Vorwort des Herausgebers
S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc, der vor gut 20 Jahren am 13. Dezember 1984
kurz nach Vollendung seines 87. Lebensjahres in einem Krankenhaus in
Carthage/U.S.A. verstarb, hat wie kaum ein anderer entscheidend in die
nachkonziliare Entwicklung eingegriffen und den Widerstand gegen die
häretischen Reformen des II. Vaticanums bestimmt. Auch wenn man
versuchte, seine DECLARATIO über die Sedisvakanz, die er nach seiner
Flucht aus Toulon in München am 25.2.1982 unterzeichnet hatte,
weitgehend zu verschweigen oder deren Entstehung als
Gefälligkeitsleistung in Mißkredit zu bringen, so hat doch Mgr. Thuc
durch diese Erklärung den Anhängern unserer Widerstandsbewegung nicht
nur den Namen "Sedisvakantisten" verliehen, sondern ihr auch das
einzige Dokument hinterlassen, welchem kirchliche Verbindlichkeit
zuzumessen ist, auch wenn es 'nur' ex caritate und nicht ex officio
verfaßt wurde.
Zum anderen hat Mgr. Thuc durch die Weihen von P. Guérad des Lauriers
bzw. den mexikanischen PP. Carmona und Zamora am 7. Mai und 17. Oktober
1981 der Kirche Bischöfe geschenkt, um die wegen der Einführung
ungültiger Weiheriten in Gefahr geratene apostolische Sukzession zu
retten. Dazu ist leider anzumerken, daß sich in der Folge Priester zu
Bischöfen haben weihen lassen, die überhaupt kein Interesse am
Wiederaufbau der Kirche zeigen, sich aber dennoch auf die
Sukzessionslinie von Mgr. Thuc berufen.
Der ehemalige Erzbischof von Hué/Vietnam hatte es seinen Gegnern leicht
gemacht, gegen ihn zu polemisieren, als er 1976 in Palmar de Troya den
dubiosen Seher Clemente und andere zu Priestern und Bischöfen geweiht
hatte. Dieses Debakel, welches für die Kirche in einem Skandal endete,
als sich Clemente zum 'Papst' deklarieren ließ, trug Mgr. Thuc die
Verachtung selbst seiner Verwandten ein. Er wurde allgemein gemieden.
Fortan lebte er isoliert in Toulon in äußerst dürftigen Verhältnissen,
nachdem auch ein Versuch, in Nizza ein rechtgläubiges Priesterseminar
zu eröffnen, gescheitert war.
Wo andere nur Ärgernis witterten, haben wir uns genauer mit der
Begründung auseinandergesetzt, die Mgr. Thuc für die Spendung der
Weihen in Palmar de Troya verfaßt hatte. Darin verwies er auf den
eingetretenen allgemeinen Notstand in der Kirche, der auch
außergewöhnliche Maßnahmen wie die gespendeten Weihen rechtfertigen
würde. Eine solche Feststellung und Begründung hatte bisher noch keiner
der konservativen Prälaten vorgelegt. Für uns war sie der Anlaß,
Kontakt zu dem Erzbischof aufzunehmen und mit ihm eine Zusammenarbeit
zu sondieren, die sich dann über Jahre im Verborgenen vollzog. Wir
lernten in dem Erzbischof einen Kleriker kennen, der durch sein
souveränes Verhalten, seine klaren Ansichten und seine Direktheit
bestach. Tief berührte uns, daß diese priesterliche Persönlichkeit mit
ihrer Umsichtigkeit und ihrem Feingefühl, gerade auch in der
Beurtellung menschlicher Probleme, in einem solchen Ausmaß verkannt und
mißachtet wurde. Durch den Verrat der im Geheimen gespendeten Priester-
und Bischofsweihen mußte er wegen der einsetzenden Verfolgung Toulon im
Januar 1982 fluchtartig verlassen. Wir holten ihn nach München. Hier
verbrachte er einige Monate in relativer Sicherheit, geachtet von den
Gläubigen, die täglich seiner Feier der hl. Messe beiwohnen konnten.
Während dieser Zeit lernten wir den Erzbischof auch persönlich näher
kennen. Uns überraschte die Vornehmheit und Liebenswürdigkeit, mit der
er selbst in dieser prekären Situation den Mitmenschen begegnete, aber
auch die feine Ironie, mit der er kritisch seine Umwelt betrachtete. Am
meisten beeindruckte mich seine unglaubliche Energie und seine
Disziplin, die er auch beibehielt, als er schwer krank wurde. Kaum in
München angekommen, versuchte er die deutsche Sprache zu erlernen...
mit knapp 85 Jahren! Selbst Nachbarn, die nicht wußten, wer
dieser alte Mann war, erzählten uns, welche Würde er ausstrahlte. Ich
werde die Arroganz nie verstehen, mit der ihm gerade französische
Kleriker begegnet sind, die in dem dreifachen Doktor der Theologie nur
den vietnamesischen Reisbauern sehen wollten, vergessend, welche hohe
Achtung ihm u.a. Papst Pius XI. entgegengebracht hatte.
Nachdem der Erzbischof von München wieder nach Toulon zurückgekehrt
war, hatte ihm Bischof Vezelis Unterkunft in dessen Seminar in
Rochester/U.S.A. gewährt, das er aber nach einem längeren Aufenthalt
wieder verließ. Sein letztes Lebensjahr verbrachte Mgr. Thuc als
geachteter Prälat in einem vietnamesischen Seminar in den U.S.A.
Da die Autobiographie in dem Augenblick abbricht, als Mgr. Thuc nach
Palmar de Troya aufbricht, haben wir in zwei Anhängen seine
Kurzbiographie und Dokumente aufgenommen, die die Stationen am Ende
seines Lebens markieren, die er selbst als seinen Kreuzweg bezeichnete.
Nachdem mittlerweile die Polemik und die Anwürfe gegen S.E. Mgr.
Ngô-dinh-Thuc verstummt sind, hoffe ich, daß die von ihm selbst
vorgelegte Schilderung seines Lebens vorbehaltlos aufgenommen wird.
Mein besonderer Dank gilt Frl. Elisabeth Meurer, die die Ãœbersetzung
besorgte.
Ergertshausen, den 17. Januar 2005
Im Namen des Freundeskreises der Una Voce e.V. Eberhard Heller
Misericordias Domini in aeternum cantabo
Autobiographie von Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc, Erzbischof von Hué
übersetzt von Elisabeth Meurer
"Misericordias Domini in aeternum cantabo". Mit dieser Lobpreisung
des Propheten beginne ich die Geschichte meiner Seele. Mögen diese
Erinnerungen andere Seelen dazu ermuntern, auf diese unendliche
Barmherzigkeit zurückzugreifen, um sich zu bekehren und zu heiligen.
Mein geringes geistliches Leben ähnelt einem Stoff, dessen Fäden die
Strahlen dieser Barmherzigkeit sind, die in diesen Stoff eindringen.
Denn die Barmherzigkeit Gottes, der aus der ganzen Ewigkeit heraus sich
herabgelassen hat, einen Blick auf dieses Atom zu werfen, das meine
Seele ist, und sein Heraustreten aus dem Nichts zu beschließen, hat
niemals aufgehört, sie mit seiner Barmherzigkeit zu umgeben, sie noch
enger und fester zu umschließen, wenn dieses armselige Nichts den so
sanften Banden des Bräutigams meiner Seele zu entkommen versucht.
Andere Seelen mögen sich mit Recht an die Liebe Gottes wenden, um sie
zu lieben und anzubeten: jungfräuliche Seelen, kontemplative Seelen,
von Heiligkeit duftende Seelen nach dem Vorbild der Cherubim und
Seraphim. Seelen wie diejenige der zwei Theresien, wie die von Johannes
v. Kreuz, von Aloysius von Gonzaga, von Pater Pio.
Sie haben das Recht dazu. Aber was meine sündige Seele angeht: Sie hat
dem Herrn nur Tränen anzubieten wie Magdalena und in dieser und der
anderen Welt die Barmherzigkeit Gottes zu besingen.
Der liebe Gott, der sehr Barmherzige, hat mir, um mir Zeit zur Reue zu
geben, eine Lebensdauer und eine Gesundheit gegeben, die nicht in
meiner Familie liegen.
Mehr als 80 Jahre alt, ohne schwer krank gewesen zu sein, mit einer
Intelligenz ausgestattet, die mich im Kleinen Seminar sowie in den
römisch-katholischen Fakultäten und an der Sorbonne zum Wettkämpfer
gemacht hat, hat mir die Barmherzigkeit Gottes die Zeit und die
religiösen sowie weltlichen Kenntnisse gelassen, die mir bei meiner
Bekehrung halfen.
Ich bin Vietnamese: Diese Herkunft erklärt meinen Charakter. So wie das
Franzose-Sein die Heiligkeit der kleinen hl. Theresia von Lisieux
verstehen lässt - und diejenige der Kastilierin die große Theresia von
Avila charakterisiert.
Woher kommt die vietnamesische Rasse, wenn man den tausendjährigen
Annalen der Chinesen glauben darf, die immer unsere Gegner gewesen
sind? Die Viet besetzten das Gebiet, das heutzutage Peking bildet,
durch das der große Gelbe Fluß fließt. Die Chinesen drängten in dieses
sehr fruchtbare Land, wo die Vietstämme ihren bequemen Lebensunterhalt
fanden.
Gegen diese sich rasch vermehrenden Gegner begannen die unendlich
weniger zahlreichen Viet einen fatalen, ungleichen Kampf, den sie
verloren. Aber die Viet leisteten unaufhörlichen Widerstand - wobei sie
nach Süden zurückgedrängt wurden - ihre letzte Hauptstadt auf nunmehr
chinesischem Gebiet war Kanton.
Als Kanton von den "Himmlischen" besetzt war, fanden die Viet ein zur
Verteidigung günstiges Gebiet: einen Schleichweg, der in der Folge die
Tore von Annam genannt wurde - wo sie den Chinesen den Weg versperrten.
Später gelang es den Chinesen, die Tore von Annam zu durchbrechen, und
sie besetzten das Delta des Gelben Flusses, auf dem Hanoi erbaut wurde
- und das fast tausend Jahre lang.
Die Viet verloren nie den Mut, schafften es, die Chinesen zu
vertreiben, dank des Heldenmutes der zwei Schwestern Trung-trac und
Trung-schi, die in diesem heldenhaften Kampf ihr Leben verloren - aber
angefeuert von diesem Beispiel von zwei Vietnamesinnen, führten sie das
Unternehmen dieser zwei Schwestern zu Ende: Die Chinesen verließen
Vietnam definitiv - die Vietnamesen waren politisch und diplomatisch
bemüht, um eine Art Vasallentum unter dem chinesischen Herrscher zu
akzeptieren, indem sie ihm zu gewissen Zeiten einige für unser Land
charakteristische Geschenke überreichten: z.B. Elefantenstoßzähne.
Aber wir müssen anerkennen, daß die tausendjährige chinesische Besetzung für Vietnam vorteilhaft gewesen ist.
So war vorteilhaft: die Unterteilung des Staatsgebietes in Provinzen,
Präfekturen, Dörfer - so wie das Reich der Mitte unterteilt war - mit
dem spezifischen Unterschied, was das Dorf betrifft. Denn das Viet-Dorf
ist eine kleine Republik und behandelt den Staat, als wenn es zwei
Staaten wären. Wenn der Staat dem Dorfe einen Beitrag zum Krieg sowohl
in Geld als auch in Menschen auferlegte, teilten die Notabeln des
Dorfes den Beitrag jedes Dorfbewohners in Geld ein und bestimmten die
jungen Menschen, die für die königliche Armee rekrutiert werden
sollten. Es gab ein Sprichwort, welches das Verhältnis zwischen dem
Staat und dem Dorf ausdrückte: Die Dekrete des Königs verneigen sich
vor den Sitten des Dorfes. Der Bürgermeister (Ly-trûông) war nicht das
Dorfoberhaupt, sondern der Repräsentant des Dorfrates bei den höheren
Behörden. Ihn trafen die Schläge mit dem Rohrstock, wenn die Behörden
mit dem Dorf unzufrieden waren.
Die Mitglieder des Dorfrates waren zunächst die Bewohner des Dorfes,
die einen Mandarin-Titel inne hatten (ehemalige Mandarins), dann die
Gebildeten, welche die dreijährigen Prüfungen zum Bakkalaureus,
Licencié und Doktor abgelegt hatten, schließlich die in punkto Reichtum
einflussreichsten Bürger.
Dieser Rat, in dem zuerst die Intelligenz und nicht der Reichtum
vorrangig vertreten war, verteilte zu gleichen Teilen die Reisfelder an
die Bürger. Denn alle drei Jahre wurde diese Verteilung von Losen mit
gleicher Flächengröße aber unterschiedlicher Fruchtbarkeit vorgenommen.
Die Bürger waren nur Eigentümer der Felder, die sie selbst urbar
gemacht hatten, während die gemeindeeigenen Felder bei der Begründung
des Dorfes von einem unternehmerischen Menschen urbar gemacht worden
waren, der nach Erwerb eines "No manÃs land" Freiwillige angeworben
hatte, um mit ihnen zu arbeiten und ein neues Dorf zu gründen.
Dies ist eine gesellschaftliche Tatsache, welche den Geist der
Unabhängigkeit der Viet gegenüber den höheren Behörden zeigt, wobei
erstere gleichzeitig freundschaftliche Beziehungen zu letzteren
unterhalten - wie zwischen zwei Staaten. Offenkundig ist all dies von
der modernen, egalitären Gleichmacherei hinweggefegt worden. War das
nun besser oder schlimmer? Zumindest war das alte System dem modernen
durchaus ebenbürtig, denn wir haben zwei Arten von Eigentum: das
gemeinschaftliche und das private. Wir hatten die Verteilung alle drei
Jahre ohne das Eindringen eines totalitären Staates.
Die Unabhängigkeit des Bürgers fand ein Gebiet, auf dem er atmen
konnte, ohne jedoch völlig auf die Vorteile eines zentralisierten
Staates zu verzichten. Dieser Durst nach Unabhängigkeit liegt dem
Vietnamesen im Blut und erklärt diesen tausendjährigen Kampf gegen den
Chinesen, dann gegen den Franzosen, bei gleichzeitigem Profitieren von
den Vorteilen der chinesischen Einrichtungen und der französischen
Kultur. Unsere Familie war immer für das System des britischen
Dominions zwischen Vietnam und Frankreich. Wir konnten diesen Traum
nicht verwirklichen, der Frankreich zu einem Führungsstaat gemacht
hätte wie England für Kanada, Australien, Neuseeland, und es ermöglicht
hätte, die USA, Sowjetrussland und Großbritannien als gleich zu
behandeln.
Der Viet ist also Anhänger einer persönlichen Unabhängigkeit,
garantiert durch eine Abhängigkeit von anderen Staaten. Der Viet ist
vor allem Patriot, sei er kommunistisch oder antikommunistisch.
Ho-chi-Minh und Ngô-dinh-Diém sind durch und durch Viêt.
Aus christlicher Sicht sind wir der römischen Kirche gehorsam,
besonders in der Klasse der einfachen Gläubigen, aber in der
intellektuellen Klasse räumen wir die Einmütigkeit im Bereich der
Dogmen des Glaubens ein, aber mit Mannigfaltigkeit in den Sphären, die
das Dogma nicht betreffen.
Dies erklärt in gewisser Weise meine Abneigung gegenüber den
zudringlichen Unternehmungen des Vatikans, liturgische Elemente als
kanonisches Recht aufzuerlegen, mit einem Wort: die Nivellierung
jedweder Besonderheiten, die es in jeder Kultur gibt; die Kultur ist ja
übrigens das Werk des lieben Gottes, der an der Einheit und auch an der
Mannigfaltigkeit Gefallen hat: Gott ist selbst einer und dreifaltig.
Jeder Mensch besitzt sein eigenes Gesicht. Die Mannigfaltigkeit ist die
Zierde des Univer-sums. Warum soll man eine einzige Art vorschreiben,
die hl. Messe zu feiern - die einzig aus der Konsekration besteht? Und
vorzuschreiben unter Strafe der Suspension und sogar der
Exkommuni-kation, ist das nicht ein Machtmißbrauch? Ein Paulus von
Tarsus wäre tatsächlich von einem Petrus exkommuniziert worden, da er
Bischöfe geweiht hatte, ohne Petrus davon zu berichten?
Der Vatikan erfindet Vorschriften, um jedwede liturgische oder
kanonische Besonderheit der Lokalkirchen zu unterdrücken. Er will
Uniformität überall, ohne zu bedenken, daß die liturgischen
Besonderheiten der orientalischen Kirchen aus der Zeit der Apostel
stammten, ohne zu bedenken, daß jedes Volk seine Charakteristiken hat,
die genauso beachtenswert sind wie die von Rom. Hier einige Beispiele:
Für den Römer erhebt man sich als Zeichen des Respekts; in Vietnam
kniet man sich. Der Römer breitet beim Beten seine Arme aus; der
Vietnamese faltet seine Hände, um zu beten. Die Europäer geben sich die
Hand als Zeichen der Freundschaft oder zur Begrüßung; die Asiaten,
Chinesen, Vietnamesen falten ihre Hände und neigen den Kopf: Die
Verneigung fällt tiefer aus, je achtbarer derjenige ist, der gegrüßt
wird.
Die hl. Messe besteht im Wesentlichen in der Verwandlung der Gestalten.
Die anderen Teile können äußerstenfalls oder im absoluten Notfall
weggelassen werden. Das ist der Fall bei gefangenen Priestern, welche
die Messe in der Dunkelheit einer Zelle feiern, um sich und ihren
Mithäftlingen die Kommunion zu spenden.
Jesus konsekrierte beim letzten Abendmahle nach der jüdischen Sitte für
das Passahfest. Heute kon-sekriert der Priester im Stehen und gebeugt,
um zu kommunizieren. Warum? Denn man ißt im Sitzen. Die Japaner essen
auf ihren Absätzen sitzend; die Hindus sitzen beim Essen auf dem Boden,
das Essen auf Bananenblättern ausgebreitet; die Chinesen und die Viet
essen mit Stäbchen. Man könnte logischerweise überrascht sein, daß Paul
VI. diejenigen verurteilt, die auf andere Art zelebrieren, z.B. nach
der Liturgie von St. Pius V. Er hätte mit dieser Logik die erste von
Jesus gefeierte Messe verurteilen können.
Nach Vatikanum II jedoch streicht man offiziell die Mannigfaltigkeit
für die Nebensächlichkeiten und die Einheit nur in den wesentlichen
Dingen. Japanische, indische Hierarchien werden in der Anpassung der
Messe an ihre nationalen Besonderheiten bestärkt. Das "Halali" gilt
einzig der Messe des hl. Pius V.!
Ich habe mich über diesen besonderen Fall ausgelassen - nicht nur wegen
der Ungerechtigkeit der Verurteilung, sondern besonders wegen der
Untauglichkeit der Maßnahme, umso mehr, als man es nicht wagt, dasselbe
Verbot nicht nur auf die orientalischen Liturgien anzuwenden, sondern
auch auf die Mailänder Liturgien von St. Ambrosius, auf die
dominikanische, die mozarabische und Lyoner Liturgie... Vielleicht bin
ich bei dieser respektvollen Beobachtung instinktiv von dieser Sucht
der Viêt nach Unabhängigkeit angetrieben worden? Schließen wir diese
Klammer und studieren wir die Umgebung, die für meine Zukunft
entscheidend war.
Der erste Kreis dieser Umgebung ist die Familie, eine Viêt-Familie der
Rasse nach, auf vietnamesische Art katholisch, die darin besteht, sich
zu behelfen, ohne auf eine problematische Hilfe von den anderen zu
warten. So überlebte die vietnamesische Kirche, als die Verfolgung der
Könige sie der ausländischen Priester beraubte. Einige, die in die
Wälder geflohen waren, unterstützten die Christen, die sich damals für
privilegiert hielten, wenn sie zwei oder drei Mal in ihrem Leben zu den
Sakramenten gehen konnten.
Die vietnamesischen kleinen Christengemeinden (Pfarreien) waren über
das Viet-Gebiet vom Tor von Annam bis zur "Pointe den CamanÃ"
verstreut. Hier ihre zum Ãœberleben ausgedachte Organisation: Man
erwählte damals die alten Christen, die besser als die anderen die
Dogmen des Glaubens kannten, von den Missionaren Katechisten genannt,
die den oberen Stand der Pfarrgemeinde bildeten. Ihr Oberhaupt
kontrollierte die Handlungen der für das Überleben und den Fortschritt
der Christengemeinde verantwortlichen Gruppen. Die eine war mit der
Unterrichtung der Kinder im Glauben betraut und bereitete sie auf die
Kommunion vor (wenn sie stattfinden konnte). Eine andere befaßte sich
mit dem Besuch der Kranken und deren Vorbereitung auf den Tod. Eine
weitere bereitete die Gesänge, Gebete, die Lesung des Evangeliums und
der Epistel vor und leitete sie in den Messen ohne Priester, wie wir es
bei der geistigen Kommunion tun.
Wie sollte man das nötige Geld finden für den Kult, um die kleine
Kapelle aus Stroh zu bauen, für die Reisen und den Empfang des
Missionars, um die Priesterkandidaten zu ernähren - die im Rate der
Christengemeinde gewählt wurden? Das Seminar bestand aus einer
Dschunke, auf welcher der einzige Professor wohnte: der Missionar, der
nachts etwas Lateinisch lehrte, genug um die Wandlungsworte und
diejenigen der Sakramente zu sprechen... am Tag wurden die Seminaristen
zu Fischern, um die Gemeinde zu ernähren.
Wenn diese Ausbildung abgeschlossen war, schickte man sie ins Ausland,
entweder nach Siam oder nach Ponlo-Pinang, das Generalseminar der
Auslandsmissionen von Paris, damit sie dort die Weihen empfingen. So
verlief die Einrichtung der einheimischen Weltpriester, deren Förderer
die Viet waren, getrieben von ihrem Unabhängigkeitsinstinkt, von ihrer
Sucht, sich zu behelfen - far da se - ohne auf wunderbare Hilfe vom
Ausland zu warten.
So war die Organisation der vietnamesischen Pfarrei durch des Priesters
beraubte Laien das, was Rom "Katholische Aktion" nannte und sich
rühmte, sie unter dem Pontifikat von Pius IX. und Pius XII. geschaffen
zu haben, wo sie doch dem Heidenapostolat bekannt war und dort
praktiziert wurde, das nicht nur von Priestern, Diakonen, Bischöfen
umgeben war, sondern auch von Laien, Männern und Frauen, und das 300
Jahre vor ihrem Wiederaufleben durch die zwei Pius-Päpste. Genau wie
die Einrichtung eines einheimischen Klerus.
Diese zwei Stützpfeiler der Evangelisierung, von den Viêt erfunden,
sind ein Beispiel der Intelligenz dieses Volkes, das der Hl. Stuhl wie
einen wenig bedeutsamen Bestandteil der Kirche behandelt hat und so
weit ging, ihnen erst dann eine offizielle Hierarchie und einen
Kardinal zuzugestehen, nachdem er diese Auszeichnungen anderen Ländern
gewährt hatte, die im Hinblick auf Glauben, Zahl der Kleriker und der
einheimischen Martyrer vom katholischen Vietnam - bei weitem -
übertroffen wurden. Aber ich war doch ein wenig erstaunt, als der gute
Papst Johannes XXIII. mich fragte, als ich ihm als Dekan zehn
Hierarchien aus Vietnam vorstellte: "Was ist dieses Vietnam?" Und
Johannes XXIII. war der Vikar Dessen, der vor 2000 Jahren erklärte:
"Ich kenne meine Schafe, und meine Schafe kennen mich."
Man darf daher nicht von der Animosität Pauls VI. gegen unsere Familie
und besonders gegen meine Person überrascht sein, die so weit ging, daß
er mir die Niederlegung meines Erzbischofsamtes auferlegte, vor dem für
die Bischöfe festgelegten Ruhestandsalter, und hierfür einen seiner
Günstlinge ernannte, der zur Politik der "Öffnung für den Osten"
neigte. Dieser wurde kürzlich von seinen alten kommunistischen Freunden
als persona non grata behandelt, als er es wagte, seine Stimme zu
erheben gegen die von den Kommunisten gegen den Besuch der
Sonntagsmesse aufgestellten Hindernisse, indem sie den Katholiken zur
Zeit der Messe öffentliche Fronarbeiten auferlegten. Und um ihn den
Bruch spüren zu lassen, erlaubten ihm die Kommunisten nicht, an der
Synode von 1977 mit den anderen vietnamesischen Erzbischöfen
teilzunehmen.
Ein anderer vietnamesischer Erzbischof wurde von den Kommunisten
verurteilt: mein Neffe, der Erzbischof F. X. Nguyên-vân-Thuân,
Koadjutor von Saigon. Er führt das Leben eines Sträflings, in einer
Ecke des Waldes des Südens, weil er den Flüchtlingen geholfen hat, sich
im Süden niederzulassen, als er vom Hl. Stuhl mit der Katholischen
Hilfe betraut worden war. Jedoch protestiert dieser gegen Brasilien,
schweigt aber im Falle meines Neffen!
***
Von meiner Geburt an in dieser vietnamesischen Atmosphäre des
kämpferischen Katholizismus großgezogen, habe ich ohne zu zaudern das
Priestertum als meinen Kampfposten in dieser Welt angenommen, gleich
welcher Posten, gleich welcher Tod. Ich habe daher kein Recht zu
"meckern", wenn ich heute ein Erzbischof bin, ein Ex-Exkommunizierter,
der jeden Tag die hl. Messe feiern darf, aber "unlogischerweise" nicht
die Erlaubnis hat, die Beichten der vietnamesischen Flüchtlinge zu
hören, die nicht in der Lage sind, auf Französisch zu beichten.
Dies ist die rassische und religiöse Umgebung. Und das ist die familiäre Atmosphäre, mit der die Vorsehung mich umgeben hat.
Ich bin ein Ngô. Ngô ist einer der Familiennamen in Vietnam. Ich
glaube, ich täusche mich nicht, wenn ich behaupte, daß die Zahl der
Viêt-Familiennamen hundert nicht übersteigt. Der Name mit den meisten
Nachfahren ist Nguyên, dessen zahlreichster Zweig die Königsfamilie
ist. Derjenige mit den wenigsten Mitgliedern ist der meine. Nach der
Legende sind die Ngô Nachfahren der ersten einheimischen Königsfamilie
im unabhängigen Vietnam. Dies erklärt vielleicht ein wenig unseren
Patriotismus und unsere Anhänglichkeit an unser Land.
Außerhalb der Legende von unserer königlichen Abstammung ist kein
anderer Ngô in der Geschichte Vietnams hervorgetreten, bis zum
glänzenden, aber tragischen Erscheinen unserer Familie.
Kein Vietnamese wird jemals den Namen Ngô-dinh-Khâs, meines Vaters,
vergessen, der tausend Tode gestorben ist, da er nicht mit den anderen
Würdenträgern des Hofes für die Absetzung des Kaisers Thanh-Thai
gestimmt hatte, der illegal vom Vertreter Frankreichs in Annam
(Zentralvietnam) aufgezwungen worden war, den Namen unseres Ältesten
Ngô-dinh-Khôi, der mit seinem einzigen Sohn lebendig begraben wurde,
weil er sich geweigert hatte, Minister im kommunistischen
Premierministerium zu sein, da er es als unvereinbar ansah, katholisch
und kommunistischer Funktionär zu sein. Lieber sterben als sich
schmutzig machen. Schließlich kennen und achten alle Vietnamesen den
Namen Ngô-dinh-Diêms, des Vaters der Republik Vietnam, und denjenigen
von Ngô-dinh-Nhu und Ngô-dinh-Cân, Mitarbeiter des Präsidenten, alle
drei von der CIA getötet.
Zwei Ngô sind diesem vom Botschafter Cabot Lodge, einem Freimaurer,
organisierten Abschlachten entronnen: mein Bruder Ngô-dinh-Luyên,
damals Botschafter in London, der von der Ecole Centrale des Ingénieurs
(Paris) kam: da er sich fern von Vietnam aufhielt, und ich selbst, nach
Rom gerufen, um am II. Vatikanischen Konzil teilzunehmen. Luyên hat 13
Kinder und Nhu hat 4. Ich hoffe, daß sie trotz ihrer Entfernung von der
Heimat, da sie ja in Europa leben, nicht die Tradition unserer Familie
vergessen werden: sich ganz dem Dienste Gottes und des Vaterlandes
widmen.
Ich mache hier einen kurzen Einschub: Was bedeutet dieses Wort "dinh",
eingezwängt zwischen Ngô und dem Personennamen, wie Diêm, Thuc? Dieses
Wort bezeichnet den Zweig der Familie, denn es gibt Ngô-dûc, Ngô ohne
"Einschiebsel" wie beim König Ngô Guyên.
Mein Vater Ngô-dinh-Khâ, dessen Kindheit und Werdegang schon in "Doce
me" (d.i. in der Kurzbiographie) dargelegt wurden, verdient es, im
Gedächtnis zu bleiben als der Mann, der als erster daran gearbeitet
hat, das Erlernen des Französischen in Zentralvietnam einzuführen. Er
hat es aus Patriotismus getan. Zu dieser Zeit regierten die Franzosen
praktisch Annam. Nach den Vereinbarungen zwischen Frankreich als Sieger
und den besiegten Kaisern von Vietnam jedoch sollte Annam den Status
des Protektorats "genießen" und nicht zur Kolonie werden, was das Los
des reichen Kotschinchina war, dessen Einwohner "Untertanen" waren und
nicht französische "Bürger". Aber Annam wurde praktisch vom Gouverneur
Frankreichs regiert, der als Minister des Königs seine Domestiken
aufdrängte, die ein französisches "Kauderwelsch" sprachen, das sie im
Küchendienst bei ihren Herren gelernt hatten. Mein Vater faßte also den
Plan, "das richtige Französisch" zuerst den gebildeten Vietnamesen
beizubringen und dann den jungen Vietnamesen königlicher Herkunft.
Dabei gründete er das Collège national in Vietnam: Quöo-hoo. Ein etwas
verrücktes Abenteuer: Die "adligen" Väter gaben ihm auf seine Anfrage
nur die Kinder ihrer Konkubinen, und er mußte diese Schüler "bezahlen"!
Diese wurden später Minister!
So wurden die Söhne der Konkubinen aus der letzten Klasse der
Königssprößlinge die "Intelletuellen französischer Kultur" wie Doktoren
der Medizin, Zahnärzte, Anwälte, hohe Funktionäre. Dank dieser von
meinem Vater unterwiesenen Männer wurden meine Brüder, der älteste
Ngô-dinh-Khôi, und der künftige erste Präsident der Republik Südvietnam
gefördert und erklommen die Rangstufen des Mandarinats mit Leichtigkeit.
Mein Vater wurde dazu ausersehen, Erzieher des jungen Königs Thânh-Thâi
zu sein und später Minister des Kaiserhauses. Diese Ehren waren Ursache
schrecklicher Prüfungen für meinen Vater, als der Generalgouverneur
Frankreichs in Zentralvietnam, Herr Levêque, unter Überschreitung der
im französisch-vietnamesischen Vertrag enthaltenen Befugnisse beschloß,
Thân-Thâi unter dem Vorwand der Verrücktheit zu entthronen. Denn dieser
junge König, intelligent und aktiv, konnte sich nicht nur mit dem
Vorrecht begnügen, für die Dörfer geniale Kräfte zum Schutz zu
ernennen, und hatte die Idee, seine zahlreichen Konkubinen zu
"militarisieren", indem er ihnen die Militärschritte beibrachte und sie
mit hölzernen Gewehren manövrieren ließ. All dies geschah in der
Verbotenen Stadt, also außerhalb des Gesichtskreises des gemeinen
Volkes.
Der Gouverneur Levêque ließ illegal die Hofmandarine zusammenrufen und
befahl ihnen, einstimmig für die Absetzung des Herrschers zu stimmen.
Diese Mandarine gehorchten sklavisch, mit Ausnahme meines Vaters. Zur
Enthebung von all seinen Mandarintiteln verurteilt, wurde mein Vater
ins Gefängnis gesteckt, und der König wurde nach Madagaskar verbannt.
Das vietnamesische Volk verkündete angesichts dieses Machtmißbrauchs
und der Feigheit des Hofes, daß Ngô-dinh-Khâ der einzige war, der sich
der Absetzung des Königs widersetzte. Die Verbannung meines Vaters
wurde erst mit der Volljährigkeit des Kaisers Duy-tân, eines der Söhne
Thân-Thâis, aufgehoben, der meinem Vater seine Titel und seine
Alterspensionsrechte wiedergab.
Hier glaube ich, berichten zu müssen, wie der Gouverneur von Frankreich
den neuen König wählte. Er ließ die zahlreichen männlichen Sprösslinge
von Thân-Thâi sich in einer Linie aufstellen, befahl ihnen, einen Lauf
zu machen, und versprach dem Sieger eine Belohnung. Und derjenige, der
zuletzt ankam, wurde vom Gouverneur als König ausgewählt, der dachte,
er sei der am wenigsten Intelligente. Da täuschte er sich aber
gewaltig, denn dieser Junge war der künftige Duy-tân, eingefleischter
Feind Frankreichs, der beinahe die Franzosen mit Hilfe der
"Freiwilligen" verjagt hätte, die dazu bestimmt waren, in Frankreich zu
kämpfen. Dieses Komplott ging jedoch schief, dank meines Bruders
Ngô-dinh-Khôi.
Aus dem Gefängnis entlassen, mußte mein Vater nach einer langen
Krankheit daran denken, den täglichen Reis für seine zahlreiche Familie
zu finden: für sechs Jungen und drei Mädchen. Er war ein Mandarin von
einer strengen Ehrlichkeit, und die Krankheit fraß seine geringen
Ersparnisse auf. Er beschloß daher, einige Hänge zu bearbeiten, die er
im Dorfe Ancûn besaß, nicht weit von Hué. Ich sehe noch meinen Vater,
begleitet von einem seiner Söhne oder einer seiner Töchter, zu Fuß in
einem Paar selbst hergestellter Holzpantinen die sechs Kilometer zu
seinen Reisfeldern gehen, dort das Versetzen des Reises überwachen, das
Bewässern mit Hilfe eines pedalbetriebenen Becher-werks, dann die Mahd.
Wenn er müde war, blieb unser Vater auf dem Wege im Schatten eines
Bambusdickichts stehen und erzählte uns bei einer selbstgedrehten
Zigarette interessante Geschichten, die der Bibel oder den Preisbüchern
entnommen waren, die von den Brüdern der Christlichen Schulen
ausgegeben wurden. Denn mein Vater war ein geborener Erzähler, und dank
dieser Gabe verdiente er etwas zu rauchen, als er Seminarist in Anninh
war und seine Kameraden ihn baten, eine Geschichte zu erzählen oder zu
erfinden. Er verlangte damals als Lohn einige Zigaretten und
begeisterte die Zuhörer mit den seiner Phantasie entstammenden
Erzählungen.
Wir lebten arm, aber anständig. Ich weiß nicht, wie mein Vater es
schaffte, uns ein einstöckiges Haus zu geben, zu dieser Zeit eine
Seltenheit in Vietnam, umgeben von einem großen Garten. Mein Vater, der
an akutem Rheuma litt, das vom feuchten Klima Hués verursacht war,
hatte dem Parterre eine nicht sehr hohe Etage hinzugefügt und ließ uns
dort schlafen, um uns vor der Feuchtigkeit zu schützen, auf einer auf
dem Boden ausgebreiteten Matte. So wuchsen alle Jungen der Familie
stark heran.
Das Programm der Wochentage war immer das gleiche. Morgens Wecken um
sechs Uhr beim Klang der Glocke des Doms unserer Pfarrei Phu-cam.
Jungen und Mädchen stürmten in die Küche, um sich zu waschen, und zogen
dann das Gewand an, das bis zu den Knien reichte (unser
Zeremoniengewand) und folgten unserem Vater in die hl. Messe; sie
knieten alle an seiner Seite. Unser Vater nahm mit geschlossenen Augen
und gefalteten Händen teil; letztere waren aber immer bereit, die
Jungen zu schütteln, wenn sie sich zerstreut zeigten. Er ging täglich
zum Tisch des Herrn, von denen unter seinen Kindern begleitet, die zur
Erstkommunion gegangen waren. Er fehlte praktisch nie bei der täglichen
heiligen Messe, nicht mal bei Unwetter, und er weckte in uns eine tiefe
Andacht zu dieser Erneuerung des Kreuzesopfers, indem er uns oft eine
Geschichte erzählte, die mir eine der goldenen Legenden zu sein scheint
und die ich hier wiedergebe: Ein Herr hatte zwei Pagen, von denen einer
sein Günstling war. Der andere beging irgendeinen Fehler, von dem der
Herr beschloß, er sei todeswürdig. Jedoch gedachte er, ihn auf
heimliche Art sterben zu lassen. Mit dieser Absicht ließ er einen
seinen Interessen ergebenen Mann zu sich kommen, der einen Kalkofen
besaß, und befahl ihm, am nächsten Tag den Pagen hineinzuwerfen, der
ihm morgens eine Botschaft überbrächte. Und am nächsten Tag rief er den
verurteilten Pagen, gab ihm einen Umschlag mit dem Befehl, ihn dem
Kalkbrenner zu übergeben. Der Page beeilte sich, seine Besorgung zu
machen, aber auf halbem Wege hörte er es in der Kapelle zur Messe
läuten, die sich auf seinem Wege befand. Und da er sich an die
Empfehlung seiner Eltern erinnerte, nie die Messe zu versäumen, trat er
ein und nahm andächtig am hl. Opfer teil. Der Herr jedoch, der
unbedingt wissen wollte, ob der Mörder seinen Auftrag ausgeführt hatte,
schickte seinen Lieblingspagen, sich danach zu erkundigen, und als der
Peiniger den Boten kommen sah, packte er ihn und warf ihn in den Ofen.
Nach der Messe gingen wir nach Hause zum Frühstück - von unserer Mutter
zubereitet -: einer Schale Reis mit Salz gewürzt. Dann gingen wir mit
der Tasche auf dem Rücken zur Schule. Das Mittagessen war gehaltvoller,
aber einfach: Reis statt Brot, eine gewöhnliche Suppe mit Fisch;
Fleisch war den Sonn- und Feiertagen vorbehalten; Gemüse, von Zeit zu
Zeit eine Frucht als Nachtisch, eine Frucht aus dem Garten: Ananas,
Pflaumen, Karambolen. Das Abendessen bestand aus einem einzigen
Gericht, aber wenn es auch oft an Qualität und Anzahl der Gerichte
fehlte, an der Menge fehlte es nie. Meine Mutter, eine hervorragende
Köchin, vollbrachte wahre Wunder, um uns zu ernähren und den Speiseplan
abwechslungsreich zu gestalten. Mein Vater war in diesem Punkt streng:
Es wurde alles gegessen, was auf den Tisch kam. Mein Bruder Diêm, der
Fisch nicht ausstehen konnte, wurde gezwungen, ihn wie die anderen zu
essen, obwohl er von Brechreiz geschüttelt wurde. Diese Fischallergie,
besonders gegen gesalzenen Fisch, war der Grund, weshalb er das
Noviziat bei den Brüdern der christlichen Schulen zu seinem großen
Bedauern aufgab, denn der Bruder Rektor des Noviziats erklärte, er habe
keine geistliche Berufung, da er sich nicht dem gemeinsamen Essen
unterwerfen konnte. Abends um 8 Uhr nach dem Abendessen sprachen wir,
Mädchen und Jungen, auf den Knien die Abendgebete. Dann schliefen wir
auf unserem Boden ein, in den Schlaf gesungen von den Vater unser und
Ave Maria unseres Papas und unserer Mama!
Wenn mein Vater die Geradlinigkeit selbst war: ein Stahlbarren, so war
unsere Mutter die Sanftmut und Nachgiebigkeit selbst, aber ohne auch
nur die geringste Konzession an das Böse. Sie war die personifizierte
Nächstenliebe, die christliche Bescheidenheit selbst. Sie neigte nicht,
wie man sagt, zu Gewäsch, aber ihre Tugenden waren die überzeugendste
Rede über die Güte des Christentums. Unsere Familie hatte zahlreiche
Hausangestellte, alle haben sich bekehrt und sind gute Christen
geblieben.
Meine Mutter gehörte zu einer kleinbürgerlichen Familie, die aus
Quang-ngâi jenseits von Tourane stammte, Richtung Süden. Aus einer
zahlreichen Familie kommend, zwei Jungen und drei Töchter, hatte sie
die Rolle der Hausherrin noch zu Lebzeiten unserer lieben Großmutter,
und diese Rolle wurde ihr wegen ihrer Intelligenz und besonders ihrer
Sanftmut übertragen. Ihre Geschwister hingen an ihr. Pater Allys,
Pfarrer unserer Pfarrei Phû-cam, kannte sie, und als mein Vater, Witwer
aus einer früheren Verbindung, diesen Pater bat, ihm eine Ehefrau zu
nennen, wurde unsere Mutter vom Pfarrer vorgeschlagen. Ihre Gewandtheit
machte sie zur würdigen Gattin eines Ministers des Hofes, zur Mutter
des ersten Präsidenten der Republik Südvietnam.
Die christlichen Tugenden unserer Eltern waren das einzige uns
hinterlassene Erbe, ein unendlich wertvolleres Erbe als Adelstitel und
Geldwerte, da es uns in den Besitz des Himmels bringt - "haeredes Die
et cohaeredes Christi".
In ihren letzten Jahren wurde unsere Mutter von einer Krankheit
heimgesucht, die ihr ihre Geisteskräfte ließ, ihr aber die
Beweglichkeit der unteren Gliedmaßen nahm. Etwa zehn Jahre war sie
gezwungen, auf einem Bett zu vegetieren; so hatte sie alle Zeit, um
sich auf den Tod vorzubereiten. Ich war zu dieser Zeit Bischof von Hué
geworden, also der Bischof meiner Mutter. Ich hatte das Privileg, ihr
jeden Morgen die hl. Kommunion zu spenden, gegen 7 Uhr. Sie starb in
Saigon im Hause meiner Schwester, Mutter des Erzbischofkoadjutors von
Saigon. Meine Mutter erfuhr nichts von der Ermordung meiner Brüder. Sie
ging eines Morgens in den Himmel, nachdem sie wie gewöhnlich die hl.
Kommunion empfangen hatte, durch eine Gehirnblutung im Alter von mehr
als 96 Jahren. Zu ihrem Begräbnis kam eine große Zahl von Teilnehmern,
die sie im Leben geschätzt hatten.
Mit meinen Geschwistern lebten wir in dieser Atmosphäre von "Nazareth",
das heißt des "Glaubens", in einer "goldenen" Mittelmäßigkeit. Der
älteste war Ngô-dinh-Khôi, der später Gouverneur der sehr bedeutenden
Provinz Quang-nam an der Grenze zu Danang, von den Franzosen Tourane
genannt, wurde. Provinz von Revolutionären und großen gebildeten
Personen; der Premierminister der sozialistisch-kommunistischen
Republik des Nordens, Phamvân Dông, stammt aus Quang-nam wie der große
vaterländische Dichter.
Mein ältester Bruder war von mir durch meine Schwester Ngô-thi-Giao und
zwei Jungen getrennt, die früh gestorben sind: Trae und Quynh, was den
wenigen Kontakt zwischen uns erklärt. Besonders als Heranwachsender war
ich sehr wenig mit meinem ältesten Bruder zusammen, da ich Seminarist
und später Student in Rom war, während mein ältester Bruder die
verschiedenen Stufen des Mandarinats vom neunten Grad bis hin zum
ersten als Provinzgouverneur durchlief. Dieser Wettlauf um die Ehren
fand außerhalb Hués statt, da die Tradition es einem Mandarin verbot,
Verwalter seiner Geburtsprovinz zu sein.
Nach meiner Rückkehr nach Vietnam und meiner Priesterweihe waren wir
häufiger zusammen. Ich begann, meinen ältesten Bruder zu schätzen, der
nach vietnamesischer Sitte unser zweiter Vater wurde, der sich um
unsere Mutter und seine Schwestern und kleinen Brüder kümmerte.
Äußerlich war er ein sehr schöner Mann, hochgewachsen, er wurde
respektiert und als Prinz betrachtet. Verheiratet mit einer Tochter des
Herzogs von Phuôc-môn, lange Jahre Vorsitzender des Ministerrates, der
markanteste Politiker unter der Herrschaft der letzten Kaiser von
Annam, stieg mein Bruder die Stufen des Mandarinats durch eigenes
Verdienst hinauf und begünstigt durch die Mandarine, ehemalige Schüler
meines Vaters, ohne seinem Schwiegervater etwas zu verdanken, der sich
sehr davor hütete, ihn zu fördern, denn Ngyên-hûn-Bû, Herzog von
Phûoc-mon, ehemaliger Schüler meines Vaters und zu Beginn seiner
Karriere von ihm gefördert, beschäftigte sich nur mit sich selbst.
Darum verstarb er einsam, mit meinem, seines Patenkindes, Beistand, und
von mir zum Grab geleitet, von mir, der ich von meinem Paten nicht eine
einzige Sapek erhalten hatte. (Anm. d. Ãœbers.: Sapek = kleines
Geldstück von geringstem Wert in Indochina)
Die Mandarinkarriere meines ältesten Bruders endete durch ein Unglück.
Der damalige Genergouverneur, Herr Pasquier, wenn ich mich nicht irre,
war über den Gouverneur von Quang-nam verärgert, der sich nicht am
Bahnhof nahe dem Hauptort einfand, um ihm seine Ehrerbietung zu
bezeugen (mein Bruder war über das Vorbeikommen des Zuges des
Gouverneurs nicht informiert worden). Er zog sich in Würde, ohne
Gegenbeschuldigung, in unser Dorf Phû-cam zurück, zwei Schritte vom
Hause unserer Familie entfernt. Er beendete seine Karriere wie ein
"Christ", "lebendig mit seinem einzigen Sohn" begraben, da er sich
geweigert hatte, mit den atheistischen Kommunisten zusammenzuarbeiten,
die ihm einen Platz im Ministerrat angeboten hatten.
Meine älteste Schwester, Ngô-thi-Giao, verheiratet mit
Trûong-dinh-Tung, war eine Frau von sehr fröhlichem Charakter, die den
Scherz, die unschuldigen Neckereien liebte. Diese äußere Erscheinung
verbarg eine tiefe Nächstenliebe.
Daher hat Gott sie zur Mutter von vier Ordensschwestern gemacht, drei
Schwestern von der Nächstenliebe des hl. Paulus und eine Missionarin
der Liebe zum Kreuz. Diese vier Ordensschwestern waren wahre
Ordensschwestern, geschätzt von den Missionsbischöfen, die sie als
Mitarbeiterinnen hatten, energische und heldenhafte Frauen, die
Erschöpfung und Tod trotzten, um den Bischöfen zu gehorchen. Mgr.
Seitz, Bischof von Kontum, könnte Zeugnis ablegen für das Lob, das ich
gerade zweien meiner Nichten gezollt habe, die ihn bei der Besetzung
Kontums durch die Roten wirkungsvoll unterstützt haben. Die jüngste
meiner Nichten im Orden starb im Rufe der Heiligkeit in Frankreich und
ruht mit ihren Schwestern in der Religion in der ihnen gehörenden
Krypta auf dem Groß-friedhof von Nizza.
Meine Schwester starb an Tuberkulose, die sie sich bei der Pflege
meines Schwagers zugezogen hatte, der an dieser Krankheit litt. Sicher
ist es ihr zu verdanken, daß ihr Mann als guter Christ starb. Gott
allein kennt ihre Akte der Nächstenliebe, die sie sorgsam verbarg, Akte
der Nächstenliebe, die sie teuer zu stehen kamen, da sie Witwe und
nicht reich war, mit vielen Mündern zum Sattmachen.
Mein Bruder Diêm war einzigartig als Christ und als Autodidakt. Da ich
nicht sein Beichtvater war, konnte ich kein auf die sakramentale
Beichte gestütztes Urteil abgeben, aber von außen habe ich in seinem
Benehmen nie etwas gegen Gottes Gesetz bemerkt. Sicher hatte er seine
kleinen Schwächen, kleine Fehler; er mußte sich sehr zusammenreißen, um
seine Wutanfälle zu beherrschen, er der seine Staatsverpflichtungen
nach dem Muster des strengsten Mönchs erfüllte, die Nachlässigkeit der
ihm unterstehenden Funktionäre vor Augen. Die Tugend, die bei ihm
herausragte, war die Keuschheit, nie ein unangebrachtes Wort, ein
unangebrachter Blick, nie fielen seine Augen auf einen zweifelhaften
Roman. Er gab sich mit guten Büchern zufrieden. Seine Freizeit war der
Bildung gewidmet. Als Autodidakt hatte er nur in einigen Jahren bei den
Brüdern der Christlichen Schulen regelmäßigen Unterricht gehabt, der
vom ergänzenden Diplom gekrönt wurde, das er mit "maxima cum laude" und
Glückwünschen der Jury erwarb - im Alter von 16 Jahren und während der
Prüfung vom Fieber geschüttelt.
Er beherrschte die chinesischen Buchstaben und konnte mit den Chinesen
und Japanern in chinesischer Schrift korrespondieren. Er übertrieb
vielleicht, wenn er sich verständlich zu machen wünschte, obwohl er
alle Feinheiten der französischen Sprache kannte. Übertriebener Eifer!
Übertreibung der Perfektion wegen! Sein großes Feldbett war von einer
Palisade aus Büchern aller Art umgeben, die aber immer seriös waren.
Als er noch ein kleiner Schuljunge war, hatte er eine Kerze an seinem
Bett; er selbst stand frühmorgens auf, zündete seine Kerze an und
begann in der Nacht, seine Lektionen zu lernen, seine Hausaufgaben zu
machen. Er war immer der Erste und der Erste auf jedem Gebiet. Ein Mann
war nötig, um seine Ernte an Lorbeerkränzen und seine großen
Preisbücher am Ende jedes Schuljahres heimzubringen.
Ich habe niemals gesehen, daß er seine Zeit verschwendete. Als er
Großmandarin wurde, mit besserer Bezahlung, wurden die Fotografie und
die Jagd zu seinem Zeitvertreib, aber niemals beeinträchtigten diese
harmlosen Zerstreuungen seine Stunden der Arbeit für den Staat.
Als Seminarist kehrte ich für die zwei Sommermonate nach Hause zurück
und war mit der Familie zusammen, mit Papa, Mama, meinen Brüdern und
kleinen Schwestern. Mein ältester Bruder war Kleinmandarin außerhalb
von Hué, meine älteste Schwester aß nicht mit uns, sondern in der
Küche, wo sie uns die Mahlzeiten zubereitete.
Während dieser Ferien vergnügte sich mein Bruder Diêm, als er noch kein
Mandarin war, damit, meine zwei kleinen Schwestern und meine zwei
kleinen Brüder dazu zu nötigen, "Krieg zu spielen". Zuerst zeichnete er
ihnen mit einem Stück verkohltem Kork Schnurrbärte über die Lippen, und
die Gewehre waren aus dem Mittelstück der großen Bananenblätter
gemacht. Das war vielleicht ko-misch! Aber Diêm war es ganz ernst, und
er führte diese Armee, die aus zwei kleinen Soldaten und zwei kleinen
Soldatinnen bestand, und sie stapften mit ihren nackten Füßen über den
Boden: Eins-zwei, eins-zwei! Wehe dem zerstreuten Soldaten: Ein
Säbelhieb auf den Hintern rief ihn wieder zur Ordnung. Bald
beschäftigte Diêm seine Geschwister damit, einen kleinen Garten
anzulegen.
Abends, nach dem Abendessen, knieten alle Kinder zusammen auf einer
Estrade, und wir summten unsere Abendgebete. Diêm spazierte um die
Estrade herum, und wehe dem oder derjenigen, der oder die unandächtig
war oder, vom Schlaf übermannt, mit dem Kopf wackelte. Als die Gebete
beendet waren, legten sich die Jungen auf die Estrade, die Mädchen
gingen mit ihrer großen Schwester ins mittlere Haus schlafen. Denn
unser Wohnhaus bestand aus drei Hauptgebäuden, dem mittleren Gebäude,
einem vietnamesischen Haus, wo die Frauen schliefen. Der rechte Flügel
war ein Etagen-haus, unten von unserem Vater bewohnt und oben von Diêm
und mir. Der linke Flügel umfaßte den Reisspeicher und die Küche, wo
die Hausdiener schliefen. Weiter entfernt stand der Schweinestall und
daran schlossen sich die Heuhaufen an. Wir hatten einen sehr großen
Garten, in dem Arequier-Palmen, Feigenbäume, Karambolenbäume und
Pflaumenbäume wuchsen. Dank dieses sehr großen Gartens vergnügten wir
uns nicht auf der Straße oder bei den anderen. Wir gingen nur zur
täglichen Messe hinaus und um zur Schule zu gehen, die Mädchen, um auf
den Markt zu gehen.
Was ich gerade über meinen Bruder Diêm erzählt habe, könnte den Leser
dazu bringen zu glauben, mein Bruder sei immer ernst gewesen. Weit
gefehlt! Diêm war derjenige von uns, der für die Verschrobenheiten der
anderen die feinste Antenne hatte. Er war auch sehr geschickt darin,
Gangart und Stimme der Leute nachzuahmen, was einen zum Lachen brachte.
Unsere so wohlwollende Mutter konnte sich nicht daran hindern zu
lachen, oder eher zu lächeln, als Diêm, einen Stock in der Hand, ganz
gebeugt, einherlief und seinen Paten, den Arzt Thuyên, nachäffte und
seine Sprechweise nachahmte. Er sah dabei umwerfend komisch aus. Darin
war er ein echter Vietnamese, der wie der Fran-ose der geborene Spötter
ist, aber ein harmloser Spötter, geschickt darin, die Verschrobenheiten
der anderen zu beobachten und nachzuahmen.
Das Kind, das nach Diêm kam, war meine kleine Schwester Hiêp. Sie war
die Sanfteste der Familie, die Frömmste und auch die Geduldigste. Sie
war so schön wie eine Madonna. Jeder hatte sie gern. Sie war es, die
unsere Mutter entlastete, indem sie sich um die Letztgeborenen, Cân und
Luyên, kümmerte. Sie trug sie, gab ihnen das Fläschchen, wiegte sie in
der Wiege aus Weidengeflecht, in der alle kleinen Ngô-dinhs gelegen
hatten. Diese Wiege hing an einem langen Seil an der Holzdecke des
mittleren Hauses. Von der Wiege aus konnte das Kind ein großes Bild vom
Ewigen Vater sehen, das an die Zwischenwand genagelt war, die das
Zimmerchen unserer Mutter begrenzte, in dem alle kleinen Ngôs geboren
worden waren. Dort befand sich auch der Schrank mit den Konfitüren
aller Art, die Mama hergestellt hatte, sowie der Wein aus Brombeeren,
Früchte, welche die Menschen aus unserem Geburtsdorf in Quâng-Binh uns
jedes Jahr anboten, einer Provinz im Norden von Hué, von der diese
Stadt durch die Provinz Quâng-tri getrennt wird.
Hier muß ich etwas einflechten, um eine Tradition Vietnams sui generis zu erklären.
Meine Geschwister sind wie ich alle in Hué geboren, das die mystische
Hauptstadt von Annam und der Hauptort der kleinen Provinz Thûa-Thiên
ist, aber wir sind alle Bürger des Dorfes Dai-phong, wo unsere
Vorfahren aus dem Norden, d.h. aus Thanh-hûa und Tonkin, gelebt hatten.
In Dai-phong befinden sich ihre Gräber. Im großen Gemeindehaus, das
auch der Tempel ist, befinden sich die Platten der genialen Kräfte zum
Schutze des Dorfes, der Beschützer, die der Kaiser jedem Dorfe
gewährte. Diese Beschützer, analog zu den Heiligen, den Beschützern der
Städte im Lande des Christentums, werden unter den vietnamesischen
Helden, Generälen oder großen Gebildeten, Großmandarinen ausgewählt. Im
Gemeindehaus versammelte sich der Dorfrat. Dieses Haus von Dai-phong
war bekannt durch seine gewaltigen und sehr hohen Säulen.
Einst, bevor Zentralvietnam sehr bevölkert war, verließen Pioniere
unter der Leitung eines Führers ihr Herkunftsdorf, um in andere
Gemeinden auszuschwärmen, wo es Raum und fruchtbare Ländereien gab. An
dem Ort angekommen, der diese Vorteile bot, nahm man die Aufteilung des
Landes vor, entsprechend der Anzahl der Pioniere. Der Führer erhielt
einen größeren Anteil zum Ausgleich für seine Ausgaben und seine
Initiative. Jeder Pionier teilte seine Parzelle unter seinen Söhnen auf
und so fort, bis diese Parzellen nicht mehr ausreichten, um ihre
Besitzer zu ernähren. Dann löste sich wie bei den Bienen ein Schwarm
vom Muttervolk und gründete woanders ein anderes Dorf. All dies erklärt
das Verhältnis zwischen den Dörflern und den Personen, die aus dem
Dorfe stammten und woanders wohnten. Genau wie unser Vater, der
Dai-phong verließ, um sich in Hué anzusiedeln, aber immer noch seine
Reisparzelle in Dai-phong behielt.
Er opferte die Einkünfte daraus, um die katholische Dorfschule zu
unterstützen und zur Unterhal-tung der Grabstätten unserer Vorfahren.
Unser Dorf befindet sich im Gebiet, das man "Die zwei Unterpräfekturen"
nannte - auf Vietnamesisch: Hai huyên -, berühmt für die Fruchtbarkeit
seiner Reisfelder. Die Provinz Quang-Binh war berühmt dafür, dem
Vaterland große Bürger gegeben zu haben, denen die Tiefe ihrer Flüsse
und die Höhe ihrer Berge vetraut waren.
***
Nachdem
ich diesen Einschub über eine Originalität des vietnamesischen
Gemeindesystems beschlossen habe, komme ich auf die Mitglieder meiner
Familie zurück:
Nach meiner Schwester, der sanften Hiêp, kam ihr Gegenteil, meine
Schwester Hoâng. Gegensätzlich hinsichtlich des Charakters, aber sie
hatten sich sehr lieb. Klein, aber wohl proportioniert, von lebhafter
Intelligenz - sehr praktisch - ist sie die einzige von uns, die sich
ein schönes Vermögen aufgebaut hat. Sie bekam als Mann einen Jungen,
der zu einer Familie von Notabeln unserer Pfarrei gehörte, derselben,
aus welcher der Mann von Hiêp stammte. Er hieß Lê. Er war Unternehmer
wie sein Vater. Er war energisch und verdiente Geld, starb aber relativ
jung an Tuberkulose und hinterließ meine Schwester Hoâng mit einer
kleinen Tochter, die später Herrn Trân-trung-Dung, Lizenziat in Jura,
heiratete, einen der Minister meines Bruders Diêm.
Meine Schwester Hoâng wurde zum Erstaunen aller auch "Unternehmerin"
und hatte Erfolg. Sie starb, nachdem sie noch miterlebt hatte, wie ihre
Tochter heiratete und Mutter einer kleinen Tochter wurde. Ich war in
ihren letzten Stunden bei ihr. Sie war tapfer bis zum Ende.
Mein Bruder Cân ist der einzige meiner Brüder, der keine "Glückshaut"
besitzt. Das kam wegen seiner von Kind auf sehr labilen Gesundheit.
Aber er vertrat das bäuerliche Element bei uns, die wir fast alle
Intellektuelle und Mandarine waren. Der vietnamesische Bauer war wie
der französische Bauer pfiffig, praktisch, bodenständig. Cân sprach
ihre Sprache und konnte sich ihnen verständlich machen. Es war Cân, der
die mächtige politische Partei organisierte, welche die Politik meiner
Brüder Diém und Nhu unterstützte. Er verstand es, beträchtliche
finanzielle Mittel aufzutreiben, die für jede politische Organisation
nötig sind: durch den Zimthandel. Cân gelang es ohne jedes politische
Mandat und obwohl er nicht fließend französisch sprach, der heimliche
Gouverneur Zentral-vietnams zu werden.
Er ist nie aus dem Lande hinausgekommen. Er kam selten nach Saigon. Er
kennt Tonkin nicht, aber er besaß Schiffe und ging mit Millionen
Piastern um. Er war eine Macht. Die offiziellen Gouverneure von
Zentralvietnam zogen ihn bei der Verwaltung des Landes zu Rate. Sein
Ende war tragisch aber heldenhaft, als würdiger Nachfahre der Ngô.
Nach der Ermordung meiner Brüder Diêm und Nhu durch die von den
Amerikanern bezahlten Hau-degen verschwand Cân von der Bildfläche. Er
wurde durch eine List des amerikanischen Konsuls in Hué entdeckt -
eines Katholiken. Da er wußte, daß Cân mit den kanadischen
Redemptoristenpatres von Hué gut befreundet war - Cân hatte den
Redemptoristenpatres Millionen für den Bau ihrer schönen Kirche von Hué
gespendet - nahm dieser Konsul mit dem Pater Superior des Ordens
Kontakt auf und sagte ihm:
"Ich weiß nicht, warum Herr Cân sich versteckt. Wir haben nichts gegen
ihn. Wenn Sie sein Vsteck kennen, sagen Sie ihm, daß ein amerikanisches
Flugzeug zu seiner Verfügung stehen wird, um sich nach Rom zu seinem
Bruder, dem Erzbischof, zu begeben.
Der Pater Superior konsultierte seine Konfratres und nahm mit Cân
Kontakt auf. Cân stimmte zu und verlangte vom amerikanischen Konsul ein
Dokument in drei Sprachen: französisch, englisch und vietnamesisch, das
den Redemptoristenpatres und meinem Bruder versicherte, daß die
amerikanische Regierung meinen Bruder nach Rom brächte, um mich zu
treffen. Aber am vereinbarten Tag landete ein amerikanisches Flugzeug
am Flughafen von Phû-Bâi nahe Hué, nahm meinen Bruder an Bord, flog
Richtung Saigon und landete am Flughafen Tân-son-Nhûit in Saigon, um
meinen Bruder den Rebellengenerälen zu übergeben, den Mördern meiner
Brüder. Das ist die schmutzige amerikanische Politik, das wahre Gesicht
der CIA - per fas et nefas.
Man tat meinen Bruder in ein Versteck, Tag und Nacht in einem Käfig
bewacht. Man machte ihm einen politischen Prozess. Man verurteilte ihn
zum Tod durch Erschießen. All das konnte geschehen durch Zulassung der
Vorsehung Gottes. Man muß sagen, Cân war - in religiöser Hinsicht - am
wenigsten katholisch von uns. Er erfüllte seine Osterpflicht, er
schlief erst ein, nachdem er seinen Rosenkranz gebetet hatte, nahm
jeden Sonn- und Feiertag an der hl. Messe teil, war mildtätig, aber er
war nicht eifrig und beschränkte sich auf die Osterkommunion. Gott
duldete den Hinterhalt, der von den Amerikanern gegen ihn gelegt wurde,
und erlaubte den ungerechten Prozess gegen ihn, damit er als Christ
sterben konnte.
In seinem Käfig empfing er mehr als einen Monat lang jeden Tag die hl.
Kommunion mit dem Beistand eines vietnamesischen Redemptoristenpaters,
eines Patenkindes meines Bruders Diêm. Er starb tapfer, den Rosenkranz
in einer Hand und mit der anderen Hand den Soldaten des
Exekutionshaufens sein Herz zeigend, indem er schrie: "Zielen Sie
hierhin! Es lebe Vietnam!" Wenn er als wenig eifriger Christ gelebt
hat, so starb er als wahrer Katholik und Vietnamese ohne Angst.
Unser jüngster Bruder Luyên ist derjenige, der eine sorgfältige und
vollständige Ausbildung erhielt dank der Hingabe meiner Brüder Khôi und
Diêm. Nach dem Grundschulunterricht bei den Brüdern in Hué wurde er mit
12 Jahren nach Frankreich geschickt. Er kam in die sechste Klasse des
Colléges von Juilly bei den Oratorianerpatres. Luyên war sehr
intelligent, immer der Erste seiner Klasse. Von der sechsten sprang er
in die vierte und dann in die zweite Klasse. Er machte sein Abitur und
schaffte es, in die Ecole Centrale des Ingénieurs in Paris einzutreten,
und ging als Ingenieur aus ihr hervor. Er kehrte nach Vietnam zurück,
wurde Katasterdirektor, zuerst in Vietnam, dann in Kambodscha, das
damals unter französischem Protektorat war.
Als mein Bruder Diêm zum Gouverneur von Südvietnam ernannt wurde,
führte Luyên die südvietnamesische Delegation nach Genf in der Schweiz,
um über das Schicksal Vietnams zu diskutieren. Südvietnam, das isoliert
war, konnte die Trennung von Nordvietnam nicht vermeiden, das außer
Tonkin die Zentralprovinzen bis zum Fluss Cua-Tung umfaßte.
Südvietnam unter der Führung von Luyên weigerte sich, die Genfer
Konventionen zu unterschreiben, konnte aber nicht anders, als sich in
diese Niederlage zu schicken. Diêm steckte all seine Energie in die
Vorbereitung der Revanche durch Bildung einer starken Armee, eine
vorbildliche Verwaltung, die Vereinigung Südvietnams, indem er alle
Privatarmeen beseitigte, denn als Diêm auf Ersuchen des Kaisers
Bao-dai, der von Frankreich wieder auf den Thron gesetzt worden war,
nach Saigon zog, war diese neue Hauptstadt mit ihrer unmittelbaren
Umgebung das Lehen von Bay Viên, einem Banditen. Die Provinz von
Tây-minh war das Lehen der Caodaisten, diejenige von Soetrang war das
Lehen der Hoa-haô.
Mein Bruder Diêm bestätigte Luyên in seiner Rolle als Botschafter,
einer Rolle, die ihm von Bao-dai anvertraut worden war, der in London
residierte, wobei er sein Land in Belgien, Holland, Österreich und
Tunesien vertrat. Die Verbindungen zwischen Bao-dai und Luyên hatten
begonnen, als beide in Frankreich waren, mein Bruder Schüler des
Collèges in Juilly und Bao-dai, der in Paris wohnte, bei Monsieur
Charles, früherer oberster Gouverneur von Annam unter der Herrschaft
von Khâi-dinh. Dieser hatte den Prinzen Monsieur Charles zur Ausbildung
anvertraut. Ich war damals in Paris im Institut Catholique, um ein
Lizenziat fürs Lehramt zu erwerben, und brachte sonntags Luyên zum
Erbprinzen, der sich damals Vinh-Thay nannte und dessen Herrschername
später Bao-dai war, damit er mit ihm diesen freien Tag verbrachte. Die
beiden Jungen spielten zusammen mit Murmeln und andere Spiele.
Diese Verbindungen ermöglichten es Luyên, Bao-dai die Erwählung meines
Bruders Diêm für die Aufgabe zu melden, sich der Absorption Südvietnams
durch den kommunistischen, von Ho-chi-Minh regierten Norden zu
widersetzen.
Dank seiner Diplomatenrolle in Europa entkam Luyên dem Schicksal meiner
drei Brüder, die in Vietnam geblieben und durch die von der
amerikanischen CIA bezahlten abtrünnigen Generäle ermordet worden
waren, während mir selbst, da ich als Mitglied des II. Vatikanischen
Konzils in Rom zurückgehalten wurde, auch das Leben gerettet wurde,
obwohl ich bei der Regierung des Südens und bei Paul VI. mein
Möglichstes getan hatte, nach Hué zurückkehren zu können, um mit meinen
Schäfchen zu leben oder zu sterben, da ich als Erzbischof ihr Hirte war.
Luyên ist heute Oberhaupt einer Familie mit zwölf Kindern. Das 13.,
eine Tochter, starb 1976 bei einem Autounfall. Die ältesten sind
verheiratet oder verdienen ihr Geld anderweitig. Luyên, gealtert und
von schwacher Gesundheit, ist immer noch unserer hl. Religion treu und
kommuniziert jeden Sonntag. Er hat ein gutes Gedächtnis, und ich
versuche, ihn davon zu überzeugen, seine politischen Memoiren zu
schreiben, da er das Thema perfekt kennt, während ich selbst mich
ausschließlich mit meinen Aufgaben als Bischof befaßte.
Nach diesen paar Seiten, die meinen Eltern und Geschwistern gewidmet
sind, komme ich zurück auf die Erinnerungen an mein armseliges Leben,
ein Leben überhäuft mit den barmherzigen Aufmerksamkeiten des lieben
Gottes. Ich habe kurz von meinen Studien in Rom, in Paris erzählt, von
den Anfängen meines priesterlichen Dienstes in Hué, zuerst als
Professor bei den vietnamesischen Brüdern (einer von meinem geistigen
Vater Mgr. Joseph Allys, apostolischer Vikar von Hué, gegründete
Kongregation), unter dem Superiorat von Pater Hô-ngoc-Cân, dem späteren
ersten Bischof von Bnû-Chu in Tonkin. Nachdem ich Professor am Großen
Seminar von Hué, offizieller Direktor des Collège secondaire de la
Providence von Hué geworden war, wurde ich zum apostolischen Vikar in
Vinhlong ernannt. Dieses Vikariat enthielt die Provinzen Vinhlong,
Bentri und einen kleinen Teil von Sadec - einem vom apostolischen
Vikariat Saigon abgetrennten Gebiet, das man früher Vikariat von
West-Kotschinchina nannte, während das apostolische Vikariat Quin-hon
sich östliches apostolisches Vikariat nannte und das von Hué nördliches
apostolisches Vikariat hieß.
Mein Vikariat hatte 1938, als ich in seinen Besitz kam, etwa sechzig
Priester und weniger als 100000 Katholiken auf mehr als eine Million
Einwohner. Es ist ein Land schöner Gärten und vor allem guter
Reisfelder. Unsere Priester von Kotschinchina sind von leutseligem und
einfachem Charakter, sie sind nicht förmlich und kompliziert wie die
von Tonkin, weil die Kotschinchinesen von der Rasse der Siedler waren,
die geschickt wurden, um Südvietnam zu besiedeln, das den
Kambodschanern und den Cham entrissen worden war, während die
Zentralvietnamesen (zu denen ich gehöre) ernsthafte Menschen sind,
schwer arbeitend, da die Mitte nicht fruchtbar ist wie der Süden: armes
Land, mutige und nachdenkliche Rasse. Aus dem Zentrum stammten die
Regierenden Vietnams und auch die Revolutionäre wie Ho-chi-Minh.
Das hat sich auch in kirchlicher Hinsicht bewahrheitet. Von den vier
ersten vietnamesischen Bischöfen waren drei aus Zentralvietnam: Mgr.
Dominique Hô-ngoo-Cân, Mgr. Lê-hûû-Tû und ich selbst. Ein einziger, der
erste, war aus dem Süden, Mgr. Nguyên-ba-Tong. Kotschinchina, ein sehr
reiches Land, war verwaltungsmäßig bei meiner Beförderung zum Bischof
von Vinhlong eine französische Kolonie. Die Kotschinchinesen waren
"französische Untertanen" und viele von ihnen erwarben die französische
Staatsbürgerschaft, auf die sie stolz waren und ihre Landsleute aus
Zentralvietnam, die nur "französische Schützlinge" waren, als Bürger
zweiter Klasse betrachteten, spöttisch "bân" genannt, d.h.: Volk der
Dschunken, in Anspielung auf die Dschunkenruderer aus dem Norden und
aus Zentralvietnam, die zum Handeltreiben in den Süden kamen.
Jedoch hat der Hl. Stuhl die Augen auf einen "bân", einen Sohn eines
Dschunkenfahrers (obwohl ich Sohn eines Ministers des Kaisers und
Doktor der Universitäten Roms war), geworfen. Die Franzosen aus
Kotschinchina wunderten sich auch über diese Wahl, und eine
französische Zeitung aus Kotschinchina sagte dem neuen Bistum eine sehr
traurige Zukunft voraus, da dieses Bistum, einem Sohn von Neubekehrten
anvertraut, Gefahr lief, den Glauben zu verlieren, der das Erbteil der
Franzosen war... Ich kannte jedoch diese Mentalität der Leute aus dem
Süden nicht und fand mich als einziger meiner Art, ohne Freund, ohne
Bekannte wieder. Vielleicht hat mich diese Unwissenheit gerettet, denn
ich benahm mich einfach wie ein Bruder unter anderen Brüdern. Da ich
keinen Priester besonders kannte, behandelte ich sie wie Freunde.
Wie ich auf den ersten Seiten von "Misericordias" gesagt habe, hat Mgr.
Dumortier, apostolischer Vikar von Saigon, vom Hl. Stuhl damit
beauftragt, das Personal des neuen apostolischen Vikariates von
Vinhlong zu rekrutieren, die Besten aus dem Klerus von Kotschinchina zu
sich genommen und all seine französischen Missionare zurückgezogen. Ich
kam in die Stadt Vinhlong, den Bischofssitz, ohne Haus für den Bischof,
ohne einen Priester, der mich empfangen hätte, denn der Pfarrer von |