30 Jahre Sedisvakanz-Erklärung
von Eberhard Heller
Vor über dreißig Jahren, am 25. Februar 1982, unterzeichnete Erzbischof Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc seine Dekclaratio über die Sedisvakanz des römischen Stuhles, die er am 21. März 1982 in dem ehemaligen Meßzentrum St. Michael, München feierlich verkündete. Darin versprach er zugleich, alles für die Rettung der Kirche zu tun. Seine Rettungsversuche - u.a. hatte er die Gründung eines Priesterseminars ins Auge gefaßt - blieben jedoch auf die Weihen von drei Priestern zu Bischöfen beschränkt, deren Weihen er bereits ein Jahr vorher 1981 gespendet hatte: P. M.-L. Gerard des Lauriers O.P., P. Moises Carmona und P. Adolfo Zamora. Mgr. Ngô-dinh-Thuc hatte die bis dahin geweihten Bischöfe 1983 noch in Button Rouge/USA gebeten, sein Werk fortzusetzen, bevor er am 13. Dezember 1984 in Karthago, Missouri/USA verstarb.
Von all den inzwischen geweihten Bischöfen war Mgr. Carmona der einzige, der effektiv für den Wiederaufbau der Kirche und für die Zusammenführung der Gläubigen gearbeitet hat. Doch wurde seine Mission durch einen tödlichen Unfall am 1.11.1991 jäh abgebrochen.
Um ein Konzept für die Fortführung der DECLARATIO von Mgr. Ngô-dinh-Thuc zu präsentieren, die sich im wesentlichen auf die Feststellung der Sedisvakanz bezog, verfaßten Herr Jerrentrup, H.H. Fr. Krier und ich im Jahre 2000 eine Anschlußerklärung, in der ein Konzept vorgelegt wurde, wie die Kirche als Heilsinstitution restituiert und der römische Stuhl wieder besetzt werden könnte.
Was ist in den letzten 30 Jahren geschehen, also in der Zeit nach der DECLARATIO der Sedisvakanz durch Mgr. Ngô-dinh-Thuc? In der Tat bekamen die Gruppierungen, die den Stuhl Petri für verwaist erklärt hatten, endlich einen Namen: unter Sedisvakantisten konnte man sich seither auch in der Öffentlichkeit etwas vorstellen. Diese Gruppierung grenzte sich systematisch gegen alle Schattierungen traditionalistischer Couleur ab. Sie wurden nicht nur als Fundamentalisten belächelt, sondern erhielten auch Anerkennung wegen der inneren Konsequenz dieser Position, die jegliches kirchenpolitische Taktieren à la Ecône ausschloss. Es gab ab der Veröffentlichung der Sedisvakanz-Erklärung in der Tat eine klare Grenzlinie zwischen Traditionalisten, die meist die Kirchenkrise auf das Niveau eines Ritenstreites reduzieren wollten, und denen, die in den sog. Reformen des II. Vatikanums eine Revolution gegen Gottes Offenbarung sehen.
Ab dem Jahre 1982 wurden weltweit die anliegenden Probleme öffentlich durchdiskutiert: Die gespendeten Bischofsweihen waren ohne päpstliches Mandat erfolgt. Wie waren sie nicht nur zu rechtfertigen, sondern wie sollte die Restitution der Kirche erfolgen? Welchen Kirchenbegriff konnte man diesen Bemühungen unterlegen? Doch nach dem Tod von Bischof Carmona im Jahr 1991 brachen auch die Bemühungen um eine Zusammenführung der Gläubigen zusammen, weil keiner der Kleriker - Bischöfe und Priester - ein wirkliches Interesse am Wiederaufbau der Kirche zeigte. Jede Gruppierung, jeder Priester bediente seine Klientel. Auch den Gläubigen ging es nicht um einen Wiederaufbau, sondern nur um eine sakramentale Versorgung, wobei es bei deren Befriedigung nicht so sehr darauf ankam, ob sie auch durch einen Priester der kath. Kirche erfolgte oder einen ausgemachten Sektierer mit mehr oder weniger sicheren Weihen. Der Heilsegoismus trieb seltsame Blüten aus.
Wie erging es der Anschlußerklärung an die DECLARATIO aus dem Jahr 2000, die einen Wiederaufbau der Kirche einleiten sollte? Obwohl sie auf ihre theologische Dignität und durchgängige Konsequenz öffentlich durchdiskutiert wurde, zeigten bestimmte Reaktionen, daß sie von gewissen Klerikern in Europa nicht verstanden worden war. Anders war die Reaktion in Mexiko. Bei einem Besuch der Priester-Union Trento in Mexiko im Februar 2000, zu dem auch Fr. Krier aus den USA angereist war, konnte ich das Konzept der Erklärung präsentieren. Es erhielt - nach einigen kleinen Korrekturen, die durch die sprachliche Anpassung erforderlich waren -, allgemeine Zustimmung, was die theologische Konsistenz betraf. Doch wurde gleich eine Einschränkung hinsichtlich deren Umsetzung gemacht: Weil Bischof Pivarunas, dem sich besonders Bischof Davila als dessen Konsekrator sich verpflichtet fühlte, einer nötigen Papstwahl widersetzte, wolle man erst "pastoral" wie bisher weiter arbeiten. Dazu muß gesagt werden, daß die Papstwahl erst am Ende einer ganzen Reihe von Zwischenzielen stehen würde, die erst durchgeführt werden müßten. So ist inzwischen - nach weiteren 12 Jahren - keine Gruppierung in Sicht, die sich entweder mit den Problemen einer Restitution der Kirche als Heilsinstitution befaßt oder mit deren praktischer Durchführung. Es gibt wohl keine religiöse Gruppierung, kein theologisches Institut, welches so durchgängig und stichhaltig die Lösung der kirchlichen Krise theoretisch durchdacht hat, wie die konsequenten Sedisvakantisten, die leider in der diasporalen Vereinzelung leben, doch leider versagen sich die Kleriker ihrer praktischen Umsetzung. Wir befinden uns - heilsgeschichtlich gesprochen - an dem Punkt, den Anna Katharina Emmerich so beschreibt - ich wiederhole ihre ernüchternden Worte nochmals -: "[D]diese Restauration werde vom Klerus und den treuen Gläubigen noch vor der Niederlage der Freimaurerei in die Wege geleitet werden, doch zunächst mit geringem Eifer. Diese Priester und Gläubigen schienen ihr weder Vertrauen noch Eifer noch Methode zu besitzen." ("La mission posthume de Sainte Jeanne dé Arc", Msgr. Henri Delasses, 1913, Ed. Ste Jeanne dé Arc, S. 503)
In der Hoffnung, daß wir noch eine Zeit der angekündigten geistigen Anstrengung erleben, versuche ich noch einmal zu zeigen, wie sich Kleriker als Priester der kath. Kirche ausweisen könnten, wenn sie nicht immer tiefer ins Sektierertum abgleiten wollen… samt ihrem Klientel.
Hier zunächst einige Ausführungen zum Wesen der Kirche. Sie ist (nach der Definition des Kirchenlehrers Bellarmin) „die Gemeinschaft aller Gläubigen, die durch das Bekenntnis desselben Glaubens, durch die Teilnahme an denselben Sakramenten vereinigt sind unter der Leitung der angeordneten Hirten und besonders des einen Stellvertreters Christi auf Erden, des römischen Papstes“ (De eccles. milit. c. 2). Diese Gemeinschaft betrifft in besonderer Weise die Bischöfe und Priester: „Damit aber der Episkopat selbst eins und ungeteilt sei und durch die untereinander eng verbundenen Priester die gesamte Menge der Gläubigen in der Einheit des Glaubens und der Gemeinschaft bewahrt werde, errichtete er, indem er den seligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel stellte, in ihm ein dauerhaftes Prinzip dieser […] Einheit.“ (Vatikanisches Konzil, Konstitution Pastor aeternus, DS 3051). Aber auch die Gläubigen müssen untereinander verbunden sein: „[…] die Kirche (muß) vor allem aus dem Grund ein Leib genannt werden, weil sie aus einer rechten und zusammenstimmenden Mischung und Verbindung von Teilen zusammenwächst und mit verschiedenen, untereinander im Einklang stehenden Gliedern ausgestattet ist.“ (Pius XII., Enzyklika Mystici corporis, 29. Juni 1943, DS 3800). Damit ist gemeint, daß zu den Kriterien der Kirchenzugehörigkeit auch die Intention gehört, die Gemeinschaft der Gläubigen untereinander zu befördern. Diese allseitige Einheit muß sich sichtbar nach außen darstellen: „Daraus folgt, daß sich in einem großen und ebenso verderblichen Irrtum befinden, die sich die Kirche nach ihrem eigenen Gutdünken gleichsam als verborgen und keineswegs sichtbar vorstellen und entwerfen.“ (Leo XIII., Enzyklika Satis cognitum, 29. Juni 1896, DS 3301).
Durch den Abfall der Hierarchie nach Vatikanum II., der von Mgr. Thuc in seiner "Declaratio" dokumentiert ist, wurde die Kirche als sichtbare Heilsinstitution weitgehend zerschlagen. Eine sichtbare "Gemeinschaft aller Gläubigen" existiert nicht mehr, auch wenn überall auf der Welt noch kleinere Gemeinden und Gruppen den wahren Glauben bekennen.
Da aber Christus seine Kirche als Heils-Institution - und nicht nur als bloße Glaubens- oder Bekenntnisgemeinschaft - gegründet hat, um die unverfälschte Weitergabe seiner Lehre und seiner Gnadenmittel (der Sakramente) zuverlässig zu gewährleisten, ist der Wiederaufbau der Kirche als Institution vom Willen ihres göttlichen Gründers ausdrücklich gefordert.
Zu einer Restitution der Kirche als sichtbarer Heilsinstitution würden unter den gegebenen Umständen gehören: - Sicherung der Gnadenmittel (Sakramente) - Bewahrung und Weitergabe der Lehre der Kirche (Mission, Katechese) - Sicherung der apostolischen Sukzession - Wiedererrichtung der Gemeinschaft der Gläubigen auf regionaler, überregionaler und gesamtkirchlicher Ebene - Restitution der Hierarchie - Wiedererrichtung des päpstlichen Stuhles (als Real-Prinzip der Einheit)
Hier ergibt sich jedoch ein Dilemma, welches aus der Notlage, in der wir uns befinden, erklärt werden kann. Als Erzbischof Ngô-dinh-Thuc den drei Priestern P. M.-L. Gerard des Lauriers O.P., P. Moises Carmona und P. Adolfo Zamora die Bischofsweihen spendete, geschah dies zwar aus der Gefahr, daß sonst die apostolische Sukzession erlöschen würde, aber dennoch ohne päpstliches Mandat. Über diese, normalerweise unerlaubte Handlungsweise, die eine bestimmte schismatische Einstellung offenbaren würde, wurde ausführlich diskutiert. Mgr. M.-L. Gerard des Lauriers führte die Begriffe "Mission" und "Sessio" ein, die zum einen das unmittelbar geltende Interesse meint, das Evangelium zu verkünden, das aber andererseits auch festhält, daß kirchliches Handeln an den Sitz kirchlicher Autorität gebunden bleibt, die erst wieder hergestellt werden müßte. Wenn man es von der Seite der Beauftragung sieht, fehlt heute allen Klerikern das kirchliche Mandat, die Beauftragung durch die Kirche. Jeder kann die Probe auf das Exempel machen. Fragt man einen Priester, wer ihn beauftragt hat, die Messe zu lesen, wird er einem sagen, Bischof X habe ihn beauftragt. Fragt man weiter, wer aber wohl den Bischof X beauftragt habe, kommt der Kleriker ins Stottern. Man muß sich vorstellen, jemand habe Jura studiert und behauptet dann, er sei Notar von der Stadt/Kreis X… oder er sei Bundespräsident. Jeder wird zu Recht fragen, wer ihn dazu ernannt oder gewählt habe. Aber so verhalten sich fast alle mir bekannten Kleriker. Deshalb sollte man meinen, daß es deren vornehmste und wichtigste Aufgabe sein sollte, diesen ungeklärten Zustand zu beenden, wollen sie als Kleriker der kath. Kirche anerkannt sein… und nicht als katholisierende Sektierer. Einerseits fehlt derzeit die zur Erfüllung dieser Aufgaben nötige kirchliche Jurisdiktion, da die Hierarchie abgefallen ist, andererseits ist die Erfüllung dieser Aufgaben die notwendige Voraussetzung der Wiederherstellung eben dieser kirchlichen Autorität. Die Wiederherstellung der kirchlichen Autorität ist aber vom Heilswillen Christi her gefordert, der seine Kirche als "Societas perfecta", d.h. als eine Gemeinschaft, in der alle Aufgaben und Funktionen vollkommen abgebildet sein sollen, eingerichtet hat.
Das Dilemma kann m.E. nur gelöst werden, indem sämtliche bisherigen Aktivitäten nur unter Vorbehalt einer späteren, endgültigen Legitimierung durch die wiederhergestellte Hierarchie stehen. D.h. die Bischofsweihen, die Mgr. Ngô-dinh-Thuc vollzogen hat, die Spendung der Sakramente durch Bischöfe und Priester, die von diesen ersten Bischöfen geweiht wurden, erhalten ihre endgültige Legitimierung erst durch einen Papst, der diese Akte post factum rechtfertigen müßte im Sinne seiner Jurisdiktion. (Er könnte sie möglicherweise aber auch als illegitim betrachten.) Die Leiter, die nötig ist, um in den Baum zu steigen, kann nicht einfach weggestoßen werden, sondern wird als Instrument zum Besteigen des Baumes bestätigt. Somit lassen sich z.B. die Meßzelebration und die Spendung der Sakramente einstweilen nur dadurch rechtfertigen, daß sie unter dem Aspekt der Gesamtrestitution der Kirche als Heilsinstitution stehen und sich der späteren Beurteilung durch die wiederhergestellte, legitime Autorität unterwerfen. Erst in dieser Intention, d.h. in Hinsicht auf die wiederherzustellende Autorität, die aktiv vollzogen werden müßte, wäre das Interims-Handeln gerechtfertigt. Nach dreißig Jahren Sedisvakanz-Erklärung, nach zwölf Jahren, in der die Anschlußerklärung im Jahre 2000 veröffentlicht wurde, kann sich keiner mehr auf die Ausrede "Notstand" berufen. Man hat es sich in ihm recht gut eingerichtet, um sich jeder kirchlichen - ich sage nicht: pastoralen - Verpflichtung zu entziehen. Spendung und Empfang der Sakramente (einschl. Zelebration und Besuch der hl. Messe) wären somit unerlaubt, wenn sie ohne Bezug auf diese einzig mögliche Rechtfertigung vollzogen würden, unbeschadet ihrer sakramentalen Gültigkeit. Jeder Priester und Bischof bestimmt also selbst, wohin er gehören will. Entweder er entscheidet sich, aktiv am Wiederaufbau der Kirche mitzuarbeiten, d.h. beim Aufbau von Gemeinden zu arbeiten, dann kann er sich auch als Priester der kath. Kirche bezeichnen, oder er reist mit seinem Köfferlein von Haus zu Haus, bloß um seine Klientel zu bedienen, ohne dabei an den Aufbau einer kirchlichen Gemeinschaft zu denken, dann verhält er sich als Sektierer, der meint, aus eigener Machtvollkommenheit, ohne autoritative Beauftragung, handeln zu dürfen. Hier ist die rote Linie definiert, ein Scheideweg.
Aus diesen Überlegungen läßt sich unter den gegebenen Verhältnissen zugleich die Zugehörigkeit zur wahren Kirche als dem mystischen Leib Christi bestimmen: die von Pius XII. in der Enzyklika "Mystici corporis" vorgelegten vier Kriterien: (1) Empfang der Taufe, (2) Bekenntnis des wahren Glaubens, (3) Unterordnung unter die rechtmäßige kirchliche Autorität und (4) Freiheit von schwersten Kirchenstrafen (DS 3802) müssen im Punkt (3) dahingehend modifiziert werden, daß wegen des derzeitigen Fehlens der rechtmäßigen kirchlichen Autorität vorläufig (d.h. bis zu ihrer vollständigen Wiederherstellung) die Anstrengung zur Restitution der kirchlichen Autorität als Ersatz-Kriterium zu gelten hat.
Wie könnten diese Bemühungen aussehen? Mit der sakramentalen Betreuung von einzelnen Gläubigen müßte zugleich verbunden sein der Auf- und Ausbau gemeinschaftlicher Strukturen. Die Kooperation der Kleriker müßte zur regionalen Aufteilung katechetischer und pastoraler Einheiten beitragen, die rechtliche Formen annehmen müßten. Wo es geht, sollten die einzelnen Instrumente der Glaubensverbreitung (Zeitschriften, Internet-Seiten) in der Form zusammenarbeiten, daß gemeinsame Themen abgesteckt und mit allen Gläubigen durchdiskutiert werden. Gerade die Probleme der Wiedererrichtung der kirchlichen Hierarchie und des päpstlichen Stuhles müßten allseits angefaßt und als spezifische Aufgabe unserer Situation angesehen werden. Die Bischöfe und Priester müßten sich auf eine Vertretung einigen, die sie in der Öffentlichkeit vertritt und die weltweit als Organ des Sedisvakantismus operieren könnte.
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