Das Verhältnis von
Moral und Recht bzw.
von Kirche und Staat
von
Eberhard Heller
Vielfältige Erfahrungen im kirchlichen Bereich, dann
aber auch auf der Ebene partei-politischer Auseinandersetzungen zeigen häufig
das Mißverständnis der spezifischen Aufgaben auf, die der Kirche und dem Staat
bzw. der Politik eigen sind. Wenn man z.B. die Aktivitäten der sog. ‚Kirchen’
betrachtet, so fällt auf, daß sie aufgehört haben, von Gott und seinen
Heilstaten zu reden, dafür aber zu Spenden für die Wasserversorgung in Kenia
aufrufen bzw. die Sätze für die Hartz-Vier-Empfänger bemängeln. Umgekehrt meinen besonders sozialistisch
geprägte Parteien, daß ihr politisches Anliegen den Gesamtbereich der
Wirklichkeit umspannt, wobei sie auch den Anspruch des spezifisch
moralisch-religiösen Bereiches okkupieren. So werden Personen, die gegen geltendes
Steuerrecht verstoßen, als „Steuersünder“ oder diejenigen, die sich nicht um
die Auflagen des Umweltschutzes kümmern, als „Umweltsünder“ gebrandmarkt. Hier
werden Wertungen wie die Bezeichnung „Sünder“ verwendet, die dem
religiös-moralischen Bereich entlehnt sind.
Wie kommt es zu diesen Überschneidungen in dem
Verhältnis von Recht und Moral bzw. von Staat und Kirche? Woran liegt das?
Schließt man einmal aus, daß sich jemand bewußt
Kompetenzen anmaßt, die ihm nicht zustehen – z.B. wenn sich ein Politiker als
solcher in kirchliche Angelegenheiten einmischt -, so liegen solchen
Fehleinschätzungen meistens unklare Begriffe von Moral und Recht bzw. von
Kirche und Staat zu grunde, d.s. die Institutionen, die diese Prinzipien als
Grundlage ihrer Legitimität ansetzen. Es kommt deshalb zu Verwechslungen, weil
keine klaren Prinzipien definiert sind, um die beiden Bereiche gegeneinander
abzugrenzen.
Da sich dieses Problem auch bei unseren
Auseinandersetzungen im kirchlichen Bereich auswirkt, möchte ich versuchen,
etwas zu seiner begrifflichen Klärung beizutragen.
Wenn man einmal einen Blick wirft auf die vom Islam
geprägten staatlichen Regime und dann auf die westlichen bzw. europäischen
Staaten, die sich kaum noch auf das Christentum berufen können, auch wenn sich
einige Staatsoberhäupter einem christlichen Bekenntnis zurechnen, dann fällt
auf, daß in den islamischen Ländern die Religion das politische Geschehen
überlagert - man denke nur an das Mullah-Regime im Iran -, während sich die
westlichen Staaten von der Religion
abgekuppelt haben und sich in der Regel auf die Prinzipien des
Naturrechts berufen. Ein europäischer Staat gestaltet seine politischen
Aktivitäten, ohne auf die Prinzipien Rücksicht zu nehmen, die die Kirche (bzw.
‚Kirchen’) vertritt (vertreten) bzw. vertreten sollten – ganz im Gegensatz zu
islamischen Staaten. Die Kirche (bzw. ‚Kirchen’) greift ihrerseits in Bereiche
ein, die eigentlich zu den Aufgaben des Staates zu zählen sind.
Es soll nicht verschwiegen werden, daß es in
Deutschland einmal anders war. Bis zur Reformation gab es eine Koinzidenz, d.i.
Übereinstimmung hinsichtlich der geistigen Fundamente zwischen Kirche – wobei
hier mit „Kirche“ die von Christus gegründete katholische Heilsinstitution
gemeint ist - und Staat. Der Staat, vertreten durch den Kaiser, war nicht nur
weltliche Macht, der Kaiser nicht nur Herrscher, sondern auch „protector
Ecclesiae“ – Beschützer der Kirche, d.h. auch Schutz der Privatsphäre, Schutz
der Moralität, weil es geistig definierte, identische Strukturen zwischen den
Aufgaben der Kirche und denen des Staates bzw. weil es eine klare Zuordnung von
moralischem und dem Rechtsbereich gab. Es gab eine eindeutige Abstimmung in
ideologischer Hinsicht, was besagt, daß es eine christliche Politik gab. Nach
der Reformation war dieses Zusammenwirken von Staat und Kirche insoweit
gestört bzw. nicht mehr eindeutig zu gestalten, weil im Staat plötzlich zwei
konkurrierende Kirchen existierten, die ihre unterschiedlichen Positionen auch
öffentlich zur Geltung brachten. Diese Situation, daß nämlich dem Staat zwei
konkurrierende Moralinstitute gegenüberstehen, war der Anfang einer
schleichenden Säkularisierung. Es setzte ein Prozeß der Trennung von Religion
und Recht bzw. von Kirche und Staat ein, bis schließlich diese Trennung in der
Säkularisation ihren Endpunkt erlebte.
Man verweise in diesem Zusammenhang nur auf die
unterschiedliche Auffassung von der Ehe in beiden Konfessionen. Für die kath.
Kirche ist die Ehe ein Sakrament, unauflöslich, durch das die Eheleute in ihrer
gegenseitigen Liebe Anteil am Leben Gottes nehmen, während für die lutherischen
Bekenntnisse die Ehe „nur ein menschlich Ding“ ist, das sich auf die
Unmittelbarkeit der Beziehung bezieht und auf ihr aufbaut, weshalb es auch
wieder aufgelöst, geschieden werden kann. Wie soll nun eine vom Staat
aufgestellte Rechtsordnung für das (Rechts-)Verhältnis zwischen den Eheleuten
aussehen, welches den beiden unterschiedlichen moralischen Positionen gerecht
werden könnte? Von der katholischen Position tritt das Problem der Ehescheidung
gar nicht auf. Allenthalben müßte man die Rechtspositionen abgrenzen, die die
erlaubte Trennung „von Tisch und Bett“ erfordern würde. Der Problematik einer
Ehescheidung begegnen wir also nur im protestantischen Bereich. Die
Rechtsproblematik einer Ehescheidung und ihre verschiedenen Lösungsansätze
ziehen sich bis heute hin: z.B. vom Verschuldensprinzip früher zum Zerrüttungsprinzip,
welches heute angewendet wird.
Wenn wir wieder zurück zu unserem ursprünglichen
Thema kommen, drängt sich bei nüchterner Betrachtung der öffentlichen Vorgänge,
gerade auch heute wieder, der Verdacht auf, daß es beiden Institutionen – Staat
und Kirche (bzw. ‚Kirchen’) – an einer scharfen, gegenseitigen und prinzipiellen
Abgrenzung mangelt und daß es deswegen zu Kompetenzgerangel kommt. Um ein
Beispiel zu geben. Als die
Abtreibungsgesetzgebung im § 218 dahingehend verändert wurde, daß zwar die
Abtreibung weiterhin als Unrecht bezeichnet wurde, welches aber nicht mehr
strafrechtlich verfolgt wurde, hatte ich mitgeholfen, die Zentrumspartei als
Lebensrechtspartei in Bayern zu reanimieren. In diese Partei traten auch
Personen ein, die ihr Engagement nicht nur auf bestimmte politische Themen
beschränken wollten, sondern noch weitere defizitäre Bereiche reformieren
wollten. Sie hatten geplant, von der politischen Plattform aus
theologisch-kirchliche Probleme zu sanieren, die durch das II. Vatikanum Einzug
in das kirchliche Leben in Deutschland gehalten hatten, besonders im Bereich des
Synkretismus, durch den alle Religionen hoffähig gemacht werden sollten, selbst
wenn sie mit dem Grundgesetz im Widerspruch standen. Nicht, daß ich das Anliegen
als solches ablehnte – engagiere ich mich doch selbst für die Erhaltung des
Glaubens – nein, der Ausgangspunkt, die politische Plattform, war nicht akzeptabel.
Und deswegen endeten diese Aktivitäten auch im politischen Sektierertum. Ich
werde später zeigen, warum dieser Ansatz zu keinem Resultat führen kann.
Um zu zeigen, wie man hätte ansetzen können, muß man
klären, welche Aufgabe die Politik und welche die Kirche hat. Das heißt aber
zunächst klären, welche Prinzipien die jeweiligen Bereiche bestimmen.
Wir hatten bereits mehrfach ausgeführt, daß die Liebe
das absolute Prinzip ist, welches seine volle Geltung aus sich selbst hat. Sie
ist selbstbegründend und selbstrechtfertigend. Religiös gespro-chen: Gott ist
die Liebe, und so hat er sich den Menschen geoffenbart. „Und das Wort ist
Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ (Joh. 1, 14) Gott ist Mensch
geworden, um uns seine Liebe zu schenken. Der Apostel Paulus beschreibt das
Wesen der Liebe (1 Kor. 13,1-13) u.a. so: „Die Liebe ist langmütig; sie ist
gütig. Sie eifert nicht; die Liebe macht sich nicht groß, sie bläht sich nicht
auf. Sie handelt nicht unschicklich, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich
nicht erbittern (...). Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles,
sie duldet alles. Die Liebe hört nie auf.“ (4-8) Der Einfachheit halber trenne
ich nicht zwischen Moral und Religion, denn in der Moral ist die Liebe auf die
andere Person gerichtet, in der Religion auf Gott, heißt es doch: „Du sollst den Herrn, deinen Gott,
lieben aus deinem ganzem Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus deinem ganzen
Gemüte und aus allen deinen Kräften. Das ist das größte und erste Gebot. Ein
anderes aber ist diesem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst.“ (Mt 22, 37-40)
In der Liebe vereinigen sich zwei Personen – ein
„Ich“ bezogen auf ein „Du“, ein anderes „Ich“ – in einem gemeinsamen Willen und
zum Durchvollzug dieses Willens. Dieser Vollzug, da aus Liebe heraus initiiert,
ist absolut frei. Ein Zwang in der so verstandenen Willensvereinigung ist
absolut ausgeschlossen. Da die Liebe in ihrer höchsten Form eingegossen wurde
durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes, ist auch die Institution, die er
gegründet hat, d.i. die katho-lische Kirche, diejenige, die dieses Prinzip
leben und verwalten soll. Also die Institution, die dieses Prinzip
repräsentiert und zu ihrer Basis macht, ist die Moralinstitution, religiös
gesprochen: die von Christus gegründete kath. Kirche.
Wo ist nun der Rechtsbegriff anzusiedeln? Der Vollzug
der Liebe basiert auf der Voraussetzung, daß (mindestens) zwei Personen in
Beziehung treten. Da diese Beziehung in Liebe nur als freier Vollzug gedacht
werden kann, setzt er die agierenden Personen als freie an. Das bedeutet die
gegenseitige Anerkennung als freie Wesen. Das Ich setzt das Du als frei an und
umgekehrt. Dadurch entsteht ein System freier Personen. Dieses System freier
Wesen ist konstitutiv für den interpersonalen Nexus mit dem Endziel der
Vereinigung in Liebe. Die bloße Anerkennung des anderen ist also noch nicht der
moralische Vollzug selbst, sondern nur dessen Voraussetzung. Diese Anerkennung
der anderen Freiheit schließt deren Existenz nicht nur in geistiger Weise mit
ein, sondern auch den physischen Seins-Bereich und das, was sich diese Freiheit
durch ihr Handeln angeeignet hat, d.s. die Produkte der Freiheit. Hier wäre
dann auch der Begriff des Besitzes anzusiedeln. Dieser Status der Anerkennung
läßt sich deshalb gut mit der Formel „suum cuique“ – jedem das Seine –
beschreiben. Damit ist nun der Rechtsbegriff eingegrenzt, aus dem sich dann die
Sphäre des Rechts abgrenzen läßt, die dem Staat zuzuordnen ist. Denn da sich
das Recht auch instituieren muß, damit es wirksam durchgesetzt werden kann,
haben sich Gemeinden, Gemeindesysteme bis hin zu Nationen (Gemeinschaften mit
gleicher Sprache, gleicher Kultur, gleicher Geschichte) unter dem Gesichtspunkt
der Rechtsverwaltung und –durchsetzung formiert. Diese staatliche Selbstfindung
ist in der Regel einem historischen Prozeß unterworfen. Man denke nur an
Europa, in dem es massive Interessen gibt, die nationalen Einheiten in einem
vereinten Europa aufgehen zu lassen.
Ein solcher Staat baut sich also auf einem Personen-System auf,
welches sich als Rechtsgemein-schaft formiert und sich Regeln (Gesetze) gibt
bzw. geben muß, d.h. ein rechtlich orientiertes Gemeinwesen. Das Prinzip, auf dem diese Ordnung aufgebaut
werden kann, ist das Prinzip der Gerechtigkeit. Durch es kommt es zur Abwägung
der verschiedenen Personensphären, in denen legitime Interessen zu einem
Ausgleich gebracht und vertraglich geregelt werden sollen. Man denke z.B. an
das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer und dem zwischen beiden ausge-handelten
Arbeitsvertrag, in dem es auch um die Zahlung eines gerechten Lohnes geht.
Jeder weiß, wie schwierig die gerechte Abgrenzung und Abwägung gegenläufiger
Interessen sein kann. Das Prinzip der Gerechtigkeit ist auch die Grundlage für
die Urteilsfindung vor Gericht. Nicht immer sind die Urteile nach dem Empfinden
der Beteiligten „gerecht“. Aber häufig geht es auch nur um die Fixierung eines
Verhältnisses, wodurch dann ein Rechtsfrieden hergestellt wird, von dem aus
dann ein abgegrenztes Handeln möglich ist.
Ein allgemeines Vorurteil, welches heute durch
die Medien und die sog. „political correc-tness“ geistert und von ihnen
gehätschelt wird, ist die Auffassung, daß nur in einer Demokratie als
Staatsform sich das Rechtssystem etablieren könnte. Weit gefehlt! Zu den
legitimen Staatsformen gehören auch die Monarchie und die Oligarchie.
Historisch inkompetente Geister können sich eine Monarchie nur als Diktatur
vorstellen. Sie sollten ihre Aufmerksamkeit vielmehr darauf richten, daß sich
in unserem sog. demokratischen System durch geschickte, psychisch fein
ausgeklügelte Manipulationen nicht Strukturen ausbreiten, die man nur noch als
tyrannisch bezeichnen kann.
Wenn also die Freiheit Anerkennung erfährt, dann auch
das Sein der Freiheit, d.h. es gibt auch – ausgehend von der Anerkennung - auch
ein Recht auf Existenz, das sich gegen die Vernichtung ihres Seins behaupten
darf. Auf den größeren, staatlich organisierten Bereich übertragen heißt das:
Der Staat als Rechtssystem hat Macht zur Durchführung seiner Gesetze (Regeln).
Im Gegensatz zum moralischen Bereich, dem die innere Hoheit innewohnt, hat also
der Staat Macht zur Durchsetzung seiner Gesetze.
Hier läßt sich schon die Behauptung verstehen, daß
der Kampf für die Erhaltung moralischer Positionen – im Bespiel: der Kampf
gegen Synkretismus in der Kirche – keineswegs von einer politischen Plattform
ausgeführt werden kann, weil eine moralische Reform von der Basis der Freiheit
aus - ohne Gewaltandrohung! – geführt werden muß. Das kann aber die staatlich-politische
Bühne nie leisten, weil sie per se keine Kompetenz hat, in
religiös-theologische Sachverhalte einzugreifen bzw. eventuelle Streitigkeiten
zu schlichten. Um es in moralischen Begriffen zu formulieren: Recht kann Liebe
nicht erzwingen. Wenn sich die Liebe versagt, kann sie dazu nicht gezwungen
werden, besonders nicht im religiösen Bereich, weswegen der Kampf für die
Erhaltung der Wahrheit nur mit Argumenten und viel Geduld geführt werden kann.
Der Staat könnte z.B. die Kirche wegen des Fehlens der Autorität der Moral
kritisieren, wie umgekehrt die Kirche den Staat anklagen könnte, nicht als
Rechtssystem zu fungieren. Aber keiner kann die Aufgaben des anderen
durchführen. (N.b. der Hauptirrtum des Kommunismus besteht darin, daß er meint
zur Liebe (mit Gewalt) zwingen zu können.
Man kann dieses Verhältnis von Moral und Recht bzw.
von den sie vertretenden Institutionen Kirche und Staat auf die Formel
bringen:
Die Kirche hat die innere
Hoheit, d.i. die Autorität der Liebe, aber keine Macht.
Der Staat hat Macht, er kann
seine Gesetze notfalls mit Gewalt durchsetzen, aber er hat keine innere Hoheit,
weil das Recht der Moral untergeordnet bleibt. Es ist und bleibt Voraussetzung
für den Vollzug der Liebe.
Ich merke hier gleich an, daß ein Staat, der sich dieser
Einschränkung nicht unterwirft und sich als absolut gebärdet – z.B. die
herrschenden Diktaturen – kein Recht auf Anerkennung beanspruchen kann,
weswegen der Widerstand gegen ein solches System moralisch und rechtlich
gerechtfertigt ist. Das logische Prius liegt also bei der Moral. Das wird uns
augenfällig vor Augen dadurch geführt, daß im heiligen Römischen Reich
deutscher Nation sich der Kaiser als von Gottes Gnaden eingesetzt sah, der
seine Krönung (und Salbung) in der Regel vom Papst oder von einem Bischof, also
einem geistlichen Oberhaupt, erhielt (in einem streng definierten Zeremoniell).
Um die geistige Situation, in der sich bei uns heute
dieses Verhältnis abbildet, einmal schlaglichtartig zu beleuchten: Während
z.B. im Islam dem Prinzip der Moral, Allah, Personenrechte zugestanden werden,
weswegen Verstöße gegen diese Rechte strafrechtlich streng geahndet werden, gibt es solche
Personenrechte für Gott bzw. Jesus Christus in den westlichen Ländern nicht.
Gott wird im Zuge der Aufklärung vom Staat nicht mehr als konkrete,
existierende absolute Person gesehen, sondern zur (regulativen) Idee
degradiert, auch wenn sich bestimmte Staatsoberhäupter noch als Christen
bezeichnen. Darum kann Christus unbestraft verhöhnt werden. Beispiele dafür
haben wir in unserer Zeitschrift schon häufig aufgeführt. Blasphemie und die
Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen werden in Deutschland nach § 166 StGB,
(dem
„Gotteslästerungsparagraphen“) nur
bestraft,
wenn sie geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, d.h. wenn sie
gesellschaftliche negative Folgen zeitigen. Das eigentliche Vergehen, die
Gotteslästerung, wird nicht gesühnt.
Wenn man will, könnte hier eine christliche Politik andere Wege gehen.
Um jedoch die eigentliche Beziehung von Recht und
Moral an einem sehr augenfälligen Beispiel vorzuführen, verweise ich auf die
Debatte um die Todesstrafe. Immer wieder, wenn schlimme Verbrechen geschehen,
besonders an wehrlosen Kindern, die die extreme Bosheit der Brutalität der
Täter zum Ausdruck bringt, lebt die Diskussion über die Wiedereinführung der
Todesstrafe auf. „Hat dieser Verbrecher sie nicht verdient?“ so empörte Bürger.
Wenn man die Angelegenheit nur vom Rechtsstand betrachten würde, soll durch die
Rechtsstrafe ein Äquivalent zur begangenen Straftat hergestellt werden. Um die
alt-testamentliche Formel zu benutzen: Auge um Auge, Zahn um Zahn, und ich füge
hinzu: Leben um Leben. Tod verdient Tod. Wenn man aber diesen Vorgang von der
moralischen Seite her aufrollt, ergibt sich folgende Situation: Das begangene
Verbrechen ist zwar schrecklich. Darf man aber dem Täter durch die Todesstrafe
die zukünftige Möglichkeit rauben, sein Verbrechen zu sühnen? Man sollte ihm
die Chance von Seiten der Moral belassen, da niemand über die moralische
Freiheit des Täters in der Zukunft sichere Kenntnis hat bzw. haben kann. (Darum
werden in solchen Fällen vom Gericht als Äquivalent hohe Freiheitsstrafen
verhängt.) Aus diesem Grund – und nur aus diesem Grund! – darf der Täter nicht
zum Tode verurteilt werden. Also hier beweist die Moral gegenüber dem Recht ihre innere Hoheit.
Wenn der Staat jemandem vorschreiben würde, wen er
heiraten sollte, würde man sagen, daß geht ihn nichts an. Andererseits würde
man der Kirche vorwerfen, ihrer Pflicht nicht nachgekommen zu sein, wenn sie es
protestlos hinnehmen würde, wenn der Staat die Abtreibung legalisieren würde.
Ich füge ein sehr aktuelles Beispiel an, das belegen
soll, wo der Staat seine Kompetenzen illegiti-merweise ausdehnen will: die viel
diskutierte Datenvorratsspeicherung, durch die der Bürger zur gläsernen
Marionette degradiert wird. Durch sie wird jeder (freie) Bürger als
potentieller Krimi-neller eingestuft und als solcher auch mit Zwangsmaßnahmen
bedroht, die dem Staat lediglich zustehen würden, wenn sich ein Bürger als
Rechtsbrecher betätigt hat.
Ich füge einen weiteren Fall von staatlicher
Kompetenzanmaßung an. Der Streit um das sog. Erziehungsgeld hat bei vielen
Politikern eine ideologische Schieflage offenbart, auf die ich eingehen möchte.
Es geht um die Aufgaben der Eltern im Zusammenhang mit dem rechtlichen
Engagement des Staates zugunsten der Kinder. Primäre Aufgabe der Eltern ist es,
die Kinder, die sie physisch gezeugt haben, auch moralisch zu zeugen, d.h.
ihnen mit der Eröffnung und Weitergabe der Liebe, die sie selbst empfangen
haben, einen Horizont eigenständiger Entscheidungen zu eröffnen. Aus der
Verpflichtung zur Erziehung kann jemand nur aus großer Not oder bei völligem
Versagen der Eltern entlassen werden, um die (Personen)Rechte des Kindes zu wahren.
Dann können u.U. caritative oder staatliche Einrichtungen dafür eintreten...
und nur dann. Es ist schon unglaublich, daß in den Parteien des Deutschen
Bundestages darum gewetteifert wird, wer den Eltern mit dem Angebot von sog.
Kita-Plätzen ihre Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder wegnehmen, also die
Erziehung gleichermaßen „verstaatlichen“ will... mit dem fadenscheinigen Argument,
den 1-3jährigen bessere „Bildungschancen“ vermitteln zu können, was im Klartext
heißt: Die Eltern sind generell unfähig dazu. Und selbst die CDU, die es von
ihrem Programm her besser wissen sollte, spielt bei dieser (sozialistisch
geprägten) Kampagne mit. Der ehemalige rumänische Diktatur Nicolae Ceaușescu läßt grüßen.
Wie gehören nun beide Bereiche zusammen? Wo also liegen
die spezifischen Aufgaben von Kirche und Staat, welche Bereiche müssen sie
spezifisch abdecken? In welcher Weise muß man als Bürger und als Christ seinen
Verpflichtungen gegenüber den diese Bereiche von Moral und Recht vertretenden
Institutionen Kirche und Staat nachkommen? Wenn z.B. protestantische
Bekenntnisse der sog. Trauung von Homosexuellen bzw. Lesben zustimmen, nimmt
man sie als moralische Institution nicht mehr ernst, sie haben sich selbst ad
absurdum geführt. Andererseits würde man es sich auch verbitten, wenn irgend
ein Innenminister den Bürgern vorschreiben würde, wie sie sich zu kleiden
hätten.
Ich kann eine Antwort auf diese Fragen und Probleme
im Rahmen dieser Darstellung nur andeutend skizzieren und verweise auf die
Antwort, die Christus den Pharisäern und Herodianern gab, als er von ihnen
gefragt wurde, ob es legitim sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen (vgl. Matth. 22,
14-22) Auch wenn beide Parteien mit dieser Frage Christus in eine gefährliche
Falle locken wollten (1) , so beschreibt Christi Antwort die gestellte Frage
doch umfassend. "Gebt also dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt
Gott, was Gottes ist." (Matth. 22,21)
Das heißt
zunächst: Beide Institutionen bestehen aus der Sicht Gottes zu Recht. Christus
verweist auf die zweiteilige Gliederung in Rechts- und Moralbereich, in denen
er den Kaiser als Souverän im Rechtsbereich ansiedelt, und Gott als Adressaten
für den religiös-moralischen Bereich. Die abgegrenzte Institution Kaiser
(Staat) hat Anspruch auf die Loyalität der Bürger, die aufgerufen sind, sich an
dem von ihm durchgeführten Vorhaben zu beteiligen, auch durch die Entrichtung
von Steuern. Hinsichtlich der staatlichen Ordnung bedeutet es, daß man ihr
gegenüber Verpflichtungen hat, deren Gesetzen Beachtung gebührt, deren Forderung
man nachgehen muß: u.a. Gesetzestreue, Steuerpflicht, Dienstverpflichtungen
(z.B. Verteidigungsbereitschaft). Im Brief an die Römer beschreibt der hl.
Paulus die Bürgerpflichten: „Jedermann
unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten; denn es ist keine Gewalt, außer
von Gott, und die, welche besteht, ist von Gott angeordnet. Wer sich aber
daher der Gewalt widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes; die aber widerstehen,
werden das Gericht über sich bringen. Denn die Obrigkeiten sind nicht ein
Schrecken für das gute Werk, sondern für das böse. Willst du dich aber vor der
Obrigkeit nicht fürchten, so übe das Gute und du wirst Lob von ihr haben; denn
sie ist Gottes Dienerin, dir zum Guten. Wenn du aber das Böse übst, so fürchte
dich, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst; denn sie ist Gottes Dienerin,
eine Rächerin zur Strafe für den, der Böses tut. Darum ist es notwendig,
untertan zu sein, nicht allein der Strafe wegen, sondern auch des Gewissens
wegen. Denn deshalb entrichtet ihr auch Steuern; denn sie sind Gottes Beamte,
die eben hierzu fortwährend beschäftigt sind. Gebet allen, was ihnen gebührt:
die Steuer, dem die Steuer, den Zoll, dem der Zoll, die Furcht, dem die Furcht,
die Ehre, dem die Ehre gebührt. (13,1-7)
Ähnlich
sind die Verpflichtungen, an die uns Christus gegenüber Gott erinnert: „Gebt
Gott, was Gottes ist": Einhaltung seiner Gebote, Bewahrung seiner Ordnung,
Caritas gegenüber seinen Mitgläubigen, Gewährung des Unterhalts für Priester,
die „vom Altar leben“ sollen, Hilfe beim Bau von Kirchen und sonstigen
kirchlichen Einrichtungen (Kulturinstitute), Unterstützung bei der Ausbreitung
des Glaubens (Mission) nach Einschätzung und Maßgabe der eigenen finanziellen
Mittel.
Was ist
aber, wenn die staatliche Macht zu einem Unrechtssystem mutieren würde. Wäre
man dann auch gehalten, den von ihm aufgeladenen Verpflichtungen nachzukommen?
Wäre z.B. ein unter Bushs Regierung berufener Soldat verpflichtet, in den Irak-Krieg
zu ziehen? Der Staat bezieht seine Legitimität daraus, daß er als Hüter des
Rechtes, d.h. auch als der Schützer der Freiheit der jeweiligen Bürger
auftritt. Kommt er prinzipiell dieser Verpflichtung nicht nach, verliert er
ipso facto auch die Anerkennung als Rechtsstaat. D.h. Widerstand gegen ihn zu
leisten ist legitim. Ich brauche hier nicht unbedingt auf die jüngere deutsche
Geschichte zu verweisen, deren Ehrenrettung wir den Widerstandsaktivitäten eines
Kard. Graf von Galen - dessen Wahlspruch lautete: nec laudibus nec timore
-, eines Grafen von Staufenberg, der „Weißen Rose“ und anderen Gruppen, die
gegen das damalige Unrechtssystem gearbeitet haben, zu verdanken haben. Diese
waren auch bereit, dafür ihr Leben zu opfern. Man vergißt, daß von den etwa
22000 katholischen Geistlichen immerhin ein Drittel, ca. 8000 Priester, von den
staatlichen Institutionen bestraft worden sind: mit Predigtverbot, mit
Gefängnisstrafen, mit der Hinrichtung! Im Dritten Reich wurde deshalb häufig
die Frage diskutiert, ob ein Tyrannenmord gerechtfertigt wäre, ob also die
bewußte Tötung Hitlers legitim gewesen wäre. Schwierig wird es, wenn ein Staat
in einzelnen Feldern Unrecht ungesühnt zuläßt.
Um ein
weniger brisantes Beispiel anzuführen, welches vielleicht in sensiblerer Weise
auf die Anmaßung des Staates gegenüber bürgerlichen Rechten aufmerksam machen
kann, verweise ich auf die ungebetene Einmischung staatlicher Behörden in die
deutsche Rechtschreibung. Sie mußten sie partout ‚reformieren’! Bei der Sprache
und deren Fixierung in geschriebenen Worten, deren Schreibweise Sache der
Konvention ist, die, da sie interpersonal ablaufen, dem moralischen Bereich
zuzuordnen ist. Diese wurde auch bis vor kurzem so gehandhabt. So gab es 1786
eine Absprache auf literarischer Bühne, wie c, k und ck behandelt werden
sollten. Nun haben sich vor Jahren staatliche Kulturbehörden angemaßt, die
deutsche Rechtschreibung zu reformieren... mit dem konkreten Ergebnis, daß es
eine reale Verbindlichkeit wie bisher in diesem Bereich nicht mehr gibt. Denn
kaum war die eine Reform abgeschlossen, wurde gleich die Reform der Reform
eingeläutet usw. Das hat nun zur Folge, daß jeder schreibt, so gut er kann, und
daß viele große Tageszeitungen zur Orthographie zurückkehren wie sie vor den
Reformschüben geherrscht hat. (Ich persönlich habe mich zu keinem Zeitpunkt an
die Einhaltung dieser staatlichen Reformen gehalten, nicht weil ich nicht über
gewisse neue Regeln nachgedacht hätte, sondern einfach aus dem Grund, weil ich
überzeugt bin, daß dieser Bereich der Rechtschreibung den Staat nichts angeht.)
Ähnliches
gilt auch für die Moral-Institution, d.h. wenn die Kirche ihren Auftrag,
Christi Erbe ungeschmälert zu bewahren, verrät, wenn sie ihrem Gründer
gegenüber untreu wird. Dann wird Ungehorsam zur Pflicht, die abgefallene Kirche
hat keinen Anspruch mehr auf finanzielle Unterstützung, d.h. Christen, die
diesen Abfall erkennen, dürfen ihr (in Deutschland) keine Kirchensteuer mehr
bezahlen.
Es war und
ist das Anliegen dieser Zeitschrift zu zeigen, wo die (Reform)Kirche ihrem
Auftrag untreu geworden ist und wie man diesen Widerstand gegen die
Glaubenszerstörung zu führen hätte.
Es gibt
natürlich auch ernste Interessenskonflikte zwischen beiden Bereichen, in denen
die Rechtsbestimmungen im Einzelfall den moralischen Verpflichtungen
widersprechen. So kann es vorkommen, daß die Verpflichtung, Steuern zu
bezahlen, caritativen Aufgaben entgegensteht oder um den Staat daran zu
hindern, daß er per Gesetz die Steuereinnahmen zur Finanzierung von Abtreibungen
verwendet. Wenn man z.B. entscheidet, dem Staat die steuerliche Unterstützung
zu entziehen, um mit diesem Geld seine mittellosen Eltern zu unterstützen oder
um dem Staat wegen fehlender Mittel die Möglichkeit zu entziehen, weitere
Abtreibungen zu finanzieren, dann macht man sich zwar rechtlich schuldig, aber
bleibt moralisch gerechtfertigt. (In der Rechtsprechung ist dieser Fall
bekannt. Ein solcher Rechtsbrecher wurde im Extremfall dann nicht mit
Gefängnis, sondern mit Festungshaft bestraft, die bis 1953 in Deutschland in
Geltung war. Man unterstellte dem Rechtsbrecher eine ehrenhafte Gesinnung,
weswegen die Festungshaft auch „Ehrenhaft“ genannt wurde.)
Andererseits
gibt es auch Situationen, in denen die Umsetzung von Interessen aus der Rechtssphäre
Vorrang vor der Wahrnehmung moralischer Ziele hat. Ich muß nicht auf einen
militärischen Verteidigungsfall zugreifen, um zu zeigen, daß in einem solchen
Fall der Einsatz für patriotische Interessen wichtiger ist als der für
persönliche, moralische. Wenn es z.B. in einem Dorf brennt, hat die Rettung
fremden Lebens und Gutes der Mitbürger Vorrang vor der Durchführung
persönlicher Interessen. Oder es steht die Rettung von Personen an, die in
Bergnot geraten sind. Oft genug setzen dann die Retter ihr Leben aufs Spiel, um
fremdes zu retten. Man denke aber auch an den beruflichen Alltag, in dem es
häufig zum Konflikt zwischen persönlich-moralischen und
beruflich-wirtschaftlichen Interessen geht.
Die
Beispiele für die verschiedenen Bereiche ließen sich weiter ausführen. Mein
Interesse galt der Abgrenzung beider Bereiche, des moralischen, dessen Prinzip
die Liebe ist, und des Rechtsbereiches, der auf dem Prinzip der Gerechtigkeit
basiert. Ich habe versucht, die spezifischen Sphären gegeneinander abzugrenzen,
um im Konfliktfall entscheiden zu können, welchen Anforderungen, die an mich
gestellt werden, ich notfalls folgen kann und soll.
Anmerkung:
(1) Hätte
Christus z.B. geantwortet, man brauche der Besatzungsmacht der Römer keine
Steuern zu zahlen, gälte er als Rebell, den man ausschalten könnte. Wenn seine
Antwort gelautet hätte, „man soll Steuern zahlen“, hätte man ihn als
Kollaborateur gebrandmarkt.
Hilferuf
Die
finanzielle Situation des Freundeskreises bleibt weiterhin angespannt. Wir
leben gleichsam „von der Hand in den Mund“. Unsere Mittel reichen noch für
zwei Print-Ausgaben der EINSICHT. Falls dann keine großzügige Hand unsere
(Vereins-)Taschen füllt, werden wir die EINSICHT nur noch im Internet
präsentieren können.