Die Kirche
von Heribert Holzapfel (aus: „Katholisch und Protestantisch“ Freiburg 1931, S. 29 ff.)
Nicht selten begegnet man der Behauptung: „Das Verhältnis des Protestanten zu Gott ist ein unmittel-bares, von keiner menschlichen Gewalt abhängiges, beim Katholiken aber schiebt sich überall die Kirche ein zwischen ihn und seinen Gott.“ Das ist durchaus irrig gesehen. Der Katholik steht seinem Gott genau so unmittelbar und unabhängig gegenüber wie jeder andere Mensch. Es ist gar nicht möglich, daß irgend eine irdische Gewalt, auch wenn sie wollte, sich eindrängen könnte in dieses zarteste und einzig dastehende Verhältnis zwischen Gott und Menschengeist, wie es beispielsweise im Gebet seinen Ausdruck findet.
Eine ganz andere Frage aber ist die: Wie kann der Mensch mit Christus in Verbindung kommen, insofern er das Haupt der Menschheit, der Erlöser der Menschen ist? Wie wird der Mensch der Erlösung teilhaftig, die Christus nach übereinstimmender Lehre der Katholiken und Protestanten der Menschheit verdient hat? Darauf antwortet der Katholik: Um der Heilsgüter des Erlösers teilhaftig zu werden, muß ich den Weg gehen, den Christus vorgeschrieben hat, ich muß in die Gnadengemeinschaft eintreten, die er gestiftet hat, ich muß mich in seine Kirche aufnehmen lassen.
I. Die Kirche der mystische Leib Christi
Nach katholischer Auffassung ist die Kirche eine geheimnisvolle Gnadengemeinschaft mit Christus als Haupt an der Spitze. Wiederholt gebraucht die Schrift 2) für die Gemeinschaft der Heiligen (der Gläubigen) das Bild vom Leib, dessen Haupt Christus ist und dessen Glieder die einzelnen Gläubigen darstellen. Sie zusammen bilden die Kirche, den mystischen Leib Christi. Vom Haupte strömt beständig göttliches Leben in die einzelnen Glieder, und so erfüllt sich der Heilsplan Gottes, der die Menschen in die göttliche Lebensgemeinschaft aufnehmen wollte, und zwar durch den Gottmenschen Christus. Der mystische Christus oder die Kirche ist etwas ebenso Reales wie der historische Christus, und nur durch Eingliederung in den ersteren kommt man zur Teilnahme am letzteren.
Wie Christus vor 1900 Jahren in einem aus Maria entnommenen Menschenleib lebte, so lebt er heute sein mystisches Leben in einem der ganzen Menschheit entnommenen Leib, der den Namen Kirche trägt. Aber ist es nicht übertrieben, nicht unnatürlich, zu behaupten, daß das mystische Leben Christi in wirklichem Sinne, nicht etwa bloß bildlich, identisch ist mit dem übernatürlichen Leben aller Kirchenmitglieder? Um dies zu veranschaulichen, sei an eine Tatsache des organischen Lebens erinnert, die uns erst durch die moderne Biologie zum Bewußtsein gekommen ist. Danach ist das Leben der höheren Organismen nicht bloß eine geheimnisvolle Einheit, sondern zugleich das Ergebnis einer unzählbaren Menge von Einzelzellen. Jede von ihnen besitzt ihre eigene Individualität, ihr eigenes Leben, aber dieses wird gewissermaßen über sich hinausgehoben zu einer höheren Einheit, zur Einheit des Organismus, von dem sie ein Teil ist. Also jeder organische Körper, ein Baum, ein Tier, der Mensch, kann unter einem doppelten Gesichtspunkte betrachtet werden: er besitzt zunächst als Ganzes ein ihm eigenartiges Leben, das mit der Befruchtung beginnt und mit dem Sterben endet. Unter dieser Einheit des Baumes, des Tieres, des Menschen verbergen sich aber unzählbare Lebewesen, die Zellen, aus denen der ganze Organismus aufgebaut ist. Diese Zellen entstehen unaufhörlich, sie leben ihre eigenes Leben, sterben und vergehen mit der Zerstörung der Gewebe, ohne jedoch durch diesen ewigen Wechsel das fortdauernde Leben des ganzen Organismus zu unterbrechen.
Dieser Vergleich vermag das Geheimnis der Kirche in etwa aufzuhellen. Die einzelnen Glieder der Kirche sind gewissermaßen die Zellen, sie alle zusammen bilden die große Einheit, den geheimnisvollen Organismus des Leibes Christi, der belebt und regiert wird vom Geiste Christi, ähnlich wie der Menschengeist die einzelnen Zellen des menschlichen Organismus einigt, belebt und regiert. Der Heiland selbst weist unsere Gedanken nach dieser Richtung, wenn er sich als den Weinstock und die Seinigen als die Reben an diesem Weinstock bezeichnet (Joh. 15,1 ff.).
Die Kirche ist demnach nichts anderes als der fortlebende und fortwirkende Christus, die tatsächliche Erfüllung der Verheißung: „Ich bleibe bei euch bis ans Ende der Welt“ (Matth. 28,20). Dieses Fortwirken vollzieht sich in den Gnadenmitteln, hauptsächlich in den Sakramenten der Kirche. Sie sind gewissermaßen die Blutgefäße, durch die das Leben Christi strömt und sich dem einzelnen mitteilt. Die Aufnahme in diese übernatürliche Gnadengemeinschaft mit Christus, die Eingliederung in den mystischen Leib Christi, erfolgt durch die Taufe. Wer durch diese Wiedergeburt Glied am Leibe Christi geworden ist, der bleibt es ebenso unabänderlich, wie der Mensch, der durch Geburt in eine Familie hineingeboren wurde, Glied dieser Familie bleibt, ob er es weiß oder nicht, ob er sich später von der Familie lossagt oder nicht.
Wer sich über diese katholische Auffassung von der Kirche klar geworden ist, der weiß, daß es eine innigere, unmittelbarere Beziehung zwischen der Seele und Christus gar nicht geben kann als in der Kirche. Sie schiebt sich nicht zwischen uns und Christus, sondern sie vermittelt uns eine immer innigere Verbindung mit ihm. So erklärt sich auch die tiefe Verehrung, mit der der gläubige Katholik an seiner Kirche hängt. Je mehr er den historischen Christus liebt, desto mehr wird er den mystischen Christus lieben, durch den er zu jenem kommt. Er kann sich auf Erden nichts Schöneres vorstellen als diese harmonische Zusammenfassung von Millionen von Menschengeistern, die zerstreut über alle Nationen einen großen Bruderbund bilden, zusammengehalten durch Christi Geist und Christi Gnade, einheitlich im Glauben, einheitlich in den Gnadenmitteln, einheitlich in der Leitung. Diese Einheit ist dem Katholiken ein notwendiges Merkmal der Kirche Christi, das so selbstverständlich aus ihrem Wesen folgt, daß es zu seiner Bekräftigung gar keines Schriftwortes bedürfte. Wenn der Herr in seinem hohenpriesterlichen Gebet fleht, daß die Seinigen eins sein sollen, wie er mit dem Vater eins ist“ (Joh. 17,11), wen Paulus die Forderung aufstellt: „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (Eph. 4,4), so sieht der Katholik darin lediglich eine Bestätigung, daß die katholische Auffassung auch die des Völkerapostels ist, daß jede Zerreißung der Einheit gegen den ausdrücklichen Willen Christi verstößt.
II. Die Sichtbarkeit der Kirche
Wie ist aber die Erhaltung einer solch durchgreifenden Einheit möglich? Nicht anders als durch Schaffung eines Einheitspunktes, durch den alle auseinanderstrebenden Kräfte der Menschengeister zusammengehalten werden, mit andern Worten, durch eine entsprechende Organisation. Damit kommen wir auf die Sichtbarkeit der Kirche zu sprechen. Dem Nichtkatholiken stellt sich die Kirche in erster Linie dar als eine weltumspannende Gemeinschaft mit Papst, Bischöfen und Priestern, also eine Rechtsanstalt ähnlich einem Staatsgebilde. Wie einseitig und völlig ungenügend diese Vorstellung ist, geht aus dem Gesagten hervor: die Kirche ist in erster Linie eine geheimnisvolle Gnadengemeinschaft, und erst in zweiter Linie kommt die äußere Organisation, die freilich unentbehrlich ist zur Erhaltung des ganzen Organismus, damit die einzelnen Glieder desselben stets mit dem Haupte verbunden bleiben durch den gleichen Glauben und durch die gleichen Gnadenmittel.
1. Der Wille Christi: Der letzte Grund der Sichtbarkeit der Kirche liegt in der Menschwerdung des göttlichen Wortes selbst. Es hätte sich auch ohne Menschengestalt anzunehmen, also in unsichtbarer Weise in die Menschenherzen hineinsenken können, es hätte so auf jeden Menschengeist direkt einwirken können, eine sichtbare Gemeinschaft der von ihm Begnadeten wäre dann zwecklos gewesen. Aber es war im Ratschlusse Gottes anders gelegen. Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt in sichtbarer Gestalt. Es hat nicht rein geistig auf die Menschengeister eingewirkt, sondern geistig-sinnlich, in einer der Menschennatur angepaßten Weise, die nun einmal nicht reiner Geist ist, sondern aus Geist und Leib zusammengesetzt.
Und wie der historische Christus kein unsichtbares Wesen war, so sollte es auch der mystische Christus, die Kirche , nicht sein. Sie sollte wie er selbst in sichtbarer Weise den Menschen gegenübertreten, sie für ihn gewinnen, sie in seinem Namen weiden. Dieser Wille Christi findet sich klar ausgesprochen bei Matth. 16,18: „Du bist Petrus der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben“ (vgl. Matth. 18,18). Weiter bei Joh. 21,15 ff.: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe.“ Gewiß sind diese Worte zunächst an Petrus gerichtet und beweisen unwiderleglich, daß die erste Christengemeinde nach Christi Willen ein sichtbare Organisation besitzen sollte, mit einem sichtbaren Haupte an der Spitze, die besondere geistige Gewalten erhielt und dazu die Verheißung der Unüberwindlichkeit.
Ein Blick in die Apostelgeschichte (Wahl des Matthias, Auftreten gegen Ananias und Sapphira, Austellung der Diakonen, Apostelkonzil usw.) zeigt deutlich, daß auch die ersten Christen dem Willen Christi gemäß ihre Kirche als eine sichtbare betrachteten. Sollte aber nach dem Tode Petri die Sichtbarkeit der Kirche aufhören? Brauchte sie jetzt kein Haupt mehr? Soll niemand mehr bestellt sein mit besondern Vollmachten für die Gläubigen? Es genügt, diese Fragen zu stellen, um die katholische Auffassung zu bejahen, freilich unter der Voraussetzung, daß man die Gottheit Christi glaubt, an seinen Willen, den Menschen aller Zeiten das zu vermitteln, was er der ersten Kirche in Petrus verliehen hat. Und weil die alte Christenheit diesen glauben an die Gottheit Christi lebendig in sich trug, darum behielt sich auch die Organisation bei, die ihr Christus gegeben, d.h. sie blieb eine sichtbare Heilsanstalt. Von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, kam es daher keinem gläubigen Christen in den Sinn, gegen die Sichtbarkeit der Kirche anzukämpfen. Erst die Reformatoren des 16. Jahrhunderts dachten anders.
2. Klerus und Laien: Aus dem oben Gesagten geht zugleich unwiderleglich hervor, daß nicht alle Glieder der Kirche gleichberechtigt waren, daß es von Anfang an zwei Stände gab: die Apostel und ihre Gehilfen (Klerus) auf der einen Seite, das von ihnen geleitete gläubige Volk (Laien) auf der andern Seite. Die ersteren erhielten aber ihre Gewalt nicht etwa von den letzteren, sondern traten ihnen gegenüber als Bevollmächtigte Christi auf, und zwar nicht bloß die Apostel selbst, sondern auch die von ihnen bestellten Nachfolger im Vorsteheramt. „Dazu habe ich dich auf Kreta zurückgelassen, damit du das, woran es noch fehlt, in Ordnung bringst, in jeder Stadt Älteste aufstellst, wie ich dir aufgetragen habe“, schreibt Paulus an Titus (1,5; vgl. 2,15). Wenn es im Laufe der Kirchengeschichte vorkam, daß das Volk selbst sich bei der Wahl der Bischöfe beteiligte oder der Staat einen Bischof „ernannte“, so bedeutet das lediglich eine Benennung der Person für das Amt, nicht aber eine Übertragung der Amtsgewalt auf den Gewählten. Diese Übertragung erfolgte vielmehr durch die Priesterweihe, beziehungsweise durch die übergeordneten kirchlichen Oberen. So konnte niemals jemand eine kirchliche Gewalt ausüben, wenn er nicht von einem Bischof geweiht war, dieser wieder von einem andern Bischof, und so zurück bis zu den Aposteln, ja bis auf Christus selbst. (Apostolische Sukzession der Bischöfe.) Jeder Bischof wie jeder Priester steht somit den Gläubigen gegenüber da als Nachfolger der Apostel oder Bevollmächtigter der Apostel mit der den Aposteln von Christus verliehenen Autorität. Alle Kirchengewalt kommt also von Christus und wird in seinem Namen ausgeübt.
Man hat protestantischerseits gegen diese von Anfang an vorhandene Zweiteilung in Klerus und Volk das Wort „Ihr seid ein königliches Priestertum“ (1 Petri 2,9) ins Feld geführt. Aber zu Unrecht. Petrus stellt hier nach dem ganzen Zusammenhange nicht das gläubige Volk den Aposteln gegenüber, indem er sie alle etwa als gleichberechtigte Priester bezeichnet, sondern er stellt die Christen den Ungläubigen gegenüber, betont ihre Pflicht, „durch Jesus Christus geistige, Gott wohlgefällige Opfer darzubringen“ (1 Petri 2,6). Darin besteht ihr königliches Priestertum. Aber im buchstäblichen Sinne werden sie dadurch ebensowenig Priester wie Könige.
Also, nach katholischer Lehre sind von Christus selbst die einen in seiner Kirche dazu berufen und ausgestattet, den andern die Lehre und Gnade zu vermitteln, sie auf den rechten Weg zu führen, sie zu weiden und zu leiten. „Und so bestimmte er die einen zu Aposteln, die andern zu Propheten, wieder andere zu Verkündigern des Evangeliums oder zu Hirten und Lehrern. Sie sollen die Heiligen zur Ausführung ihres Amtes heranbilden, zum Aufbau des Leibes Christi, bis wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollendeten Männlichkeit, zur vollen Reife des Mannesalters Christi gelangen. Dann werden wir nicht mehr unmündige Kinder sein, die sich von jedem Windhauch der Lehre, durch das Trugspiel der Menschen, durch die Verführungskünste der Irrlehre hin- und herwiegen und tragen lassen. Vielmehr werden wir uns an die Wahrheit halten und in Liebe nach jeder Hinsicht in den hineinwachsen, der das Haupt ist: Christus. Von ihm aus wird der ganze Leib durch den Dienst eines jeden Gliedes zusammengefügt und zusammengehalten und jedem Teil seine bestimmte Arbeitsleistung zugemessen, uns so vollzieht sich das Wachstum des leibes, bis er in Liebe aufgebaut ist“ (Eph. 4,12-16).
Aber diese Vollmachten schließen schwerste Pflichten in sich. Sie berechtigen die Kleriker keineswegs, sich über die Laien zu erheben oder über sie nach Art weltlicher Machthaber zu herrschen. Nicht als Herren sollen sie sich fühlen, sondern als Diener! „Der Größte unter euch sei wie der Geringste und der Vorsteher wie der Diener“ (Luk. 22,26). Und die Fußwaschung war der Anschauungsunterricht für diese Wahrheit. Wohl wissen wir, daß im Verlauf der Kirchengeschichte nicht immer danach gehandelt wurde, daß bisweilen viel dagegen gefehlt worden ist. Es ist aber katholische Lehre, daß ein solches Tun schwerste Verantwortung vor dem ewigen Richter nach sich zieht.
Freilich sind die Gläubigen von der Pflicht des Gehorsams in religiösen Dingen auch solchen Vorgesetzten gegenüber nicht entbunden, die ihr Amt nicht im Geiste Christi führen. Vielmehr gilt hier das Wort des Herrn: „Was sie euch sagen, das tut, aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun“ (Matth. 23,3). Nach katholischer Überzeugung steht das Gemeinwohl höher als das Privatwohl. Es ist deshalb ein weit geringeres Übel, wenn der einzelne durch Mißgriffe einer Autoritätsperson im Staatswesen wie in der Kirche etwas zu leiden hat, als wenn er durch Auflehnung die Autorität selbst schädigte. Er muß in solchen Fällen das Gericht über die Vorgesetzten Gott überlassen und darf nicht die Fahne der Empörung aufpflanzen, selbst dann nicht, wenn er in einem bestimmten Falle aus Gewissensgründen den Gehorsam verweigern müßte.
3. Das kirchliche Lehramt, das Dogma: Die Hauptaufgabe des kirchlichen Lehramtes ist es, den Willen Christi, daß all die Seinigen einig bleiben, die Forderung des Apostels, „ein Glaube, eine Taufe“, zur Durchführung zu bringen. Als Träger des kirchlichen Lehramtes kommen in erster Linie Papst und Bischöfe in Betracht. Sie haben das Recht und die Pflicht, die in der christlichen Offenbarung, Schrift wie Tradition, niedergelegte Wahrheit den Gläubigen zur Erkenntnis zu bringen. Geschieht dies in feierlicher Form, so spricht man von einem Dogma (Glaubenssatz), das jeder Katholik zu glauben verpflichtet ist. Diesem „Dogmenzwang“ steht der heutige Zeitgeist durchaus ablehnend gegenüber, weshalb sich auch die modernen Weltanschauungen fast ausnahmslos beeilen, zu versichern, daß es bei ihnen keinen Dogmenzwang gibt. Der katholischen Kirche kommt so etwas gar nicht in den Sinn. Sie opfert dem Zeitgeist nie, weil sie aus ihrer langen Geschichte weiß, wie unmodern recht bald die heutigen Modewahrheiten sein werden Vielmehr tritt sie hier dem Zeitgeist scharf entgegen und sagt: Modewahrheiten sind keine Wahrheiten. Jede Wahrheit ist ewig, ist Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit der Wirklichkeit. Wie diese Wirklichkeit unabhängig von uns dasteht, so besteht auch die Wahrheit unabhängig von uns; wir können sie bejahen oder verneinen, aber ändern können wir sie nicht.
Und was von jeder Wahrheit gilt, gilt in gleicher Weise von der religiösen Wahrheit, vom Dogma. Es kann vom Menschen erkannt, „entdeckt“ und formuliert werden, aber es kann von ihm nicht geschaffen werden, nicht „erfunden“ werden. Dogma ist auch nicht der Ausdruck frommer Erlebnisse bestimmter Zeiten oder bestimmter Menschen, sondern Dogma ist die Anerkennung einer ehernen Tatsache, es spricht aus, was wirklich ist, was tatsächlich existiert. Eine Klage über Dogmenzwang kommt daher dem Katholiken ebenso töricht vor wie eine Klage über die Starrheit der Naturgesetze.
Es ist hier der Platz, ein Wort über die Entwicklung der Glaubenslehre anzufügen, da gerade hierüber soviel Unklarheit herrscht. Der Katholik glaubt mit dem Protestanten, daß die Offenbarung mit Christus und den Aposteln abgeschlossen ist, aber er glaubt weiter, daß die Erkenntnis dieser Offenbarung nicht abgeschlossen ist, vielmehr ständig wachsen kann und soll. Das Gleichnis des Herrn vom Senfkorn, das sich zum Baum entwickelt, gilt nicht nur vom Gottesreich im allgemeinen, sondern auch von der Glaubenswahrheit im besondern. Auch sie soll nicht immer Samenkorn bleiben, sondern sich entfalten, Zweige, Blätter, Blüten treiben und immer reichere Früchte tragen. Ist aber der Baum mit seinen Blättern und Blüten etwa „menschliches Beiwerk“ zum Samenkorn, weil der Gärtner den Samen gesät, begossen und gepflegt hat? Gewiß nicht, sondern die im Samenkorn schlummernden Kräfte haben die Entwicklung herbeigeführt, es war ein Wachstum von innen heraus, im Grunde nichts Neues, sondern nur die Entfaltung des im Samenkorn schon Vorhandenen. So ähnlich stellt sich nach katholischer Auffassung die Entwicklung der Glaubenslehre, des Dogmas, dar. Das Samenkorn, die Offenbarungswahrheit, kann die Kirche nicht geben, aber menschliche Geistesarbeit kann unter der Leitung des in der Kirche lebenden Geistes Christi eine in der Offenbarung, SChrift und Tradition, niedergelegte Wahrheit immer deutlicher herausheben, immer klarer zur Erkenntnis bringen. So definierte das Konzil von Nizäa 325 nach langen wissenschaftlichen Kämpfen um die Gottheit Christi die Gleichwesentlichkeit des Sohnes mit dem Vater als Dogma. Es wurde damit der Christenheit keine neue Lehre aufgebürdet; Christus war immer Gott; aber eine klarere Formulierung der alten Wahrheit wurde mit der Verkündigung des Dogmas gegeben, und die Pflicht wurde eingeschärft, sich dieser Wahrheit zu beugen.
Noch auf etwas anderes sei in diesem Zusammenhange hingewiesen, das nicht selten als Angriffspunkt gegen die Katholiken benützt wird. Der Katholik muß sich den offiziellen Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes unterwerfen, das steht außer Frage. Aber muß er alle die Entscheidungen kennen, die im Laufe der Jahrhunderte in zahllosen Kämpfen gegen die Irrlehrer ergangen sind, Entscheidungen, die vielleicht heute für das religiöse Leben des einzelnen ohne Bedeutung sind, während sie nach Jahrhunderten vielleicht wieder sehr praktisch werden können? Die Antwort lautet: Nein! Das ist Sache der Gottesgelehrten, nicht aber Pflicht des einzelnen Gläubigen, alle Glaubensentscheidungen der Vergangenheit kennen zu lernen. Für ihn genügt die Glaubenshaltung gegenüber der Kirche, daß er bereit ist, alles zu glauben, was ihm die Kirche zu glauben vorstellt. Diese Geisteshaltung ist aber eine Selbstverständlichkeit für jeden, der an das Wesen der Kirche im katholi-schen Sinne glaubt. Darum ist es unbegreiflich, wie man daraus den Katholiken einen Vorwurf machen kann, als ob sie alles blind und unbesehen annehmen würden. Ein Vergleich möge dies klarmachen. Von einem guten Staatsbürger muß verlangt werden, daß er gewillt ist, sich der Staatsordnung zu beugen, die Staatsgesetzte zu beobachten. Muß er sie aber deswegen alle kennen? Auf der gleichen Linie liegt der andere Einwand, der die Katholiken gruseln machen will, weil sie nicht weniger als 2414 Kanones des kirchlichen Gesetzbuches zu beobachten hätten; dadurch gehe doch alle evangelische Freiheit verloren. Das ist ungefähr so, wie wenn man dem Staatsbürger vorhielte, daß er an all die ungezählten Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Strafgesetzbuches, der Prozeßordnungen usw. gebunden sei und infolgedessen keinen selbständigen Schritt mehr tun könne. Entspricht dies der Wahrheit? Sicherlich nicht. Denn die Gesetze, die jeden einzelnen angehen, sind immer sehr wenige; aber für die Ordnung aller Rechtsverhältnisse einer großen Gemeinschaft sind viele Gesetze nötig, von denen die allermeisten für die einzelne Person nie in Frage kommen.
4. Unfehlbarkeit: Es ist urchristlicher Glaubensbesitz, daß die Kirche in der Verkündigung der Glaubenswahrheit nicht irrt, nicht irren kann. Der in ihr lebende Geist Christi schützt sie vor Irrtum. Die Stiftungsurkunde der Kirche schließt daher mit den Worten: „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“ Das wäre aber der Fall, wenn Irrtum und Lüge in Glaubenswahrheiten in der Kirche Platz finden könnten. Darum nennt auch Paulus die Kirche „eine Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1 Tim. 3,15). Infolgedessen herrschte in der alten Kirche niemals ein Zweifel darüber, daß sie als Ganzes mit Unfehlbarkeit ausgestattet ist. Wo immer im Laufe der Zeit Irrtümer auftraten, versammelten sich die Häupter der Kirche in den Konzilien und sprachen ihr Urteil. Und der Ausspruch der allgemeinen Konzilien in Glaubens- und Sittenlehren begründete stets eine Glaubenspflicht für alle, welche der Kirche angehören wollten.
Eine glänzende Bestätigung der Unfehlbarkeit der Kirche, die auch dem Nichtkatholiken zu denken geben sollte, liegt darin, daß von all den vielen Glaubenswahrheiten, die in einem Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahrtausenden verkündet worden sind, auch nicht eine einzige namhaft gemacht werden kann, die mit einem sicher bewiesenen Satz der Wissenschaft in Widerspruch stünde, die somit als falsch dargetan werden könnte. Der Katholik freilich findet diese Tatsache nicht auffallend, weil er weiß, daß die religiöse wie die profane Wahrheit in gleicher Weise von Gott stammt und Gott sich nicht widersprechen kann. Durchdrungen vom Glauben an die Gottheit Christi, hält er es für ganz unmöglich, daß die Verheißung Christi nicht in Erfüllung geht, wonach sein Geist niemals seine Kirche verlassen wird.
Die gegenteilige Lehre vieler protestantische Richtungen, daß die Kirche Christi viele Jahrhunderte lang in wesentlichen Punkten des Glaubens geirrt habe, daß sie vom Geiste Christi abgewichen sei, bedeutet nach katholischem Denken nichts anderes als die Leugnung der Verheißung Christi, daß er bei seiner Kirche bleiben werde alle Tage bis ans Ende der Welt. Und wenn manche Protestanten ihre Gemeinschaft als Fortsetzung der am ersten Pfingstfeste gegründeten Kirche ansehen und dennoch behaupten, daß diese erste Kirche im Laufe der Zeit von der Wahrheit abgeirrt sei, welche Bürgschaft haben sie dann, daß ihre erst im 16. oder im 19 Jahrhundert gegründete Gemeinschaft die Wahrheit besitze? Sind sie der Meinung, daß die Verheißung Christi sich für die älteste Kirche mit ihren zahllosen Martyrern und Heiligen als trügerisch erwiesen habe, wie können sie glauben, daß diese Verheißung sich für die eigene, viel jüngere Kirche als weniger trügerisch erweise?
5. Das Selbstbewußtsein der Kirche: „Intoleranz.“ Die Kirche tritt der Menschheit gegenüber mit der Autorität des in ihr fortlebenden Christus und verlangt unbedingte Annahme ihrer Glaubens- und Sittenlehren, so dunkel und schwierig sie auch sein mögen. Jedes Abweichen davon brandmarkt sie als eine Zerreißung der von Christus gewollten Einheit, als Frevel gegen den geheimnisvollen Leib Christi, als Häresie, als Ketzerei. Alle, die vom 1. Jahrhundert bis zum 20. solches taten, stehen für sie auf gleicher Linie, heißen sie nun Marcion oder Arius, Luther oder Kalvin, Irving oder Russel. Eine dogmatische Gleichberechtigung solchen nichtkatholischen Gemeinschaften zuzugestehen, ist für die Kirche ebenso unmöglich, wie es nach dem Zeugnis der Schrift den Aposteln unmöglich war, die Irrlehrer ihrer Zeit als gleichberechtigt anzusehen. Sie würde sich damit ja selbst aufgeben mit ihrem Anspruch, die wahre Kirche Christi zu sein. Der Katholik kann sich nicht genug darüber wundern, warum nicht jede protestantische Gemeinschaft den gleichen Standpunkt einnimmt. Wenn sie wirklich glaubt, daß sie im Besitz der Wahrheit ist, wie kann sie dann eine Gemeinschaft mit abweichenden Lehren als dogmatisch gleichberechtigt gelten lassen? Darf die Wahrheit den Irrtum ihren Bruder nennen?
Also in Fragen nach der Wahrheit kann es keine Toleranz geben; wohl aber, wenn es sich darum handelt, welches Verhältnis der Katholik gegenüber den irrenden Personen einzunehmen hat. Hier ist Toleranz sogar zu wenig; Liebe ist gefordert, die von Christus vorgeschriebene Liebe allen Menschen gegenüber. Gewiß wurde dagegen in der Vergangenheit viel gefehlt, aber nicht bloß von katholischer, sondern ebenso von nichtkatholischer Seite. Es ist ein grober geschichtlicher Irrtum, zu behaupten, die katholische Kirche habe die Gewissensfreiheit stets bekämpft, erst Luther habe sie der modernen Menschheit gebracht. In Wahrheit ließ Luther nicht nur keine von der seinigen abweichende Lehre gelten, sondern er führte den ärgsten Gewissenszwang dadurch ein, daß er den weltlichen Fürsten die Gewalt zusprach, die Religion ihrer Untertanen zu bestimmen. Der Grundsatz: „Cuius regio, illius religio“, d.h. „Wer über ein Gebiet herrscht, bestimmt die Religion seiner Bewohner“, ist auf protestantischem Boden gewachsen, wurde dann freilich auch von katholischen Fürsten in gleich verwerflicher Weise angewandt. Der katholische Historiker weiß zwar, daß solchem Vorgehen die Überzeugung zu Grunde lag, daß die Einheit des Glaubens das höchste Gut für ein Volk ist, daß das Wohl des Staates durch religiöse Spaltungen auf schwerste beeinträchtigt wird, daß also jede Ketzerei nicht bloß als ein Verbrechen gegen die Kirche, sondern auch gegen den Staat aufgefaßt wurde, nichtsdestoweniger wird er jede Gewaltanwendung gegenüber Andersdenkenden als eine Zeitverirrung beurteilen, so wie es die Kirche im Altertum getan hat und heute wieder tut, wenn sie in ihrem neuen Gesetzbuch (Kan. 1351) vorschreibt: „Niemand darf gegen seinen Willen zur Annahme des katholischen Glaubens gezwungen werden.“ Mit Unrecht wird darum noch in neuesten Büchern behauptet, daß die Kirche, wenn sie die Macht dazu hätte, auch heute wieder gegen Andersdenkende mit den Gewaltmitteln vorgehen würde, die bei der Inquisition und Hexenverfolgung zur Anwendung kamen, nicht bloß von katholischer, sondern auch von protestantischer Seite.
6. Die alleinseligmachende Kirche: Wie die Kirche keiner andern Gemeinschaft dogmatische Gleichberechtigung zuerkennen kann, so auch Gleichwertigkeit hinsichtlich ihres Endzweckes. Nicht jede religiöse Gemeinschaft ist berufen, die Menschen zu ihrem Endziele zu führen, sondern nur die von Christus gewollte und entsprechend ausgestattete. Dieser einfachen Wahrheit will die Kirche Ausdruck geben, wenn sie sich die alleinseligmachende nennt. Und doch wieviel Mißverständnissen ist dieser Ausspruch schon begegnet! Wieviel Entrüstung hat er schon ausgelöst! Eine schmachvolle Herabwürdigung aller Nichtkatholiken hat man schon darin erblickt, weil sie dadurch samt und sonders als der Verdammung verfallen angesehen würden. In Wahrheit soll aber dadurch nicht betont werden, daß außer Christus kein Heil zu finden ist, daß nach Gottes Willen jeder Mensch sich an Christus anschließen soll, um sein Heil zu finden. Insofern nun die Kirche ihrem innersten Wesen nach nichts anderes ist als der fortlebende Christus, insofern gilt auch der Satz: „Extra ecclesiam nulla salus“ - „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“. Aber Gott selbst wird dadurch nicht behindert in seiner Freiheit, die Gnade zu geben, wem er will. Darum hat Klemens XI. im Jahre 1713 ausdrücklich den Satz von Quesnel verworfen: „Extra ecclesiam nulla conceditur gratia“ - „Außerhalb der Kirche wird keine Gnade erteilt“.
Auch darauf ist in diesem Zusammenhang noch hinzuweisen, daß die Eingliederung in den Leib Christi, die Aufnahme in die Kirche Christi, durch die Taufe erfolgt. Wer immer getauft ist, gehört zur Kirche Christi, zur katholischen Kirche. Das ist kein unerhörter Machtanspruch, sondern die notwendige Konsequenz des katholischen Dogmas, und richtig gesehen eine Lehre von größter Weitherzigkeit, nicht gegenüber den akatholischen Gemeinschaften, wohl aber gegenüber den einzelnen Nichtkatholiken. Nach katholischer Lehre gelangt jeder Getaufte, Katholik wie Akatholik, zu seinem ewigen Ziele, wenn er die Taufgnade bewahrt oder durch Reue wiedergewinnt. Wie wir auf der einen Seite glauben und fürchten, daß viele Katholiken die Taufgnade nicht bis zu ihrem Ende bewahren, so glauben und wünschen wir, daß möglichst viele Protestanten sie bewahren und dadurch ihr Heil finden kraft ihrer durch die Taufe erfolgten Eingliederung in den mystischen Leib Christi, in die katholische Kirche, Daß sie aus Unwissenheit oder Vorurteil nicht zur katholischen Kirche gehören wollen, ändert an dieser dogmatischen Auffassung nichts, da die Entscheidung, ob und inwieweit die Unwissenheit oder Abneigung schuldbar ist, dem Gerichte Gottes allein vorbehalten bleiben muß.
7. Der Papst: Der Lehre über die katholische Kirche würde ein wesentliches Moment fehlen, wenn nicht ihres Einheitspunktes, des Papstes, eigens gedacht würde. So schön der Name Papst = Vater der Christenheit an sich ist, so sehr pflegt er bei den Protestanten innere Abwehr, ja Widerwillen auszulösen. Das ist vielleicht das böseste Erbstück, das die Reformatoren des 16. Jahrhunderts sowohl wie die Begründer der späteren Sekten - so sehr sie auch sonst in ihren Lehren auseinandergehen, in diesem Stücke sind sie alle einig - ihren Anhängern hinterlassen haben, das „Odium Papae“, der Haß gegen den Papst. Denn der Haß macht blind. Der Katholik kann sich nicht genug wundern, wie gleichgültig, ja übelwollend die meisten Protestanten den großen Papstgestalten gegenüberstehen, die die Kirche besessen hat, wie wenig Verständnis dafür vorhanden ist, daß es doch die Päpste waren, die den jungen germanischen Völkern die christliche Kultur vermittelten, daß es die Päpste waren, welche die Einheit und Unauflöslichkeit Ehe zum Siege führten, daß es die Päpste waren, welche das Abendland immer wieder zur Abwehr des Ansturmes der Türken aufriefen, daß es die Päpste sind, die auch heute noch den Mut besitzen, dem Zeitgeiste entgegenzutreten, christlichen Glauben und christliche Sitte mit unerschütterlichem Freimute dem modernen Neuheidentum gegenüber zu verteidigen. Statt dessen begegnet man regelmäßig, wenn in Wort und Schrift die Sprache auf das Papsttum kommt, gehässigen Bemerkungen und fast immer dem Hinweis auf die Fehler, deren sich manche Päpste schuldig gemacht haben. Wir Katholiken leugnen dies nicht, wir bedauern es selbst am meisten und sind gewiß, daß diese unwürdigen Päpste eine um so größere Verantwortung auf sich geladen haben, je höher sie auf Erden gestellt waren. Indessen verlangt die historische Gerechtigkeit, zu sagen, daß die Zahl der schlechten Päpste eine überaus geringe ist. Ist es wirklich etwas Außerordentliches, daß sich unter 260 Päpsten ein Dutzend Unwürdige finden? Mehr waren es sicher nicht. Wo ist eine Dynastie, die sich in dieser Hinsicht mit den Päpsten messen könnte?
Aber alle Menschlichkeiten an der Person einzelner Päpste können den Glauben der Katholiken an die Bedeutung des Papsttums in keiner Weise erschüttern, sowenig wie sie am Apostelkollegium irre werden, weil sie darin einen Verräter, einen Verleugner und einen Ungläubigen wahrnehmen. Vielmehr schauen die Katholiken mit Verehrung zum Papste auf, überzeugt, daß er von Christus selbst als sein Stellvertreter auf Erden, als das sichtbare Haupt der Christenheit gewollt ist. Der Fels, auf den der Herr seine Kirche gebaut, war auch nach dem Tode Petri notwenig, und darum trat sein Nachfolger auf dem Bischofsstuhl zu Rom, wo Petrus starb, in dessen Vorzugstellung ein und bildete den Einheitspunkt für die Kirche. Ohne ihn ist nach dem Zeugnis der Geschichte der Zerfall in nationale Kirchen und damit das Verschwinden der Universalität des Christentums unabwendbar. Wir sehen das nicht bloß an den vielen protestantischen Kirchengesellschaften, sondern auch an den orthodoxen orientalischen Kirchen, die vom Altertum her das christliche Glaubensgut und die sieben Sakramente samt dem Meßopfer bewahrt haben, aber seit der Lostrennung vom Papsttum im 11. Jahrhundert immer mehr der Abhängigkeit von der Staatsgewalt anheimfielen und alle werbende Kraft eingebüßt haben.
Demgegenüber kann der Katholik mit freudigem Stolze darauf hinweisen, daß seine Glaubensüberzeugung durch die Geschichte glänzend bestätigt wird. Soweit wir in die Vergangenheit zurückschauen können, finden wir keine Institution, die an Ausdauer und Unzerstörbarkeit dem Papsttum gleichkäme, die - und das ist das wunderbarste - mit den Jahren nicht altert, sondern sich immer wieder verjüngt und heute in voller Jugendkraft vor uns steht. Das Papsttum allein hat alle Reiche und alle Dynastien der letzten zwei Jahrtausende überdauert, und das, obwohl es die schwersten Kämpfe gegen alle Diesseitsmächte durchzukämpfen hatte, gegen Gewalt, Haß und Verleumdung. Viele Päpste haben in diesen Kämpfen Leben und Freiheit verloren, aber das Papsttum starb nicht. Gibt es eine handgreiflichere Bestätigung des Heilandswortes: „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“? Wahrlich, wäre das Papsttum nicht eine Pflanzung des himmlischen Vaters, so müßte es schon längst ausgerottet sein (Matth. 15,13).
Noch ein Wort über die Unfehlbarkeit des Papstes. Warum glauben Wir Katholiken daran? Einfach deswegen weil wir mit der altchristlichen Vergangenheit überzeugt sind, daß Christus seiner Kirche die Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenwahrheiten verliehen hat, wie oben dargelegt wurde. Wenn die Kirche auf einem allgemeinen Konzil eine Lehre als Offenbarungswahrheit verkündete, galt sie als unfehlbar für jeden Gläubigen. Nun hat die Kirche auf dem allgemeinen Konzil im Jahre 1870 feierlich verkündet, daß auch dem Papst allein die von Christus seiner Kirche verliehen Unfehlbarkeit zukomme. Der Katholik sieht hierin das Walten der göttlichen Vorsehung, weil leicht Zeiten kommen können, die das Zusammentreten einer allgemeinen Kirchenversammlung unmöglich machen. Wer sollte dann auftretenden Irrlehren gegenüber wirksam auftreten können, wenn nicht das Haupt der Kirche? Die Unfehlbarkeit kommt aber dem Papste nicht etwa erst seit 1870 zu, sondern wir Katholiken glauben, daß diese Auszeichnung von Anfang an von Christus seinem Stellvertreter gegeben wurde, nur brauchte die Klarstellung Zeit. Erst nach Jahrhunderten wurde die Erkenntnis dieser Offenbarungswahrheit allgemein, bis sie dann von der Kirchenversammlung als Dogma verkündet wurde. Damit hörte die Frage auf, für Katholiken eine Streitfrage zu sein.
Nach allem, was seit sechzig Jahren von katholischer Seite über die päpstliche Unfehlbarkeit geschrieben worden ist, sollte man es für unnötig halten, darauf hinzuweisen, was damit nicht gemeint ist. Aber die tägliche Erfahrung lehrt leider das Gegenteil. Nicht gemeint ist damit eine sittliche Unfehlbarkeit der Person des Papstes, als ob er nicht sündigen könne. Wir wissen recht gut, daß es neben der großen Zahl der heiligen Päpste auch einige sehr unheilige gab. Und wenn wir trotzdem den Papst „Heiliger Vater“ nennen, so ist damit keine moralische Heiligkeit, keine Sündenlosigkeit gemeint, sondern heilig besagt hier seiner ursprünglichen Bedeutung soviel wie „unverletzlich, verehrungswürdig, majestätisch“. In diesem Sinne nannte der alte Römer seinen Kaiser „Sanctissimus Imperator“, und in diesem Sinne nehmen wir heute noch das Wort, wenn wir sagen, daß uns das Andenken unserer Eltern „heilig“ ist.
Mit der Unfehlbarkeit des Papstes ist aber auch keine intellektuelle Irrtumslosigkeit behauptet, so daß etwa der Papst, wie man schon spöttischerweise gemeint hat, nun alle Streitfragen der weltlichen Wissenschaft mit einem Machtspruch lösen könnte. In Wahrheit kann der Papst als Privatmensch irren wie jeder andere in seinen persönlichen Anschauungen, in seiner Politik, in seinen Regierungsmaßnahmen, die er selbst oder durch seine Organe, z.B. die Kongregationen, trifft. Nur in dem einzigen, sehr selten vorkommenden Fall, wenn er als Haupt der Kirche eine Glauben oder Sitten betreffende Wahrheit als von Gott geoffenbart und daher für die ganze Kirche verpflichtend feierlich verkündet (ex cathedra), nur dann kommt ihm die Unfehlbarkeit zu, wie sie von jeher als der Gesamtkirche zukommend geglaubt worden ist.
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