§ 19 Bestimmung der Verbotsanschauung als reale Bedingung des zu denkenden, fremden Prinzip-Seins
Die bis jetzt geleistete Bestimmung der Darstellungs- bzw. Erkenntnisbedingungen des die freie Beschränkung hinsichtlich der angeschauten, fremden Wirksamkeitsprodukte begründenden Prinzips, die Anschauung eines Verbotes, ist aber trotz der ungenügend durchgeführten Bestimmung der subjektiven Erkenntnisbedingungen in ihrem konstitutiven Charakter für die zu rekonstruierende Interpersonalitätsvorstellung festzuhalten. Fichtes Frage nach dem das bloße Denken der anderen Iche begrenzenden Prinzip in der wirklichen Interpersonalitätsvorstellung ist durch das Aufstellen eines Verbotes in der Anschauung gelöst. Diese Frage lautete folgendermaßen: "Haben wir denn [...] das System von Ichen und ihrer organisirten Leiber abgeleitet?" Fichte antwortet: "Als Factum aufgestellt haben wir es; auch haben wir die allgemeine Ableitung hinzugefügt, dass in dieser Darstellung das Leben seine in der Individualität abgebrochene Einheit wiederherstelle. Darauf haben wir mit der allgemeinen Erinnerung geschlossen, dass diese Summe von Ichen der Möglichkeit nach unendlich, der Wirklichkeit nach eine geschlossene und bestimmte Summe sey. In diesem letzten Ausdrucke zeigte sich die Lücke; es ist nemlich der Bestimmungsgrund dieser objectiven Anschauung eines Systems von Ichen ausser uns, und das die Unendlichkeit eines solchen Bildes begrenzende Princip noch nicht angegeben." (II, 635)
Durch die Anschauung eines Verbotes sollte nun ein solches, vom Denken selbst gefordertes Prinzip der realen Begrenzung des bloßen, gedachten Bildes der anderen Iche aufgezeigt worden sein; denn durch die Anschauung eines Verbotes sollte eine wirkliche, anschaulich begründete Vermittlung zwischen den verschiedenen Ichen möglich sein. Die bisher ungelöste Frage, woher denn das eigene Ich weiß, daß seinem bloßen Denken anderer Iche ein wahres Sein dieser Iche in der Wirklichkeit entspricht, ist dadurch geklärt, und zwar aus folgendem Grund: die Anschauung eines Verbotes zufolge eines freien Produkts der Wirksamkeit kann nicht gedacht werden, ohne der durch diese Anschauung vermittelten, unmittelbaren Bestimmung ein unmittelbar setzendes Prinzip zu hinterstellen, das aber nun nicht seinen Grund im bloßen Projizieren, sondern in der Anschauung dieses Verbotes hat, das nicht als für sich bestehend gedacht werden kann, sondern als durch ein unmittelbares Prinzip gesetzt gedacht werden muß."Wo innerlich das Verbot an uns ergeht, oder, wenn wir uns unser Bewusstseyn deutlich machen, ergehen würde, dass wir unsere Kraft nicht ohne weiteres brauchen, sondern eine Aeusserung der Freiheit ausser uns erwarten sollen, da setzen wir ein freies Wesen. Wo bei dem Verbote diese Aeusserung selbst uns erscheint, da setzen wir sein Product." (II, 635)
Diese Behauptung, daß durch die Anschauung eines Verbotes ein wirkliches Wissen von einer anderen Person vermittelt werden kann, bedarf nun einer eingehenden Erläuterung und Begründung. Denn in ihr liegt beschlossen, daß der Berechtigungsgrund für die Annahme eines fremden freien Wesens (in der eigenen Vorstellung) darin besteht, daß eine innerlich angeschaute Aufforderung hier in der Form des Nicht-Sollens - an das Ich ergeht, die ihrerseits diesem Ich sowohl hinsichtlich beiner möglichen, als auch einer wirklichen Entäußerung der Freiheit verbietet, über diese Bestimmbarkeit und Bestimmung jener Freiheit zu verfügen als über eine bloße Möglichkeit, als einfache Natur. Dieses Gesetz an die Freiheit gebietet ihr also, sich hinsichtlich einer möglichen oder wirklichen Bestimmung der Freiheit, die nicht durch das prinzipielle Vermögen des eigenen Ichs verfügt bzw. gesetzt ist, durch sich selbst in ihrem Freiheitsgebrauch bezüglich möglicher Bestimmungen zu beschränken, sich also zugunsten einer zu erwartenden, sich realisieren wollenden oder schon realisiert habenden fremden Freiheit in seinem eigenen Freiheitsgebrauch zurückzuhalten. Fichte behauptet also, daß durch die innere Anschauung eines Verbotes die erkenntnistheoretische Berechtigung dafür gegeben ist, der zunächst nur gedachten Existenz eines anderen Ichs in der Vorstellung wirkliches Sein zusprechen zu dürfen.
Da aber in dieser Anschauung eines Verbotes nicht unmittelbar die prinzipielle Existenz einer anderen Person angeschaut wird, sondern, durch jene Anschauung des Verbotes bedingt, nur eine freie Bestimmung, die nicht durch das eigene Ich gesetzt ist und der gegenüber es sich zurückhalten soll, ist noch zu klären, wieso durch diese Anschauung das bloße Denken des anderen Prinzips begründet und gerechtfertigt werden kann, wieso zu Recht von dieser Anschauung auf die wirkliche Existenz eines anderen Ichs geschlossen werden darf. Zwar sind durch Fichte alle Momente, die diesen Schluß rechtfertigen aufgeführt, doch den eigentlichen Grund für diesen Schluß gibt Fichte nicht an. Er sagt nur, daß er auf Grund der Anschauung eines Verbotes erfolgt. Diese Begründung soll in Ergänzung der Fichteschen Darstellung noch geschehen, zumal sich für die Begründung dieses Schlusses in anderen Werken Fichtes genügend Belegstellen finden, die eine exakte Darstellung der Begründung liefern 1).
Das erkenntnistheoretische Problem, wie das eigene Ich von der Existenz eines anderen Ichs wissen kann, war im ersten Abschnitt, in dem die bloßen Denkbedingungen der Interpersonalitätsvorstellung abgehandelt wurden, wegen des Fehlens eines anschaulichen Momentes, auf das sich das bloße Denken eines anderen Ichs hätte gründend beziehen müssen, um eine wahre Erkenntnis zu ermöglichen, nicht zu lösen gewesen. Zwar war gezeigt worden, daß eine unmittelbare Einschauung des prinzipiellen Seins eines anderen Ichs nicht möglich ist, daß dieses Sein nur erschlossen werden kann, doch war auf der anderen Seite ebenso klar, daß dieses Denken nicht auf dem bloßen Projizieren, dem bloßen freien Einbilden dieses Prinzip-Seins basieren darf, um eine wirkliche Erkenntnis von der Existenz anderer Iche außer dem eigenen Ich zu beinhalten.
Es ging deshalb in der darauf folgenden Untersuchung darum, ein Moment in der Anschauung zu finden, von dem zu Recht der Schluß auf ein prinzipielles Sein erlaubt ist, um dadurch das bloße Denken durch die anschauliche Basis erkenntnismäßig abzusichern.
Da durch unmittelbare Einschauung nicht vom prinzipiellen Sein der anderen Iche gewußt werden konnte, war es deshalb notwendig, daß sich das Ich, das vorgestellt werden sollte, in seiner Freiheit als solcher vermittelte. Wie bereits gezeigt, bestand die Schwierigkeit dieser Vermittlung darin, daß sie nicht bloße Vermittlung blieb, sondern daß in dieser Vermittlung, zwar nicht das prinzipielle Sein zum Vorschein kam, aber die Bestimmung der Unmittelbarkeit als solcher durch die Vermittlung hindurch in Erscheinung trat, die also unmittelbar als solche angeschaut werden konnte. Es musste also eine Bestimmung einer fremden Freiheit erscheinen, die sowohl, um allgemein zugänglich zu sein, objektiv in der äußeren Anschauung erscheinen, als auch durch diese veräußerte Sichtweise in ihrem unmittelbaren Gehalt angeschaut werden musste, also als Unmittelbarkeit unmittelbar vermittelt werden mußte. Ebenso war bereits gesagt worden, daß diese Anschauung einer fremden, freien Bestimmung nur dadurch vom vorstellenden Ich als solche verstanden werden kann, daß es diese Bestimmung als Bestimmung der Freiheit frei anerkennt und sich dieser Bestimmung gegenüber frei beschränkt, wodurch eine Beschränkung durch Selbstbeschränkung gegeben wäre.
In der aufgezeichneten Anschauung eines Verbotes ist nun das Moment der realen Begründung einer wirklichen Vermittlung der Vorstellung von einem anderen Prinzip-Sein gefunden, so wenigstens lautet Fichtes Behauptung. Aus der Anschauung dieses Verbotes schließt er unmittelbar auf das prinzipielle Sein eines anderen Ichs. Dieses Argument soll nun im einzelnen untersucht werden.
Zunächst einmal erscheint das Verbot nicht unmittelbar und isoliert für sich, sondern verbunden mit der Anschauung eines Produktes, das objektiv manifest ist, einer veräußerten Bestimmung der Freiheit, gegenüber jenes Verbot ja zunächst gilt 2). Ohne die Verbindung zu einem solchen Produkt als veräußerter Bestimmung der Freiheit wäre auch das Erscheinen eines Verbotes, über fremde Freiheitsbestimmungen zu verfügen, in der bisherigen Argumentation wenigstens, sinnlos; hic et nunc in Bezug auf etwas, was für uns gar nicht existiert, zu verbieten, ist nicht sinnvoll 3). Das Verbot ist also nur zu denken als inneres Moment der Erscheinung einer freien Setzung als solcher, diese Setzung gelten zu lassen, sie zu respektieren als Bestimmung einer Freiheit, die nicht die des eigenen Ichs ist. Ohne die innere Anerkennung dieses Anspruches, der durch das Verbot erhoben wird, käme es überhaupt nicht zur Vorstellung einer freien, objektiven Bestimmung.
Die Anschauung einer solchen freien Bestimmung, die nur unter der in ihr enthaltenen erkenntnistheoretischen Bedingung, der Anschauung eines Verbotes, über diese Bestimmung einfach zu verfügen, verstanden werden kann, kann aber selbst als Setzung einer fremden Freiheit nur dann konsequent begriffen werden, wenn durch die innere Anschauung dieses freien Gehaltes auf ein diesen Gehalt setzendes Prinzip als Denken geschlossen wird, wenn also ein diesen Gehalt bestimmt habendes Prinzip mit hinzu gedacht wird. Denn eine Freiheitssetzung ist ja kein objektiv empirischer Gehalt, der schlechthin sein Gesetzt-Sein ist, sondern eine willentlich-freie Bestimmung, die als solche nicht schlechthin gesetzt ist, sondern nur durch unmittelbares, prinzipielles Setzen. Eine Willenssetzung, die, ohne durch ein, unmittelbares Prinzip gesetzt zu sein, existieren soll, kann nicht gedacht werden 4).
Darum kann und muß von der Anschauung einer fremden, unmittelbaren Bestimmung, dargestellt an einem Produkt, zurückgegangen werden auf ein diese Bestimmung setzendes Prinzip. Erst durch diesen Schluß im Denken ist das Problem, warum von dem Erscheinen eines Verbotes auf ein fremdes Ich geschlossen werden darf, gelöst.
Abgesehen von einer noch durchzuführenden, inhaltlichen Untersuchung des zunächst nur in seiner negativen Form als Verbot erscheinenden Sollens, eines moralischen Gesetzes als Grund der interpersonalen Real-Beziehung in der Vorstellung, und abgesehen von einer weitergehenden Erörterung der Bedingungen, durch welche ursprünglich eine Bestimmung in der Sphäre der objektiven Anschauung als unmittelbare Vermittlung einer freien fremden Selbst-Bestimmung unter der Voraussetzung eines moralischen Verbotes verstanden werden kann - Probleme, die noch abzuhandeln sind -, sind nun alle Momente entfaltet, durch welche die zunächst als bloße Tatsache des Bewußt-Seins behauptete Interpersonalitätsvorstellung, d.h. eines Verhältnisses von vorstellendem eigenem und vorgestelltem fremdem Ich, bedingt ist. Denn abgesehen von der erwähnten Untersuchung des die Interpersonalitätsvorstellung als Einheit begründenden Verbotes in der inneren Anschauung und dem Problem, unter welchen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen ursprünglich die Anschauung einer vermittelten Bestimmung als unmittelbare Setzung eines freien, fremden Prinzips verstanden werden kann, hat sich durch die Einführung eines moralischen Gesetzes - hier in der Form eines Verbotes - für die reflexive Rekonstruktion einer interpersonalen Einheit in der Vorstellung, des - wie Fichte sagen würde - zunächst durch das Aufstellen der bloßen Denkbedingungen der Interpersonalitätsvorstellung in mehrere Formen zerspaltenen, "Einen Lebens", folgende Situation ergeben:
Durch das Erscheinen eines moralischen Gesetzes an die Freiheit selbst, das bisher nur erst in seiner negativen Form heraustrat und bloß als höheres Faktum innerhalb der Freiheit angesetzt wurde, wobei sonach die Gültigkeitsfrage außer acht gelassen wurde, ist ein Moment eingeführt worden, das sowohl die bloß gedanklich erstellte, überindividuelle Einheit als auch eine wirkliche, interpersonale Beziehung in der Vorstellung seinsmäßig begründet, wobei das Problem der Rechtmäßigkeit der Annahme vorerst noch ausgeklammert bleibt.
Im folgenden wird nun dieser Sachverhalt von Fichte näher erläutert.
Durch das Erscheinen eines Verbotes in der inneren Anschauung, durch das ein wahres Wissen von einer anderen Person in der Vorstellung begründet werden soll, d.i. die faktische Vorstellung dieser fremden Person als wahr ausweisen soll, wird die Kluft, die für die einzelnen Iche im bloß prinzipiellen Bereich notwendigerweise angesetzt werden mußte, aufgehoben und eine wirkliche, interpersonale Beziehung in der Vorstellung konstituiert: das bloße Denken des anderen Ichs findet seine wirkliche Begründung in der Anschauung eines Verbotes zufolge einer Freiheitsbestimmung, die nicht durch das eigene Ich gesetzt ist und von der aus es legitim ist, auf ein anderes Prinzip außer dem eigenen Ich zu schließen. Dadurch hat sich nun die Interpersonalitätsvorstellung als Tatsache des Bewußt-Seins bezüglich ihrer faktischen Geltung bewährt; die Einheit des von Fichte vorausgesetzten, doch zunächst in mehrere Formen zerspaltenen Einen Lebens ist durch die aufgestellten, anschaulichen Bedingungen realisierbar geworden. Denn durch die zufolge einer realen freien Weiterbestimmung des freien Vermögens erscheinende Aufforderung in der inneren Anschauung zur freien Selbstbeschränkung gegenüber dieser neuen Bestimmung wird eine wirkliche Beziehung (in der Vorstellung) real möglich, in der das Eine Leben in seinen einzelnen Wiederholungen, den einzelnen Ichen, auf sich selbst als Sein der Freiheit, als das Leben in seiner Einheit und als Eins, wirklich zurückkommen, sich als synthetische Einheit begreifen kann. Durch dieses freie Bestimmen über das bloße Vermögen hinaus wird nämlich das Vorstellungsvermögen aller übrigen Iche als freies beschränkt und gebunden, wobei diese Bestimmung zugleich als Determination und Frei-Lassung in eins verstanden werden muß, als Bestimmt-Sein und als Frei-Setzen in einem.
"Wir behaupten also allerdings, dass zwar nicht unmittelbar auf eine physische Weise, sondern mittelbar durch das entstehende Verbot auf eine moralische Weise die Freiheit des Einen unmittelbar alle Freiheit bestimme und bilde." (II,636)
Da diese Bestimmung zufolge der Weiterbestimmung eines Ichs nur dadurch verstanden werden kann, daß sich die übrigen Iche in ihrem Freiheitsgebrauch real selbst beschränken, wirkt in diesem Verhältnis von Selbstbestimmung auf der einen Seite und Selbstbeschränkung auf der anderen Seite das Leben real auf sich selbst als Sein der Freiheit 5). "Hierdurch also ist, wie es oben von dem aufgegebenen Gliede des Zusammenhanges gefordert wurde, die numerische Trennung aufgehoben, und die Kluft, die zwischen den mehreren sinnlicherweise bleibt, moralisch gefüllt; nicht durch ein physisches Band, sondern durch ein moralisches." (II, 636)
Diese moralische Bindung wird nun von Fichte noch weiter bestimmt, um sie schärfer gegenüber anderen Bindungen, wie z.B. dem erwähnten, physischen Nexus, abzugrenzen. Im Gegensatz zu diesem letzteren, "wo die Ursache unmittelbar durch ihre Wirkung auf sich selbst zu gleich Wirkung auf das Andere ist, wo die Selbstbestimmung zugleich Bestimmung des Anderen ist; wo demnach Wirkung auf sich selbst oder Selbstbestimmung, und Wirkung auf das Andere oder Bestimmung des Anderen ihrer Natur nach Eins und dasselbe sind" (II, 636) 6), ist ein moralischer Nexus dann gegeben, wenn zwischen Sich-Bestimmung des einen Ichs und Bestimmung eines anderen Ichs ein vermittelndes Moment tritt, wodurch keine unmittelbare Wirkung im anderen erzielt wird. Die Fremd-Bestimmung soll da vom anderen Ich nur als Aufforderung zur eigenen Selbst-Bestimmung verstanden werden, sie soll dazu nicht einfach hin determinieren.
Dieses vermittelnde Moment muß, "da es kein Seyn seyn kann, indem dadurch aller Nexus aufgehoben würde" (II, 637), selbst ein Bewußt-Sein sein, das Bewußt-Sein nämlich von dieser Selbst-Bestimmung, als Grund für die dadurch vermittelte Bestimmung des anderen Ichs, "ein unmittelbares Bewusstseyn jener Sichbestimmung der Ursache in dem Anderen" (II, 637). Dieses Bewußt-Sein von einer getroffenen Selbst-Bestimmung soll ein anderes Ich bestimmen und beschränken, aber so, daß es als Bewußt-Sein der Freiheit durch diese Bestimmung nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil gerade herausgefordert wird. Es soll somit ein anderes lch durch das von der setzenden Seite her durch Selbst-Bestimmung erzeugte Bewußt-Sein einer freien Bestimmtheit in seinem Vorstellen bestimmt, aber dennoch nicht durchbestimmt werden, da die Vermittlung dieses Bewußt-Seins auf beiden Seiten freie Wesen voraussetzt, die als solche trotz des gegenseitigen Beschränkens bleiben sollen.
"Dieses Bewusstseyn nun von der Selbstbestimmung, keinesweges die Selbstbestimmung unmittelbar, wie im physischen Nexus, soll den Anderen bestimmen und beschränken." (II, 637) Durch ein solches Bewußt-Sein beschränkt sein, kann aber nur heißen, daß die Bestimmung und Beschränkung, die durch dieses Bewußt-Sein aufgegeben ist, durch eigene Freiheit realisiert werden muß. Denn "so gewiss [...] der Andere der Selbstbestimmung der Ursache sich bewusst ist, schwebt er selbst frei und indifferent über ihr. Er ist dadurch beschränkt, müsste sonach heissen: er soll zufolge jenes Bewusstseyns seine ohne allen Zweifel vorhandene Freiheit durch eigene Freiheit beschränken." (II, 637) D.h. ein moralischer Nexus ist nach Fichte dadurch gegeben, daß durch die freie Selbst-Bestimmung eines Ichs ein Bewußt-Sein dieser Bestimmung erzeugt wird, das von einer anderen Person zwar als Beschränkung hinsichtlich des eigenen Vorstellens verstanden wird, das aber zugleich auch durch die inhaltliche Seite dieser Bestimmung das andere Ich, das diese Bestimmung vorstellt, frei läßt, sich gegenüber dieser Bestimmung zu beschränken. Die Determination auf der einen Seite ist also keine Durch-Determination, sondern nur eine An-Determination, die sich in sich selbst vom Durch-Determinieren zurückhält, und die andere Seite, an die sie sich als Bestimmtheit richtet, frei läßt 7). Im Gegensatz zu einer rein deterministischen Vermittlung, in der die Ursache unmittelbar die Wirkung herbeiführt, ist die Vermittlung in einem moralischen Nexus dadurch ausgezeichnet, daß sie zwar auf der einen Seite notwendig bedingt ist durch das objektive Setzen eines Produktes im Bereich der äußeren Anschauung, das zwingenden Charakter hat, daß sie aber auf der anderen Seite durch die in eins damit erfolgende freiheitliche Bestimmung als solche das betroffene Ich zugleich freiläßt bzw. ihm frei stellt, sich durch sich selbst zu der angemuteten Beschränkung zu entschließen. Ein solcher Nexus, der bestimmt ist durch gegenseitiges Freilassen, ist also der den Ichen entsprechende, durch den das Leben als Eins und in Einheit auf sich als Sein der Freiheit selbst wirken kann.
Das Resultat dieser Untersuchung, in der ein Verhältnis freier Wesen in der Vorstellung bestimmt werden sollte und wodurch der engere Beweis der interpersonalen Vorstellungsbedingungen in den hier analysierten "Thatsachen des Bewusstseyns" von 1810/11, in dem es darum ging, eine faktische Interpersonalitätsvorstellung auf die gedanklichen Voraussetzungen ihrer realen Mög lichkeit hin zu erforschen, abgeschlossen ist, faßt Fichte in folgende Worte:
"Ein solcher moralischer Nexus nun ist es, der von uns behauptet worden. Der Eine wirkt, elches eine Selbstbestimmung ist, die als solche durchaus und ganz in ihm bleibt. Aber unmittelbar vereint mit dieser Selbstbestimmung entsteht ein durchaus allgemeines Bewusstseyn für Alle, das ein beschränkendes Soll ebenso unmittelbar bei sich führt: und so ist denn, wie wir wollten und sollten, ein moralischer Zusammenhang zwischen Allen errichtet. Obwohl die Trennung im Physischen bleibt, ja vielmehr erst recht bestätiget wird, so sind doch Alle im Moralischen Eins, umfasst durch das denselben Freiheitsgebrauch allen verbietende Gesetz." (II, 637)
Durch den Aufweis eines solchen negativen Gesetzes an die Freiheit ist also zunächst diejenige Einheit gefunden, durch die eine reale Synthesis der Individuenwelt möglich ist.
Anmerkungen:
1) Vgl. dazu Fichte SW Bd. III, "Naturrecht", S . 38 f und SW Bd. IV, "Sittenlehre", S. 220 f; ebenso "WL nova methodo", S. 596 f: "Also von der Aufforderung zur freien Tätigkeit wird nach den Gesetzen des Denkens geschlossen auf eine freie Intelligenz außer mir. Das Handeln erscheint mir, aber die Intelligenz, on der es kommt, erscheint mir nicht. Die freie Intelligenz wird also nur gedacht, sie ist ein Noumen. [...] Hier [...] bei dem freien Wesen außer mir steige ich von der Handlung, die erscheint, zu der Ursache derselben, zu einem freien Wesen außer mir, welches ich nicht finde, sondern nur schließe, denke. [...] Bei dem Vernunftwesen außer mir gehe ich von der Wirkung zu der Ursache, zu der Vernunft. Im letzten Falle wird auf das wirkende nur geschlossen. Die Notwendigkeit dieses Denkens liegt n dem Übergehen von Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit." 2) Der Grund, warum ein unmittelbares Moment hinsichtlich der interpersonalen Erkennbarkeit nicht isoliert erscheinen kann, besteht darin, daß eine unittelbare Einschauung dieser Bestimmung nur dem setzenden Ich vorbehalten ist. In dessen Einschauung kann es als unmittelbares Moment für sich existieren. Darum muß auch ausdrücklich danach gefragt werden, wieso Fichte die Existenz eines anderen Ichs auch als problematisch ansetzen kann. Vgl. dazu Fichte SW Bd. II, "Thatsachen", S. 635: "Wo innerlich das Verbot an uns ergeht, oder [...] ergehen würde [...]." 3) Anders wird die Sachlage, wenn grundsätzlich gewußt wird, daß immer mit fremden Freiheitssetzungen zu rechnen ist. 4) Hier wäre dann auch der Ort, wo die Anschauung des Leibes abgeleitet werden könnte, nämlich als äußerlich anschaubares, materielles Prinzip, das unmittelbar auf die faktische Materie zu wirken vermag, also als unmittelbares Instrument, durch das die unmittelbar gebildete Wirksamkeit vermittelt dargestellt werden kann. Der leibliche Körper wurde dann als objektiv produzierendes Ich angeschaut; denn das objektive Produzieren seinerseits kann seinerseits nicht gedacht werden, ohne daß ihm ein unmittelbares Prinzip-Sein hinterstellt wird. 5) Durch den Nachweis eines solchen Zusammenhanges zwischen den Ichen in der Vorstellung ist nun auch die Bedingung erfüllt, unter der sich das Ich als absolutes Faktum der Freiheit reflektieren kann. Vgl. dazu auch die in den SW Bd. II, "Thatsachen" - 1810/11, S. 688 f. von Fichte erhobene Forderung zum methodischen Vorgehen in diesem Werk; ebenso die Forderung der Selbstreflexion als Bedingung des Selbstbewußt-Seins, die auf S. 79 f der eigenen Darstellung aufgestellt wurde. 6) Als Beispiel für einen physischen Nexus führt Fichte einen materiellen Körper an, der durch seine Eigenbewegung unmittelbar einen anderen Körper mitbewegt. 7) Einen solchen Nexus beschreibt Fichte folgendermaßen: Fichte SW Bd. II, "Thatsachen" - 1810/11, S. 638: "In den physischen Nexus miteinander treten, sich gegenseitig wie Materie durch Drängen, Stoss und Schlag behandeln, sollen sie eben nicht. In unmittelbare Continuität sich versetzen sollen sie nicht, sondern Bewusstseyn und Begriffe sollen sie zwischen sich stellen, und durch diese in Wechselwirkung treten. Darstellung dieser Wechselwirkung in der sinnlichen Anschauung [...] sind Licht und Luft für gegenseitige Sichtbarkeit und für Mittheilung der Begriffe durch Worte". Vgl. dazu auch Fichte: "Nachgelassene Schriften", hrsg. von H. Jacob, S.146 ff: "Über den Ursprung der Sprache".
§ 20 Weitere Bestimmung der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, unter denen ein Gegenstand in der Vorstellung als fremdes Ich begriffen werden kann
Es gilt jedoch noch zu prüfen, ob durch ein solches Gesetz an die Freiheit, in seiner negativen Form als Verbot allein, das lediglich ein gegenseitiges Abgrenzen der Freiheitssphären vorschreibt, urdsprünglich eine wirkliche Einheit in der Interpersonalitätsvorstellung begründet und gerechtfertigt werden kann, oder ob, wie sich das zunächst nahe legen könnte, dieses negative Gesetz nicht selbst wiederum unter einem positiven steht, durch das sich dann auch inhaltliche Konsequenzen für die reflexive Darstellung der Interpersonalitätsvorstellung ergeben würden. An einer späteren Stelle gibt Fichte Auskunft darüber, unter welcher Voraussetzung das zunächst als oberstes Prinzip der vorgestellten, interpersonalen Synthesis angesetzte Verbot, über fremde Freiheitsprodukte zu verfügen, selbst steht.
Nachdem er gezeigt hat, daß die Freiheit sich selbst zum freien, sittlichen Durchbestimmen aufgegeben ist, d.h. daß die veräußerten Bestimmungen immer unter dem Anspruch eines sittlichen Zwecks zu bewerten sind und nur nach diesem Anspruch zu erfolgen haben, wird das für die interpersonale Einheit zunächst angesetzte Verbot positiv sittlich geklärt: "[...] das Verbot in den Anderen setzt voraus, dass der sittliche Zweck Zweck aller Freiheitsentwickelung sey, und dass, um dieses Zweckes willen, keine Freiheit gestört, keine Entwicklung der Freiheit zerstört werden dürfe, bei welcher jener Zweck möglicherweise sich voraussetzen lasse." (II, 652)
Fichte behauptet also selbst, daß das Verbot hinsichtlich der Realisierung fremden Freiheitsvermögens im objektiven, äußeren Bereich der Anschauung, das Nicht-Sollen - nämlich über diese Realisierung zu verfügen -, nur unter der Voraussetzung eines positiven Gebotes eigentliche Geltung besitzt.
Es muß demnach noch geklärt werden, warum überhaupt eine solche Voraussetzung gemacht wird und werden darf, die Voraussetzung eines Sollens, das hier hinsichtlich seiner konkreten Darstellung in objektiven Bestimmungen als sittlicher Zweckbegriff in den Produkten erscheinen muß, damit von dieser positiv sittlichen Bestimmung her das aufgezeigte Verbot, sich gegenüber diesen fremden Freiheitsbestimmungen zurückzuhalten, überhaupt gerechtfertigt werden kann.
Diese Voraussetzung, unter der das Verbot selbst noch steht, daß nämlich der sittliche Zweck allgemein verbindlich und überindividuell gültig ist, muß also noch für sich selbst untersucht werden; ebenso gilt es noch zu klären, unter welchen Bedingungen eine gegebene Bestimmung in der Vorstellung erscheinen muß, damit in ihr die sittliche Intention als konstitutives Moment der an gesetzten Interpersonalitätsvorstellung verstanden werden kann.
Um nun den von Fichte bisher geführten Beweis der Interpersonalitätsvorstellung, in dem die verschiedenen Momente, durch die diese Vorstellung bedingt ist, aufgezeigt und begründet werden sollten, richtig bewerten zu können, gilt es zuvor noch, die zwar aufgezeigten, aber von Fichte nicht mehr erörterten Probleme zu untersuchen, um an ihnen zu zeigen, welche Konsequenzen sich aus der Lösung dieser Probleme für eine umfassende Darstellung der interpersonalen Vorstellungsbedingungen ergeben würden.
Neben dem eben aufgezeigten Problem, das das von Fichte für die Begründung der interpersonalen Einheit angesetzte Verbot hinsichtlich seiner eigentlichen positiven Begründung aufgibt, war auch noch die Frage unbeantwortet geblieben, unter welchen Bedingungen in erkenntnistheoretischer Hinsicht überhaupt ein Produkt als unmittelbare Entäußerung eines fremden Ichs verstanden werden kann. Zwar waren die objektiven Bedingungen angegeben worden, unter denen das setzende Ich diese Vermittlung und Darstellung einer unmittelbaren Bestimmung realisieren konnte, doch war bisher nicht begründet dar gelegt worden, unter welchen subjektiven Erkenntnisbedingungen dieses Produkt erscheinen muß, damit es überhaupt als unmittelbare, aber objektiv dargestellte Bestimmung eines fremden Prinzips, außer dem setzenden Ich, von einem anderen Ich erkannt und verstanden werden kann. Denn ohne das Wissen um die im Produkt dargestellte unmittelbare freie Bestimmung bliebe das Produkt für alle anderen Iche, außer dem setzenden Prinzip selbst, bloß und lediglich formierte, faktische Materie.
Dieses Wissen um die im Produkt eines anderen Ichs manifestierte Intention kann nun, wie bereits gesagt worden 1), nicht durch bloßes, gedankliches Projizieren einer Zweckidee erzielt werden, die einem Gegenstand einfach hinterstellt wird, sondern muß durch den Akt der vermittelten Darstellung selbst mit vermittelt werden; sie muß durch die Anschauung des Gegenstandes hindurch angeschaut werden, wie das ebenfalls schon für die Anschauung des Verbotes behauptet worden ist. Denn um den Gegenstand als objektive Bestimmung der Freiheit zu verstehen, muß die unmittelbare Bestimmung als solche erkannt werden.
Wiewohl das Produkt als objektive Bestimmtheit in der äußeren Anschauug erscheinen und das eigene produktive Einbilden durch diese Erscheinung als Bestimmtheit gehemmt werden muß, weil ein unmittelbares Vermitteln zwischen verschiedenen Ichen nicht möglich ist (wie das an anderen Stellen schon hervorgehoben worden ist 2)), darf das Produkt auf der anderen Seite auch nicht einfach als bloße objektive Bestimmtheit der äußeren Anschauung erscheinen. Aber ein vollkommenes veräußertes und fertig abgeschlossenes Produkt würde ursprünglich so erscheinen 3). Es würde als bloßes Gesetzt-Sein, als bloßer Gegenstand, besser noch: als bloßes Gegen-Sein gegen das Sein des Ichs, in der äußeren Anschauung wie jeder andere Gegenstand auch erscheinen, weil nämlich an dem bloßen Gesetzt-Sein eines objektiven Momentes ein wirkliches, unmittelbares Sich-Bestimmen der Freiheit, ihr unmittelbares Setzen nicht sichtbar werden, weil sich die Einwirkung der Freiheit nicht unmittelbar als solche darstellen kann. Es bliebe also ein solches Produkt, das ursprünglich dem anderen Ich in dieser Weise erscheinen würde, vollkommen als Freiheitsprodukt verborgen, weil die es unmittelbar bestimmt habende Freiheit an ihm nicht sichtbar würde und sich das es vorstellende Ich sich demzufolge nicht als Freiheit angesprochen fühlen könnte. In dieser Form erschiene ein solches Produkt als bloße Faktizitat, die als bloße Entgegensetzung gegen das Ich gedacht werden muß. In dieser Abgeschlossenheit der Erscheinung des durch fremde Wirksamkeit veräußerten Produktes bliebe die freie, unmittelbare Bestimmung, ohne die ein Produkt nicht als veräußerte, freie Bestimmung verstanden werden kann, absolut uneinsichtig für andere Personen, außer dem setzenden Ich, das natürlich um seine eigene Bestimmung wissen muß. Doch ohne die aMöglichkeit, an den vorgestellten Gegenstand den Begriff einer intentionalen (Zweck-)Bestimmung zu Recht herantragen zu können, bleibt, wie schon gesagt, dieser Gegenstand bloße Materie. Weil sich nämlich die Freiheit als solche nicht unmittelbar selbst angesprochen fühlt, sich als Freiheit zu betätigen, hat sie auch keinen Grund, sich diesem Produkt gegenüber, das für sie als solches gar nicht erkennbar ist, zurückzuhalten und es als frei Gesetztes gelten zu lassen.
Damit ein Produkt als objektive Darstellung einer freien Selbst-Bestimmung verstanden werden kann, muß das freie Produzieren im Produkt mit vermittelt und in diesem angeschaut werden können, damit zu Recht auf ein diese Bestimmung setzendes Prinzip geschlossen werden kann. Doch auch wenn dieses Produzieren eines fremden Prinzips vom eigenen Ich als Vorgang vorgestellt, also das Produkt im status nascendi angeschaut wird, könnte es dennoch für einen bloßen Naturvorgang gehalten werden, dem das Vorstellen nur als einer objektiven Veränderung der Außenwelt folgt, wenn in diesem Vorgang die Freiheit des vorstellenden Ichs nicht unmittelbar als solche angesprochen würde.
Um demnach eine Setzung als freie Vermittlung eines anderen Ichs ursprünglich begreifen zu können, an die sich dann die Anschauung eines Verbotes knüpft, darf sie zum einen nicht als abgeschlossenes Produkt, als bloßes, objektives Abgesetzt-Sein erscheinen, und muß sie zum anderen das vorstellende Ich unmittelbar als eigenständige Freiheit ansprechen, muß gerade durch dieses unmittelbare Ansprechen das Frei-Setzen dieses anderen Ichs fordern. Dann würde durch das im Vorgang des Produzierens erscheinende Produkt als unmittelbare Setzung eines fremden Prinzips dem vorstellenden Ich eine Sphäre der eigenen Freiheit eröffnet. diese Vermittlung der Unmittelbarkeit eines anderen Ichs im Produkt der freien Wirksamkeit kann also nur dann als solche verstanden werden, wenn die auf das vorstellende, eigene Ich gerichtete Bestimmung, die hinsichtlich ihres notwendig objektiven Erscheinens an-determinierenden Charakter haben muß, eine Bestimmung zur freien Selbstbestimmung enthält, die als solche unmittelbar angeschaut werden muß und das Ich bezüglich der darin aufgegebenen Freiheitsrealisation frei läßt. Darum muß auch die erscheinende Bestimmung das angefangene Produkt, das dem vorstellenden Ich eröffnet wird, den Charakter der Abgeschlossenheit vermeiden: sie muß offen gehalten sein für die eröffnete Selbst-Bestimmung der eigenen Freiheit, durch deren Mitwirkung dann erst das angehobene Produkt abgeschlossen werden kann und soll.
Das produzierende Prinzip muß sich demnach, wenn es überhaupt von einem anderen Ich ursprünglich vorgestellt werden soll, in seinem freien, produktiven Vermitteln zurückhalten, sich in seiner freien Bestimmung, die es als solche veräußern will, selbst einschränken, um dadurch dem angesprochenen, anderen Ich eine Sphäre der freien Mitwirkung zu eröffnen. Das intendierte Produkt muß in der Vermittlung als unfertig erscheinen, um die Vollendung der freien Bestimmung, die letzlich realisiert werden soll, der anderen Person überlassen zu können.
Erkenntnistheoretisch muß nun diese Unfertigkeit der im angehobenen Produkt erscheinenden freien Bestimmung des ursprünglich setzenden Ichs dem vorstellenden anderen Ich so erscheinen, daß diese Bestimmung als Selbstbeschränkung des produzierenden Prinzips zugunsten des eigenen, zur freien Selbst- und Mitbestimmung aufgeforderten, und diese Unfertigkeit bezüglich der eigenen Mitwirkung als solche vorstellenden Ichs verstanden wer den kann.
Als unfertig in dem eben erläuterten Sinn kann darum auch kein Produkt angeschaut werden, daß von seinem Erzeuger als unvollendet hinsichtlich der intendierten Zweckbestimmung abgebrochen wird; denn dieses würde dann in seiner Unabgeschlossenheit auch nur als bloßer, objektiver, formierter Gegenstand erscheinen. Diese unmittelbare Selbstbeschränkung des produzierenden Prinzips, die sich im produzierenden Vorgang vermitteln und als unmittelbare Bestimmung der fremden Freiheit von letzterer angeschaut werden muß, geht also auf die Mitwirkung der aufgeforderten Person aus, die somit in die eröffnete Bestimmung der Freiheit, in die vor- bzw. an-bestimmte Willenssetzung aktiv mit einstimmen soll, um den ursprünglich aufgestellten Zweckbegriff zu bejahen und danach durch gemeinsames Handeln zu realisieren.
In der durch das unabgeschlossene Produkt vermittelten Freiheitsbestimmung, die nicht durch das eigene Ich gesetzt ist, muß die aktive Eröffnung der Freiheit zufolge einer freien Bestimmung, die sich zugunsten der durch diese Bestimmung aufgeforderten, zu eröffnenden, anderen Freiheitssphäre selbst einschränkt, unmittelbar angeschaut werden. Diese Einschränkung des auffordernden Prinzips ist deshalb erforderlich, damit eine in dieser freien Eröffnung gegebene Bestimmung durch das Mitwirken eines anderen Ichs durchvollzogen werden kann.
Erst durch die Anschauung einer solchen Willensbestimmung, die sich durch eine objektive Darstellung hindurch vermitteln muß, kann ursprünglich der vorgestellte Gegenstand unzweifelhaft als freie Bestimmung verstanden werden, die nicht durch das sie vorstellende Ich gesetzt worden ist, und der es ein unmittelbares, prinzipielles Wesen eines anderen Ichs durch Denken hinsterstellen muß, das diese Bestimmung gesetzt hat. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die behauptete Interpersonalitätsvorstellung wirklich konzipiert werden; denn von dieser vermittelten Setzung, die das eigene Ich als Freiheit unmittelbar anspricht, kann einmal gewußt werden, daß es sich um eine Willensbestimmung handelt, die sich darin vermittelt, und es kann zum anderen auch legitim auf ein sie setzendes, fremdes Prinzip geschlossen werden.
Von dieser Synthesis der die Interpersonalitätsvorstellung bedingenden Momente aus ist dann auch jene Anschauung eines Verbotes verständlich, von dessen Erscheinen Fichte die angestrebte Einheit der Individuen in dem Einen Bewußt-Sein abhängig gemacht hatte, wenigstens vorläufig: Die in der angeschauten Willensbestimmung intendierte gemeinsame Handlungsweise, die ein gegenseitiges, freies Einstimmen erfordert, ist nur möglich, wenn beide Iche, sowohl das ursprünglich auffordernde als auch das aufgeforderte Ich, sich durch sich selbst beschränken, die andere Freiheit als solche respektieren und als bedingendes absolutes Moment der zu realisierenden Bestimmung in der Freiheit einschränken, wodurch der gegenteilige Freiheitsgebrauch für beide Iche notwendig verboten sein muß.
In dieser Hinsicht erscheint nun das Verbot, über fremde Freiheitsbestimmungen zu verfügen, nicht nur unter der Voraussetzung, daß der "sittliche Zweck Zweck aller Freiheitsentwickelung sey" (II, 652), wie das schon postuliert wurde, sondern auch als eigentlich konstitutives Moment der interpersonalen Vorstellungsbedingungen. Denn bezüglich der für die Erkenntnis einer anderen Person notwendigen Vermittlung bzw. Eröffnung einer Willensbestimmung, die nur durch ein Zusammenwirken beider Iche realisiert werden kann, ist das gegenseitige Anerkennen und Abgrenzen der jeweiligen Freiheitssphären, das durch die Anschauung eines Verbotes als gesollt in der unmittelbaren Anschauung erscheint, notwendige Voraussetzung 4).
Die bereits von Fichte zitierte Stelle, in der der soeben geschilderte Aufforderungsbegriff angesprochen wurde, wonach die verschiedenen Iche nicht in "unmittelbare Continuität sich versetzen sollen [...] , sondern Bewusstseyn und Begriffe [...] zwischen sich stellen, und durch diese in Wechselwirkung treten" (II, 638) sollen, drückt zwar den gemeinten Sachverhalt aus, erklärt ihn aber nicht.
Durch den so aufgestellten Begriff der Aufforderung wird nun auch das Problem der Aufspaltung der Sphären als bloßes Vermögen und als Bestimmtheit durch Freiheit gelöst: Die Aufforderung an das vorstellende Ich erscheint hinsichtlich seiner Bestimmtheit durch Freiheit in der objektiven Anschauung als, durch sein Erscheinen bedingt, bereits verbrauchte Möglichkeit des allgemeinen Vermögens; die Sphäre, die dem aufgeforderten Ich zum freien Selbst-Bestimmen eröffnet wird, muß dagegen als durch das Sich-Bestimmen-Sollen, das in dieser Aufforderung vermittelt werden soll, bedingte, freie Möglichkeit erscheinen, als bloße Natur, im Gegensatz zum Wirksamkeitsprodukt 5). Also von der erscheinenden Aufforderung als notwendiger, interpersonaler Vermittlungsbedingung her wird die Sphäre der objektiven Anschauung ursprünglich bestimmt.
Anmerkungen:
1) Vgl. dazu die Darstellung der eigenen Abhandlung, S. 196, wo auf die reale Anschaubarkeit eines im bloßen Denken vorgebildeten Begriffs hingewiesen wird. 2) Vgl. dazu Fichte SW Bd. II "Thatsachen" - 1810/11, S.606: "Resultat: die Individuen als solche sind schlechthin getrennte und für sich bestehende einzelne Welten ohne allen Zusammenhang." 3) Wenn schon um die Existenz anderer Iche gewußt wird, kann im normalen Leben ein Produkt auch dadurch erkannt werden, daß ihm ein Zweckbegriff, von dem schon gewußt wird, einfach hinterstellt wird. Doch hier gilt es zu untersuchen, an welche Vermittlungsbedingungen das ursprüngliche Erkennen einer fremden Selbst-Bestimmung geknüpft ist, von der nach Vollzug dieser Erkenntnis auf ein unmittelbares Prinzip weitergeschlossen werden kann. Vgl. dazu auch Fichte SW Bd. IV, "Sittenlehre", S. 223 f. 4) Der hier gezeigte Zusammenhang von überindividuell verbindlicher Zwecksetzung und der konstitutiven interpersonalen Vorstellungsbedingung müßte noch näher untersucht werden, um eine mögliche, individualistische Fehldeutung des von Fichte angesprochenen Sittengesetzes abzuweisen. Vgl, dazu Hunter: "Der Interpersonalitätsbeweis Fichtes", S. 176: "Das Naturrecht kann allein von sich aus die intelligible Interpersonalität nicht letztlich, d.h. in einer Vorstellungsbedingung möglicher intelligibler Endlichkeit, dem Vorstellen nach begründen (mithin "keinen absoluten Grund angeben [...])." 5) Von hierher wird nun auch die vorher dem realen Handeln vorgeordnete Anschauung der Natur, welch letztere als bloßes Vermögen des allgemeinen Lebens gedacht werden sollte, das dem Leben hinsichtlich seines bloßen, prinzipiellen Seins in den verschiedenen Ichen in gleicher Weise zukommen sollte, durch diese Bestimmung hinsichtlich der realen, interpersonalen Erscheinungs- und Vorstellungsbedingungen, durch die sich das Leben erst als Eins begreifen kann, erkenntnistheoretisch modifiziert. Vgl. dazu auch Fichte SW Bd.II, "Thatsachen" - 1810/11, S. 667: "In den Individuen als solchen ist die Anschauung der Einen und allgemeinen Kraft als Anschauung. Von ihnen aus, als Focus des Wissens, wird die gesammte Kraft oder Natur erblickt. Allerdings von Allen, die in demselben Systeme der Wirklichkeit vorkommen, auf dieselbe Weise, denn in Absicht des Inhaltes dieser Anschauung sind sie nicht individuell, sondern das Eine und Allgemeine selbst."
|