Der verborgene Gott ?
von Eberhard Heller
Wir sind es gewohnt, unsere Umwelt, die Natur, unsere Mitmenschen unmittelbar sinnlich wahr-zunehmen. Wir sehen sie, hören sie, riechen sie, schmecken sie. Unsere Eltern, unsere Kinder, der Mann, die Frau, unsere Nachbarn, sie alle haben ein Gesicht, in das wir schauen können. Wir können miteinander kommunizieren. Wir hören sie reden, mit uns, mit anderen, wir hören uns selbst reden. Wir können in ihre unmittelbare Nähe treten, geben uns zum Gruß die Hand, wir können einander umarmen.
Aber wie verstehen und handhaben wir Vorgänge wie z.B. das Telefonieren, wo wir doch auf diesen unmittelbaren Kontakt verzichten müssen, wo wir doch nur eine Stimme hören, die sogar sehr weit weg sein kann, ohne die angewählte Person, mit der wir uns unterhalten, zu sehen? Entweder ist uns die Stimme bekannt und wir verbinden sie mit der uns aus unmittelbarem Kontakt vertrauten Person oder wir hinterstellen einer uns fremden Stimme eine reale Person, die da am anderen Ende der Leitung den Anruf initiiert hat. Inzwischen können wir sogar die betreffende Person im Bild sehen. Wir können audio-visuelle Konferenzschaltungen aufbauen.
Wie verhält es sich nun mit Gott? In welcher Weise können wir mit ihm kommunizieren? Wir sehen Ihn nicht, wir hören Ihn nicht, wir haben Ihn nie unmittelbar erlebt. Wir können auch nicht mit Ihm telefonieren... und wenn doch: Woher sollten wir wissen, daß gerade Gott mit uns spricht? Aus Berichten (der Bibel) wissen wir zwar, daß Sein Sohn, Jesus Christus vor gut 2000 Jahren sich in diese sichtbare Welt begeben hat, daß er als Mensch unter uns weilte und mit seinen Zeitgenossen konkreten Umgang pflegte wie wir es mit unseren Freunden auch tun. Aber er ist nach seinem Sühnetod und seiner Auferstehung in den Himmel aufgefahren, wo er zur "Rechten Gottes" sitzt. Der Glaube lehrt uns dies.
Wie können wir nun mit Ihm, mit allen Personen des trinitarischen Gottes kommunizieren? Wie sollen wir uns Christus, den Gottmenschen, der er auf Erden war, vorstellen? Wir beten Ihn an im Geiste, wir tun das, weil wir Ihn im Glauben als unseren Gott annehmen, als die zweite göttliche Person. Wir machen uns also eine Vorstellung von Gott als Geistwesen. Nicht, daß unsere Vorstellung Gott gleichsam erzeugt! Wir denken Gott als absolut in sich seiend, in sich ruhend. Aber da Er nicht unmittelbar sichtbar ist und wir auf unsere Gebete, unser Sprechen mit Ihm keine hörbare Antwort erhalten - von den wenigen begnadeten Seelen, denen Er sich in einer Erscheinung als Gott offenbart -, so bleibt dieser Gott für uns im Verborgenen... mit den mentalen Schwierigkeiten belastet, die mit einer solchen Kommunikation verknüpft sind. Ein verborgener Gott? Muß er das für uns bleiben? Wie sollen wir, wie können wir uns Ihn als Person konkret - wir beten ja zu Ihm - vorstellen, den wir im Glauben als Gott angenommen haben. Bleibt diese Annahme hypothetisch?
Wir suchen nach Formen, Ihm zu begegnen... im Geiste. Aber Gott ist auch real präsent in der konsekrierten Hostie, in der Er am Altar auf uns wartete - so war's wenigstens einmal. Wir sehen die Gestalten von Brot und Wein, unter denen Er jedoch ebenfalls verborgen bleibt, auch wenn wir Ihn real empfangen. Christus schließt sich durch das Wirken des Priesters in diese Hostie ein, ist in ihr gleichsam gefangen, bereit für den würdigen Empfang, aber auch ausgesetzt der Schändung. Vor etlicher Zeit wurde die Nachricht verbreitet, daß jemand im ebay eine konsekrierte Hostie versteigerte - man kann in den heutigen Zeiten davon ausgehen, daß sie dies nicht war.
Nur selten hat sich mit diesen Hostien etwas ereignet, was wir als Hostienwunder bezeichnen: plötzlich fließt aus einer Hostie Blut hervor, was diese Hostie nun aus dem Naturbereich heraushebt und uns gleichsam als Beweis dienen kann, daß unser Glaube nicht hypothetisch, sondern auf der wahren Realität Gottes basiert und unseren Glauben an die Realpräsenz Gottes unter den Gestalten von Brot und Wein stärkt.
Doch dieser Gott, ist er wirklich nur verborgen bei uns, haben wir wirklich keinen Zugang zu Ihm als Person, können wir sein "Gesicht" nicht sehen? uns keine Vorstellung davon machen? Haben wir nur Zugang zu Ihm durch den Glauben? Und was würde diesen dann rechtfertigen?
Gehen wir noch einmal zurück. Wie unterscheiden wir bloße Natur und ein anderes "Ich", ein "Du". Dieses andere Ich kommt auf mich zu als intentionales Wesen, welches mir durch einen Aufruf seine Vorstellungen, seine Wünsche, seinen Willen vermittelt. Das tut und kann die Natur nicht. Also diese aufgefaßte und verstandene Intentionalität gibt mir die Möglichkeit, das andere Wesen als fremdes Ich, als Du anzunehmen.
Welche Intentionen müssen es sein, die mir den Zugang zu Gott ermöglichen, sein "Gesicht" zu erkennen? Zunächst tritt uns Christus in den biblischen Schilderungen entgegen als derjenige, den der Vater gesandt hat, der "Fleisch angenommen hat durch den Hl. Geist aus Maria, der Jungfrau" und der "Mensch geworden ist". (Glaubensbekenntnis) Je mehr man sich in die Evangelien hinein-arbeitet, sich in sie vertieft, die Texte oder einzelne Textstellen meditiert, um so vertrauter wird einem dieser "Menschensohn", sein "Gesicht" bekommt Umrisse, immer klarere Züge, die wir uns beim Beten ins Gedächtnis rufen können. Die ganze christliche Kunst war bemüht, dieses Bildnis Gottes bzw. Christus zu erstellen, um es uns vor Augen zu stellen. Ein russischer Starze hat einmal einem Besucher gesagt, daß, wenn er Gottes Anwesenheit verspürt, er auch nicht mehr im Gebet reden brauche, sondern daß er mit Gott zusammen schweigt. Das war für den Starzen die höchste Stufe der Begegnung mit Gott. Charles Peguy, der sich besonders geschichts-philosophischen Problemen widmete, soll einmal gesagt haben, daß ihm die Apostel näher seien als seine Nachbarn. Ich selbst habe bei meiner beruflichen Arbeit immer das Problem gehabt, mir vorzustellen, welche Motive Personen für ihr Handeln haben bzw. gehabt haben. Um diese Situation aufzuhellen, habe ich dann alle mir zugänglichen Quellen studiert, um dann tatsächlich einen Weg zu den betreffenden Personen zu finden. Diese Art der Herangehensweise hebt zwar nicht die visuelle Verborgenheit auf. Dafür tritt aber die Bild gewordene Intentionaliät Christi immer klarer hervor.
Die Theologie der Reformation sah um ca. 1530 in der liturgischen Verwendung von Bildwerken abergläubischen Götzendienst und sinnliche Ablenkung von der Frömmigkeit. Die Christusbildnisse, die der Heiligen, der Mutter Gottes wurden dort vernichtet, verkauft oder entfernt, wo die Reformation hauste... mit der Begründung, man könne Gott nicht darstellen, weil man Ihn sonst seiner Göttlichkeit entzöge. Falsch! Gott ist Mensch geworden, er hatte ein "Gesicht". Die Bilderstürmer von damals leugneten gleichsam die menschliche Natur des Gottes-Sohnes.
Gott hat ein "Gesicht" und er hat es uns gezeigt! Wie der hl. Johannes in seinem Prolog ganz lapidar schreibt: "Und wir haben Seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit." (Jo 1,14) Ich wünsche allen, die wegen ihrer besonderen Lage eher ihr Leben im Verborgenen führen, eben jene Herrlichkeit zu sehen, die uns der Gottes-Sohn durch seine Geburt beschert hat.
Nachtrag: Wir leben in einer Zeit, in der fast alles durchreflektiert, sprich verwissenschaftlicht wird. Man denke nur daran, welch intensiven Prüfungen unsere Lebensmittel unterworfen sind. Kein Stuhl wird hergestellt, dessen Design nicht den Kriterien der menschlichen Physognomie standhält. Nicht von ungefähr haben uns die wissenschaftlichen Untersuchungen am Turiner Leichentuch das Antlitz Christi geschenkt. Es ist zwar durch die Marter entstellt, aber es ist das wahre "Gesicht" Gottes! |