Warum kein islamischer Religionsunterricht
an öffentlichen und privaten Schulen?
von
Christoph Heger
Sehe nicht ein, warum ich, der Einfalt der andern wegen,
Respekt vor Lug und Trug haben sollte.
Arthur Schopenhauer
Zusammenfassung
Freiheitlicher Verfassungsstaat und Islam in seiner realen historischen
Verfestigung stehen in kontradiktorischem Gegensatz zueinander. Dieser
Widerspruch kommt zuerst und nachhaltig im Bereich der öffentlichen
Schule zum Ausdruck. Er kann nicht auf Dauer verborgen gehalten werden.
Welche von beiden einander widerstreitenden Konzeptionen sich in diesem
Bereich durchsetzen wird – freiheitlicher Rechtsstaat oder Islam –,
wird unausweichlich Folgerungen in anderen Bereichen von Recht und
Gesellschaft nach sich ziehen. Es ist verfehlt, die unausweichliche
Auseinandersetzung jetzt zu scheuen und unter Vergewaltigung des
Grundgesetzes und des deutschen ordre public islamischen
Religionsunterricht in öffentlichen Schulen einzuführen oder auch nur
zuzulassen. Der dieser Auffassung entgegengehaltenen Gefahr eines sich
der staatlichen Schulaufsicht entziehenden „wilden“ Schulsystems unter
dem Einfluß fremder Staaten oder verfassungsfeindlicher Organisationen
muß mit anderen Mitteln entgegengewirkt werden.
1 Grundzüge des freiheitlichen Verfassungsstaates und seines Schulsystems 1)
1.1 Weltanschauliche Neutralität und inhaltliche Rechtsbindung
Auch der moderne Verfassungsstaat, wie er im Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland dem deutschen Volk als dessen Souverän
zugesagt ist, ruht auf einem gesellschaftlichen, politischen und
moralischen Grundkonsens (ordre public 2), der diesem Staat vorausgeht,
die Verfassung hervorgebracht hat, ihr Verständnis prägt und von dem
dieser Staat abhängig ist – und zwar sowohl auf Gedeih als auch auf
Verderb. Dieser Grundkonsens besteht im Falle der Bundesrepublik
Deutschland vor allem in der Anerkennung der Würde des Menschen als
Individuum und Rechtspersönlichkeit und in der Geltung des Rechts.
Aus dieser Anerkennung abgeleitet wird der Grundsatz der Neutralität,
das heißt der Nichtidentifikation des Staates mit Religions- und
weltanschaulichen Positionen seiner Bürger, zur Wahrung des inneren
Friedens bei vorhandenen Differenzen in solchen Positionen. In der
Bindung an das Recht, das nach der Erfahrung der
national-sozialistischen Diktatur in scharfem Gegensatz zu zeitweilig
vertretenen Auffassungen gerade nicht mehr als rein positives Recht
verstanden wird, bleibt aber auch dem liberalen Verfassungsstaat ein –
möglicher- und unglücklicherweise mit der Zeit schwindender –
Restbestand der Rückbindung an einen inhaltlichen Begriff des Rechts,
der über bloße Neutralität oder auch nur Toleranz hinausträgt.
Solche inhaltlichen Bestimmungen des Rechts, gelegentlich „Grundwerte“
geheißen, sind dem Souverän der Bundesrepublik Deutschland, dem
deutschen Volk, gewärtig aus der Geschichte, genauer: aus den in der
Vergangenheit gemeinsam vollzogenen Werthaltungen, die diese
Gemeinsamkeit des deutschen Volkes überhaupt erst begründet haben.
Diese Geschichte ist also grundlegend die des christlichen Abendlandes
– allerdings in einer charak-teristischen und auch spannungsreichen
Alteration 3) durch neuzeitliche Aufklärung und Humanismus. Ihren
bestimmten Ausdruck finden diese „Grundwerte“ in den Menschenrechten,
die im Grund-gesetz der Bundesrepublik Deutschland auch
positiv-rechtlich festgelegt sind, und zwar mit unmittel-barer
Gesetzeswirkung. 4)
Es versteht sich danach von selbst, daß die Rechts-, Friedens- und
Freiheitsordnung auch des säkularen Verfassungsstaates zerbricht, wenn
in ihm Mächte aufkommen, die nicht mehr zurückgebunden werden können an
den Konsens über die Aufgabe des Staates zur Wahrung von Recht und
Frieden durch sowohl Bindung an vorgegebenes Recht, insbesondere
Menschenrechte, als auch durch Neutralität gegenüber insoweit nicht
entschiedenen weltanschaulichen Differenzen. Nun scheint in der
politischen Klasse Deutschlands die „multikulturelle Gesellschaft“
ernsthaft zum Leitbild der Politik zu werden, also die Ersetzung des
deutschen Volkes des Grundgesetzes durch das Nebeneinander sich
mißtrauisch beäugender Parallelgesellschaften mit kontradiktorisch
einander gegenüberstehenden Traditionen und Vorstellungen über den im
Staat zur Geltung zu bringenden ordre public. Über die damit
zwangsläufig eintretende Infragestellung des Verfassungsstaates können
den Bürger auf Dauer weder penetrante Aufforderungen zu „mehr Toleranz“
noch leerformelhafte Verheißungen von „Integration“ hinwegtäuschen. 5)
1.2 Schule als Erziehung durch den Staat
Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 7 Absatz 1, daß die Schulaufsicht
dem Staat zukommt. Die ständige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und die unangefochtene Praxis verstehen als
Schulaufsicht die Trägerschaft und inhaltliche Gestaltungshoheit des
Staates über das von ihm vorgehaltene Schulwesen. 6) Das gilt mutatis
mutandis nicht nur für das ganz überwiegend in öffentlicher
Trägerschaft stehende Schulsystem, sondern auch für die in privater
Trägerschaft befindlichen Schulen. Der Staat ist mithin verantwortlich
für die und keineswegs neutral gegenüber der schulischen Erziehung.
Hier muß er sich zu Werten, zu einem Menschenbild, ja letztlich zu
weltanschauungs- und religionsgegebenen Positionen bekennen. Erziehung
durch den „neutralen“ Staat ist ein Widerspruch in sich, zumindest hier
muß auch der moderne Staat seinen säkularen Charakter hintanstellen.
Diesen Widerspruch weniger auszugleichen als vielmehr auszuhalten hat
der Verfassungsgeber Wege gewiesen und Institutionen geschaffen:
• die Gewährleistung privater Schulen unter Bedingungen;
• die Gewährleistung des Religionsunterrichts als staatlichen
Unterrichts an staatlichen Schulen in Übereinstimmung mit den
jeweiligen Konfessionen, die ihrerseits durch ihre organisatorische
Verfaßtheit in der Lage sind, eine angemessene Katechese und
Religionsdidaktik anzubieten;
• Toleranzgebot und Diskriminierungsverbot bei Konflikten zwischen dem
Recht auf Bekenntnisakte und dem des Schutzes vor solchen Akten;
• das Rechtsinstitut des „Gesetzesvorbehalts“, nach welchem alle
wesentlichen Entscheidungen des Staates, das Schulsystem betreffend,
einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfen und nicht durch
bloß administrative Direktionsgewalt getroffen werden können.
1.3 Gesellschaftliche Einflüsse auf die Schule
Die Schule, auch da wo sie in direkter staatlicher Trägerschaft
besteht, ist nicht allein aus ihren recht-lichen Vorgaben zu verstehen.
Sie wird auch vom Lebensgefühl der Zeit, von gesellschaftlichen
Erwartungen und Rollenverständnissen, von öffentlichen Werthaltungen
und auch wissenschaftlichen Ansprüchen geprägt. Solche Prägungen seien
hier in Stichworten genannt:
• Die rechtlich geforderte
Gleichberechtigung der Geschlechter wird fast ausnahmslos in
koedukativem Unterricht verwirklicht, überliefertes Rollenverständnis
der Geschlechter wird emphatisch abgelehnt.
• Der Abbau überlieferter Autorität geht nicht selten bis zur Grenze, wo die Schuldisziplin nicht mehr gewahrt werden kann.
• Praktisch durchgängig ist das Leitbild einer säkularen,
emanzipatorischen Erziehung mit einem deutlich individualistischen Kern.
• Die moderne Schule ist auf Wissenschaft rückbezogen.
Es ist zu bemerken, daß diese Charakteristika für gewöhnlich als mehr
oder weniger „selbstver-ständlich“ angesehen werden, obwohl sie so
nicht aus gesetzlichen oder gar grundgesetzlichen Maßgaben abgeleitet
werden können. Dem Leitbild säkularer, emanzipatorischer Erziehung
stehen sogar in den Landesverfassungen festgeschriebene Erziehungsziele
mehr christlichen Inhalts zum Teil klar entgegen, wenn dies auch zu
keinen Folgerungen seitens der Kultusbehörden führt.
1.4 Praktische Lösungen für „klassische“ religiöse Minderheiten
Die vom deutschen ordre public überwölbte Spannung zwischen der
Neutralität des Staates und der von ihm beanspruchten Verantwortung für
das schulische Erziehungssystem mußte vor allem mit dissentierenden
Minderheiten zu Konflikten führen. Solche Konflikte mit „klassischen“
religiösen Minderheiten konnten aber entschärft werden, z. B.:
• Der israelitische Religionsunterricht
konnte in Verbindung mit der wohlorganisierten jüdischen Gemeinde und
deren religionspädagogischer Kompetenz gewährleistet werden, unter
Umständen als ein zentraler externer Unterricht für Schüler mehrerer
Schulen. Ähnliches gilt für andere religiöse Minderheiten.
• Bei Ablehnung jeglichen Religionsunterrichts kann ersatzweise
staatlicher Ethik- oder Philosophieunterricht vorgeschrieben werden.
Unvermeidlich steht im Schulalltag nicht selten das Recht auf Akte des
persönlichen Bekenntnisses gegen das Recht auf Freiheit vor solchen
aufdringlichen Bekundungen. In solchen Fällen gilt die Kompromißmaxime „praktischer Konkordanz“.
Die Unmöglichkeit von Kompromissen oder auch die Unfähigkeit, solche
anzunehmen, ist charakteristisch im Verhältnis zu religiösen und
weltanschaulichen Gruppen, die man – im Hinblick auf ihre große
Unterschiedlichkeit zweifellos sachlich nicht befriedigend – sich
angewöhnt hat, „Fundamentalisten“ zu nennen 7). Wo Kompromisse nicht
möglich sind oder nicht akzeptiert werden, greift das Prinzip der
„partiellen Entpflichtung“: Befreiung vom Unterricht an staatlich nicht
beachteten Feiertagen des eigenen Bekenntnisses, Befreiung vom
Schwimmen ohne Geschlechtertrennung usw.
Wenn schon die Konflikte im Falle der Unmöglichkeit des Kompromisses
nicht zu lösen, höchstens im menschlichen Umgang zu entschärfen sind,
so stellten sie doch wegen der extremen Minderheitsposition der
Dissentierenden das beschriebene öffentliche Schulsystem mit seiner
Wertbindung nicht wirklich infrage. Dies ist heute radikal anders im
Falle des Islams, zu dem heute in Deutschland etwa drei Millionen
gezählt werden – eine Zahl, die sich mit der unter allen Vorwänden
geförderten Einwanderung gerade aus den Ländern des islamischen Orients
schnell erhöhen dürfte.
2 Der Fundamentaldissens des Islams
2.1 Was ist der Islam?
Worum geht es, wenn vom „Islam“ die Rede ist? Zwar gibt es auch im
Islam verschiedene „Konfes-sionen“, die einander für irrgläubig halten.
Dies ist aber kein Grund, über dem vernebelnden Gerede, es gebe nicht
den Islam, zu verkennen: Solche Konfessionsunterschiede sind für den
Außenstehenden in der Regel unerheblich, und was die Spaltung zwischen
sunnitischem und schiitischem Islam angeht, so umfaßt die sunnitische
Richtung fast 90 Prozent aller Muslime. Für die hier anstehende Frage
reicht im ersten Ansatz der Blick auf den sunnitischen Islam aus 8).
Dieser traditionelle sunnitische Islam stellt sich dar als ein mit
rationalen Argumenten abgesichertes Gefüge von Glaubenssätzen und
Verhaltensnormen, deren Inhalt sich aus dem Wort Allahs und der
normsetzenden Gewohnheit (sunnah) des Propheten herleitet. Die
Beurteilung jeglicher Erscheinung des alltäglichen Lebens und Kultus
wird mit Hilfe eines ausgeklügelten Gefüges von Verfahren auf Koran und
sunnah zurückgeführt. Bewahrt, ausgelegt und auf die Wechselfälle des
Daseins angewandt wird dieser Islam in den Kompendien der alten
Autoritäten und von einer Gelehrtenschicht, die deren Autorität
verteidigt und die in vielfältiger, nicht konfliktfreier Weise mit den
Trägern politischer Macht verbunden ist 9). Es gibt die im Amt
des qâdî gipfelnden Institutionen der Rechtsprechung und die von den
Herrschern zu Rate gezogenen Gutachter (muftî), die entscheiden, welche
Handlungsweise als islamisch angezeigt ist. Auch der gemeine Mann kann
und soll in Zweifelsfällen deren Anweisungen einholen und befolgen. So
offenbart im täglich zu vollziehenden Ritus und in der das ganze Leben
des Menschen regelnden sarî‘ah sich der Islam einem jeden Gläubigen als
die eine machtvolle Gegebenheit, auf die er zählen muß und darf, um
schließlich das Heil zu erlangen.
Im Ergebnis haben wir im sunnitischen Islam vier althergebrachte
Rechtsschulen (madhab, Plural madhâhib), die sich gegenseitig als
rechtgläubig anerkennen. Gemeinsam ist ihnen die Lehre von den fünf
„Pfeilern des Islams“, nämlich den Pflichten, die die einzelnen
Gläubigen haben: das Bekenntnis des Glaubens, das rituelle Gebet, die
Fasten, die Almosensteuer und – nach Möglichkeit – die Wallfahrt nach
Mekka einmal im Leben. Dazu kommt als Pflicht der muslimischen
Gemeinschaft insgesamt der Glaubenskrieg (gihâd): Zwischen dem „Haus
des Islams“ und dem „Haus des Krieges“, nämlich der Welt, in der das
Gesetz des Islams nicht gilt, kann es bestenfalls Waffenstillstände
geben, nie jedoch Frieden. An wenigstens einer Grenze soll zu jeder
Zeit das Haus des Islams ausgedehnt werden, wenn nötig mit Krieg. Und
Krieg ist allemal dann nötig, wenn ein Gebiet dem „Haus des Islams“
wieder verloren gehen sollte. Bei Eingliederung in das „Haus des
Islams“ sind „Heiden“ vor die Wahl „Tod oder Annahme des Islams“ zu
stellen, den „Leuten des Buches (Bibel)“, ahl al-kitâb, also Juden und
Christen, kann ein Unterwerfungsvertrag angeboten werden, der sie in
rechtlich gedrückter Stellung im islamischen Staat weiter bestehen läßt.
Es erhellt schon aus dem Vorstehenden und bestätigt sich bei näherer
Betrachtung, daß selbstverständliche Voraussetzung des Islams – oder im
wesentlichen gleichbedeutend: des islamischen Gesetzes – ist, daß das
Volk der Muslime, die ummah, idealtypisch in dem einen und einzigen
islamischen Staat, wenigstens aber in einem islamischen Staat lebt.
Dessen Legitimität erwächst ihm daraus, daß er das göttlich
geoffenbarte islamische Gesetz durchsetzt, so wie Allah im Koran sagt:
„Ihr seid das beste Volk, das je unter den Menschen hervorgebracht
wurde. Ihr gebietet das Rechte und verbietet das Verwerfliche und
glaubt an Allah.“ 10) Dem entspricht die traditionelle Vorstellung, daß
der Muslim nicht auf Dauer in einem nicht-islamischen Land leben
sollte, weil er dort seinen Religionspflichten nicht vollständig
genügen kann.
Nun müssen heute und mußten auch schon im Laufe der Geschichte große
muslimische Bevölkerungsgruppen in nicht islamisch beherrschten Staaten
leben. Für solche Situationen ist von der isla-mischen Kanonistik die
Theorie entwickelt worden, daß unter Gefahr für das Leben oder unter
be-sonders harten Bedingungen der Bedrückung, der Mißhandlung, der
Bedrohung des Lebensunter-halts oder auch der Schädigung des Ansehens
das an sich Verbotene (harâm) zulässig (halâl) wird.11) Es
handelt sich dabei aber keineswegs um eine grundsätzliche Zurücknahme
islamischer Ansprüche an die Rechtsordnung, etwa aus Erwägungen der
Billigkeit um einer gemeinsam tragbaren Rechtsordnung willen, sondern
lediglich um ein Nachgeben aus Notwendigkeit, das bei Wegfall der
Notwendigkeit wieder zurückgenommen werden muß.
Es erhellt weiter, daß jede muslimische Minderheit, die durch die
Ungunst der Umstände in einem nicht-islamischen Land leben muß, wenn
sie ihren islamischen Charakter bewahren will, nicht nur eine faktische
Selbst-Gettoisierung zu betreiben, sondern möglichst auch vom
nicht-islamischen Staat zu erreichen sucht, unter ein islamisches
Eigenrecht gestellt zu werden, also ein eigenes Per-sonenstandsrecht,
ein eigenes Erbrecht, womöglich ein eigenes Strafrecht usw. zugestanden
zu bekommen.
Dies ist sogar in Ländern zu beobachten, die wie etwa die Indische
Union oder Thailand ihre muslimische Minderheit von der Macht
fernhalten, aber mit einem die Rechtseinheit durchbrechenden
Partikularrecht ruhigzustellen suchen.
2.2 Islam und Menschenrechte
In Artikel 1 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
bekennt sich das deutsche Volk zu „unverletzlichen und unveräußerlichen
Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des
Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“. Dieses „Bekenntnis des
deutschen Volkes“ gehört nach Artikel 79 Absatz 3 zu den
Verfassungsgrundsätzen, deren Änderung unzulässig ist. Ihm steht der
Islam, so wie er sich historisch darstellt und verfestigt hat,
grundsätzlich ablehnend gegenüber. Er sieht in ihm eine Art
Superreligion, die zur Zeit Staatsreligion der „westlichen“ Staaten
ist, aber als solche dem Islam zu weichen hat. Zwar läßt er nach dem
oben angeführten Grundsatz 12) zu, sich unter dem Zwang der Umstände
dem Gesetz des Landes zu unterwerfen. Aber eine grundsätzliche
Unterordnung des islamischen Rechts, der sarî‘ah, als des ein für alle
Mal geoffenbarten göttlichen Gesetzes, unter nicht-islamische
Rechtsgrundsätze – auch solche einer „Menschenrechtsreligion“ –
schließt der Islam auf das bestimmteste aus.
Dies zeigt auch ein Blick auf die Menschenrechtsdiskussion und
-publizistik, die dessen ungeachtet in der islamischen Welt zu
beobachten ist 13). Von Anfang an hatten diejenigen islamischen
Staaten, die als Mitglieder der 1945 gegründeten Vereinten Nationen an
der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der
Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 19.12.1948 beteiligt
waren (Afghanistan, Irak, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien und Ägypten)
gegen einige Artikel der Erklärung (Recht auf Religionswechsel,
Gleichberechtigung von Mann und Frau) Widerstand geleistet. Auch später
machten die islamischen Staaten immer wieder deutlich, daß sie die in
der Erklärung enthaltenen Menschenrechte nur so weit als schützenswert
betrachten, als diese nicht gegen die sarî‘ah verstoßen. )14
Gleichzeitig wird unentwegt dargelegt, daß der Islam die Menschenrechte
seit vielen Jahrhunderten gewährleiste, denn die islamische Lehre
enthalte sie von An-fang an und die islamischen Vorschriften stimmten
mit den Menschenrechten der Allgemeinen Erklärung überein 15). In den
1980er Jahren ging man von islamischer Seite dazu über, statt schlicht
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu übernehmen, Dokumente
über die Menschenrechte im Islam zu entwerfen.
Von besonderer Bedeutung – gerade für die Integration der Muslime in
den europäischen Nationen oder gar für die Ideen von einem „Euro-Islam“
– ist die vom Conseil Islamique pour l'Europe am 19.01.1981 vorgelegte
Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung 16). Auf sie – und
bezeichnenderweise nicht auf die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte – bezieht sich auch die Erklärung der Vertretung des
Islamischen Weltkongresses in Deutschland und seiner deutschen Sektion
vom 24.09.1989. Diese enthält jedoch wichtigste Menschenrechte wie das
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit,
Gleichheit der Geschlechter usw. ebensowenig wie andere
Menschenrechtserklärungen von islamischer Seite 17), sondern preßt sie
unter die Bedingungen des islamischen Rechts. Was dies bedeutet, soll
an einigen Menschenrechten gezeigt werden.
2.2.1 Die Erniedrigung der Frau
Zahlreiche Musliminnen, allen voran – in der Regel schlecht
unterrichtete – westliche Konvertiten, verkünden öffentlich, ihr
rechtlicher Status im Islam sei durchaus gleichberechtigt, und führen
zum Beweis gegenüber noch schlechter unterrichteten Andersgläubigen den
Koran und sonstige angebliche Aussprüche ihres Propheten an – und nicht
die tägliche Gegenwart im Orient, aber auch schon in einigen
islamischen „Enklaven“ in europäischen Ländern. 18) Das
Auseinanderklaffen zwischen dieser täglichen Realität und jenen frommen
Zitaten spiegelt weitgehend die Differenz zwischen dem Koran und dem
überlieferten islamischen Recht wieder. Entgegen der dogmatischen
Behauptung von islamischer Seite, daß der Koran unbedingt vorrangige
Rechtsquelle sei, ist für dieses Recht und die von ihm geprägte
alltägliche Wirklichkeit tatsächlich nicht der Koran, sondern die
unendliche Fülle der – in ihrer Geltung ewig umstrittenen – Berichte
(hadîte) über Taten und Aussprüche des Propheten MUHAMMAD vorrangige
Rechtsquelle.19) Im folgenden soll die islamrechtliche Lage der
Frau dargestellt und nur gelegentlich auf die heutige tatsächliche Lage
bezug genommen werden, die heute oft günstiger, mitunter aber auch
ungünstiger ist als die islamrechtliche.
a) Keine Gleichberechtigung der Frau
Zwar findet sich schon im Koran 20) die Anweisung – und nicht nur die
Erlaubnis – für die Männer, ihre „aufsässigen“ Frauen zu schlagen 21),
doch lassen sich auch Stellen angeben, die zu liebevoller Behandlung
der Frau aufrufen. Die aus den hadîthen entwickelte (besser gesagt: die
mit passend erfundenen hadîhen gerechtfertigte) islamrechtliche Lage
der Frau ist die einer vielfachen Schlechterstellung: Vor Gericht
gelten zwei weibliche Zeugen soviel wie ein männlicher; eine Frau hat
den halben Erbanspruch eines Mannes; die Frau hat keine Freiheit in der
Wahl ihres Ehepartners, sondern untersteht dabei ihrem walîy („Freund,
Schutzherr“; in der Regel nächster männlicher Verwandter); die Ehefrau
hat keine Mitsprache, wenn der Mann sich weitere Ehefrauen (oder, wo
vorhanden, Sklavinnen-Konkubinen) zulegen möchte; sie kann jederzeit
von ihrem Mann verstoßen werden, in welchem Falle sie keinerlei Rechte
an ihren Kindern behält usw. 22) Entgegen beschönigenden Darstellungen
wird auch die weibliche Beschneidung (hafd) oder, richtiger gesagt, die
Verstümmelung des weiblichen Genitales vom islamischen Recht je nach
Rechtsschule gefordert oder wenigstens begünstigt. 23)
b) Islamische Ehe als Form der Sklaverei
Eine besondere Betrachtung verdient der islamische Begriff der Ehe, der
nicht mit dem – vom Grundgesetz unter den besonderen Schutz des Staates
gestellten – des deutschen ordre public zur Harmonie gebracht werden
kann. Die islamische Ehe ist das Besitzrecht des Ehemanns an seinen
Frauen, insbesondere das Nutzungsrecht und die Verfügungsgewalt über
deren Geschlechtlichkeit und Fruchtbarkeit – mit den Worten islamischer
Autoritäten: eine Form der Sklaverei.24)
Demgemäß sieht das islamische Recht darin, daß der Bräutigam an die
Braut ein Brautgeld (mahr) zahlt, eine unentbehrliche Voraussetzung für
das gesetzliche Zustandekommen der Ehe 25) oder - wie der
islam-rechtliche Terminus lautet - dafür, daß er sich durch diesen Kauf
„deren Genitale rechtmäßig macht“.26)
Einmal verheiratet, ist die islamische Frau idealerweise auf das Haus
beschränkt, das sie – vorausgesetzt, der Mann spricht keine Verstoßung
(talâq) aus – bis zu ihrem Tode nicht mehr verläßt. Nur in
Ausnahmefällen und in Begleitung eines männlichen Verwandten darf sie
reisen oder die Pilgerfahrt nach Mekka vollziehen.
Bei immerhin doch notwendig werdendem Verlassen des Hauses wird diese
Abschließung der Frau vor der Öffentlichkeit durch ihre vollständige
oder fast vollständige Verhüllung 27) fortgesetzt.28)
Gegen die Verstoßung (talâq) durch ihren Ehemann, beschönigend
meist „Scheidung“ genannt, ist die Frau islamrechtlich machtlos. Hat
der Mann sie dreimal verstoßen, das heißt praktisch: hat er – etwa im
Zorn – die Verstoßungsformel dreimal ausgestoßen, kann die Frau, selbst
wenn der Mann dazu bereit ist, sich nur über eine unsittliche und
erniedrigende Prozedur wieder mit ihrem Mann versöhnen (und so wieder
zu ihren Kindern kommen): Sie muß zuvor einen anderen Mann, muhallil,
„Legalisierer“ genannt, geheiratet, mit ihm Geschlechtsverkehr gehabt
und dann die Verstoßung bekommen haben, bevor sie wieder eine Ehefrau
ihres früheren Mannes werden kann.
c) Gehorsamskontrolle oder die Geschlechtlichkeit der Frau als Bedrohung
Die panische Besessenheit, die Frau zu einer austauschbaren Ware mit
Geschlechts- und Fortpflanzungsfunktion zu erniedrigen, gründet in
einer Tradition, die nach dem Zeugnis überlieferter Aussagen, wenn
nicht von Muhammad selbst, so doch spätestens von Umar ibn al-Hattab
29), dem zweiten Kalifen oder Nachfolger Muhammads, und von Alî ibn abî
Tâlib 30), dem Schwiegersohn und vierten Nachfolger Muhammads, bestimmt
worden zu sein scheint: nämlich in der Frau ein von Begierden
getriebenes Wesen teuflischer Versuchungen und Quelle der
Verunreinigung zu sehen, die darum von Gesellschaft und Mann unter
ständiger Gehorsamskontrolle zu halten ist. 31) Das beginnt mit der –
bezeichnenderweise hafd, „Senkung“, nämlich des Geschlechtstriebs –
genannten weiblichen Beschneidung und setzt sich im Eheleben fort: „Der
Geschlechtsverkehr, der als unrein gilt, wird von Riten und
Beschwörungen begleitet, die eine gefühlsmäßige Distanz schaffen und
die ge-schlechtliche Befriedigung auf seine elementarsten Funktionen
reduzieren.“ 32)
Es handelt sich hierbei nicht um die kulturhistorisch bekannte
Vorstellung, daß die Berührung mit Dingen aus dem Umkreis von
Sexualität, Fruchtbarkeit und Tod kultisch unrein macht. Kriterium der
unrein machenden Berührung ist hier die geschlechtliche Erregung, die
beim Objekt männlicher Sexualität ausgelöst wird. Daher hat der Muslim
sich nach dem Verkehr mit einer Frau den vorgeschriebenen Waschungen zu
unterziehen, nicht aber – wie von der islamischen Tradition
ausdrücklich erwähnt – nach Verkehr mit Leichen, Tieren oder Kindern.
33) Die bei der Frau ausgelösten Begierden eröffnen nach diesen
Vorstellungen die Möglichkeit der Anwesenheit des Teufels (saitân) und
anderer böser Geister (ginn). Deren Wirkung hat der Mann durch die oben
genannten beschwörenden Glaubensformeln und nachfolgende Waschungen zu
bannen.
d) Das Risiko einer Vergewaltigung
Die Abschließung der Frau vor der Öffentlichkeit im Haus und in
verhüllender Kleidung wird von Muslimen oft damit verteidigt, daß
solchermaßen die Gefahr einer Vergewaltigung verringert werde. Der
darin liegende und für den Nicht-Muslim verblüffende Gedanke, daß
dieses Risiko nicht Anlaß gibt, der Frau besonderen Schutz angedeihen
zu lassen, sondern ihr schwerwiegende Einschränkungen zuzumuten,
beherrscht das islamische Denken durchgängig: Das Risiko einer
Vergewaltigung hat die Frau zu tragen. Immer hat sie mit mangelnder
islamischer Kleidung oder mit unislamisch freiem Betragen dem
Vergewaltiger Anreiz und Gelegenheit gegeben. 34) Und selbst wenn ein
solcher Vorwurf einmal gar nicht erhoben werden kann, ist nichts desto
weniger die Ehre der Familie beschädigt. Wenn es auch der islamischen
Rechtgläubigkeit entgegen ist, die den Selbstmord ablehnt, so ist doch
die Erwartung weitverbreitet, daß die Frau diesen Ehrverlust durch
Selbsttötung zu verhindern hat.
Der Gedanke, daß das Risiko einer Vergewaltigung von der Frau zu tragen
ist, beherrscht auch das islamische Recht. Es kennt praktisch keinen
strafrechtlichen Schutz der Frau, da es ihr die untragbare Beweislast
auferlegt, vier männliche Zeugen aufzubieten, die nicht nur eine
deutliche Gewalteinwirkung, sondern die Penetration gesehen zu haben
bezeugen müssen. 35) In Verbindung mit dieser untragbaren
Beweislast-Anforderung bringt eine Anzeige die Frau in unmittelbare
Gefahr, hat sie doch – zwangsläufig – zugegeben, daß Geschlechtsverkehr
mit ihr stattfand. Da sie sich von diesem Delikt nicht durch den
Nachweis einer Vergewaltigung entlasten kann, hat sie die Strafe für
zinâ’ (Unzucht, Ehebruch) zu gewärtigen: Auspeitschung bei einer
Jungfrau, Steinigung bei einer deflorierten Frau. Unter solchen
Umständen sind Frauen jederzeit jedem Vergewaltiger preisgegeben.
e) Kopftuchstreit
Aus alledem erhellt, daß der in Westeuropa und auch hierzulande
geführte Kopftuchstreit in der Regel nicht den Kern der Frage erfaßt
hat. Das Kopftuch ist für den traditionalistischen Islam eben nicht nur
eine Frage des ostentativen Bekenntnisses. Ein solches ist im deutschen
Schulsystem – anders als im laizistischen Schulsystem Frankreichs –
zulässig (s. Abschnitt 1.3). Es ist vielmehr Symbol für den Anspruch
einer auf Selbst-Gettoisierung setzenden Minderheit, daß die
muslimische Frau auch im demokratischen Verfassungsstaat die Menschen-
und Verfassungsrechte nicht soll uneingeschränkt in Anspruch nehmen
dürfen. Diese Strategie ist in mehrfacher Hinsicht lohnend. Das
muslimische Mädchen, dem die freie Wahl des Berufs, des Wohnorts und
vor allem des Ehepartners vorenthalten wird, ist wegen ihres
Aufenthaltsrechts in Deutschland eine „gute Partie“ für zuzugs- und
zahlungswillige Bewerber. Ihre Bindung an das Haus erhöht
erfahrungsgemäß die Geburtenfreudigkeit der Familie.
Bemerkenswerterweise findet diese Strategie, sich von der Geltung der
Menschenrechte auszunehmen, auch Unterstützung seitens nichtislamischer
Kreise, die die Verpönung „kulturverändernder“ Eingriffe in fremde
Gesellschaften als eurozentrischen „Menschenrechtsfundamentalismus“
auch auf sich in westlichen Staaten etablierende Parallelgesellschaften
ausdehnen möchten. Solchen Bestrebungen muß entschieden widersprochen
werden. 36)
2.2.2 Keine Religionsfreiheit im Islam
Das Menschenrecht der Religionsfreiheit ist dem Islam seit je fremd.
Der häufig zu hörende Widerspruch mit Hinweis auf Sure 2, Vers 256
„Kein Zwang [soll sein] in der Religion“, komme er subjektiv ehrlich
von schlecht Unterrichteten oder auch in täuschender Absicht, 37) ist
irreführend. Man braucht kein Arabist zu sein und braucht die Willkür
des eingeschobenen Prädikats „soll sein“ statt eines vielleicht
richtigeren „kann sein“, also die Willkür der Deutung im Sinne einer
Aufforderung zur Toleranz statt eines Ausdrucks der Resignation nicht
zu erkennen 38). Es genügt, neben einem unverstellten Blick auf die
historische wie auch die heutige Realität islamischer Gesellschaften,
zu wissen, daß dieser Vers niemals von der islamischen Rechtstheorie
und -praxis im Sinne neuzeitlicher Glaubensfreiheit verstanden worden
ist. Er gilt der islamischen Doktrin vielmehr sowohl theoretisch wie
vor allem auch praktisch als von Allah durch später geoffenbarte Verse
zurückgenommen (abrogiert).39)
Tatsächlich fordert die islamische Doktrin vom Staat die Beobachtung
und Durchsetzung der sharî‘ah auch insofern, als er „Heiden“
(Polytheisten, musrikûn) grundsätzlich vor die Wahl „Annahme des Islams
oder Hinrichtung“ zu stellen hat. Juden und Christen („Volk des Buches
[Bibel], ahl al-kitâb) – später, unter dem Zwang der Umstände, wurden
auch andere Religionsgemeinschaften mit einer „heiligen Schrift“
darunter gezählt – kann er jedoch nach ihrer Unterwerfung unter den
islamischen Staat und die sarî‘ah Leben, persönliche Freiheit, Eigentum
und Kultfreiheit gewähren, und zwar im einzelnen je nach den Umständen
ihrer Unterwerfung. Eine spätere Bekehrung dieser „Schutzbürger“
(dimmî) zum Islam ist erwünscht, deren Förderung seitens des Staates –
sei es durch öffentliche Bekehrungsaufrufe („Einladung“, da‘wah) und
Begünstigung der Neubekehrten, sei es durch steuerliche und sonstige
Bedrückung und öffentliche Herabsetzung der Hartnäckigen und ihrer
Religion – wird erwartet.
Umgekehrt, beim Abfall eines Muslims vom Islam, verlangt das islamische
Recht härteste Bestrafung. Darin stimmen die vier als rechtgläubig
geltenden Rechtsschulen des sunnitischen Islams und die Schia überein:
Der männliche, volljährige und geistig gesunde Abtrünnige (murtadd) ist
hinzurichten. Die malikitische und die schafiitische Schule fordern das
auch für die Frau, nach hanafitischer und auch schiitischer
Rechtsmeinung ist sie jedoch in Haft zu halten, bis sie den Islam
wieder annimmt. Kinder sind in Haft zu halten bis zu ihrer Entscheidung
als Volljährige. Uneinheitlich ist die Auffassung, ob Reue und Rückkehr
zum Islam angenommen werden können; die häufigste Mei-nung geht dahin,
daß für eine strafbefreiende Rückkehr eine Frist von drei Tagen zu
gewähren ist.40) Diese althergebrachten Vorschriften sind
mitnichten „Schnee von gestern“. Zahllose Beispiele für das unbeirrte
Festhalten der islamischen Rechtslehre an dieser Drohung gegen
„Abtrünnige“ können aus jüngster Zeit beigebracht werden.41)
Uneinheitlich sind auch die Auffassungen, wer zur Durchführung der
Bestrafung berechtigt ist. Eine zurückhaltende Richtung behält dieses
Recht dem Kalifen oder Imam vor, ersatzweise dem – vom Kalifen als
beauftragt vorgestellten – Inhaber der politischen Macht. Verbreitet
ist jedoch auch die Meinung, daß im Falle des Unvermögens oder
mangelnden Willens der Regierung der einzelne Mus-lim im Sinne einer
„Ersatzvornahme“ berechtigt und verpflichtet ist, die Durchsetzung des
islamischen Rechts in die eigene Hand zu nehmen. 42)
Diesen dogmatischen Vorstellungen kommen die Behörden in islamischen
Staaten zwar mit zuweilen notwendig werdender Rücksicht auf die
Außenwelt zögernd, aber doch im großen und ganzen bereitwillig nach.
der sich laizistisch gebärdenden Türkei. aufzubauen.
2.2.3 Islamisches Strafrecht
Über den besonderen Fall der Todesstrafe für Abgefallene vom Islam
hinaus enthält das als göttlich offenbart, insofern für unveränderbar
angesehene und als solches in der religiösen Unterweisung der Muslime
gelehrte sarî‘ah-Recht Bestimmungen, die in keiner Weise mit den
Menschenrechten und damit dem Grundgesetz zur Harmonie gebracht und zur
Koexistenz zugelassen werden können. Das betrifft zum einen
Straftatbestände und Strafmaße wie Handabtrennen bei (schwerem)
Diebstahl, Auspeitschen bei Weingenuß, Steinigung bei Ehebruch, die
Todesstrafe bei Blasphemie (einschließlich der Kritik am Propheten
Muhammad) usw. Zum anderen betrifft das die dem europäischen Recht
fremde Einrichtung des Privaten eingeräumten Wiedervergeltungsrechts
bei Totschlags- und Körperverletzungsdelikten. Zum dritten betrifft es
das Prozeßverfahrensrecht, das so, wie es im Islam als göttlich
festgelegt gilt, in keiner Weise die Rechtsschutz gewährleistende
Funktion eines den Menschenrechten gemäßen Verfahrensrechts erfüllen
kann.
Diese Unvereinbarkeit ist den führenden Köpfen des Islams in
Deutschland und anderen westlichen Ländern wohl bewußt. Sie verfallen
gewöhnlich auf die Ausflucht, die vorgeschriebenen Strafen usw. dürften
nur in einem islamischen Staat – oder sogar nur in einem „wirklich
islamischen“ Staat – angewendet werden, nicht aber zum Beispiel in
einer demokratischen Bundesrepublik Deutschland. 47) Da es aber zum
Glaubensinhalt des Islams gehört, die Geltung des „göttlich
verordneten“ islamischen Rechts letztlich durchzusetzen, ändert eine
vorübergehende Bescheidenheit nichts am menschenrechtsfeindlichen und
grundgesetzwidrigen Charakter einer Religionsunterweisung, die genau
dieses Ziel hat.
2.2.4 Andere Bereiche des islamischen Rechts
Es ist hier nicht der Platz, die Vereinbarkeit des islamischen Rechts
mit deutschen Rechtsvorstellun-gen auf anderen Rechtsgebieten zu
untersuchen. Offensichtlich grundgesetzwidrig sind, um nur einige
spektakuläre Aspekte stichwortartig aufzuzeigen:
•das islamische Erbrecht in seiner Benachteiligung der Frau,
•das islamische Personenstandsrecht in seinem Eheverbot für
„Milchgeschwister“, im Verbot der Heirat einer Muslimin mit einem
Nicht-Muslim, im Ausschluß des Sorgerechts eines Nicht-Muslims für
seine muslimischen Kinder, im Verbot der Adoption usw.,
•das islamische Wirtschaftsrecht in seinem Verbot der Zinswirtschaft,
•die Anwendung des Sachenrechts auf Menschen in der Zulassung und Regelung der Sklaverei.
3 Schlußfolgerung: Kein Verfassungsverrat nach fortgesetztem Hochverrat!
Aus der in Abschnitt 2 stichwortartig gekennzeichneten Doktrin des
Islams, wie er sich historisch und tatsächlich versteht und darstellt,
ergibt sich unzweideutig, daß sie nach den in Abschnitt 1 dargelegten
grundgesetzlichen Prinzipien nicht ohne Verfassungsverrat zum
Gegenstand eines Unterrichts in öffentlichen Schulen der Bundesrepublik
Deutschland gemacht werden kann. Nach vorliegenden Lehrplanentwürfen
scheint die Bestrebung zu bestehen, den islamischen Religionsunterricht
von der Befassung mit den menschenrechts- und grundgesetzwidrigen Zügen
des islamischen Religionsgesetzes, der sarî‘ah, freizuhalten. Abgesehen
davon, daß das kaum in der alltäglichen Wirklichkeit durchzuhalten ist,
würde das nichts daran ändern, daß ein weltanschauliches System an
öffentlichen Schulen gelehrt würde, das in unlösbar mit ihm verbundenen
Aspekten menschenrechts- und grundgesetzwidrig ist. Bleibt das Phantom
eines „Euro-Islams“, der von diesen Elementen amputiert wäre. Es ist
aber nicht anzunehmen, daß die Muslime in Deutschland sich zu dieser
neuen Religion bekehren ließen. Wenn unter diesen Umständen die
grundgesetzlich geforderte „Übereinstimmung“ mit der Konfession, deren
Religionsunterricht gegeben werden soll, in Verhandlungen mit den
Vertretern des Islams – oder der verschiedenen islamischen
Religionsgemeinschaften – tat-sächlich erreicht werden sollte, muß man
sich fragen, wer wen glaubt betrügen zu können.
Gegen diese Schlußfolgerung kann nicht vorgebracht werden, das
grundgesetzliche Prinzip der frei-en Religionsausübung zwinge dazu, die
vorgebrachten Ausschlußgründe trotz ihrer Triftigkeit vom Tisch zu
wischen. Umgekehrt zwingen diese Gründe dazu, sich die Frage zu
stellen: Was ist überhaupt eine Religion oder eine Weltanschauung im
Sinne des Grundgesetzes, daß sie die dort eingeräumten Vorrechte in
Anspruch nehmen kann? Das Grundgesetz versucht keine Legaldefinition,
setzt vielmehr das im ihm vorgehenden ordre public gegebene Verständnis
voraus. Dieses Verständnis geht aber von der abendländischen Erfahrung
einer bis zur Trennung gesteigerten Differenz zwischen Religion und
Staat aus, verkennt also das Eigentümliche des Islams gründlich.
Insofern der Islam zu wissen vorgibt, wie Staat und Gesetz rechtens
auszusehen haben, und nicht nur dieses Wissen, sondern vor allem den
Willen, dies auch in der Realität durchzusetzen, für die ihm
eigentümliche Auszeichnung hält, läßt er sich zutreffender mit den
Begriffen einer politischen Partei oder politischen Bewegung erfassen
und zwar einer eindeutig verfassungsfeindlichen Partei oder Bewegung.
Das praktische Argument, islamischen Religionsunterricht an
öffentlichen Schulen nicht zuzulassen, treibe die Jugend der
muslimischen Einwanderer in Hinterhofschulen („Koranschulen“), deren
Verfassungstreue überhaupt nicht mehr überwacht werden könne, die
vielmehr eine Domäne fremder und extremistischer Einflüsse würden,
verweist natürlich auf ein tatsächliches Problem. Es ist aber nicht
einzusehen, warum solchen Auswüchsen eines zu duldenden privaten
Systems der Religions-unterweisung nicht durch ordnungsrechtliche
Maßnahmen gesteuert werden könnte 48) – wie das ja in anderen
Zusammenhängen auch geschieht: Ein „Hinterzimmer-Bildungssystem“
rechtsextremistischer oder gar national-sozialistischer Lehrinhalte
wird mit polizeilichen Maßnahmen unterbunden und nicht durch
Integration in den Unterricht an öffentlichen Schulen überflüssig
gemacht.
Der auf einen islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen
hinwirkende politische Druck ist leicht zu begreifen. Über Jahrzehnte
haben tonangebende Kräfte in allen politischen Parteien unter allen
möglichen Vorwänden es zugelassen und begünstigt, daß nicht einzelne
Hilfesuchende, sondern ganze Völker sich in Deutschland niedergelassen
haben. Aus dieser Gewährung leiten dieselben tonangebenden Kräfte – und
natürlich die Einwanderer – inzwischen politische Rechte ab nach dem
Motto: Jetzt leben sie zwanzig Jahre hier, jetzt wollen sie auch
mitbestimmen! Diese Ersetzung des deutschen Volkes als des
grundgesetzlichen Souveräns der Bundesrepublik Deutschland durch ein
Nebeneinander von sich mißtrauisch verfolgenden Parallelgesellschaften
kann nur als ein fortgesetzter Hochverrat bezeichnet werden. Nun im
Zuge des zur Beruhigung des Volkes leerformelhaft herausgestellten
Zieles einer „Integration“ der Einwanderer islamischen
Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zuzulassen hieße, dem
Hochverrat den Verfassungsverrat folgen zu lassen.
Anmerkungen:
1) Die in Abschnitt 1 vorgetragenen staatsrechtlichen
Überlegungen folgen FRANK J. HENNECKE: Rechtsprobleme religiöser
Minderheiten im öffentlichen Schulwesen der Bundesrepublik Deutschland,
in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden, Bd.
8/1995, S.83-105
2) Indem Verf. darunter den Inbegriff der grundlegenden
Rechtsanschauungen eines Staates sowohl im Verfassungsrecht wie auch im
internationalen Privat-, Straf-, Prozeß- und Verwaltungsrecht versteht,
folgt er dem Sprachgebrauch der französischen Rechtslehre, von der die
arabischen und islamischen Juristen beeinflußt sind. Ein verbreiteter
deutscher Gebrauch verwendet ihn einschränkend als einen Begriff des
internationalen Privatrechts.
3) Die hier aufscheinende Spannung zwischen liberalem Staatsverständnis
und traditionellen katholischen Positionen kann hier nur angedeutet,
aber nicht erörtert werden. Sie kann auch unerörtert bleiben, da die
katholische Kirche auf dem jüngsten Konzil weitgehend liberale
Auffassungen übernommen hat. Weder sind die Widerstand leistenden
traditionstreuen Kreise so stark noch scheinen sie darauf aus zu sein,
in dieser Spannung mehr als einen theoretischen Dissens zu sehen.
4) Man fragt sich allerdings, was darauf noch zu geben ist, nachdem
inzwischen zentrale Menschenrechte gesetzlich ausgehebelt worden sind:
das Recht auf Leben durch eine Abtreibungsgesetzgebung, die zum ersten
Male in der gesamten Geschichte des deutschen Volkes das Lebensrecht
Unschuldiger von Rechts wegen in die Verfügung Dritter stellte; das
Recht auf Eigentum durch die Einbehaltung von zum Teil
jahrhundertealtem, nach dem Krieg enteignetem Familienbesitz seitens
des Staates; das strafrechtliche Rückwirkungsverbot durch nachträgliche
Schlechterstellung von Beschuldigten wegen national-sozialisti-scher
Straftaten; das Recht der freien Meinungsäußerung durch eine neue
Inquisition, die diesmal nicht falsche theologische, sondern falsche
historische Behauptungen strafrechtlich verfolgt – und dies mit einem
bei anderen Gesetzesverstößen ungewohnten Eifer.
5) Es ist dem hier naheliegenden Mißverständnis zu wehren, der dem
grundgesetzlichen Verfassungsstaat vorgegebene deutsche ordre public
sei nur vor islamischen Bestrebungen zu schützen. Beispielhaft sei auf
die ganz unislamischen Bestrebungen hingewiesen, den grundgesetzlich
gebotenen Schutz von Ehe und Familie dadurch in sein Gegenteil zu
verkehren, daß man die Begriffe von Ehe und Familie – ent-gegen dem
deutschen ordre public – umdeutet.
6) THEODOR MAUNZ, GÜNTER DURIG, ROMAN HERZOG: Grundgesetz, Kommentar,
München 1994, Rdnr. 16ff. zu Art. 7.THEODOR MAUNZ, GÜNTER DURIG, ROMAN
HERZOG: Grundgesetz, Kommentar, München 1994, Rdnr. 16ff. zu Art. 7.
7) Zum islamischen "Fundamentalismus" und seiner im vorliegenden
Zusammenhang nicht weiter inte-ressierenden Unterscheidung vom
traditionellen Islam siehe RAINER GLAGOW, HERBERT L. MÜLLER, HANS-PETER
RADDATZ, WOLFGANG VON STETTEN, ROLF STOLZ, ULRICH WORONOWICZ: Der
fundamentalistische Islam. Wesen – Strategie – Abwehr. – Dokumentation
des Studienzentrums Weikersheim Nr. 29, bearbeitet von KLAUS HORNUNG,
(Verlag Wolfgang von Stetten) 1999 (ISBN 3-9806529-1-2)
8) Tatsächlich zeigt der schiitische Islam insofern einen im Grundsatz
wesentlichen Unterschied zum sunnitischen Islam, als ersterer (dem
katholischen Christentum vergleichbar) in etwa ein lebendiges Lehr-amt
kennt, das autoritativ den Islam auslegen kann. Dies kann zu einer
Anpassung an westliche Vorstellungen führen, muß es aber keineswegs.
9) Hier ergibt sich auch der einzige wesentliche Unterschied zwischen
dem jüngeren Islamismus, auch islamischer Fundamentalismus genannt, und
dem aus der historischen Entwicklung sich ergebenden "Staatsislam" –
ein Unterschied, der für das vorliegende Thema unbedeutend ist. In
ihrem Festhalten am islamischen Gesetz unterscheiden sich beide nicht.
10) Sure 3, Vers 110. So jedenfalls das allgemeine Verständnis und die
durchgängige Übersetzung. Ich ver-danke GERD-RÜDIGER PUIN, Saarbrücken,
jedoch den Hinweis, daß der arabische Text beides nicht zuläßt. Das
Prädikat "kuntum" steht im Perfekt und heißt nicht "ihr seid", sondern
"ihr wart". Wahr-scheinlich war ursprünglich ein Konditionalsatz
beabsichtigt: "Ihr wäret das beste Volk ..., so gebietet das Rechte und
verbietet das Verwerfliche ..."
11) Diese Theorie des islamischen Rechts ist unter dem Schlagwort
"taklîf mâ lâ yutâq" ("Aufbürden, was nicht getragen werden kann")
bekannt und stützt sich auf den Vers 7 von Sure 65: "Allah verlangt von
niemand mehr, als was er ihm gegeben hat" (ebenso Sure 23, Vers 62).
Sie deutet diesen Vers also gerade nicht apriorisch, gemäß dem
bekannten ethischen Satz "Du sollst, also kannst du", sondern emprisch,
gemäß seiner Umkehrung: "Du kannst nicht, also sollst du auch nicht",
stellt also die Sittlichkeit unter die Bedingung der Empirie –
entsprechend der Tatsache, daß es im Islam keinen Begriff von Ethik im
eigentlichen Sinne gibt, sondern nur eine Zusammenstellung von
positiven, nämlich göttlich geoffenbarten Vorschriften moralischen,
juristischen, kultischen und hygienischen (d. h. mitunter auch ganz
unhygienischen) Inhalts.
12) Siehe Fußnote 11.
13) Siehe MARTIN FORSTNER: Zur Diskussion über die Menschenrechte in
den arabischen Staaten. – in: LUDWIG BERTSCH, HANS MESSER (Hg.): 3.
Sankt Georgener Symposion 1992: Christen und Muslime in der
Verantwortung für eine Welt- und Friedensordnung. Frankfurt/Main 1992,
S. 49-94.
14) Typisches Beispiel ist die Stellungnahme des iranischen Vertreters
vor der Generalversammlung der Ver-einten Nationen im November 1982,
wiedergegeben in SAMI AWAD ALDEEB ABU-SAHLIEH: La définition
internationale des droits de l'homme et l'islam. – in: Revue générale
de droit international public 1985, 625-716, hier S. 632.
15) Zahlreiche Belege in MARTIN FORSTNER, s. Fußnote 13.
16) "Déclaration Islamique Universelle des Droits de l'Homme". Eine
deutsche Übersetzung des arabischen Textes, die die schwerwiegenden und
auf eine Täuschung des der arabischen Sprache und islamischer
Vorstellungen Unkundigen hinauslaufenden Abweichungen der offiziellen
französischen und englischen Übersetzungen vermeidet, ist MARTIN
FORSTNER: Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung,
CIBEDO-Dokumentation Nr. 15/16, Frankfurt/Main 1982.
17) Wichtig zu nennen ist insbesondere die Kairoer Erklärung der
Menschenrechte im Islam vom 05.06.1990; deutsche Übersetzung in
Gewissen und Freiheit 36 (1. Halbjahr 1991), S. 90-98
18) Über die haarsträubenden Zustände im englischen Bradford, zum
Beispiel, siehe den Artikel "Forced marriages in the UK" von MARUF
KHAWAJA in der Zeitschrift Zameen vom Dezember 1999 (Der Artikel kann
vom Verf. bezogen werden.)
19) Das bekannteste Beispiel dafür ist die islamrechtliche Strafe für
Ehebruch: im Koran Auspeitschung, im islamischen Recht aufgrund eines
hadîth jedoch die Todesstrafe durch Steinigung – für den, der schon
einmal Geschlechtsverkehr in einer Ehe hatte.
20) Sure 4, Vers 34: "Und wenn ihr fürchtet, daß Frauen sich auflehnen,
dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!" (Übersetzung
von RUDI PARET)
21) Im Juli 2000 erregte MOHAMED KAMAL MOSTAFA, der aus Ägypten
stammende Imam der schee im süd-spanischen Fuengirola, nahe Malaga, mit
seinem Buch "Frauen im Islam" einen Sturm der Entrüstung in Spanien. In
ihm führt der Imam aus, wie die Disziplinierung der Ehefrau vorzunehmen
ist, damit die Frau keine sichtbaren Spuren der Mißhandlung davonträgt:
"Schläge müssen auf bestimmte Körperteile ausgeführt werden, wie Füße
und Hände, und mit einem Stock, der nicht zu dick ist, sondern fein und
leicht, damit er keine Schrammen und Male am Körper hinterläßt." (BBC
World Service 24.07. 2000, 13:24 GMT).Im Juli 2000 erregte MOHAMED
KAMAL MOSTAFA, der aus Ägypten stammende Imam der Mo-schee im
süd-spanischen Fuengirola, nahe Malaga, mit seinem Buch "Frauen im
Islam" einen Sturm der Entrüstung in Spanien. In ihm führt der Imam
aus, wie die Disziplinierung der Ehefrau vorzunehmen ist, damit die
Frau keine sichtbaren Spuren der Mißhandlung davonträgt: "Schläge
müssen auf bestimmte Körperteile ausgeführt werden, wie Füße und Hände,
und mit einem Stock, der nicht zu dick ist, sondern fein und leicht,
damit er keine Schrammen und Male am Körper hinterläßt." (BBC World
Service 24.07. 2000, 13:24 GMT).
22) Diese islamrechtlich niedrige Stellung schließt natürlich nicht
aus, daß die verheiratete Frau und Mutter tatsächlich eine starke
Stellung in der Familie haben kann. Das ist mitunter sogar recht
verbreitet.
23) Von den vier als rechtgläubig anerkannten Rechtsschulen des
sunnitischen Islams hält die sehr verbrei-tete und über die von ihr
beherrschte Al-Azhar-Universität in Kairo einflußreiche schafi'itische
Rechts-schule die Beschneidung der Frau für Pflicht (wâgib). Eine
Minderheit der schafi'itischen Gelehrten und die hanbalitische
Rechtsschule sehen sie nicht als strenge Pflicht, aber sehr wohl als
verdienstvolle Befolgung des Brauchs (sunnah) des Propheten an. Die
hanafitische und die malikitische Schule sehen in ihr ein ehrenvolles
Entgegenkommen gegenüber dem Ehemann. Einige Rechtsgelehrte betrachten
sie als bloße Sitte in heißen Klimazonen.
24) So die herausragenden Autorität von al-Gazzâlî (+ 1111) –
vergleichbar etwa der THOMAS VON AQUINs in der katholischen Kirche –,
der in seinem Werk ihya’ ‘ulûm ad-dîn, Beirut (dâr al-kutub
al-‘ilmîyah), Band II, kitÁb adab al-nikah, S. 64 bündig schreibt: "Das
treffendste und endgültige Wort in der Angelegenheit ist, daß die Ehe
eine Form der Sklaverei (riqq) ist. Die Frau ist Sklavin ihres Mannes
und ihre Pflicht ist darum absoluter Gehorsam gegen den Ehemann in
allem, was er von ihrer Person verlangt."
25) Zum Beispiel: "Gemäß einem von al-Buhârî überlieferten hadît ist
der mahr eine wesentliche Voraus-setzung für die Gesetzmäßigkeit der
Ehe. 'Jede Ehe ohne mahr ist null und nichtig'" (Encyclopaedia of
Islam, Eintrag "mahr").
26) So zum Beipiel in dem hadît "Wer zwei Handvoll Mehl oder Datteln
als mahr für seine Frau gibt, hat sich deren Geschlechtsteil legal
gemacht" (miskat al-masabîh, Buch II, Abschnitt mahr, hadît Nr. 57).
27) Nach verbreitetster Meinung, natürlich auf einen hadît gestützt, dürfen nur Gesicht und Hände sichtbar sein.
28) ERDMUTE HELLER, HASSOUNA MOSBAHI (Hg.): "Hinter den Schleiern des
Islam. Erotik und Sexualität in der arabischen Kultur". – München
(Beck) 11993, 21994 (ISBN 3-406-37607-x), Taschen-buchausgabe München
(Deutscher Taschenbuch-Verlag) 1997 (ISBN 3-423-04712-7); siehe
insbesondere Seite 112ff.
29) "Die Rede der Verschleierten ist ebenso wie sie selbst etwas, das
man schamhaft verhüllen muß..." (HELLER, MOSBAHI: "Hinter den Schleiern
...", Fn. 28, S. 81)
30) "Wenn sie [die Frauen] sich selbst überlassen sind, so kennen sie
keine Religion. Sie sind ohne Tugend und ohne Erbarmen, wenn es um ihre
fleischlichen Begierden geht..." (HELLER, MOSBAHI: "Hinter den
Schleiern ...", Fn. 28, S. 81); Alî wird auch folgendes Gedicht
zugeschrieben, das im nahg al-bala-ga, einer bekannten Sammlung von
(angeblichen) Reden, Briefen und Aussprüchen Alîs enthalten ist, die im
schiitischen Islam hochangesehen ist und zum Beispiel nach dem Urteil
des Testaments des persschen Revolutionsführers und Theologen
(Ayatollâh) Rûdollâh Komainî, herausgegeben vom Islamischen Zentrum
Hamburg, an Zuverlässigkeit nur dem Koran nachsteht:
al-mar'atu sarrun kulluhâDie Frau ist schlecht ganz und gar.
wa-sarru mâ fîhâUnd das Schlechteste an ihr ist,
anna lâ budda minhâdaß es ohne sie nicht geht.
Verf. dankt Herrn ANDREAS ISMAIL MOHR, Köln, für den Hinweis auf dieses Gedicht.
31) HANS-PETER RADDATZ: Von Gott zu Allah? Christentum und Islam in der
liberalen Fortschrittsge-sellschaft. München (Herbig) 2001 (ISBN
3-7766-2212-1), S. 274ff.; WIEBKE WALTHER: "Die Frau im Islam" – in:
PETER ANTES, KHALID DURAN, TILMAN NAGEL, WIEBKE WALTHER: Der Islam.
Religion – Ethik – Politik. – Stuttgart (Verlag Kohlhammer) 1991 (ISBN
3-17-011737-8), S. 100 ff.
32) So die marokkanische Soziologin FATIMA MERNISSI in ihrem Buch
"Beyond the Veil" 2nd revised edition (Saqi Books) 1985 (ISBN
086356030X), "Beyond the Veil. Male-Female Dynamics in a Modern Muslim
Society" Revised (Indiana University Press) 1987(ISBN 0253204232), hier
zitiert in der Überset-zung von HELLER und MOSBAHI, Fn. 28, S. 45; vgl.
auch FATIMA MERNISSI: The Veil and the Male Elite. A Feminist
Interpretation of Women's Rights in Islam. übersetzt von MARY JO
LAKE-LAND – Reprint (Addison Wesley Publishing Company) 1992 (ISBN
0201632217)
33) HELLER und MOSBAHI, s. Fn. 28, S. 103.
34) srâr Ahmad, Chefideologe zur Zeit des später durch Flugzeugabsturz
umgekommenen pakistanischen Präsidenten Zia al-Haqq, verkündete im
Fernsehen, daß niemand wegen Vergewaltigung verurteilt wden könne,
solange noch Frauen in der pakistanischen Gesellschaft sichtbar seien
(HANS-PETER RADDATZ: Von Gott zu Allah? ..., S. 274, s. Fn. 31.
35) "Wie die Feder in das Tintenfaß taucht", lautet der Anspruch der geschmackvollen Beweislastregel.
36) Vgl. dazu besonders FORSTNER: "Zur Diskussion über die Menschenrechte", Fn. 13, vor allem S. 67ff.
37) So zum Beispiel MUHAMMAD SALIM ABDULLAH (alias HERBERT KRAHWINKEL):
"Was will der Islam in Deutschland?" – Gütersloh (Verlagshaus Gerd
Mohn) 1993 (ISBN 3-579-00797-1), der auf S. 124 mit Hinweis auf diese
Koranstelle unverfroren behauptet: "Im Koran sind die Glaubens-,
Gewissens- und Meinungsfreiheit eindeutig garantiert."
38) So mit Verweis auf die Parallelstellen 10:99f., 12:103 und 16:37
RUDI PARET: Der Koran. Band 1: Übersetzung. – Stuttgart etc.
(Kohlhammer) 1966, Anmerkung 277 auf S. 38; derselbe: Der Koran. [Band
2:] Kommentar und Konkordanz. – Stuttgart etc. (Kohlhammer) 1971,
S.54f. Zum Ganzen: derselbe: "Sure 2,256: lâ ikrâha fî dîni. Toleranz
oder Resignation?" in: Der Islam 45 (1969), S. 299f.
39) Diese dem außerislamischen Verständnis von göttlicher Wahrheit und
Offenbarung fremde Lehre von der Aufhebung (Abrogation, nash) von
Koranversen durch andere eröffnet auch sonst reiche Möglichkeiten der
Irreführung des unwissenden Partners im "ökumenischen" Gespräch. Im
vorliegenden Falle werden unterschiedliche Verse als die aufhebenden
(abrogierenden, nâsih) genannt, durch die Vers 2:256 als aufgehoben
(abrogiert, mansûh) gilt.
40) Für Genaueres wird verwiesen auf JOSEPH SCHACHT: An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964.
41) So verlangte Gadd al-Haqq, der inzwischen verstorbene Groß-Imam der
in der arabischen Welt hochangesehenen Al-Azhar-Hochschule, in einem
Beitrag der Kairoer Tageszeitung Garîdat al-Ahbâr vom 12.06.1995 unter
der Überschrift "Wer sich vom Islam abwendet, erhebt sich gegen die
allgemeine Ordnung des Staates" Abtrünnige als Hochverräter zu
behandeln. Verf. liegt die Kopie eines (religionsgesetzlichen)
Rechtsgutachtens (fatwâ) vor, in dem das (sunnitische) "Haus für
Rechtsgutachten in der Republik Libanon, dâr al-fatwâ fî gumhûrîyat
al-lubnânîyah", also das Büro des muftî des Libanons, auf die Anfrage
einer Familie in Deutschland (!) unter dem 13.11.1989 unzweideutig
erklärt, daß zumindest der männliche Renegat nach islamischem Recht
hinzurichten ist.
42) So z. B. in Abd al-Qâdir ‘Auda: at-tasrî al-ginâ’î al-islâmî
muqâranan bi-l-qânûn al-wad‘î (Das islamische Strafrecht im Vergleich
mit dem positiven Recht). – 3. Aufl. Kairo 1977, Band I, S. 336f.
Dieses anerkannte zweibändige Handbuch des islamischen Strafrechts
erklärt den Abtrünnigen für vogelfrei.
43) Offizielle Todesurteile wegen Apostasie sind in den letzten Jahren
aus Iran, Sudan und Jemen bekannt geworden. Im Iran und im Sudan sind
solche Todesurteile auch vollstreckt worden.
44) Vgl. die an rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen reiche
Darstellung von MARTIN FORSTNER: "Das Menschenrecht der
Religionsfreiheit und des Religionswechsels als Problem islamischer
Staaten". – in: Kanon. Kirche und Staat im christlichen Osten. Jahrbuch
der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen, Wien, Band 10 (1991), S.
105-186.
45) Immerhin aber Mauretanien, dessen Strafgesetzbuch in § 306
bestimmt: "Jeder Muslim, der sich unver-hohlen und offen durch Wort
oder Tat des Verbrechens der Apostasie schuldig macht, muß aufgefordert
werden, innerhalb von drei Tagen sein Verbrechen zu bereuen. Zeigt er
innerhalb der Frist keine Reue, wird er als Abtrünniger verurteilt und
sein Vermögen fällt der Staatskasse anheim...", in: Gewissen und
Freiheit 36 (1991), S.12. Saudi-Arabien hat kein Strafgesetzbuch,
sondern wendet unmittelbar die sarî‘ah an.
46) Bekannt ist der Fall des ägyptischen Korangelehrten Nasr Abû Zaid,
dessen Ehe wegen angeblicher Apo-stasie zwangsweise geschieden wurde.
Hier wurde also in einer Nebensache, dem eherechtlichen Status des der
Apostasie Beschuldigten, über die Hauptsache, seine angebliche
Apostasie, entschieden, obwohl letztere strafrechtlich nicht normiert
ist.
47) So zum Beispiel der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in
Deutschland, NADEEM ELYAS, in einem der Frankfurter Rundschau gegebenen
Interview, ebenso in seinem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom
10.12.2001 unter der Überschrift "'Es muß einen Islam deutscher Prägung
geben' – Nadeem Elyas vom Zentralrat der Muslime fordert die Öffnung
zur Gesellschaft und verteidigt die drakonischen Strafen der Scharia".
48) Es ist zum Beispiel nicht einzusehen, wieso die Leitung von
Moscheen – wie zum mindesten in der Vergangenheit geschehen – von
Agenten des türkischen Religionsministeriums mit saudi-arabischem Geld
sollte übernommen werden dürfen.
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