubenskongregation hätte führen können. Damals, um 1999, als er führend die Formel für die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung mitgestaltet hatte und er protestantische Lehre und katholisches Dogma gleichmäßig verfälscht hatte, hätte er auch für das "für viele" votieren können, eine Übersetzung des "pro multis", die meines Wissens von protestantischen Theologen nicht angezweifelt worden war. 

Es gab Ende der 70er Jahre - vor 1977 - über den 1982 verstorbenen Prof. Tibor Gallus, dem mariologischen Berater Pius XII., der als Dozent an der Universität Regensburg lehrte, Kontakt zu dessen Kollegen Prof. Ratzinger, der gleichfalls in Regensburg dozierte, um das Problem der gefälschten Wandlungsworte zu diskutieren. Ratzinger war damals der Auffassung, daß die Übersetzung in "für alle" zwar falsch, aber nicht häretisch sei… die Position, die wir vertreten. Warum die Verfälscher "gute Gründe" hatten, wie er neuerdings schreibt, hatte er früher nicht erläutert.

Daß Ratzinger als Benedikt XVI. die Debatte über die Übersetzung von "pro multis" erneut angestoßen hat, dafür gibt er zwei Gründe an: einmal, um die Dissonanzen mit den Lutheranern im Bereich der Ökumene auszumerzen, die nie in ihrer Abendmahlsfeier die gefälschte Version von "pro multis" benutzt haben, und zum anderen, weil der Konsens mit den "für alle"-Propagandisten nicht mehr gegeben sei. Wie es zu diesem - hier als Faktum eingeführten - Gesinnungswandel gekommen sein soll und bei wem er stattgefunden hat, verschweigt Ratzinger. Mir ist nicht bekannt, daß sich auch nur ein einziger der sog. deutschen Bischöfe für eine Korrektur der Verfälschung eingesetzt hat.

Für die Rückkehr zur richtigen Übersetzung von "pro multis" gibt Ratzinger nur philologische Gründe an. Er schreibt: "In diesem Zusammenhang ist vom Heiligen Stuhl entschieden worden, dass bei der neuen Übersetzung des Missale das Wort "pro multis" als solches übersetzt und nicht zugleich schon ausgelegt werden müsse." Christus habe nun einmal "für viele" gesagt, und damit basta! Die deutschen Theologen, denen Ratzinger für ihre Verfälschung gute Gründe zubilligt, wußten es zwar besser, weswegen sie Christus "verbesserten", der es offensichtlich nicht geschafft hatte, sich theologisch präziser zu fassen.

Dabei wird ins Feld geführt, daß Christi Heilswille doch universal gemeint sei, sich also auf "alle" Menschen bezöge, weswegen Ratzinger noch ein zweites Argument bringt. "Aber nun noch einmal: Warum „für viele“? Ist der Herr denn nicht für alle gestorben? Daß Jesus Christus als menschgewordener Sohn Gottes der Mensch für alle Menschen, der neue Adam ist, gehört zu den grundlegenden Gewißheiten unseres Glaubens. Ich möchte dafür nur an drei Schrifttexte erinnern: Gott hat seinen Sohn „für alle hingegeben“, formuliert Paulus im Römer-Brief (Röm 8, 32). „Einer ist für alle gestorben“, sagt er im zweiten Korinther-Brief über den Tod Jesu (2 Kor 5, 14). Jesus hat sich „als Lösegeld hingegeben für alle“, heißt es im ersten Timotheus-Brief (1 Tim 2, 6). Aber dann ist erst recht noch einmal zu fragen: Wenn dies so klar ist, warum steht dann im Eucharistischen Hochgebet „für viele“? Nun, die Kirche hat diese Formulierung aus den Einsetzungs-Berichten des Neuen Testaments übernommen. Sie sagt so aus Respekt vor dem Wort Jesu, um ihm auch bis ins Wort hinein treuzubleiben. Die Ehrfurcht vor dem Wort Jesu selbst ist der Grund für die Formulierung des Hochgebets. Aber dann fragen wir: Warum hat wohl Jesus selbst es so gesagt? Der eigentliche Grund besteht darin, daß Jesus sich damit als der Gottesknecht von Jes 53 zu erkennen gab, sich als die Gestalt auswies, auf die das Prophetenwort wartete. Ehrfurcht der Kirche vor dem Wort Jesu, Treue Jesu zum Wort der „Schrift“, diese doppelte Treue ist der konkrete Grund für die Formulierung „für viele“. In diese Kette ehrfürchtiger Treue reihen wir uns mit der wörtlichen Übersetzung der Schriftworte ein."

Also er gibt keine theologische Korrektur, obwohl die Antwort im Catechismus Romanus völlig eindeutig ist: Der Heilswille Christi ist universell (für alle), aber die Zueignung seines Heilswillens wird nicht von allen, sondern nur von "vielen" vollzogen. D.h. die Zueignung wird dann wirksam, wenn der Mensch durch Reue, Umkehr und Buße sich die Heilstat Christi zueignet, sie für sich fruchtbar macht, was eben nicht alle, sondern nur viele tun. Den Unterschied zwischen universellem Heilswillen und der jeweiligen Zueignung will Ratzinger nicht sehen.

Abgesehen von einzelnen Individuen blieb es mir bisher verborgen, daß der überwiegende Teil (wie gesagt: nicht alle, sondern nur viele) der Priester irgendwelche Bedenken bezüglich der Verfälschung der Wandlungsworte geäußert hat, daß die Reformer Christus - dem in persona Christi handelnden Priester - eine Verfälschung untergeschoben haben - warum auch? -, ist doch das "für alle" Ausdruck für die propagierte (häretische!) Allerlösungslehre. Nein? Man meint nicht diese Häresie? Dann höre man sich einmal die Begräbnisreden der Reform-Geistlichen an! Ein Strafgericht für "Abweichler" (Sünder) gibt es nicht. Alle sind schon in den ewigen Frieden eingegangen.

Wie dem auch sei, der Brief Ratzingers an Herrn Zollitsch wird in Deutschlands Reformkirche wirkungslos verhallen. Ratzingers Idee, durch den Einschub orthodoxer Versatzstücke die häretischen Riten zu salvieren, wird nicht gelingen.

 
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