Entchristlichung Deutschlands - Abschied vom Kreuz
von Andreas Püttmann
Der Langzeittrend christlicher Religiosität in Deutschland zeigt allen Schönungsversuchen zum Trotz eine so massive Erosion an, daß man im historischen Maßstab eigentlich von einer Implosion sprechen muß. Während die Zahl der Christen im Weltmaßstab, insbesondere in Asien und Afrika wächst, befinden sich die Kirchen in Deutschland und weiten Teilen des friedens- und wohlstandsverwöhnten westlichen Europas seit Jahrzehnten in einem Prozeß der geistlichen Auszehrung, der Verdunstung des Glaubens, der Schrumpfung der Gemeinden, der Vertrauenskrise als gesellschaftlicher Institution.
In Deutschland fühlten sich bei einer Allensbacher Umfrage 2005 nur zehn Prozent der Befragten der Kirche eng verbunden. Weitere 25 Prozent antworteten: Ich fühle mich meiner Kirche verbunden, auch wenn ich ihr in vielen Dingen kritisch gegenüberstehe zusammen also rund ein Drittel der Bevölkerung. Nur jeder sechste fand mehr kirchlichen Einfluß in der Gesellschaft wünschenswert, eine Zweidrittelmehrheit wählte die ablehnende Antwort, jeder fünfte war unentschieden.
Nicht einmal die Hälfte der Christen wünschte sich einen Bedeutungszuwachs des Glaubens. Bei einer Reprsentativumfrage von Perspektive Deutschland 2004 erklärten 58 Prozent, der katholischen Kirche nicht oder eher nicht zu vertrauen; der evangelischen drückten 39 Prozent das Mißtrauen aus.
Überhaupt ist das Image der evangelischen Kirche freundlicher und ihre Bindekraft trotzdem geringer: Die Zahl der Protestanten in Deutschland sank seit 1950 von rund 43 auf 25 Millionen und damit ungefähr auf das Niveau, welches die katholische Kirche 1950 als Minderheitenkonfession hatte und auf dem sie heute nach einem zwischenzeitlichen Zuwachs wieder angelangt ist. Seit 1970 traten fast 3,8 Millionen katholische Christen und 6,6 Millionen evangelische aus ihrer Kirche aus, zusammen also ein Aderlaß von über 10 Millionen, der nur zu etwa einem Achtel durch (Wieder-) Eintritte kompensiert werden konnte.
Handelte es sich bei den Austretenden früher überdurchschnittlich häufig um Besserverdienende, höher Gebildete, Städter, Ledige und Männer, so wird der Austritt heute nicht mehr vermehrt von der modernistischen Avantgarde der Gesellschaft vollzogen, sondern ist zu einem in die Breite der Bevölkerung hineinwirkenden Phänomen geworden, stellt der Religionssoziologe Detlef Pollack fest. Der Bevölkerungsanteil der Christen in der Bundesrepublik sank in den zwanzig Jahren vor der Wiedervereinigung von rund 93 auf 83 Prozent, rutschte durch diese dann nochmals um zehn Prozent ab und fiel in den zwanzig Jahren seitdem erneut um etwa zehn Prozent. Die christliche Religion in Deutschland leidet an geistlicher Auszehrung. Der Glaube verdunstet, die Gemeinden schrumpfen, und die Kirche als gesellschaftliche Institution wankt. In 40 Jahren haben die Volkskirchen ein Drittel ihrer Mitglieder verloren.
(...) Selbst Kirchenmitglieder zweifeln an zentralen Glaubensinhalten ihrer Konfessionen. So glauben nur 58,7 Prozent der Katholiken und 47,7 Prozent der Protestanten, daß Gott die Erde erschaffen hat. Noch weniger glauben an die Empfängnis durch den Heiligen Geist oder die Auferstehung der Toten (Focus 52/2005). Nur noch ein kleiner Teil der Gläubigen kennt sich im Koordinatensystem des Christentums aus. Die Mehrheit hat einen diffusen Glauben. (...) Der frühere Paderborner Erzbischof (...) Degenhardt prägte 1988 das Wort von den getauften Heiden.
(JF 15.10.10) |