"Der Buchstabe tötet, der Geist aber belebt." (2 Kor 3,6)
von
Eberhard Heller
Die nachfolgenden Ausführungen sind gedacht als Ergänzung,
Kommentierung zu meinen früheren Artikeln, u.a. "Gott ist die
Liebe..." vom Sept. 2011 bzw. als deren Weiterführung, in denen es immer
wieder um das Thema ging, wie das Verhältnis Gottes zu den Menschen zu
verstehen ist und welche Konsequenzen sich daraus für das Verhältnis der
Menschen zum einen zu Gott und zum anderen zu den Mitmenschen ergeben. Dabei
sind die folgenden Darlegungen darauf gerichtet zu zeigen, wie man selbst in
diesen Diaspora-Zeiten, d.h. der Vereinzelung der Gläubigen, die meist ohne
priesterliche Betreuung auskommen müssen, sein Leben direkt oder indirekt in
den Dienst Gottes stellen kann und soll.
Wie aber kann ich mir Zutritt zur Grundidee unseres
christlichen Glaubens verschaffen? Indem ich die Frage beantworte: Was will
Gott von mir? Welchen Willen hat er, der absolut Heilige und Erhabene mir bzw.
uns allen kund getan? Ich komme immer wieder auf diese Szene zurück, die für
mich ein Schlüsselerlebnis für das ist, was Gott von uns will. Als Christus vor
seiner Himmelfahrt Petrus zu seinem Stellvertreter hier auf Erden bestellen
wollte, fragte er ihn dreimal: "Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich
mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe.
Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer! Zum zweiten Mal fragte er ihn: Simon,
Sohn des Johannes, liebst du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, daß
ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe! Zum dritten Mal fragte
er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil
Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Liebst du mich? Er gab ihm zur
Antwort: Herr, du weißt alles; du weißt, daß ich dich lieb habe. Jesus sagte zu
ihm: Weide meine Schafe!" (Joh 21,15-17) Mit diesem Auftrag erwählt
Christus Petrus zu seinem Verwalter, zu seinem Stellvertreter. Er setzt ihn in
dieses Amt ein mit allen Vollmachten, um die von ihm gegründete Kirche aufzubauen
und zu führen. Christus stellt mit Petrus keine Examen an: "Wie würdest du
den Fall X lösen nach dem Prinzip der Gerechtigkeit, wie würdest du ihn
beurteilen nach dem Prinzip der Barmherzigkeit. Nein! Es genügt die Antwort:
"Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe."
Und diese Liebe, die in diesem Fall eine Wechselbeziehung
zwischen Christus und Petrus darstellt, ist auch die Basis, auf der unser
Glaube steht, auf der der Herr auch mit uns einen Bund eingeht, ihn mit allen
Menschen schließt, die nach ihrem persönlichen Sündenfall die Sühneleistung
annehmen, die er für uns erbracht hat.
Darüber hinaus möchte ich zeigen, wie aus diesem
Aufrufverhältnis - mit dem Ziel der Bundesbildung - nicht nur dieses Verhältnis
selbst unmittelbar gestaltet werden kann, sondern ich möchte darüber hinaus
darlegen, wie sich aus dieser unmittelbaren Beziehung für den Menschen auch
mittelbar alle anderen Bereiche des Lebens entfalten und gestalten lassen.
Diese Lebensforen liegen dann nicht einfach disparat weit auseinander - was hat
z.B. die Atomphysik mit der Arbeit in einer Schneiderei oder in der
Landwirtschaft zu tun? -, sondern aus dieser Sicht ergeben sie ein komplexes
Ganzes, ein System von Momenten, die alle in einem direkten Bezug zu einander,
aber auch in einer Relation zu Gott und der Realisierung seines Bundes stehen.
Es geht mir dabei nicht um eine philosophische Deduktion aus
einem obersten Prinzip - in diesem Falle wäre es das absolute Soll der
Sittlichkeit und Wahrheit -, sondern um eine Interpretation, um eine
erweiternde Entfaltung von Gottes Aufrufen an die Menschen, wobei gezeigt
werden soll, daß aus der einen Forderung gleich weitere implizit darin
enthalten sind.
Man wird verstehen, daß ich im Rahmen dieser Darlegung mein
Vorhaben nur skizzieren kann. Mit dieser Hinsicht auf den systematischen
Zusammenhang, den wir herstellen können, möchte ich erreichen, daß wir, die wir
nun einmal in dieser verwirrenden Zeit leben, in der nicht nur die Kirche ihrem
Auftrag untreu geworden ist, sondern auch andere Systeme dabei sind, zu
kollabieren, unser Augenmerk darauf richten, was wir trotzdem an Aufgaben
realisieren können, die wir in den Dienst Gottes stellen können. (Wir sollten
aufhören zu lamentieren und nicht einer sakramentalen Versorgung hinterher
weinen, die es so wie bisher bald nicht geben wird.) Denn wir können in allen
anderen Bereichen - ich nenne hier einfach einmal: Wissenschaft, Technik,
Caritas, Handwerk etc. - im Hinblick auf Gott segensreich wirken und ein
ausgefülltes und erfülltes Leben führen. Nehmen wir allein den Auftrag Gottes
an Adam und Eva: "Wachset und mehret euch." (Gen 1,28) Was bedeutet
er? Doch nicht nur die Versorgung mit Lebensmitteln, womit der Aufbau von
Ackerbau und Viehzucht in diesem Auftrag mit enthalten sind, und die Weitergabe
des Lebens bloß in biologischer Hinsicht, sondern auch das geistige Zeugen der
Kinder, d.h. die von Gott empfangene Liebe an die Kinder zu übergeben. Aber
darüber mehr weiter unten.
Dabei ist das Grundschema der Schöpfung und später der
Offenbarung Gottes sehr einfach: Gott hat die Menschen erschaffen, um sie an
Seiner Liebe teilnehmen zu lassen, die sie wiederum Gott erwidern und sie
untereinander verbreiten sollen. Johannes beschreibt dieses spezifische
Verhältnis Gottes zu den Menschen: "Laßt uns einander lieben! Denn die
Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und kennt Gott.
Wer nicht liebt, der erkennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin wurde
offenbar die Liebe Gottes an uns, daß Gott seinen eingeborenen Sohn sandte in
die Welt, damit wir leben durch ihn." (1 Joh. 4,7-9)
Gott läßt seinen Sohn Mensch werden, einmal, um den Menschen
diese Liebe konkret, d.h. im interpersonalen Zusammensein zu vermitteln und zum
anderen, um ihnen die Früchte seines Sühne-todes zukommen zu lassen für all
jene Menschen, die in Sünde gefallen sind und die sich diese Sühneleistung
aneignen wollen, um so wieder in den Bund mit Gott eintreten zu können, in den
Neuen Bund, der durch Christus eröffnet wurde.
Um diese Beziehung zu Gott im Neuen Bund auch in konkreten Akten
zu verwirklichen, hat Christus die Sakramente eingesetzt, die eine unmittelbare
Teilhabe am Leben Gottes in jeweils bestimmten Formen eröffnen. Zur Verwaltung
dieser Gnadenmittel, die er Priestern übertragen hat mit besonderen Vollmachten,
und zur authentischen Weitergabe seiner Botschaft, dem Evangelium, hat er die
Kirche als (Heils-) Institution gegründet. Diese Gründung ist für alle Menschen
eingerichtet, weswegen Christus den Befehl zur allgemeinen Missionierung gibt. "Und
er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller
Kreatur." (Mk 16,5) Daraus erwächst
für jeden für uns die Aufgabe, für die Wahrheit einzutreten und Gottes Wort
auch zu verteidigen.
Diese Bundesidee ermöglicht die Ausgestaltung eines
Gesamtkonzeptes für das geistige Sein. Neben dem Verhältnis zu Gott, welches
sich im Religiösen abspielt, entsteht ein System von Ichen - "Wachset und
mehret euch." (Gen 1,28) -, die sich gegenseitig annehmen (sollen) unter
der Voraussetzung gegenseitiger Liebe: "Du sollst deinen Nächsten lieben
wie dich selbst" (Mk 12, 31, Lev. 19,18). Dieses Prinzip soll nach Paulus
(Eph. 3, 16-19) unser ganzes Leben ausgestalten: "Er [Gott] möge euch nach
dem Reichtum Seiner Herrlichkeit verleihen, daß ihr durch Seinen Geist dem
innern Menschen nach kraftvoll erstarket; daß Christus durch den Glauben in
euren Herzen wohne und ihr selbst in der Liebe festgewurzelt und gegründet
seiet. So möget ihr mit allen Heiligen begreifen die Breite und Länge, die Höhe
und Tiefe, und auch die Liebe Christi verstehen, die alles Erkennen übersteigt,
und so mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt werdet." An anderer Stelle
beschreibt er die Liebe als conditio sine qua non der gesamten menschlichen
Existenz: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die
Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn
ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis
und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe
nicht, so wäre ich nichts." (1. Kor. 13, 1-2)
So entsteht durch dieses Gebot die Aufgabe, sich um den
Nächsten als jeweils so beschaffenes Individuum zu kümmern. Die Personen treten
so in einen Zusammenhang, bilden ein System von Ichen, in dem jedes Ich seine
Individualität ausprägen kann und soll. Leon Bloy bestimmt diese Individualität
aus der jeweiligen Sicht auf Gott hin: "Was die einzelnen Personen als
solche bestimmt, ist die besondere Schau, die jeder Mensch von Gott hat."
("Schrei aus der Tiefe", S. 15)
In diesem Interpersonal-Nexus entsteht die Auffaltung aller
Aufgaben, im geistigen und materiellen Bereich, die die Existenz des
Gesamt-Systems sowohl in geistiger als auch in physischer Hinsicht absichert,
d.i. die Entfaltung aller geistigen
Fähigkeiten (Geistesgaben), aber auch der körperlichen Kräfte:
"Machet euch die Erde untertan" (Gen 1,28), was heißt, daß ich sie -
die Erde - zum Material meiner Pflicht umforme, um dadurch meine Intentionen zu
objektivieren. Insoweit kann Arbeit auch objektivierte Moral bedeuten, wenn ich
meine moralisch inspirierten Ideen in die Tat umsetze. Paulus geht auf diesen
interpersonalen Nexus der Iche auch ein: "Denn ich sage durch die Gnade,
die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als
sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder,
wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat. Denn wie wir an "einem"
Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind
wir viele "ein" Leib in Christus, aber untereinander ist einer des
andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.
Ist jemandem prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. Ist
jemandem ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemandem Lehre gegeben, so lehre er.
Ist jemandem Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit
lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand
Barmherzigkeit, so tue er's gern." (Römer 12,3-8)
In dieser Liebe ist also auch inbegriffen die Hilfe für den
Nächsten, der in Not geraten ist. Ihm gegenüber sollen wir Barmherzigkeit üben.
Und da fällt uns das wieder ein, was wir im Katechismusunterricht vor vielen
Jahren von der Ausübung der Barmherzigkeit gelernt haben: da gibt es doch
einmal die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit, denen sieben im
geistigen Bereich entsprechen.
Die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit beinhalten:
- die Hungrigen speisen,
- den Durstigen zu trinken geben,
- die Nackten bekleiden,
- die Fremden beherbergen,
- die Gefangenen erlösen,
- die Kranken pflegen,
- die Toten begraben.
Die sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit, die ich
geistig in Not Geratenen zukommen lassen soll, verlangen:
- die Unwissenden belehren,
- die Zweifelnden gut beraten,
- die Sünder zurechtweisen,
- die Betrübten trösten,
- denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen,
- die Lästigen (das Unrecht) geduldig ertragen,
- für Lebende und Verstorbene beten.
Und wie Gott die Menschen erschaffen hat, um ihnen Seine
Liebe zu schenken, sie daran teilnehmen zu lassen, so fordert er von ihnen,
Seine Liebe zu erwidern (d.i. in freiem
religiösen Interagieren), so gibt
er ihnen auch den Auftrag, in diese Zeugung einzusteigen, indem Er die Menschen
als Mann und Frau schuf und zu Adam und Eva sagt: "Wachset und mehret
euch!" (Gen. 1,28), wobei der Akt der Weitergabe des Lebens (in der Ehe)
zum einen der intimste Akt, zugleich aber auch der objektivste ist. Dieser
biologischen Zeugung muß aber die moralische folgen, d.h. die Eltern müssen
ihre Kinder in Liebe erziehen. Sie vertreten gleichsam Gottes Stelle an ihnen.
Über das Verhältnis von Mann und Frau schreibt der hl. Paulus, nachdem er über
die Unterschiedlichkeit der beiden Geschlechter gesprochen hat: "Es gilt
aber im Herrn weder der Mann unabhängig von der Frau noch die Frau unabhängig
vom Mann; denn wie die Frau aus dem Mann, so ist auch der Mann durch die Frau;
alles aber ist aus Gott." (1 Kor 11,11 f.) (N.b. es gibt auch Eltern, die
ihren Kindern das physische Leben schenken, ihnen aber die geistig-moralische
Zeugung verwehren. So treiben sie die Kinder gleichsam geistigerweise ab.)
Da wir uns schon mit der Genesis beschäftigen, die die
Schöpfung aus der Sicht eines Beobachters beschreibt, der Gottes Handeln
beschreibt, können wir auch von einem weiteren Auftrag des Schöpfers reden:
"Machet euch die Erde untertan." (Gen 1,28) Das bedeutet in
moralischer Hinsicht nicht nur, die Welt als Material unserer Pflicht
aufzufassen, sondern auch die Ausgestaltung unserer Fähigkeiten, die Welt zu
beherrschen, sie zu bearbeiten - das meint die Entfaltung jeglicher
handwerklicher Technik, die Arbeit als Landwirt, Fischer, Jäger, Förster,
Maurer, Arzt etc., was das Wissen über diese "Erde" voraussetzt:
gewonnen durch Biologie, Zoologie, Physik, Chemie, Geo-logie, Medizin etc. Dazu
gehört auch die Arbeit des Architekten, der das Zusammenwohnen von Menschen
würdig gestalten soll. Deswegen können die Arbeiten in all diesen Bereichen,
der Weiterentwicklung durch Forschung, im weiteren Sinne auch als
"Gottesdienst" zu lesen sein, denn sie leiten sich aus Seinen
Aufträgen ab. Und damit können wir auch
ein ganz modernes Problem angehen: den Schutz der Umwelt und auch da in "Gottes
Dienst" eintreten. Gott hatte nicht gesagt: "Verbraucht bzw.
mißbraucht die Erde", sondern "macht sie euch untertan."
Von der unmittelbaren praktischen Vorgabe, dem Bund mit
Gott, wird auch dessen reflexive Aufarbeitung gefordert, d.h. der Bund
impliziert seine theoretische Transparenz. Wir müssen den, mit dem wir den Bund
schließen auch als Gott erkennen, was einen weiten Bereich der Erkenntnis
eröffnet: direkt die religions-philosophische Sicht, darüber hinaus aber auch
den gesamten philosophischem Bereich, da sich Philosophie nur als
Systemwissenschaft entfalten und darstellen kann.
Als Gott im brennenden Dornbusch zu Moses sprach: "Ich
bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott
Jakobs" (Ex. 3,6) und "Ich bin, der ich bin" (Ex. 3,14), meinte
er nicht, daß jeder dieser genannten Personen sich einen Gott 'gemacht' hatten,
der zufällig mit dem identisch ist, der zu Moses sprach, sondern daß sie - jeder
für sich - sich einen überzeugenden Begriff von Gott gebildet hatten. Es geht
hier um den je individuellen Zugang zu Gott in der Reflexion und um dessen
theoretischer Darstellung, die uns ja auch aus allen Schriften des Alten und
Neuen Testamentes entgegentritt. Man denke nur daran, in welch theologischer
Tiefsicht die Schriften des hl. Johannes abgefaßt sind oder die Briefe des hl.
Paulus, der doch der antiken Welt, die in philosophischer Hinsicht bereits
große Höhen erreicht hatte, begreiflich machen wollte, daß in Christus sich der
Sohn Gottes den Menschen offenbart hatte, ein religions-philosophisches
Unternehmen, welches durch viele Verirrungen und Wirrungen erst mit der Formel
von der "hypostatischen Union" des Cyrill von Alexandrien im Jahre
431 ihr Ende gefunden hatte, wonach in der Person Christi beide Naturen, die
göttliche und die menschliche, vereinigt sind... eine Formel, die durch die
Konzilien von Ephesos (431), von Chalcedon (451) und das 2. Konzil von
Konstantinopel (553) ihre lehramtliche Bestätigung erfuhr.
Geht es aber um Darstellung, dann ist es auch legitim, die
Wahrheit, d.i. konkret Gott, auch in der Kunst darzustellen, und von da
ausgehend auch alle anderen Aspekte der Schöpfung Gottes. So entstanden auch -
ausgehend von der Verbreitung des Evangeliums - überall dort, wo die hl. Messe
gefeiert wurde, Kirchenbauten, die nicht reine Versammlungshallen waren,
sondern eine künstlerische Ausgestaltung erhielten, die zur Verherrlichung
Gottes beitrug bzw. beitragen sollte. Es wurde die "himmlische" Musik
gestaltet, die musica sacra, die den Chören der Engel nachempfunden sein
wollte. Ich spreche hier nur den Bereich der künstlerischen Ausformung an, der
sich unmittelbar auf die religiösen Aspekte bezieht. Eine Entfaltung der Kunst,
d.i. einer freien Gestaltung der Wirklichkeit, kann so auch mittelbar in die
Verherrlichung Gottes einbezogen werden.
Die Realisation der Liebe als eines freien Zusammenschlusses
zweier Willen erfordert von sich aus wiederum die Anerkennung des anderen als
freien Willen und dessen Sphäre der Freiheit und des freien Gestaltens. Der
Respekt vor dem anderen ist die Voraussetzung zu einem freien Zusammenschluß
in Liebe. Dieser Respekt eröffnet gegenüber dem moralischen Bereich den Bereich
des Rechtes, welchen man auch definieren kann mit dem lateinischen Spruch
"suum cuique" (jedem das Seine). Der ist wiederum die Grundlage für
die Bildung primär rechtlich strukturierter Gesellschaften, d.s. Staatsgebilde,
der Bewahrung und Durchsetzung des Rechtes, welche alle Stufen von
Rechtsdurchsetzung (Polizei, Militär) und Rechtsprechung (Richter,
Rechtsanwälte) mit einschließt.
So erlaubt das Christentum nicht nur die Entfaltung von
Kunst, Wissenschaft, Technik, sondern fordert deren Realisierung direkt heraus.
Vom Jesusknaben heißt es, als seine Eltern ihn unter den Schriftgelehrten im
Tempel wiederfanden, daß er ihnen "untertan" war, d.h. er hat nicht
nur Hobel-späne aufgekehrt, sondern seinem Ziehvater Joseph in der
Tischlerwerkstatt geholfen.
Viele haben diese Liebe, die im Neuen Bund ihren konkreten
Ursprung in Christus hat, der nicht nur die unmittelbare Vereinigung zweier
Personen in einem Verhältnis beinhaltet, sondern die gleichsam in eine
Überliebe mündet, die auch die negativen Entscheidungen durch Sühne aufheben
will, nicht erfahren. Denn sie beinhaltet auch ein enormes Zutrauen in Gott,
seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Man gebe diesen Leuten Zeit, übe ihnen
gegenüber Geduld. Nicht hinnehmbar ist es, wenn angebliche Glaubenshüter, die
selbst nicht wissen, was es heißt zu lieben, die ihre Religion auf ein paar
theologische Sätze (aus dem Kirchenrecht!) reduziert haben, sich zu Richtern
über jene erheben, die versuchen, dieses göttliche Gebot mit all seinen
Mühsalen umzusetzen.
Ich habe, wie oben gesagt, diese programmatische Darstellung
für ein Leben im Dienste Gottes nur skizzenhaft ausgeführt. Sie sollen ja auch
nur Anregung sein zur eigenen Gestaltung eines Lebens, welches sich unter den
heutigen Bedingungen der heutigen Situation etwas anders organisieren muß als
unter der Realität einer intakten Kirche, die ihre Funktion als
Heils-Organisation wahrnimmt. Natürlich ist es bitter, vielfach von den
Gnadenströmen abgeschnitten zu sein, die für uns - in diesem christlichen
Umfeld - früher einmal flossen. Gott hat uns an diesen historischen Ort
gestellt und uns die Gestaltung Seines Willens als Aufgabe gestellt. Wir haben
überhaupt keinen Grund und keine Zeit zum Jammern; denn die Aufgaben im
sozialen, im religiösen und allen anderen Bereichen sind so vielfältig und
komplex in einer Welt geworden, daß sie an die Grenzen ihrer Beherrschbarkeit
gestoßen scheinen.
Natürlich kann man auch versuchen, dieser Diaspora-Situation
durch das Unterschlüpfen bei Organisationen zu entkommen, die vorgeblich die
Kirche zu repräsentieren scheinen. Aber ist dem Witwer geholfen, der den Tod
seiner Frau beklagt, wenn er seine sexuellen Triebe in einem Haus befriedigt,
welches keine wahre Liebe schenkt?