Der selige Papst Gregor X.
von
Eugen Golla
Sommer 1271: In Viterbo - nördlich von Rom gelegen, das einige Zeit
zuvor als Zufluchtsort der Päpste diente, wenn Kämpfe und Aufstände die
Ewige Stadt bedrohten und das seit einigen Jahren päpstliche
Residenzstadt geworden war - bemühten sich die etwa 18 versammelten
Kardinäle schon fast drei Jahre, den Nachfolger Petri zu wählen,
nachdem Klemens IV. Ende Nov. 1268 gestorben war. Sieht man von der
seit dem Tode Pius XII. währenden Vakanz des päpstlichen Stuhles ab,
war es die längste Sedisvakanz in der Kirchengeschichte.
Die unter den Wählern herrschenden gegensätzlichen Interessen schienen
unüberwindlich zu sein; kein Wunder, daß die sich bekämpfenden und
ratlosen Kardinäle verspottet wurden und die Bürger Viterbos ihnen
einmal sogar das Dach des Konklavegebäudes abgedeckt hatten. Ein Teil
der Wähler stand auf Seiten des Königs Karl von Sizilien, der dem
französischen Königsgeschlecht der Anjous entstammte und der 1268 den
Hohenstaufen Konradin im Kampf um das Erbreich besiegt hatte und ihn
hatte enthaupten lassen. Der Papst hatte ihm daraufhin das
sizilianische Reich - es war päpstli-ches Lehen - zugesprochen. Die
andere Partei der Kardinäle - bestehend zum Großteil aus Italienern,
wünschte vor allem einen Papst, der die Wiederherstellung des
römisch-deutschen Kaisertums fördern sollte, das seit dem Tode des
Hohenstaufen-Kaisers Friedrich II. gleichsam erloschen war. )
Als zuletzt die Könige von Frankreich und Sizilien nach Viterbo kamen,
um durch ihre Anwesenheit das Wahlverfahren zu beschleunigen,
verständigten sich die Kardinäle schließlich auf den Vorschlag des
heiligen Kirchenlehrers Bonaventura, je drei Kardinäle beider Parteien
als Wahlmännergremium aufzustellen. Dieses wählte am 1. Sept. 1271
durch Kompromiß Teobaldo Visconti, einen Neffen des Erzbischofs von
Mailand. Der so Gewählte, der den Namen Gregor X. annahm, war weder
Priester, noch Bischof oder Kardinal, sondern nur Archidiakon in
Lüttich und ohne öffentliche Verdienste. Zum Zeitpunkt seiner Erhebung
auf den päpstlichen Stuhl weilte er seit einem Jahr wegen eines
Gelübdes als Pilger im Heiligen Land und befand sich gerade in
Ptolemais.
Geboren 1210/11 war der neue Papst zu Piacenza, wo sein Vater Podestal
(Bürgermeister) war. In jungen Jahren stand er im Dienste des Kardinals
Jakob von Präneste. Er war auch an der Vorbereitung für das erste
Konzil zu Lyon 1245 beteiligt und studierte dann von 1248-52 in Paris.
Präneste verschaffte ihm auch die Stelle des Archidiakon von Lüttich,
aber 1266 begleitete er den Kardinallegaten Ottobono Fieschi nach
England, wo er Einblick in das höfische Leben und die Diplomatie
gewinnen konnte. Wenn Visconti somit auch keine besonders hohe und
einflußreiche Stelle bekleidet hatte, zeichnete er sich immer durch
Eifer und Geschäftsgewandtheit aus und als Archidiakon besonders durch
große Sittenstrenge.
Am 23. Oktober 1271 erhielt er die Nachricht von seiner Wahl. Damals
weilte er in der nördlich von Haifa gelegenen Hafenstadt Akka, der wohl
bedeutendsten Stadt, die sich damals noch im Besitze der Kreuzfahrer
befand. Tieffromm und mit hingebungsvoller Begeisterung für die
Kreuzzugsidee hielt er zum Abschied eine Predikt über Worte aus dem
Psalm 137: "Wenn ich Dich vergesse Jerusalem, soll mein eigenes Recht
vergessen werden ..."
Ohne zu zögern brach er nach Viberbo auf, um sich seinen neuen Aufgaben
widmen zu können. Am 27. März 1272 besuchte er Rom, wo er rasch
hintereinander die Priester- und Bischofsweihe empfing und gekrönt
wurde. Bald danach verließ er die Ewige Stadt, die unter dem Einfluß
von Karl Anjou stand, um sie nicht mehr zu betreten. Ohne sich eine
Ruhepause zu gönnen, begann er nun mit seinem Programm, die Kirche zu
erneuern, die infolge der langen Vakanz, aber auch durch die Politik
seiner Vorgänger, die sich allzu sehr den Angelegenheiten Italiens
gewidmet hatten und die Weltkirche hintanstellten, schwer gelitten
hatte.
Vorerst bemühte sich der neue Papst dem Heiligen Land, das er in einem
trostlosen Zustand verlas-sen hatte, Hilfe zukommen zu lassen.
Besonders nahm er mit den Herrschern Frankreichs und Englands Kontakt
auf, um einen neuen Kreuzzug in die Wege zu leiten, an dem er sich
sebst beteiligen wollte, wobei er sich bewußt war, daß sein großartiges
Regierungsprogramm am besten mit Hilfe eines Konzils durchgeführt
werden könne. Er kündete daher bereits am 31. März 1272 ein
ökumenisches Konzil an, das am 1. Mai 1274 in Lyon eröffnet wurde.
Vorher aber ernannte Gregor X. noch fünf Kardinäle, denen bei der
Erneuerung der Kirche eine wichtige Rolle zugedacht war. Es waren dies
bedeutende Gelehrte und Generäle der Bettelorden wie den hl.
Bonaventura, neben Thomas v. Aquin der bedeutendste Philosoph und
Theologe des Hochmittelalters.
Bei der feierlichen Eröffnung der Kirchenversammlung waren etwa 1000
Prälaten anwesen, unter denen sich etwa 200 Bischöfe befanden. Gewiß
war es ein Erfolg für die Kreuzzugsbegeisterung des Papstes, daß sich
die meisten Bischöfe bereit erklärt hatten, ihm auf sechs Jahre ein
Zehntel der kirchlichen Einkünfte zur Verfügung zu stellen - aber die
weltlichen Mächte entwickelten kein Interesse an den Vorbereitungen für
eine neue Kreuzfahrt. Es wäre falsch, die Kreuzzüge in Bausch und Bogen
zu verdammen, wie es jetzt durch die Massenmedien immer wieder mit
großem Eifer geschieht; die eifrigsten Nachplapperer sind dabei solche,
welche weder für die religiöse Begeisterung des mittelalterlichen
Menschen Verständnis aufbringen können noch Kenntnisse in der
Kirchenge-schichte besitzen. Gewiß gab es infolge exaltierter
Frömmigkeit Grausamkeiten und unnützes Blutvergießen, auch konnten
weder die Anhänger des Islams bekehrt noch die Griechen zur Aufgabe des
Schismas veranlaßt werden, vielmehr verstärkte sich besonders durch das
nach der Eroberung und Plünderung Konstantinopels errichtete sogenannte
Lateinische Kaiserreich (1204-1261) ihre Verbitterung gegen die Kirche
des Westens. Aber es darf nicht die Förderung von Kultur und Wirtschaft
sowie das Bremsen der offensiven Kraft des Halbmondes mittels der
Kreuzzüge vergessen werden.
Auf Befehl Gregors X. verfaßte der Dominikaner Hubertus de Romanis die
Schrift: "Was auf dem Generalkonzil zu Lyon behandelnswert erscheint".
Auch sie zeigt, daß die Zeit um 1100, als in heller Begeisterung der
Ruf "Gott will es" erscholl, längst vergangen war. Galt es doch, in
diesem Werk sieben Einwände gegen die Kreuzzüge, die nicht verstummen
wollten, kirchlicherseits zu widerlegen.
Als Beispiele solcher Einwände gegen die Kreuzzüge seien angeführt:
"Es dürften die christlichen Religionen auch nicht das Blut der bösen
Ungläubigen vergießen, denn Christus drohte nicht, sondern stellte sich
seinen ungerechten Richtern."
"Wegen der Unglücksfälle, die in diesen Kämpfen den Christen zustießen,
scheint es nicht Gottes Wille zu sein, daß sie so gegen die Sarazenen
vorgehen."
"Die Unseren befinden sich bei diesen Kriegen in einer weit
schlechteren Lage, denn ihrer sind es nur wenige im Vergleich zu der
großen Anzahl ihrer Feinde."
Der Papst beobachtete, wie die wachsende Eroberungslust König Karls von
Sizilien und Neapel dem ohnedies schon längst morsch gewordenen Byzanz
immer gefährlicher wurde. Es gelang ihm, wenigstens einen
Waffenstillstand zu erreichen, der es nun dem byzantinischen Kaiser
Michael VIII. ermöglichte, das Konzil von Lyon zu beschicken; es
handelte sich dabei um nichts weniger, als das bereits seit 1054
bestehende Schisma zwischen Ost und West aufzuheben, was auch das
Wiederaufleben von Kreuzzügen fördern würde.
Der Hauptzweck des Konzils sollte die Bekämpfung der Ungläubigen sein,
und, da diese durch die vereinten Kräfte der Griechen und Lateiner
leichter ausgeführt werden könnte, die Wiedervereinigung der durch das
Schisma getrennten Kirchen sein. Dieses letztere Ziel schien erreichbar
zumal der griechische Kaiser Michael Paläologus, welcher sich 1261
Konstantinopels bemächtigt hatte, bereits ein Jahr später die ersten
Schritte zu einer solchen Re-Union getan hatte, wenn auch aus
politischen Gründen.
Am 29. Juni 1274, dem Feste Petri und Pauli, las Papst Gregor in der
Lyoner Kathedrale Saint Jean die Messe. Epistel und Evangelium wurden
lateinisch und griechisch gesungen, worauf der hl. Bo-naventura die
Predigt hielt. Danach erfolgte das "Credo" ebenfalls auf lateinisch und
griechisch, wobei der Satz "Der vom Vater und vom Sohne ausgeht"
dreimal wiederholt wurde. Das "Filioque" ist ein dogmatischer Zusatz in
das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis, der bereits im
6. Jahrhundert aufkam und um das Jahr 1000 allgemein wurde. Er besagt,
daß der Hl. Geist seinen Ewigen Ursprung im Vater und dem Sohne als
einem Prinzip habe. Der Patriarch Photius bezichtigte die Lateiner
wegen des "Filioque" der Häresie, was dann bald zum Hauptstreitpunkt
der Griechen geworden war.
Es war ein großer Triumph für die "Una Sancta", als in der vierten
Sitzung des Konzils am 6. Juli 1274 im Briefe des byzantinischen
Kaisers der Pontifex Maximus der "erste und oberste Hohe Priester, der
allgemeine Papst, der Vater aller Christen" genannt wurde, und zum
Abschluß der Großlogothet (Kanzler) Georgios Akropolita in Vertretung
des Kaisers Michael das römisch-katholische Glaubensbekenntnis sowie
die Anerkennung des Primats beschwor.
Dem feierlichen Akt im Dom zu Lyon war kein befriedigender Erfolg
beschieden. Man muß anneh-men, daß für den Kaiser trotzdem das Bündnis
mit dem Papst auch außenpolitisch vorteilhaft war, er sich aber nicht
sonderlich bemühte, die Versöhnung mit Rom mit allen Kräften zu
fördern. Allerdings machten es ihm seine Untertanen schwer, da
besonders der orthodoxe Klerus und die Mönche mehr denn je den Haß
gegen die Lateiner schürten. Wie zu erwarten, wurde daher unter Gregors
schwachen und nur kurz regierenden Nachfolgern die Union wieder
aufgelöst.
Der Papst erließ auf dem Konzil auch eine große Anzahl von
Reformdekreten, von denen das wich-tigste ein Gesetz über die Papstwahl
war, das eine länger dauernde Vakanz verhindern sollte. Es
verpflichtete die Karinäle, sich spätestens zehn Tage nach dem Ableben
des jeweiligen Papstes in einem streng abgeschlossenen Gemach zu
versammeln. Ferner wurden die Wähler verpflichtet, ein gemeinsames
Leben zu führen und sich jedes Verkehrs mit der Außenwelt zu enthalten.
Die Forderung, die Mahlzeiten nach Ablauf von acht Tagen auf Brot,
Wasser und Wein zu beschränken, versuchten vor allem die reichen
Kardinäle, die an ein bequemes Leben gewöhnt waren, zu bekämpfen. Diese
Konklaveordnung ist grundsätzlich trotz mancher Änderungen und
Ergänzungen bis heute gültig geblieben, wenn auch bis in das 19.
Jahrhundert oft politische Parteiungen im Kollegium lange die
erforderliche Zweidrittelmehrheit verzögerten.
Aus Zeitmangel vermochte zwar Gregor X. keine durchgreifenden Reformen
durchzuführen, doch erließ er auf dem Konzil eine Reihe von Dekreten,
die in das kirchliche Gesetzbuch, das "corpus iuris canonici",
aufgenommen worden sind. Vor allem bemühte sich der sittenstrenge Papst
unwürdige Bischöfe abzusetzen, so u.a. den Bischof Heinrich von Lüttich.
Mit dem Erlöschen des Geschlechtes der Hohenstaufen endete das Imperium
des hohen Mittelalters. Das Papsttum hatte zwar über das
römisch-deutsche Kaisertum den Sieg davon getragen, aber den
eigentlichen Gewinn dieses so langwierigen Kampfes, der mit dem
Investiturstreit zu Ende des elften Jahrhunderts begonnen hatte,
erntete der französische König, als der Papst 1309 seinen Sitz in
Avignon aufschlagen mußte.
Gregor X. war sich bewußt, daß für Kirche und Staat das weitere Fehlen
eines Oberhauptes des Deutschen Reiches katastrophale Folgen haben
würde. Er drängte daher die Wahlfürsten, ihre Pflicht zu tun,
andernfalls er unter Androhung schwerer Strafen das ihm zustehnde
Devolutionsrecht in Anspruch nehmen und mit den Kardinälen die Wahl
vornehmen werde.
Am 1. Oktober 1273 wurde der Graf Rudolf von Habsburg zum König
ausgerufen. Der Papst verhielt sich anfangs zurückhaltend, denn Rudolf
war noch wenige Jahre zuvor ein eifriger Anhänger der Hohenstaufen und
erweckte als wenig mächtiger Graf nicht den Eindruck, Ruhe und Ordnung
in Deutschland und Italien herstellen zu können.
Nachdem aber Rudolf die Kurie seiner Ergebenheit versicherte und ihr
viele Privilegien gewährte, auch einen Kreuzzug versprach, erkannte ihn
Gregor als römischen König an. Den neuen König traf Gregor auf seinem
Rückweg vom Lyoner Konzil in Vienne. Allerdings war es ihm nicht mehr
vergönnt, ihn zum Kaiser zu krönen oder mit ihm einen Kreuzzug zu
unternehmen. Er starb, erst 66 Jahre alt, am 10. Januar 1276 zu Arezzo.
Bald erfolgte vielerorts seine Verehrung, besonders aber in Piacenza
und Arezzo, wo sein Leichnam in einem marmornen Mausoleum aufbewahrt
wird.
Die Regierungszeit Gregors X., eines der bedeutendsten Päpste seines
Jahrhunderts, kann als eine Epoche verhältnismäßigen Friedens für die
Kirche bezeichnet werden und als ein Ansatz einer geistlichen
Erneuerung, da er allgemeine Anerkennung und Ansehen gefunden hatte.
Allerdins gingen seine zwei Hauptanliegen, die Aufhebung des
griechischen Schismas sowie ein Wiederaufleben der überholten
Kreuzzugsidee nicht in Erfüllung.
Papst Benedikt XIV. (1740- 58) erklärte ihn selig; als seine Gedenktage werden der 28. Januar und der 4. Februar angeführt.
* * *
Benutzte Literatur:
"Chronologische Reihenfolge der Römischen Päpste von Petrus bis auf Gregor XVI:", Würzburg 1831.
Brunel, Ghislain: Gregoire X. in: "Dictionnaire Historique de la Papauté", 1994.
Haller, Joh.: "Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit", Bd. 3/I., Stuttgart 1945.
Artikel Gregor X. in: "Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche ", Band 7, Leipzig 1899.
Seppelt, F.X.: "Geschichte der Päpste", 3. Bd., München 1951.
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