Bewegt sich die christliche Dichtung wirklich im Abseits?
von Magdalena S. Gmehling
Natürlich, es gibt sie die christlichen, ja sogar die konfessionsgeprägten Dichter. Nur - ihr Markt-wert ist gesunken. Wenige lesen ihre anspruchsvollen Texte. Ihnen Ist wie Leon Bloy sagen würde: "ein trauriges Los auf dem katholischen Büchermarkt beschieden."
Ich erinnere an die, am Josefstag, dem 19. März 2009, verstorbene Grand Dame deutscher Zunge, Gertrud Fussenegger, eine Gestalt von wahrhaft humanistischem Geist. Sie war Biografin, Historikerin und Lyrikerin von hohen Graden. Ihr Werk, welches Elemente der "renouveau catholique" in unaufdringlicher Präsenz darbietet, ist einem ungebrochenen Realismus, einem tiefen Ernst verpflichtet. Schaffensfroh bis zum Ende ihres langen Lebens - sie wurde 96 Jahre - ist von ihr ein ergreifendes Wort überliefert. Es bezieht sich auf ihren Roman "Zeit des Raben, Zeit der Taube". "Wenn ich mal gestorben bin, dann legt's mir das unter den Kopf,- dann kann ich ohne tiefere Ängste ins Jüngste Gericht hineingehen". Welch wunderbare christliche Sicht der eigenen Bedeutung.
Gedacht sei auch des Geistesriesen, Epikers und Bekenners, Alexander Solschenizyn. Am 30. Juni 1975 hielt er eine programmatische Rede vor dem amerikanischen Gewerkschaftsverband. Er setzte moralische Maßstäbe die überzeitlich gültig sind. Sie lauten sinngemäß: Die Sittlichkeit steht über dem Recht und dies sei mit der Seele und dem Herzen anzuerkennen.
Man lese den Lobgesang der reinen Schöpfung "To Axion esti" des Sprachmagiers Odysseas Ale-doupelis alias Odysseas Elytis (1911-1996), in welchem sich ein ungeheurer Zauber des Wortes mit Elementen des Alten Testamentes, der antiken Dichtung, und der byzantinischen Liturgie, zu surrealistischen Visionen verbindet. Das Zentrum des Werkes beschreibt bereits der Titel "Gepriesen sei". In der Praefatio der orthodoxen Messliturgie beginnt das Preislied der Theotokos, der Gottesgebärerin, der ewig Seligen, Untadeligen, mit den Worten " Es ist wahrhaft würdig (axion estin) dich in deiner Seligkeit zu preisen ... ". Der Leser steht also vor einem religiösen Werk. Der ganze Kosmos wird hymnisch dargebracht. Die Wandlung der Welt ersehnt. Prophetisch schreibt Elytis in der sechsten Lesung, was der verbannte Dichter-Prophet in seinem Jahrhundert sieht:
"Ich sehe die einst stolzen Völker den Wespen überlassen und den Brennesseln. Ich sehe Beile in der Luft die Büsten der Kaiser und Generäle zerschmettern. Ich sehe, wie die Kaufleute gebückt den Gewinn ihrer eigenen Leichen einstreichen. Ich sehe die Verflechtung der geheimen Gedanken."
Am 7. August 1960 erlag der bedeutende katholische tschechische Dichter, Jan Zahradniceck, der Häftling Gottes, einem Erstickungsanfall. Sein Werk von schmerzdurchwobener Schönheit wurde auszugsweise durch Prof. Nikolaus Lobkowicz übersetzt und in deutscher Sprache zugänglich. Es sei hier eine Stelle zitiert, die auch im Jahr 2010 typisch anmutet: Solch eine grausame Zeit.! Zeit der verstummten Türme, der ausgehobenen Tabernakel. Wie die Silberlinge des Judas, verächtlich geworfen den hochmütigen Juden vor die Füße, so rollen die Menschen auseinander auf dem schrecklichen Boden der Welt! weit voneinander!und nun klauben einzeln sie auf der Königsmörder gierige Finger ..."
Als ich mich vor Jahren bemühte, Texte aus den 1929 erschienenen "Hymnen an die Kirche" der unvergessenen Gertrud von Le Fort, bei einer Rundfunkanstalt in Erinnerung zu bringen, bedeutete man mir, solch pathetische Sprache sei nicht en vogue. Die Dichterin, die übrigens - wie symptomatisch - am 1. 11. 1971, einem Allerheiligentag verstarb, sah ihre Wirksamkeit wie folgt: "Ich möchte also selbst meine Dichtung von dem Wunsch aus verstanden wissen, aus den individuellen Schranken herauszuspringen. In diesem Wunsch fallen bei mir die dichterische und die persönliche Entwicklung zusammen. Das wird besonders deutlich an meinem ersten Buch 'Hymnen an die Kirche', dem eigentlichen Fundament meiner ganzen Dichtung. Sie haben in ihren Anfangsteilen noch ganz individuelles Gepräge, ihr Sinn aber ist die Überwindung der individuell bestimmten einsamen Religiosität in die überpersönlich gebundene der Kirche" ( Quelle: handschriftliche Notiz zu einer Lesung).
Auf meinem Schreibtisch liegt eine undatierte Farbpostkarte des Jodbades Heilbrunn. In feingliedriger, sorgfältiger und strenger Schrift ist hier ein Gruß fixiert. Willenskraft und Festigkeit, Zielgerichtetheit und Energie, ja eine gewisse Unbeirrbarkeit atmen diese Zeilen. Paula Schlier, Schwester des renommierten Neutestamentlers Heinrich Schlier schrieb die Karte. Nur wenigen ist diese verfolgte Dichterin und Visionärin heute noch bekannt. Sie selbst nennt ihre Autobiographie (1975) "Gescheitertes Leben - eine Danksagung". 2007 jährte sich der dreißigste Todestag, von dem kaum eine Publikation Notiz nahm. Und doch hätte diese aufrechte, leidgeprüfte Frau eine Würdigung ihres Schrifttums - trotz dessen Widersprüchlichkeit - verdient.
Erinnert sei auch an das taubstumme Multitalent, Ruth Schaumann. In ihrem Roman "Die Uhr' greift sie ein Thema auf, welches heute brandaktuell ist, einen Fall von Euthanasie aus Liebe. Ihrem priesterlichen Dichterfreund, dem ganz zu Unrecht fast vergessenen Peter Dörfler, gestaltete sie den Grabstein.
Der Franzose, Julien Green, war sicher eine schillernde und von Existentialangst heimgesuchte Persönlichkeit. Man mag zu ihm stehen wie man will. Tatsache ist, dass er sich mit seinem Meisterwerk "Bruder Franz" mit sich selbst und seinem Katholizismus versöhnte.
Im Jahr 1948 verstarb im Krankenhaus von Neuilly Bernanos, dem kein Geringerer als Reinhold Schneider, selbst bedeutender Dichter, folgenden Nachruf widmete:
"Sein entsetzlicher Auftrag war der Kampf mit Satan in all seinen Verhüllungen. Hier hat er diesen Kampf besiegelt - enttäuscht, aber nicht verbittert; ungerecht in manchen Fällen, aber aus dem Zorn der Liebe. Unsere Zeit wird einmal nicht mehr damit verteidigt werden können, dass ihr die Wahrheit nicht gesagt worden sei." (Reinhold Schneider 1950).
1948 wurde in Ottawa der Maler und Schriftsteller, Michael D. O'Brien, geboren, dessen apokalyptische Vision, "Father Elijah", in geradezu genialer Weise Bensons Thematik aus "Lord of the World" in die Jetztzeit transferiert. Seit 2008 liegt das Werk in deutscher Sprache vor. Die Übersetzerin. Gabriele Kuby, schreibt: "Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass Literatur, Film und Theater das Böse und Amoralische als das Normale darstellen, dass wir gar nicht mehr erwarten, durch einen Roman Orientierung auf das Wesentliche zu gewinnen. Doch dies gelingt Michael O'Brien ' meisterhaft'.
Soweit ein kurzer Aufriss bedeutender Namen. Die Frage steht im Raum: Bewegt sich die christliche Dichtung heute wirklich im Abseits? Nun, ich denke wohl, die Problematik liegt auf einer anderen Ebene. Seit der Entwicklung der Schrift, der Erfindung des Buchdrucks gab es kaum eine ähnlich umwälzende Neuerung wie jene des Internets. Der Informationsfluss ist gewissermaßen omnipotent. Die Informationsverarbeitung scheitert oft an der Anonymität der Informanten, an deren Glaubwürdigkeit und wohl auch an der Billigwährung der Inhalte. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich ein Buch zur Hand nehme, lese, recherchiere, verarbeite, anstreiche, erneut lese und überdenke, archiviere und schließlich in ein Gedankengebäude verwebe, oder ob ich ungeprüft das Online-Lexikon als Quelle der Wahrheit betrachte. Ferner ist es ein gewaltiger Unterschied, ob ich mir ein so genanntes christliches Milieu per Bildschirm servieren lasse und also hilflos im Brackwasser rudere bzw. im modernistischen und pluralistischen Dschungel jage, oder ehrlich die großen Werke studiere und verinnerliche.
Ich sehe das Problem der defizitären christlichen Dichtung auch auf dem Gebiet der mangelnden Identifikation. Jeder ehrliche Schriftsteller oder Dichter amalgamiert Fremdes und gebiert schließlich Neues. Mit welcher Spielart des Christentums soll sich der aufrecht Bemühte derzeit identifizieren?
Gibt es also heilige christliche Schriftsteller oder Dichter? Verausgaben sie nicht vielmehr ihr Talent, da sie dem Geruch der Sünde so nahe sind? Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einige der größten Heiligen der Christenheit, die gleichzeitig grandiose Dichter und Schriftsteller waren. Allen voran die geist - und wortmächtige Hildegard von Bingen, die herzbezwingende poetessa Teresa, an Thomas Morus, die leuchtende Fackel in schwärzester Zeit. Die Frage ist also falsch gestellt. Sie muss lauten: gibt es heute solche Personen?
Wo also wird christlichen Schriftstellern und Dichtern ein Forum geboten? Wo können Glaubens-schwund und Glaubenstreue ehrlich diskutiert werden? Wo werden Oberflächlichkeiten und Polaritäten aufgearbeitet? Wer behandelt solch existentielle Fragen wie Abtreibung, vorgeburtliche Selektion und Gnadentod? Wer filtriert die theologischen Spitzfindigkeiten und bietet christliche Weltanschauung in angemessener Sprache? Wer stellt insistierend die Frage: Quo vadis Ecclesia? Gibt es also irgendwo auf dieser heillosen Erde eine Synthese von Person und Werk? Die Heils-botschaft ist ewig jung, ewig neu und berauschend schön. Sie bedarf nur eines an der Harmonie des Heiligen geschulten Sängers. "Wer um die Anrufung des Namens Jesu ringt, müht sich um Liebe, Demut und Geduld. Nur in diesen christlichen Tugenden findet der Heilige Geist seine Wohnstätte." (Makarios der Große; 330-390)". |