54. Jahrgang Nr. 7 / Dezember 2024
Datenschutzerklärung | Zum Archiv | Suche




1. Misericordias Domini in aeternum cantabo - Autobiographie von Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc, Erzbischof von Hué, übersetzt von Elisabeth Meurer
1. Fortsetzung
1. Fortsetzung II
1. Fortsetzung III
2. Lebenslauf S.E. Mgr. Pierre Martin Ngô-din-Thuc - Anhang I
3. Dokumente S.E. Ngr. Pierre Martin Ngô-din-Thuc, Erzbischof von Bulla Reggia, vormals Erzbischof von Hué, Südvietnam,
4. DECLARATIO
5. Öffentliche Verkündigung der DECLARATIO
6. Bischofsweihen
7. SPENDENAUFRUF
Misericordias Domini in aeternum cantabo - Autobiographie von Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc, Erzbischof von Hué, übersetzt von Elisabeth Meurer
 
Vorwort des Herausgebers

S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc, der vor gut 20 Jahren am 13. Dezember 1984 kurz nach Vollendung seines 87. Lebensjahres in einem Krankenhaus in Carthage/U.S.A. verstarb, hat wie kaum ein anderer entscheidend in die nachkonziliare Entwicklung eingegriffen und den Widerstand gegen die häretischen Reformen des II. Vaticanums bestimmt. Auch wenn man versuchte, seine DECLARATIO über die Sedisvakanz, die er nach seiner Flucht aus Toulon in München am 25.2.1982 unterzeichnet hatte, weitgehend zu verschweigen oder deren Entstehung als Gefälligkeitsleistung in Mißkredit zu bringen, so hat doch Mgr. Thuc durch diese Erklärung den Anhängern unserer Widerstandsbewegung nicht nur den Namen "Sedisvakantisten" verliehen, sondern ihr auch das einzige Dokument hinterlassen, welchem kirchliche Verbindlichkeit zuzumessen ist, auch wenn es 'nur' ex caritate und nicht ex officio verfaßt wurde.
Zum anderen hat Mgr. Thuc durch die Weihen von P. Guérad des Lauriers bzw. den mexikanischen PP. Carmona und Zamora am 7. Mai und 17. Oktober 1981 der Kirche Bischöfe geschenkt, um die wegen der Einführung ungültiger Weiheriten in Gefahr geratene apostolische Sukzession zu retten. Dazu ist leider anzumerken, daß sich in der Folge Priester zu Bischöfen haben weihen lassen, die überhaupt kein Interesse am Wiederaufbau der Kirche zeigen, sich aber dennoch auf die Sukzessionslinie von Mgr. Thuc berufen.
Der ehemalige Erzbischof von Hué/Vietnam hatte es seinen Gegnern leicht gemacht, gegen ihn zu polemisieren, als er 1976 in Palmar de Troya den dubiosen Seher Clemente und andere zu Priestern und Bischöfen geweiht hatte. Dieses Debakel, welches für die Kirche in einem Skandal endete, als sich Clemente zum 'Papst' deklarieren ließ, trug Mgr. Thuc die Verachtung selbst seiner Verwandten ein. Er wurde allgemein gemieden. Fortan lebte er isoliert in Toulon in äußerst dürftigen Verhältnissen, nachdem auch ein Versuch, in Nizza ein rechtgläubiges Priesterseminar zu eröffnen, gescheitert war.
Wo andere nur Ärgernis witterten, haben wir uns genauer mit der Begründung auseinandergesetzt, die Mgr. Thuc für die Spendung der Weihen in Palmar de Troya verfaßt hatte. Darin verwies er auf den eingetretenen allgemeinen Notstand in der Kirche, der auch außergewöhnliche Maßnahmen wie die gespendeten Weihen rechtfertigen würde. Eine solche Feststellung und Begründung hatte bisher noch keiner der konservativen Prälaten vorgelegt. Für uns war sie der Anlaß, Kontakt zu dem Erzbischof aufzunehmen und mit ihm eine Zusammenarbeit zu sondieren, die sich dann über Jahre im Verborgenen vollzog. Wir lernten in dem Erzbischof einen Kleriker kennen, der durch sein souveränes Verhalten, seine klaren Ansichten und seine Direktheit bestach. Tief berührte uns, daß diese priesterliche Persönlichkeit mit ihrer Umsichtigkeit und ihrem Feingefühl, gerade auch in der Beurtellung menschlicher Probleme, in einem solchen Ausmaß verkannt und mißachtet wurde. Durch den Verrat der im Geheimen gespendeten Priester- und Bischofsweihen mußte er wegen der einsetzenden Verfolgung Toulon im Januar 1982 fluchtartig verlassen. Wir holten ihn nach München. Hier verbrachte er einige Monate in relativer Sicherheit, geachtet von den Gläubigen, die täglich seiner Feier der hl. Messe beiwohnen konnten. Während dieser Zeit lernten wir den Erzbischof auch persönlich näher kennen. Uns überraschte die Vornehmheit und Liebenswürdigkeit, mit der er selbst in dieser prekären Situation den Mitmenschen begegnete, aber auch die feine Ironie, mit der er kritisch seine Umwelt betrachtete. Am meisten beeindruckte mich seine unglaubliche Energie und seine Disziplin, die er auch beibehielt, als er schwer krank wurde. Kaum in München angekommen, versuchte er die deutsche Sprache zu erlernen... mit knapp 85 Jahren! Selbst Nachbarn, die nicht wußten, wer dieser alte Mann war, erzählten uns, welche Würde er ausstrahlte. Ich werde die Arroganz nie verstehen, mit der ihm gerade französische Kleriker begegnet sind, die in dem dreifachen Doktor der Theologie nur den vietnamesischen Reisbauern sehen wollten, vergessend, welche hohe Achtung ihm u.a. Papst Pius XI. entgegengebracht hatte.
Nachdem der Erzbischof von München wieder nach Toulon zurückgekehrt war, hatte ihm Bischof Vezelis Unterkunft in dessen Seminar in Rochester/U.S.A. gewährt, das er aber nach einem längeren Aufenthalt wieder verließ. Sein letztes Lebensjahr verbrachte Mgr. Thuc als geachteter Prälat in einem vietnamesischen Seminar in den U.S.A.
Da die Autobiographie in dem Augenblick abbricht, als Mgr. Thuc nach Palmar de Troya aufbricht, haben wir in zwei Anhängen seine Kurzbiographie und Dokumente aufgenommen, die die Stationen am Ende seines Lebens markieren, die er selbst als seinen Kreuzweg bezeichnete.
Nachdem mittlerweile die Polemik und die Anwürfe gegen S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc verstummt sind, hoffe ich, daß die von ihm selbst vorgelegte Schilderung seines Lebens vorbehaltlos aufgenommen wird. Mein besonderer Dank gilt Frl. Elisabeth Meurer, die die Übersetzung besorgte.
Ergertshausen, den 17. Januar 2005
Im Namen des Freundeskreises der Una Voce e.V. Eberhard Heller

Misericordias Domini in aeternum cantabo
Autobiographie von Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc, Erzbischof von Hué
übersetzt von Elisabeth Meurer

"Misericordias Domini in aeternum cantabo". Mit dieser Lobpreisung des Propheten beginne ich die Geschichte meiner Seele. Mögen diese Erinnerungen andere Seelen dazu ermuntern, auf diese unendliche Barmherzigkeit zurückzugreifen, um sich zu bekehren und zu heiligen.

Mein geringes geistliches Leben ähnelt einem Stoff, dessen Fäden die Strahlen dieser Barmherzigkeit sind, die in diesen Stoff eindringen. Denn die Barmherzigkeit Gottes, der aus der ganzen Ewigkeit heraus sich herabgelassen hat, einen Blick auf dieses Atom zu werfen, das meine Seele ist, und sein Heraustreten aus dem Nichts zu beschließen, hat niemals aufgehört, sie mit seiner Barmherzigkeit zu umgeben, sie noch enger und fester zu umschließen, wenn dieses armselige Nichts den so sanften Banden des Bräutigams meiner Seele zu entkommen versucht.

Andere Seelen mögen sich mit Recht an die Liebe Gottes wenden, um sie zu lieben und anzubeten: jungfräuliche Seelen, kontemplative Seelen, von Heiligkeit duftende Seelen nach dem Vorbild der Cherubim und Seraphim. Seelen wie diejenige der zwei Theresien, wie die von Johannes v. Kreuz, von Aloysius von Gonzaga, von Pater Pio.

Sie haben das Recht dazu. Aber was meine sündige Seele angeht: Sie hat dem Herrn nur Tränen anzubieten wie Magdalena und in dieser und der anderen Welt die Barmherzigkeit Gottes zu besingen.

Der liebe Gott, der sehr Barmherzige, hat mir, um mir Zeit zur Reue zu geben, eine Lebensdauer und eine Gesundheit gegeben, die nicht in meiner Familie liegen.

Mehr als 80 Jahre alt, ohne schwer krank gewesen zu sein, mit einer Intelligenz ausgestattet, die mich im Kleinen Seminar sowie in den römisch-katholischen Fakultäten und an der Sorbonne zum Wettkämpfer gemacht hat, hat mir die Barmherzigkeit Gottes die Zeit und die religiösen sowie weltlichen Kenntnisse gelassen, die mir bei meiner Bekehrung halfen.

Ich bin Vietnamese: Diese Herkunft erklärt meinen Charakter. So wie das Franzose-Sein die Heiligkeit der kleinen hl. Theresia von Lisieux verstehen lässt - und diejenige der Kastilierin die große Theresia von Avila charakterisiert.

Woher kommt die vietnamesische Rasse, wenn man den tausendjährigen Annalen der Chinesen glauben darf, die immer unsere Gegner gewesen sind? Die Viet besetzten das Gebiet, das heutzutage Peking bildet, durch das der große Gelbe Fluß fließt. Die Chinesen drängten in dieses sehr fruchtbare Land, wo die Vietstämme ihren bequemen Lebensunterhalt fanden.

Gegen diese sich rasch vermehrenden Gegner begannen die unendlich weniger zahlreichen Viet einen fatalen, ungleichen Kampf, den sie verloren. Aber die Viet leisteten unaufhörlichen Widerstand - wobei sie nach Süden zurückgedrängt wurden - ihre letzte Hauptstadt auf nunmehr chinesischem Gebiet war Kanton.

Als Kanton von den "Himmlischen" besetzt war, fanden die Viet ein zur Verteidigung günstiges Gebiet: einen Schleichweg, der in der Folge die Tore von Annam genannt wurde - wo sie den Chinesen den Weg versperrten. Später gelang es den Chinesen, die Tore von Annam zu durchbrechen, und sie besetzten das Delta des Gelben Flusses, auf dem Hanoi erbaut wurde - und das fast tausend Jahre lang.

Die Viet verloren nie den Mut, schafften es, die Chinesen zu vertreiben, dank des Heldenmutes der zwei Schwestern Trung-trac und Trung-schi, die in diesem heldenhaften Kampf ihr Leben verloren - aber angefeuert von diesem Beispiel von zwei Vietnamesinnen, führten sie das Unternehmen dieser zwei Schwestern zu Ende: Die Chinesen verließen Vietnam definitiv - die Vietnamesen waren politisch und diplomatisch bemüht, um eine Art Vasallentum unter dem chinesischen Herrscher zu akzeptieren, indem sie ihm zu gewissen Zeiten einige für unser Land charakteristische Geschenke überreichten: z.B. Elefantenstoßzähne.
Aber wir müssen anerkennen, daß die tausendjährige chinesische Besetzung für Vietnam vorteilhaft gewesen ist.

So war vorteilhaft: die Unterteilung des Staatsgebietes in Provinzen, Präfekturen, Dörfer - so wie das Reich der Mitte unterteilt war - mit dem spezifischen Unterschied, was das Dorf betrifft. Denn das Viet-Dorf ist eine kleine Republik und behandelt den Staat, als wenn es zwei Staaten wären. Wenn der Staat dem Dorfe einen Beitrag zum Krieg sowohl in Geld als auch in Menschen auferlegte, teilten die Notabeln des Dorfes den Beitrag jedes Dorfbewohners in Geld ein und bestimmten die jungen Menschen, die für die königliche Armee rekrutiert werden sollten. Es gab ein Sprichwort, welches das Verhältnis zwischen dem Staat und dem Dorf ausdrückte: Die Dekrete des Königs verneigen sich vor den Sitten des Dorfes. Der Bürgermeister (Ly-trûông) war nicht das Dorfoberhaupt, sondern der Repräsentant des Dorfrates bei den höheren Behörden. Ihn trafen die Schläge mit dem Rohrstock, wenn die Behörden mit dem Dorf unzufrieden waren.

Die Mitglieder des Dorfrates waren zunächst die Bewohner des Dorfes, die einen Mandarin-Titel inne hatten (ehemalige Mandarins), dann die Gebildeten, welche die dreijährigen Prüfungen zum Bakkalaureus, Licencié und Doktor abgelegt hatten, schließlich die in punkto Reichtum einflussreichsten Bürger.

Dieser Rat, in dem zuerst die Intelligenz und nicht der Reichtum vorrangig vertreten war, verteilte zu gleichen Teilen die Reisfelder an die Bürger. Denn alle drei Jahre wurde diese Verteilung von Losen mit gleicher Flächengröße aber unterschiedlicher Fruchtbarkeit vorgenommen. Die Bürger waren nur Eigentümer der Felder, die sie selbst urbar gemacht hatten, während die gemeindeeigenen Felder bei der Begründung des Dorfes von einem unternehmerischen Menschen urbar gemacht worden waren, der nach Erwerb eines "No manís land" Freiwillige angeworben hatte, um mit ihnen zu arbeiten und ein neues Dorf zu gründen.

Dies ist eine gesellschaftliche Tatsache, welche den Geist der Unabhängigkeit der Viet gegenüber den höheren Behörden zeigt, wobei erstere gleichzeitig freundschaftliche Beziehungen zu letzteren unterhalten - wie zwischen zwei Staaten. Offenkundig ist all dies von der modernen, egalitären Gleichmacherei hinweggefegt worden. War das nun besser oder schlimmer? Zumindest war das alte System dem modernen durchaus ebenbürtig, denn wir haben zwei Arten von Eigentum: das gemeinschaftliche und das private. Wir hatten die Verteilung alle drei Jahre ohne das Eindringen eines totalitären Staates.

Die Unabhängigkeit des Bürgers fand ein Gebiet, auf dem er atmen konnte, ohne jedoch völlig auf die Vorteile eines zentralisierten Staates zu verzichten. Dieser Durst nach Unabhängigkeit liegt dem Vietnamesen im Blut und erklärt diesen tausendjährigen Kampf gegen den Chinesen, dann gegen den Franzosen, bei gleichzeitigem Profitieren von den Vorteilen der chinesischen Einrichtungen und der französischen Kultur. Unsere Familie war immer für das System des britischen Dominions zwischen Vietnam und Frankreich. Wir konnten diesen Traum nicht verwirklichen, der Frankreich zu einem Führungsstaat gemacht hätte wie England für Kanada, Australien, Neuseeland, und es ermöglicht hätte, die USA, Sowjetrussland und Großbritannien als gleich zu behandeln.

Der Viet ist also Anhänger einer persönlichen Unabhängigkeit, garantiert durch eine Abhängigkeit von anderen Staaten. Der Viet ist vor allem Patriot, sei er kommunistisch oder antikommunistisch. Ho-chi-Minh und Ngô-dinh-Diém sind durch und durch Viêt.

Aus christlicher Sicht sind wir der römischen Kirche gehorsam, besonders in der Klasse der einfachen Gläubigen, aber in der intellektuellen Klasse räumen wir die Einmütigkeit im Bereich der Dogmen des Glaubens ein, aber mit Mannigfaltigkeit in den Sphären, die das Dogma nicht betreffen.

Dies erklärt in gewisser Weise meine Abneigung gegenüber den zudringlichen Unternehmungen des Vatikans, liturgische Elemente als kanonisches Recht aufzuerlegen, mit einem Wort: die Nivellierung jedweder Besonderheiten, die es in jeder Kultur gibt; die Kultur ist ja übrigens das Werk des lieben Gottes, der an der Einheit und auch an der Mannigfaltigkeit Gefallen hat: Gott ist selbst einer und dreifaltig. Jeder Mensch besitzt sein eigenes Gesicht. Die Mannigfaltigkeit ist die Zierde des Univer-sums. Warum soll man eine einzige Art vorschreiben, die hl. Messe zu feiern - die einzig aus der Konsekration besteht? Und vorzuschreiben unter Strafe der Suspension und sogar der Exkommuni-kation, ist das nicht ein Machtmißbrauch? Ein Paulus von Tarsus wäre tatsächlich von einem Petrus exkommuniziert worden, da er Bischöfe geweiht hatte, ohne Petrus davon zu berichten?

Der Vatikan erfindet Vorschriften, um jedwede liturgische oder kanonische Besonderheit der Lokalkirchen zu unterdrücken. Er will Uniformität überall, ohne zu bedenken, daß die liturgischen Besonderheiten der orientalischen Kirchen aus der Zeit der Apostel stammten, ohne zu bedenken, daß jedes Volk seine Charakteristiken hat, die genauso beachtenswert sind wie die von Rom. Hier einige Beispiele: Für den Römer erhebt man sich als Zeichen des Respekts; in Vietnam kniet man sich. Der Römer breitet beim Beten seine Arme aus; der Vietnamese faltet seine Hände, um zu beten. Die Europäer geben sich die Hand als Zeichen der Freundschaft oder zur Begrüßung; die Asiaten, Chinesen, Vietnamesen falten ihre Hände und neigen den Kopf: Die Verneigung fällt tiefer aus, je achtbarer derjenige ist, der gegrüßt wird.

Die hl. Messe besteht im Wesentlichen in der Verwandlung der Gestalten. Die anderen Teile können äußerstenfalls oder im absoluten Notfall weggelassen werden. Das ist der Fall bei gefangenen Priestern, welche die Messe in der Dunkelheit einer Zelle feiern, um sich und ihren Mithäftlingen die Kommunion zu spenden.

Jesus konsekrierte beim letzten Abendmahle nach der jüdischen Sitte für das Passahfest. Heute kon-sekriert der Priester im Stehen und gebeugt, um zu kommunizieren. Warum? Denn man ißt im Sitzen. Die Japaner essen auf ihren Absätzen sitzend; die Hindus sitzen beim Essen auf dem Boden, das Essen auf Bananenblättern ausgebreitet; die Chinesen und die Viet essen mit Stäbchen. Man könnte logischerweise überrascht sein, daß Paul VI. diejenigen verurteilt, die auf andere Art zelebrieren, z.B. nach der Liturgie von St. Pius V. Er hätte mit dieser Logik die erste von Jesus gefeierte Messe verurteilen können.

Nach Vatikanum II jedoch streicht man offiziell die Mannigfaltigkeit für die Nebensächlichkeiten und die Einheit nur in den wesentlichen Dingen. Japanische, indische Hierarchien werden in der Anpassung der Messe an ihre nationalen Besonderheiten bestärkt. Das "Halali" gilt einzig der Messe des hl. Pius V.!

Ich habe mich über diesen besonderen Fall ausgelassen - nicht nur wegen der Ungerechtigkeit der Verurteilung, sondern besonders wegen der Untauglichkeit der Maßnahme, umso mehr, als man es nicht wagt, dasselbe Verbot nicht nur auf die orientalischen Liturgien anzuwenden, sondern auch auf die Mailänder Liturgien von St. Ambrosius, auf die dominikanische, die mozarabische und Lyoner Liturgie... Vielleicht bin ich bei dieser respektvollen Beobachtung instinktiv von dieser Sucht der Viêt nach Unabhängigkeit angetrieben worden? Schließen wir diese Klammer und studieren wir die Umgebung, die für meine Zukunft entscheidend war.

Der erste Kreis dieser Umgebung ist die Familie, eine Viêt-Familie der Rasse nach, auf vietnamesische Art katholisch, die darin besteht, sich zu behelfen, ohne auf eine problematische Hilfe von den anderen zu warten. So überlebte die vietnamesische Kirche, als die Verfolgung der Könige sie der ausländischen Priester beraubte. Einige, die in die Wälder geflohen waren, unterstützten die Christen, die sich damals für privilegiert hielten, wenn sie zwei oder drei Mal in ihrem Leben zu den Sakramenten gehen konnten.

Die vietnamesischen kleinen Christengemeinden (Pfarreien) waren über das Viet-Gebiet vom Tor von Annam bis zur "Pointe den Camaní" verstreut. Hier ihre zum Überleben ausgedachte Organisation: Man erwählte damals die alten Christen, die besser als die anderen die Dogmen des Glaubens kannten, von den Missionaren Katechisten genannt, die den oberen Stand der Pfarrgemeinde bildeten. Ihr Oberhaupt kontrollierte die Handlungen der für das Überleben und den Fortschritt der Christengemeinde verantwortlichen Gruppen. Die eine war mit der Unterrichtung der Kinder im Glauben betraut und bereitete sie auf die Kommunion vor (wenn sie stattfinden konnte). Eine andere befaßte sich mit dem Besuch der Kranken und deren Vorbereitung auf den Tod. Eine weitere bereitete die Gesänge, Gebete, die Lesung des Evangeliums und der Epistel vor und leitete sie in den Messen ohne Priester, wie wir es bei der geistigen Kommunion tun.

Wie sollte man das nötige Geld finden für den Kult, um die kleine Kapelle aus Stroh zu bauen, für die Reisen und den Empfang des Missionars, um die Priesterkandidaten zu ernähren - die im Rate der Christengemeinde gewählt wurden? Das Seminar bestand aus einer Dschunke, auf welcher der einzige Professor wohnte: der Missionar, der nachts etwas Lateinisch lehrte, genug um die Wandlungsworte und diejenigen der Sakramente zu sprechen... am Tag wurden die Seminaristen zu Fischern, um die Gemeinde zu ernähren.

Wenn diese Ausbildung abgeschlossen war, schickte man sie ins Ausland, entweder nach Siam oder nach Ponlo-Pinang, das Generalseminar der Auslandsmissionen von Paris, damit sie dort die Weihen empfingen. So verlief die Einrichtung der einheimischen Weltpriester, deren Förderer die Viet waren, getrieben von ihrem Unabhängigkeitsinstinkt, von ihrer Sucht, sich zu behelfen - far da se - ohne auf wunderbare Hilfe vom Ausland zu warten.
So war die Organisation der vietnamesischen Pfarrei durch des Priesters beraubte Laien das, was Rom "Katholische Aktion" nannte und sich rühmte, sie unter dem Pontifikat von Pius IX. und Pius XII. geschaffen zu haben, wo sie doch dem Heidenapostolat bekannt war und dort praktiziert wurde, das nicht nur von Priestern, Diakonen, Bischöfen umgeben war, sondern auch von Laien, Männern und Frauen, und das 300 Jahre vor ihrem Wiederaufleben durch die zwei Pius-Päpste. Genau wie die Einrichtung eines einheimischen Klerus.

Diese zwei Stützpfeiler der Evangelisierung, von den Viêt erfunden, sind ein Beispiel der Intelligenz dieses Volkes, das der Hl. Stuhl wie einen wenig bedeutsamen Bestandteil der Kirche behandelt hat und so weit ging, ihnen erst dann eine offizielle Hierarchie und einen Kardinal zuzugestehen, nachdem er diese Auszeichnungen anderen Ländern gewährt hatte, die im Hinblick auf Glauben, Zahl der Kleriker und der einheimischen Martyrer vom katholischen Vietnam - bei weitem - übertroffen wurden. Aber ich war doch ein wenig erstaunt, als der gute Papst Johannes XXIII. mich fragte, als ich ihm als Dekan zehn Hierarchien aus Vietnam vorstellte: "Was ist dieses Vietnam?" Und Johannes XXIII. war der Vikar Dessen, der vor 2000 Jahren erklärte: "Ich kenne meine Schafe, und meine Schafe kennen mich."

Man darf daher nicht von der Animosität Pauls VI. gegen unsere Familie und besonders gegen meine Person überrascht sein, die so weit ging, daß er mir die Niederlegung meines Erzbischofsamtes auferlegte, vor dem für die Bischöfe festgelegten Ruhestandsalter, und hierfür einen seiner Günstlinge ernannte, der zur Politik der "Öffnung für den Osten" neigte. Dieser wurde kürzlich von seinen alten kommunistischen Freunden als persona non grata behandelt, als er es wagte, seine Stimme zu erheben gegen die von den Kommunisten gegen den Besuch der Sonntagsmesse aufgestellten Hindernisse, indem sie den Katholiken zur Zeit der Messe öffentliche Fronarbeiten auferlegten. Und um ihn den Bruch spüren zu lassen, erlaubten ihm die Kommunisten nicht, an der Synode von 1977 mit den anderen vietnamesischen Erzbischöfen teilzunehmen.

Ein anderer vietnamesischer Erzbischof wurde von den Kommunisten verurteilt: mein Neffe, der Erzbischof F. X. Nguyên-vân-Thuân, Koadjutor von Saigon. Er führt das Leben eines Sträflings, in einer Ecke des Waldes des Südens, weil er den Flüchtlingen geholfen hat, sich im Süden niederzulassen, als er vom Hl. Stuhl mit der Katholischen Hilfe betraut worden war. Jedoch protestiert dieser gegen Brasilien, schweigt aber im Falle meines Neffen!

***
Von meiner Geburt an in dieser vietnamesischen Atmosphäre des kämpferischen Katholizismus großgezogen, habe ich ohne zu zaudern das Priestertum als meinen Kampfposten in dieser Welt angenommen, gleich welcher Posten, gleich welcher Tod. Ich habe daher kein Recht zu "meckern", wenn ich heute ein Erzbischof bin, ein Ex-Exkommunizierter, der jeden Tag die hl. Messe feiern darf, aber "unlogischerweise" nicht die Erlaubnis hat, die Beichten der vietnamesischen Flüchtlinge zu hören, die nicht in der Lage sind, auf Französisch zu beichten.

Dies ist die rassische und religiöse Umgebung. Und das ist die familiäre Atmosphäre, mit der die Vorsehung mich umgeben hat.

Ich bin ein Ngô. Ngô ist einer der Familiennamen in Vietnam. Ich glaube, ich täusche mich nicht, wenn ich behaupte, daß die Zahl der Viêt-Familiennamen hundert nicht übersteigt. Der Name mit den meisten Nachfahren ist Nguyên, dessen zahlreichster Zweig die Königsfamilie ist. Derjenige mit den wenigsten Mitgliedern ist der meine. Nach der Legende sind die Ngô Nachfahren der ersten einheimischen Königsfamilie im unabhängigen Vietnam. Dies erklärt vielleicht ein wenig unseren Patriotismus und unsere Anhänglichkeit an unser Land.

Außerhalb der Legende von unserer königlichen Abstammung ist kein anderer Ngô in der Geschichte Vietnams hervorgetreten, bis zum glänzenden, aber tragischen Erscheinen unserer Familie.

Kein Vietnamese wird jemals den Namen Ngô-dinh-Khâs, meines Vaters, vergessen, der tausend Tode gestorben ist, da er nicht mit den anderen Würdenträgern des Hofes für die Absetzung des Kaisers Thanh-Thai gestimmt hatte, der illegal vom Vertreter Frankreichs in Annam (Zentralvietnam) aufgezwungen worden war, den Namen unseres Ältesten Ngô-dinh-Khôi, der mit seinem einzigen Sohn lebendig begraben wurde, weil er sich geweigert hatte, Minister im kommunistischen Premierministerium zu sein, da er es als unvereinbar ansah, katholisch und kommunistischer Funktionär zu sein. Lieber sterben als sich schmutzig machen. Schließlich kennen und achten alle Vietnamesen den Namen Ngô-dinh-Diêms, des Vaters der Republik Vietnam, und denjenigen von Ngô-dinh-Nhu und Ngô-dinh-Cân, Mitarbeiter des Präsidenten, alle drei von der CIA getötet.

Zwei Ngô sind diesem vom Botschafter Cabot Lodge, einem Freimaurer, organisierten Abschlachten entronnen: mein Bruder Ngô-dinh-Luyên, damals Botschafter in London, der von der Ecole Centrale des Ingénieurs (Paris) kam: da er sich fern von Vietnam aufhielt, und ich selbst, nach Rom gerufen, um am II. Vatikanischen Konzil teilzunehmen. Luyên hat 13 Kinder und Nhu hat 4. Ich hoffe, daß sie trotz ihrer Entfernung von der Heimat, da sie ja in Europa leben, nicht die Tradition unserer Familie vergessen werden: sich ganz dem Dienste Gottes und des Vaterlandes widmen.

Ich mache hier einen kurzen Einschub: Was bedeutet dieses Wort "dinh", eingezwängt zwischen Ngô und dem Personennamen, wie Diêm, Thuc? Dieses Wort bezeichnet den Zweig der Familie, denn es gibt Ngô-dûc, Ngô ohne "Einschiebsel" wie beim König Ngô Guyên.

Mein Vater Ngô-dinh-Khâ, dessen Kindheit und Werdegang schon in "Doce me" (d.i. in der Kurzbiographie) dargelegt wurden, verdient es, im Gedächtnis zu bleiben als der Mann, der als erster daran gearbeitet hat, das Erlernen des Französischen in Zentralvietnam einzuführen. Er hat es aus Patriotismus getan. Zu dieser Zeit regierten die Franzosen praktisch Annam. Nach den Vereinbarungen zwischen Frankreich als Sieger und den besiegten Kaisern von Vietnam jedoch sollte Annam den Status des Protektorats "genießen" und nicht zur Kolonie werden, was das Los des reichen Kotschinchina war, dessen Einwohner "Untertanen" waren und nicht französische "Bürger". Aber Annam wurde praktisch vom Gouverneur Frankreichs regiert, der als Minister des Königs seine Domestiken aufdrängte, die ein französisches "Kauderwelsch" sprachen, das sie im Küchendienst bei ihren Herren gelernt hatten. Mein Vater faßte also den Plan, "das richtige Französisch" zuerst den gebildeten Vietnamesen beizubringen und dann den jungen Vietnamesen königlicher Herkunft. Dabei gründete er das Collège national in Vietnam: Quöo-hoo. Ein etwas verrücktes Abenteuer: Die "adligen" Väter gaben ihm auf seine Anfrage nur die Kinder ihrer Konkubinen, und er mußte diese Schüler "bezahlen"! Diese wurden später Minister!

So wurden die Söhne der Konkubinen aus der letzten Klasse der Königssprößlinge die "Intelletuellen französischer Kultur" wie Doktoren der Medizin, Zahnärzte, Anwälte, hohe Funktionäre. Dank dieser von meinem Vater unterwiesenen Männer wurden meine Brüder, der älteste Ngô-dinh-Khôi, und der künftige erste Präsident der Republik Südvietnam gefördert und erklommen die Rangstufen des Mandarinats mit Leichtigkeit.

Mein Vater wurde dazu ausersehen, Erzieher des jungen Königs Thânh-Thâi zu sein und später Minister des Kaiserhauses. Diese Ehren waren Ursache schrecklicher Prüfungen für meinen Vater, als der Generalgouverneur Frankreichs in Zentralvietnam, Herr Levêque, unter Überschreitung der im französisch-vietnamesischen Vertrag enthaltenen Befugnisse beschloß, Thân-Thâi unter dem Vorwand der Verrücktheit zu entthronen. Denn dieser junge König, intelligent und aktiv, konnte sich nicht nur mit dem Vorrecht begnügen, für die Dörfer geniale Kräfte zum Schutz zu ernennen, und hatte die Idee, seine zahlreichen Konkubinen zu "militarisieren", indem er ihnen die Militärschritte beibrachte und sie mit hölzernen Gewehren manövrieren ließ. All dies geschah in der Verbotenen Stadt, also außerhalb des Gesichtskreises des gemeinen Volkes.

Der Gouverneur Levêque ließ illegal die Hofmandarine zusammenrufen und befahl ihnen, einstimmig für die Absetzung des Herrschers zu stimmen. Diese Mandarine gehorchten sklavisch, mit Ausnahme meines Vaters. Zur Enthebung von all seinen Mandarintiteln verurteilt, wurde mein Vater ins Gefängnis gesteckt, und der König wurde nach Madagaskar verbannt. Das vietnamesische Volk verkündete angesichts dieses Machtmißbrauchs und der Feigheit des Hofes, daß Ngô-dinh-Khâ der einzige war, der sich der Absetzung des Königs widersetzte. Die Verbannung meines Vaters wurde erst mit der Volljährigkeit des Kaisers Duy-tân, eines der Söhne Thân-Thâis, aufgehoben, der meinem Vater seine Titel und seine Alterspensionsrechte wiedergab.

Hier glaube ich, berichten zu müssen, wie der Gouverneur von Frankreich den neuen König wählte. Er ließ die zahlreichen männlichen Sprösslinge von Thân-Thâi sich in einer Linie aufstellen, befahl ihnen, einen Lauf zu machen, und versprach dem Sieger eine Belohnung. Und derjenige, der zuletzt ankam, wurde vom Gouverneur als König ausgewählt, der dachte, er sei der am wenigsten Intelligente. Da täuschte er sich aber gewaltig, denn dieser Junge war der künftige Duy-tân, eingefleischter Feind Frankreichs, der beinahe die Franzosen mit Hilfe der "Freiwilligen" verjagt hätte, die dazu bestimmt waren, in Frankreich zu kämpfen. Dieses Komplott ging jedoch schief, dank meines Bruders Ngô-dinh-Khôi.

Aus dem Gefängnis entlassen, mußte mein Vater nach einer langen Krankheit daran denken, den täglichen Reis für seine zahlreiche Familie zu finden: für sechs Jungen und drei Mädchen. Er war ein Mandarin von einer strengen Ehrlichkeit, und die Krankheit fraß seine geringen Ersparnisse auf. Er beschloß daher, einige Hänge zu bearbeiten, die er im Dorfe Ancûn besaß, nicht weit von Hué. Ich sehe noch meinen Vater, begleitet von einem seiner Söhne oder einer seiner Töchter, zu Fuß in einem Paar selbst hergestellter Holzpantinen die sechs Kilometer zu seinen Reisfeldern gehen, dort das Versetzen des Reises überwachen, das Bewässern mit Hilfe eines pedalbetriebenen Becher-werks, dann die Mahd. Wenn er müde war, blieb unser Vater auf dem Wege im Schatten eines Bambusdickichts stehen und erzählte uns bei einer selbstgedrehten Zigarette interessante Geschichten, die der Bibel oder den Preisbüchern entnommen waren, die von den Brüdern der Christlichen Schulen ausgegeben wurden. Denn mein Vater war ein geborener Erzähler, und dank dieser Gabe verdiente er etwas zu rauchen, als er Seminarist in Anninh war und seine Kameraden ihn baten, eine Geschichte zu erzählen oder zu erfinden. Er verlangte damals als Lohn einige Zigaretten und begeisterte die Zuhörer mit den seiner Phantasie entstammenden Erzählungen.

Wir lebten arm, aber anständig. Ich weiß nicht, wie mein Vater es schaffte, uns ein einstöckiges Haus zu geben, zu dieser Zeit eine Seltenheit in Vietnam, umgeben von einem großen Garten. Mein Vater, der an akutem Rheuma litt, das vom feuchten Klima Hués verursacht war, hatte dem Parterre eine nicht sehr hohe Etage hinzugefügt und ließ uns dort schlafen, um uns vor der Feuchtigkeit zu schützen, auf einer auf dem Boden ausgebreiteten Matte. So wuchsen alle Jungen der Familie stark heran.

Das Programm der Wochentage war immer das gleiche. Morgens Wecken um sechs Uhr beim Klang der Glocke des Doms unserer Pfarrei Phu-cam. Jungen und Mädchen stürmten in die Küche, um sich zu waschen, und zogen dann das Gewand an, das bis zu den Knien reichte (unser Zeremoniengewand) und folgten unserem Vater in die hl. Messe; sie knieten alle an seiner Seite. Unser Vater nahm mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen teil; letztere waren aber immer bereit, die Jungen zu schütteln, wenn sie sich zerstreut zeigten. Er ging täglich zum Tisch des Herrn, von denen unter seinen Kindern begleitet, die zur Erstkommunion gegangen waren. Er fehlte praktisch nie bei der täglichen heiligen Messe, nicht mal bei Unwetter, und er weckte in uns eine tiefe Andacht zu dieser Erneuerung des Kreuzesopfers, indem er uns oft eine Geschichte erzählte, die mir eine der goldenen Legenden zu sein scheint und die ich hier wiedergebe: Ein Herr hatte zwei Pagen, von denen einer sein Günstling war. Der andere beging irgendeinen Fehler, von dem der Herr beschloß, er sei todeswürdig. Jedoch gedachte er, ihn auf heimliche Art sterben zu lassen. Mit dieser Absicht ließ er einen seinen Interessen ergebenen Mann zu sich kommen, der einen Kalkofen besaß, und befahl ihm, am nächsten Tag den Pagen hineinzuwerfen, der ihm morgens eine Botschaft überbrächte. Und am nächsten Tag rief er den verurteilten Pagen, gab ihm einen Umschlag mit dem Befehl, ihn dem Kalkbrenner zu übergeben. Der Page beeilte sich, seine Besorgung zu machen, aber auf halbem Wege hörte er es in der Kapelle zur Messe läuten, die sich auf seinem Wege befand. Und da er sich an die Empfehlung seiner Eltern erinnerte, nie die Messe zu versäumen, trat er ein und nahm andächtig am hl. Opfer teil. Der Herr jedoch, der unbedingt wissen wollte, ob der Mörder seinen Auftrag ausgeführt hatte, schickte seinen Lieblingspagen, sich danach zu erkundigen, und als der Peiniger den Boten kommen sah, packte er ihn und warf ihn in den Ofen.

Nach der Messe gingen wir nach Hause zum Frühstück - von unserer Mutter zubereitet -: einer Schale Reis mit Salz gewürzt. Dann gingen wir mit der Tasche auf dem Rücken zur Schule. Das Mittagessen war gehaltvoller, aber einfach: Reis statt Brot, eine gewöhnliche Suppe mit Fisch; Fleisch war den Sonn- und Feiertagen vorbehalten; Gemüse, von Zeit zu Zeit eine Frucht als Nachtisch, eine Frucht aus dem Garten: Ananas, Pflaumen, Karambolen. Das Abendessen bestand aus einem einzigen Gericht, aber wenn es auch oft an Qualität und Anzahl der Gerichte fehlte, an der Menge fehlte es nie. Meine Mutter, eine hervorragende Köchin, vollbrachte wahre Wunder, um uns zu ernähren und den Speiseplan abwechslungsreich zu gestalten. Mein Vater war in diesem Punkt streng: Es wurde alles gegessen, was auf den Tisch kam. Mein Bruder Diêm, der Fisch nicht ausstehen konnte, wurde gezwungen, ihn wie die anderen zu essen, obwohl er von Brechreiz geschüttelt wurde. Diese Fischallergie, besonders gegen gesalzenen Fisch, war der Grund, weshalb er das Noviziat bei den Brüdern der christlichen Schulen zu seinem großen Bedauern aufgab, denn der Bruder Rektor des Noviziats erklärte, er habe keine geistliche Berufung, da er sich nicht dem gemeinsamen Essen unterwerfen konnte. Abends um 8 Uhr nach dem Abendessen sprachen wir, Mädchen und Jungen, auf den Knien die Abendgebete. Dann schliefen wir auf unserem Boden ein, in den Schlaf gesungen von den Vater unser und Ave Maria unseres Papas und unserer Mama!

Wenn mein Vater die Geradlinigkeit selbst war: ein Stahlbarren, so war unsere Mutter die Sanftmut und Nachgiebigkeit selbst, aber ohne auch nur die geringste Konzession an das Böse. Sie war die personifizierte Nächstenliebe, die christliche Bescheidenheit selbst. Sie neigte nicht, wie man sagt, zu Gewäsch, aber ihre Tugenden waren die überzeugendste Rede über die Güte des Christentums. Unsere Familie hatte zahlreiche Hausangestellte, alle haben sich bekehrt und sind gute Christen geblieben.

Meine Mutter gehörte zu einer kleinbürgerlichen Familie, die aus Quang-ngâi jenseits von Tourane stammte, Richtung Süden. Aus einer zahlreichen Familie kommend, zwei Jungen und drei Töchter, hatte sie die Rolle der Hausherrin noch zu Lebzeiten unserer lieben Großmutter, und diese Rolle wurde ihr wegen ihrer Intelligenz und besonders ihrer Sanftmut übertragen. Ihre Geschwister hingen an ihr. Pater Allys, Pfarrer unserer Pfarrei Phû-cam, kannte sie, und als mein Vater, Witwer aus einer früheren Verbindung, diesen Pater bat, ihm eine Ehefrau zu nennen, wurde unsere Mutter vom Pfarrer vorgeschlagen. Ihre Gewandtheit machte sie zur würdigen Gattin eines Ministers des Hofes, zur Mutter des ersten Präsidenten der Republik Südvietnam.

Die christlichen Tugenden unserer Eltern waren das einzige uns hinterlassene Erbe, ein unendlich wertvolleres Erbe als Adelstitel und Geldwerte, da es uns in den Besitz des Himmels bringt - "haeredes Die et cohaeredes Christi".

In ihren letzten Jahren wurde unsere Mutter von einer Krankheit heimgesucht, die ihr ihre Geisteskräfte ließ, ihr aber die Beweglichkeit der unteren Gliedmaßen nahm. Etwa zehn Jahre war sie gezwungen, auf einem Bett zu vegetieren; so hatte sie alle Zeit, um sich auf den Tod vorzubereiten. Ich war zu dieser Zeit Bischof von Hué geworden, also der Bischof meiner Mutter. Ich hatte das Privileg, ihr jeden Morgen die hl. Kommunion zu spenden, gegen 7 Uhr. Sie starb in Saigon im Hause meiner Schwester, Mutter des Erzbischofkoadjutors von Saigon. Meine Mutter erfuhr nichts von der Ermordung meiner Brüder. Sie ging eines Morgens in den Himmel, nachdem sie wie gewöhnlich die hl. Kommunion empfangen hatte, durch eine Gehirnblutung im Alter von mehr als 96 Jahren. Zu ihrem Begräbnis kam eine große Zahl von Teilnehmern, die sie im Leben geschätzt hatten.

Mit meinen Geschwistern lebten wir in dieser Atmosphäre von "Nazareth", das heißt des "Glaubens", in einer "goldenen" Mittelmäßigkeit. Der älteste war Ngô-dinh-Khôi, der später Gouverneur der sehr bedeutenden Provinz Quang-nam an der Grenze zu Danang, von den Franzosen Tourane genannt, wurde. Provinz von Revolutionären und großen gebildeten Personen; der Premierminister der sozialistisch-kommunistischen Republik des Nordens, Phamvân Dông, stammt aus Quang-nam wie der große vaterländische Dichter.

Mein ältester Bruder war von mir durch meine Schwester Ngô-thi-Giao und zwei Jungen getrennt, die früh gestorben sind: Trae und Quynh, was den wenigen Kontakt zwischen uns erklärt. Besonders als Heranwachsender war ich sehr wenig mit meinem ältesten Bruder zusammen, da ich Seminarist und später Student in Rom war, während mein ältester Bruder die verschiedenen Stufen des Mandarinats vom neunten Grad bis hin zum ersten als Provinzgouverneur durchlief. Dieser Wettlauf um die Ehren fand außerhalb Hués statt, da die Tradition es einem Mandarin verbot, Verwalter seiner Geburtsprovinz zu sein.

Nach meiner Rückkehr nach Vietnam und meiner Priesterweihe waren wir häufiger zusammen. Ich begann, meinen ältesten Bruder zu schätzen, der nach vietnamesischer Sitte unser zweiter Vater wurde, der sich um unsere Mutter und seine Schwestern und kleinen Brüder kümmerte. Äußerlich war er ein sehr schöner Mann, hochgewachsen, er wurde respektiert und als Prinz betrachtet. Verheiratet mit einer Tochter des Herzogs von Phuôc-môn, lange Jahre Vorsitzender des Ministerrates, der markanteste Politiker unter der Herrschaft der letzten Kaiser von Annam, stieg mein Bruder die Stufen des Mandarinats durch eigenes Verdienst hinauf und begünstigt durch die Mandarine, ehemalige Schüler meines Vaters, ohne seinem Schwiegervater etwas zu verdanken, der sich sehr davor hütete, ihn zu fördern, denn Ngyên-hûn-Bû, Herzog von Phûoc-mon, ehemaliger Schüler meines Vaters und zu Beginn seiner Karriere von ihm gefördert, beschäftigte sich nur mit sich selbst. Darum verstarb er einsam, mit meinem, seines Patenkindes, Beistand, und von mir zum Grab geleitet, von mir, der ich von meinem Paten nicht eine einzige Sapek erhalten hatte. (Anm. d. Übers.: Sapek = kleines Geldstück von geringstem Wert in Indochina)

Die Mandarinkarriere meines ältesten Bruders endete durch ein Unglück. Der damalige Genergouverneur, Herr Pasquier, wenn ich mich nicht irre, war über den Gouverneur von Quang-nam verärgert, der sich nicht am Bahnhof nahe dem Hauptort einfand, um ihm seine Ehrerbietung zu bezeugen (mein Bruder war über das Vorbeikommen des Zuges des Gouverneurs nicht informiert worden). Er zog sich in Würde, ohne Gegenbeschuldigung, in unser Dorf Phû-cam zurück, zwei Schritte vom Hause unserer Familie entfernt. Er beendete seine Karriere wie ein "Christ", "lebendig mit seinem einzigen Sohn" begraben, da er sich geweigert hatte, mit den atheistischen Kommunisten zusammenzuarbeiten, die ihm einen Platz im Ministerrat angeboten hatten.

Meine älteste Schwester, Ngô-thi-Giao, verheiratet mit Trûong-dinh-Tung, war eine Frau von sehr fröhlichem Charakter, die den Scherz, die unschuldigen Neckereien liebte. Diese äußere Erscheinung verbarg eine tiefe Nächstenliebe.

Daher hat Gott sie zur Mutter von vier Ordensschwestern gemacht, drei Schwestern von der Nächstenliebe des hl. Paulus und eine Missionarin der Liebe zum Kreuz. Diese vier Ordensschwestern waren wahre Ordensschwestern, geschätzt von den Missionsbischöfen, die sie als Mitarbeiterinnen hatten, energische und heldenhafte Frauen, die Erschöpfung und Tod trotzten, um den Bischöfen zu gehorchen. Mgr. Seitz, Bischof von Kontum, könnte Zeugnis ablegen für das Lob, das ich gerade zweien meiner Nichten gezollt habe, die ihn bei der Besetzung Kontums durch die Roten wirkungsvoll unterstützt haben. Die jüngste meiner Nichten im Orden starb im Rufe der Heiligkeit in Frankreich und ruht mit ihren Schwestern in der Religion in der ihnen gehörenden Krypta auf dem Groß-friedhof von Nizza.

Meine Schwester starb an Tuberkulose, die sie sich bei der Pflege meines Schwagers zugezogen hatte, der an dieser Krankheit litt. Sicher ist es ihr zu verdanken, daß ihr Mann als guter Christ starb. Gott allein kennt ihre Akte der Nächstenliebe, die sie sorgsam verbarg, Akte der Nächstenliebe, die sie teuer zu stehen kamen, da sie Witwe und nicht reich war, mit vielen Mündern zum Sattmachen.

Mein Bruder Diêm war einzigartig als Christ und als Autodidakt. Da ich nicht sein Beichtvater war, konnte ich kein auf die sakramentale Beichte gestütztes Urteil abgeben, aber von außen habe ich in seinem Benehmen nie etwas gegen Gottes Gesetz bemerkt. Sicher hatte er seine kleinen Schwächen, kleine Fehler; er mußte sich sehr zusammenreißen, um seine Wutanfälle zu beherrschen, er der seine Staatsverpflichtungen nach dem Muster des strengsten Mönchs erfüllte, die Nachlässigkeit der ihm unterstehenden Funktionäre vor Augen. Die Tugend, die bei ihm herausragte, war die Keuschheit, nie ein unangebrachtes Wort, ein unangebrachter Blick, nie fielen seine Augen auf einen zweifelhaften Roman. Er gab sich mit guten Büchern zufrieden. Seine Freizeit war der Bildung gewidmet. Als Autodidakt hatte er nur in einigen Jahren bei den Brüdern der Christlichen Schulen regelmäßigen Unterricht gehabt, der vom ergänzenden Diplom gekrönt wurde, das er mit "maxima cum laude" und Glückwünschen der Jury erwarb - im Alter von 16 Jahren und während der Prüfung vom Fieber geschüttelt.

Er beherrschte die chinesischen Buchstaben und konnte mit den Chinesen und Japanern in chinesischer Schrift korrespondieren. Er übertrieb vielleicht, wenn er sich verständlich zu machen wünschte, obwohl er alle Feinheiten der französischen Sprache kannte. Übertriebener Eifer! Übertreibung der Perfektion wegen! Sein großes Feldbett war von einer Palisade aus Büchern aller Art umgeben, die aber immer seriös waren. Als er noch ein kleiner Schuljunge war, hatte er eine Kerze an seinem Bett; er selbst stand frühmorgens auf, zündete seine Kerze an und begann in der Nacht, seine Lektionen zu lernen, seine Hausaufgaben zu machen. Er war immer der Erste und der Erste auf jedem Gebiet. Ein Mann war nötig, um seine Ernte an Lorbeerkränzen und seine großen Preisbücher am Ende jedes Schuljahres heimzubringen.

Ich habe niemals gesehen, daß er seine Zeit verschwendete. Als er Großmandarin wurde, mit besserer Bezahlung, wurden die Fotografie und die Jagd zu seinem Zeitvertreib, aber niemals beeinträchtigten diese harmlosen Zerstreuungen seine Stunden der Arbeit für den Staat.

Als Seminarist kehrte ich für die zwei Sommermonate nach Hause zurück und war mit der Familie zusammen, mit Papa, Mama, meinen Brüdern und kleinen Schwestern. Mein ältester Bruder war Kleinmandarin außerhalb von Hué, meine älteste Schwester aß nicht mit uns, sondern in der Küche, wo sie uns die Mahlzeiten zubereitete.

Während dieser Ferien vergnügte sich mein Bruder Diêm, als er noch kein Mandarin war, damit, meine zwei kleinen Schwestern und meine zwei kleinen Brüder dazu zu nötigen, "Krieg zu spielen". Zuerst zeichnete er ihnen mit einem Stück verkohltem Kork Schnurrbärte über die Lippen, und die Gewehre waren aus dem Mittelstück der großen Bananenblätter gemacht. Das war vielleicht ko-misch! Aber Diêm war es ganz ernst, und er führte diese Armee, die aus zwei kleinen Soldaten und zwei kleinen Soldatinnen bestand, und sie stapften mit ihren nackten Füßen über den Boden: Eins-zwei, eins-zwei! Wehe dem zerstreuten Soldaten: Ein Säbelhieb auf den Hintern rief ihn wieder zur Ordnung. Bald beschäftigte Diêm seine Geschwister damit, einen kleinen Garten anzulegen.


Abends, nach dem Abendessen, knieten alle Kinder zusammen auf einer Estrade, und wir summten unsere Abendgebete. Diêm spazierte um die Estrade herum, und wehe dem oder derjenigen, der oder die unandächtig war oder, vom Schlaf übermannt, mit dem Kopf wackelte. Als die Gebete beendet waren, legten sich die Jungen auf die Estrade, die Mädchen gingen mit ihrer großen Schwester ins mittlere Haus schlafen. Denn unser Wohnhaus bestand aus drei Hauptgebäuden, dem mittleren Gebäude, einem vietnamesischen Haus, wo die Frauen schliefen. Der rechte Flügel war ein Etagen-haus, unten von unserem Vater bewohnt und oben von Diêm und mir. Der linke Flügel umfaßte den Reisspeicher und die Küche, wo die Hausdiener schliefen. Weiter entfernt stand der Schweinestall und daran schlossen sich die Heuhaufen an. Wir hatten einen sehr großen Garten, in dem Arequier-Palmen, Feigenbäume, Karambolenbäume und Pflaumenbäume wuchsen. Dank dieses sehr großen Gartens vergnügten wir uns nicht auf der Straße oder bei den anderen. Wir gingen nur zur täglichen Messe hinaus und um zur Schule zu gehen, die Mädchen, um auf den Markt zu gehen.

Was ich gerade über meinen Bruder Diêm erzählt habe, könnte den Leser dazu bringen zu glauben, mein Bruder sei immer ernst gewesen. Weit gefehlt! Diêm war derjenige von uns, der für die Verschrobenheiten der anderen die feinste Antenne hatte. Er war auch sehr geschickt darin, Gangart und Stimme der Leute nachzuahmen, was einen zum Lachen brachte. Unsere so wohlwollende Mutter konnte sich nicht daran hindern zu lachen, oder eher zu lächeln, als Diêm, einen Stock in der Hand, ganz gebeugt, einherlief und seinen Paten, den Arzt Thuyên, nachäffte und seine Sprechweise nachahmte. Er sah dabei umwerfend komisch aus. Darin war er ein echter Vietnamese, der wie der Fran-ose der geborene Spötter ist, aber ein harmloser Spötter, geschickt darin, die Verschrobenheiten der anderen zu beobachten und nachzuahmen.

Das Kind, das nach Diêm kam, war meine kleine Schwester Hiêp. Sie war die Sanfteste der Familie, die Frömmste und auch die Geduldigste. Sie war so schön wie eine Madonna. Jeder hatte sie gern. Sie war es, die unsere Mutter entlastete, indem sie sich um die Letztgeborenen, Cân und Luyên, kümmerte. Sie trug sie, gab ihnen das Fläschchen, wiegte sie in der Wiege aus Weidengeflecht, in der alle kleinen Ngô-dinhs gelegen hatten. Diese Wiege hing an einem langen Seil an der Holzdecke des mittleren Hauses. Von der Wiege aus konnte das Kind ein großes Bild vom Ewigen Vater sehen, das an die Zwischenwand genagelt war, die das Zimmerchen unserer Mutter begrenzte, in dem alle kleinen Ngôs geboren worden waren. Dort befand sich auch der Schrank mit den Konfitüren aller Art, die Mama hergestellt hatte, sowie der Wein aus Brombeeren, Früchte, welche die Menschen aus unserem Geburtsdorf in Quâng-Binh uns jedes Jahr anboten, einer Provinz im Norden von Hué, von der diese Stadt durch die Provinz Quâng-tri getrennt wird.

Hier muß ich etwas einflechten, um eine Tradition Vietnams sui generis zu erklären.

Meine Geschwister sind wie ich alle in Hué geboren, das die mystische Hauptstadt von Annam und der Hauptort der kleinen Provinz Thûa-Thiên ist, aber wir sind alle Bürger des Dorfes Dai-phong, wo unsere Vorfahren aus dem Norden, d.h. aus Thanh-hûa und Tonkin, gelebt hatten. In Dai-phong befinden sich ihre Gräber. Im großen Gemeindehaus, das auch der Tempel ist, befinden sich die Platten der genialen Kräfte zum Schutze des Dorfes, der Beschützer, die der Kaiser jedem Dorfe gewährte. Diese Beschützer, analog zu den Heiligen, den Beschützern der Städte im Lande des Christentums, werden unter den vietnamesischen Helden, Generälen oder großen Gebildeten, Großmandarinen ausgewählt. Im Gemeindehaus versammelte sich der Dorfrat. Dieses Haus von Dai-phong war bekannt durch seine gewaltigen und sehr hohen Säulen.

Einst, bevor Zentralvietnam sehr bevölkert war, verließen Pioniere unter der Leitung eines Führers ihr Herkunftsdorf, um in andere Gemeinden auszuschwärmen, wo es Raum und fruchtbare Ländereien gab. An dem Ort angekommen, der diese Vorteile bot, nahm man die Aufteilung des Landes vor, entsprechend der Anzahl der Pioniere. Der Führer erhielt einen größeren Anteil zum Ausgleich für seine Ausgaben und seine Initiative. Jeder Pionier teilte seine Parzelle unter seinen Söhnen auf und so fort, bis diese Parzellen nicht mehr ausreichten, um ihre Besitzer zu ernähren. Dann löste sich wie bei den Bienen ein Schwarm vom Muttervolk und gründete woanders ein anderes Dorf. All dies erklärt das Verhältnis zwischen den Dörflern und den Personen, die aus dem Dorfe stammten und woanders wohnten. Genau wie unser Vater, der Dai-phong verließ, um sich in Hué anzusiedeln, aber immer noch seine Reisparzelle in Dai-phong behielt.

Er opferte die Einkünfte daraus, um die katholische Dorfschule zu unterstützen und zur Unterhal-tung der Grabstätten unserer Vorfahren. Unser Dorf befindet sich im Gebiet, das man "Die zwei Unterpräfekturen" nannte - auf Vietnamesisch: Hai huyên -, berühmt für die Fruchtbarkeit seiner Reisfelder. Die Provinz Quang-Binh war berühmt dafür, dem Vaterland große Bürger gegeben zu haben, denen die Tiefe ihrer Flüsse und die Höhe ihrer Berge vetraut waren.

***

Nachdem ich diesen Einschub über eine Originalität des vietnamesischen Gemeindesystems beschlossen habe, komme ich auf die Mitglieder meiner Familie zurück:

Nach meiner Schwester, der sanften Hiêp, kam ihr Gegenteil, meine Schwester Hoâng. Gegensätzlich hinsichtlich des Charakters, aber sie hatten sich sehr lieb. Klein, aber wohl proportioniert, von lebhafter Intelligenz - sehr praktisch - ist sie die einzige von uns, die sich ein schönes Vermögen aufgebaut hat. Sie bekam als Mann einen Jungen, der zu einer Familie von Notabeln unserer Pfarrei gehörte, derselben, aus welcher der Mann von Hiêp stammte. Er hieß Lê. Er war Unternehmer wie sein Vater. Er war energisch und verdiente Geld, starb aber relativ jung an Tuberkulose und hinterließ meine Schwester Hoâng mit einer kleinen Tochter, die später Herrn Trân-trung-Dung, Lizenziat in Jura, heiratete, einen der Minister meines Bruders Diêm.

Meine Schwester Hoâng wurde zum Erstaunen aller auch "Unternehmerin" und hatte Erfolg. Sie starb, nachdem sie noch miterlebt hatte, wie ihre Tochter heiratete und Mutter einer kleinen Tochter wurde. Ich war in ihren letzten Stunden bei ihr. Sie war tapfer bis zum Ende.

Mein Bruder Cân ist der einzige meiner Brüder, der keine "Glückshaut" besitzt. Das kam wegen seiner von Kind auf sehr labilen Gesundheit. Aber er vertrat das bäuerliche Element bei uns, die wir fast alle Intellektuelle und Mandarine waren. Der vietnamesische Bauer war wie der französische Bauer pfiffig, praktisch, bodenständig. Cân sprach ihre Sprache und konnte sich ihnen verständlich machen. Es war Cân, der die mächtige politische Partei organisierte, welche die Politik meiner Brüder Diém und Nhu unterstützte. Er verstand es, beträchtliche finanzielle Mittel aufzutreiben, die für jede politische Organisation nötig sind: durch den Zimthandel. Cân gelang es ohne jedes politische Mandat und obwohl er nicht fließend französisch sprach, der heimliche Gouverneur Zentral-vietnams zu werden.

Er ist nie aus dem Lande hinausgekommen. Er kam selten nach Saigon. Er kennt Tonkin nicht, aber er besaß Schiffe und ging mit Millionen Piastern um. Er war eine Macht. Die offiziellen Gouverneure von Zentralvietnam zogen ihn bei der Verwaltung des Landes zu Rate. Sein Ende war tragisch aber heldenhaft, als würdiger Nachfahre der Ngô.

Nach der Ermordung meiner Brüder Diêm und Nhu durch die von den Amerikanern bezahlten Hau-degen verschwand Cân von der Bildfläche. Er wurde durch eine List des amerikanischen Konsuls in Hué entdeckt - eines Katholiken. Da er wußte, daß Cân mit den kanadischen Redemptoristenpatres von Hué gut befreundet war - Cân hatte den Redemptoristenpatres Millionen für den Bau ihrer schönen Kirche von Hué gespendet - nahm dieser Konsul mit dem Pater Superior des Ordens Kontakt auf und sagte ihm:

"Ich weiß nicht, warum Herr Cân sich versteckt. Wir haben nichts gegen ihn. Wenn Sie sein Vsteck kennen, sagen Sie ihm, daß ein amerikanisches Flugzeug zu seiner Verfügung stehen wird, um sich nach Rom zu seinem Bruder, dem Erzbischof, zu begeben.

Der Pater Superior konsultierte seine Konfratres und nahm mit Cân Kontakt auf. Cân stimmte zu und verlangte vom amerikanischen Konsul ein Dokument in drei Sprachen: französisch, englisch und vietnamesisch, das den Redemptoristenpatres und meinem Bruder versicherte, daß die amerikanische Regierung meinen Bruder nach Rom brächte, um mich zu treffen. Aber am vereinbarten Tag landete ein amerikanisches Flugzeug am Flughafen von Phû-Bâi nahe Hué, nahm meinen Bruder an Bord, flog Richtung Saigon und landete am Flughafen Tân-son-Nhûit in Saigon, um meinen Bruder den Rebellengenerälen zu übergeben, den Mördern meiner Brüder. Das ist die schmutzige amerikanische Politik, das wahre Gesicht der CIA - per fas et nefas.

Man tat meinen Bruder in ein Versteck, Tag und Nacht in einem Käfig bewacht. Man machte ihm einen politischen Prozess. Man verurteilte ihn zum Tod durch Erschießen. All das konnte geschehen durch Zulassung der Vorsehung Gottes. Man muß sagen, Cân war - in religiöser Hinsicht - am wenigsten katholisch von uns. Er erfüllte seine Osterpflicht, er schlief erst ein, nachdem er seinen Rosenkranz gebetet hatte, nahm jeden Sonn- und Feiertag an der hl. Messe teil, war mildtätig, aber er war nicht eifrig und beschränkte sich auf die Osterkommunion. Gott duldete den Hinterhalt, der von den Amerikanern gegen ihn gelegt wurde, und erlaubte den ungerechten Prozess gegen ihn, damit er als Christ sterben konnte.

In seinem Käfig empfing er mehr als einen Monat lang jeden Tag die hl. Kommunion mit dem Beistand eines vietnamesischen Redemptoristenpaters, eines Patenkindes meines Bruders Diêm. Er starb tapfer, den Rosenkranz in einer Hand und mit der anderen Hand den Soldaten des Exekutionshaufens sein Herz zeigend, indem er schrie: "Zielen Sie hierhin! Es lebe Vietnam!" Wenn er als wenig eifriger Christ gelebt hat, so starb er als wahrer Katholik und Vietnamese ohne Angst.

Unser jüngster Bruder Luyên ist derjenige, der eine sorgfältige und vollständige Ausbildung erhielt dank der Hingabe meiner Brüder Khôi und Diêm. Nach dem Grundschulunterricht bei den Brüdern in Hué wurde er mit 12 Jahren nach Frankreich geschickt. Er kam in die sechste Klasse des Colléges von Juilly bei den Oratorianerpatres. Luyên war sehr intelligent, immer der Erste seiner Klasse. Von der sechsten sprang er in die vierte und dann in die zweite Klasse. Er machte sein Abitur und schaffte es, in die Ecole Centrale des Ingénieurs in Paris einzutreten, und ging als Ingenieur aus ihr hervor. Er kehrte nach Vietnam zurück, wurde Katasterdirektor, zuerst in Vietnam, dann in Kambodscha, das damals unter französischem Protektorat war.

Als mein Bruder Diêm zum Gouverneur von Südvietnam ernannt wurde, führte Luyên die südvietnamesische Delegation nach Genf in der Schweiz, um über das Schicksal Vietnams zu diskutieren. Südvietnam, das isoliert war, konnte die Trennung von Nordvietnam nicht vermeiden, das außer Tonkin die Zentralprovinzen bis zum Fluss Cua-Tung umfaßte.

Südvietnam unter der Führung von Luyên weigerte sich, die Genfer Konventionen zu unterschreiben, konnte aber nicht anders, als sich in diese Niederlage zu schicken. Diêm steckte all seine Energie in die Vorbereitung der Revanche durch Bildung einer starken Armee, eine vorbildliche Verwaltung, die Vereinigung Südvietnams, indem er alle Privatarmeen beseitigte, denn als Diêm auf Ersuchen des Kaisers Bao-dai, der von Frankreich wieder auf den Thron gesetzt worden war, nach Saigon zog, war diese neue Hauptstadt mit ihrer unmittelbaren Umgebung das Lehen von Bay Viên, einem Banditen. Die Provinz von Tây-minh war das Lehen der Caodaisten, diejenige von Soetrang war das Lehen der Hoa-haô.

Mein Bruder Diêm bestätigte Luyên in seiner Rolle als Botschafter, einer Rolle, die ihm von Bao-dai anvertraut worden war, der in London residierte, wobei er sein Land in Belgien, Holland, Österreich und Tunesien vertrat. Die Verbindungen zwischen Bao-dai und Luyên hatten begonnen, als beide in Frankreich waren, mein Bruder Schüler des Collèges in Juilly und Bao-dai, der in Paris wohnte, bei Monsieur Charles, früherer oberster Gouverneur von Annam unter der Herrschaft von Khâi-dinh. Dieser hatte den Prinzen Monsieur Charles zur Ausbildung anvertraut. Ich war damals in Paris im Institut Catholique, um ein Lizenziat fürs Lehramt zu erwerben, und brachte sonntags Luyên zum Erbprinzen, der sich damals Vinh-Thay nannte und dessen Herrschername später Bao-dai war, damit er mit ihm diesen freien Tag verbrachte. Die beiden Jungen spielten zusammen mit Murmeln und andere Spiele.

Diese Verbindungen ermöglichten es Luyên, Bao-dai die Erwählung meines Bruders Diêm für die Aufgabe zu melden, sich der Absorption Südvietnams durch den kommunistischen, von Ho-chi-Minh regierten Norden zu widersetzen.

Dank seiner Diplomatenrolle in Europa entkam Luyên dem Schicksal meiner drei Brüder, die in Vietnam geblieben und durch die von der amerikanischen CIA bezahlten abtrünnigen Generäle ermordet worden waren, während mir selbst, da ich als Mitglied des II. Vatikanischen Konzils in Rom zurückgehalten wurde, auch das Leben gerettet wurde, obwohl ich bei der Regierung des Südens und bei Paul VI. mein Möglichstes getan hatte, nach Hué zurückkehren zu können, um mit meinen Schäfchen zu leben oder zu sterben, da ich als Erzbischof ihr Hirte war.

Luyên ist heute Oberhaupt einer Familie mit zwölf Kindern. Das 13., eine Tochter, starb 1976 bei einem Autounfall. Die ältesten sind verheiratet oder verdienen ihr Geld anderweitig. Luyên, gealtert und von schwacher Gesundheit, ist immer noch unserer hl. Religion treu und kommuniziert jeden Sonntag. Er hat ein gutes Gedächtnis, und ich versuche, ihn davon zu überzeugen, seine politischen Memoiren zu schreiben, da er das Thema perfekt kennt, während ich selbst mich ausschließlich mit meinen Aufgaben als Bischof befaßte.

Nach diesen paar Seiten, die meinen Eltern und Geschwistern gewidmet sind, komme ich zurück auf die Erinnerungen an mein armseliges Leben, ein Leben überhäuft mit den barmherzigen Aufmerksamkeiten des lieben Gottes. Ich habe kurz von meinen Studien in Rom, in Paris erzählt, von den Anfängen meines priesterlichen Dienstes in Hué, zuerst als Professor bei den vietnamesischen Brüdern (einer von meinem geistigen Vater Mgr. Joseph Allys, apostolischer Vikar von Hué, gegründete Kongregation), unter dem Superiorat von Pater Hô-ngoc-Cân, dem späteren ersten Bischof von Bnû-Chu in Tonkin. Nachdem ich Professor am Großen Seminar von Hué, offizieller Direktor des Collège secondaire de la Providence von Hué geworden war, wurde ich zum apostolischen Vikar in Vinhlong ernannt. Dieses Vikariat enthielt die Provinzen Vinhlong, Bentri und einen kleinen Teil von Sadec - einem vom apostolischen Vikariat Saigon abgetrennten Gebiet, das man früher Vikariat von West-Kotschinchina nannte, während das apostolische Vikariat Quin-hon sich östliches apostolisches Vikariat nannte und das von Hué nördliches apostolisches Vikariat hieß.

Mein Vikariat hatte 1938, als ich in seinen Besitz kam, etwa sechzig Priester und weniger als 100000 Katholiken auf mehr als eine Million Einwohner. Es ist ein Land schöner Gärten und vor allem guter Reisfelder. Unsere Priester von Kotschinchina sind von leutseligem und einfachem Charakter, sie sind nicht förmlich und kompliziert wie die von Tonkin, weil die Kotschinchinesen von der Rasse der Siedler waren, die geschickt wurden, um Südvietnam zu besiedeln, das den Kambodschanern und den Cham entrissen worden war, während die Zentralvietnamesen (zu denen ich gehöre) ernsthafte Menschen sind, schwer arbeitend, da die Mitte nicht fruchtbar ist wie der Süden: armes Land, mutige und nachdenkliche Rasse. Aus dem Zentrum stammten die Regierenden Vietnams und auch die Revolutionäre wie Ho-chi-Minh.

Das hat sich auch in kirchlicher Hinsicht bewahrheitet. Von den vier ersten vietnamesischen Bischöfen waren drei aus Zentralvietnam: Mgr. Dominique Hô-ngoo-Cân, Mgr. Lê-hûû-Tû und ich selbst. Ein einziger, der erste, war aus dem Süden, Mgr. Nguyên-ba-Tong. Kotschinchina, ein sehr reiches Land, war verwaltungsmäßig bei meiner Beförderung zum Bischof von Vinhlong eine französische Kolonie. Die Kotschinchinesen waren "französische Untertanen" und viele von ihnen erwarben die französische Staatsbürgerschaft, auf die sie stolz waren und ihre Landsleute aus Zentralvietnam, die nur "französische Schützlinge" waren, als Bürger zweiter Klasse betrachteten, spöttisch "bân" genannt, d.h.: Volk der Dschunken, in Anspielung auf die Dschunkenruderer aus dem Norden und aus Zentralvietnam, die zum Handeltreiben in den Süden kamen.

Jedoch hat der Hl. Stuhl die Augen auf einen "bân", einen Sohn eines Dschunkenfahrers (obwohl ich Sohn eines Ministers des Kaisers und Doktor der Universitäten Roms war), geworfen. Die Franzosen aus Kotschinchina wunderten sich auch über diese Wahl, und eine französische Zeitung aus Kotschinchina sagte dem neuen Bistum eine sehr traurige Zukunft voraus, da dieses Bistum, einem Sohn von Neubekehrten anvertraut, Gefahr lief, den Glauben zu verlieren, der das Erbteil der Franzosen war... Ich kannte jedoch diese Mentalität der Leute aus dem Süden nicht und fand mich als einziger meiner Art, ohne Freund, ohne Bekannte wieder. Vielleicht hat mich diese Unwissenheit gerettet, denn ich benahm mich einfach wie ein Bruder unter anderen Brüdern. Da ich keinen Priester besonders kannte, behandelte ich sie wie Freunde.

Wie ich auf den ersten Seiten von "Misericordias" gesagt habe, hat Mgr. Dumortier, apostolischer Vikar von Saigon, vom Hl. Stuhl damit beauftragt, das Personal des neuen apostolischen Vikariates von Vinhlong zu rekrutieren, die Besten aus dem Klerus von Kotschinchina zu sich genommen und all seine französischen Missionare zurückgezogen. Ich kam in die Stadt Vinhlong, den Bischofssitz, ohne Haus für den Bischof, ohne einen Priester, der mich empfangen hätte, denn der Pfarrer von
 
(c) 2004-2018 brainsquad.de