Über das hohepriesterliche Gebet Jesu
vom hl. Augustinus
- 111. Vortrag über das Evangelium des hl. Johannes -
Über die Worte des Herrn: "Vater, die Du mir gegeben hast, - ich will, daß, wo ich bin, auch sie mit mir seien", bis dahin: "Damit die Liebe, mit der Du mich geliebt hast, in ihnen sei, und ich in ihnen". Joh. 17, 24-26.
1. Zu einer großen Hoffnung richtet der Herr die Seinigen auf, eine Hoffnung, die größer ist als jede andere. Höret und seid freudig in der Hoffnung, weshalb dieses Leben nicht zu lieben, sondern zu ertragen ist, damit ihr in der Trübsal desselben geduldig sein könnt (Röm. 12, 12). Höret, sage ich, und gebt acht, wohin unsere Hoffnung erhoben wird. Christus Jesus sagt es; der eingeborene Sohn Gottes, der ebenso ewig ist wie der Vater und ihm gleich, sagt es; der unsertwegen Mensch geworden ist, aber nicht "wie jeder Mensch lügenhaft" (Ps. 115, 2; 11) geworden ist, sagt es; der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh. 14, 6) sagt es; der die Welt besiegt hat (ebd. 16, 33), sagt es von denen, für die er gesiegt hat; höret, glaubet, hoffet, verlanget das, was er sagt: "Vater", spricht er, "die Du mir gegeben hast, - ich will, daß, wo ich bin, auch sie mit mir seien". Wer sind diejenigen, von welchen er sagt, daß sie ihm vom Vater gegeben worden sind? Nicht jene, von welchen er an einer andern Stelle sagt: "Niemand kommt zu mir, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht" (Joh. 6, 44). Wie er nun das, was nach seiner Versicherung der Vater tut, selbst auch mit dem Vater tut, das ist uns schon bekannt, wenn wir in diesem Evangelium Fortschritte gemacht haben. Die also sind es, die er vom Vater empfing, die er auch selbst von der Welt erwählte, und zwar erwählte zu dem Zwecke, damit sie nicht mehr von der Welt seien, wie auch er nicht von der Welt ist, damit sie jedoch auch selbst die Welt seien, die glaubt und erkennt, daß Christus von Gott dem Vater gesandt ist, damit die Welt von der Welt befreit würde, damit nicht die mit Gott zu versöhnende Welt mit der feindlichen Welt verdammt würde. Denn so sagt er zu Beginn dieses Gebetes: "Du hast ihm die Macht gegeben über alles Fleisch", d.h. über alle Menschen, "damit er allen, die Du ihm gegeben hast, das ewige Leben gebe" (Joh. 17, 2). Hier zeigt er, er habe zwar die Macht über alle Menschen empfangen, um zu befreien, die er will, um zu verurteilen, die er will, er, der Richter der Lebendigen und der Toten, aber alle diejenigen seien ihm gegeben, welchen er das ewige Leben gibt. Denn so sagt er: "Damit er allen, die Du ihm gegeben hast, das ewige Leben gebe". Folglich sind ihm die nicht gegeben, welchen er das ewige Leben nicht geben wird, obwohl auch über sie dem die Macht gegeben ist, dem die Macht über alles Fleisch gegeben ist, d.h. über alle Menschen. So wird die versöhnte Welt von der feindlichen Welt befreit werden, wenn er gegen diese seine Macht geltend macht, um sie dem ewigen Tode zu überantworten, jene aber zu der seinigen macht, um ihr das ewige Leben zu geben. Darum verhieß der gute Hirt durchaus allen seinen Schafen, das große Haupt allen seinen Gliedern diesen Lohn, daß, wo er ist, auch sie mit ihm seien; und es kann nicht unerfüllt bleiben, was der allmächtige Sohn dem allmächtigen Vater als seinen Willen kundgegeben hat. Denn daselbst ist auch der Heilige Geist, gleichfalls ewig, gleichfalls Gott, der eine Geist beider und der substanzielle Wille beider. Denn was er, wie zu lesen ist, beim Herannahen des Leidens gesprochen hat: "Jedoch nicht, was ich will, sondern was Du willst, Vater" (Matth. 26, 39) - als ob ein anderer der Wille des Vaters, ein anderer der des Sohne sei oder gewesen sei - das ist die Stimme unserer, wenn auch gläubigen Schwachheit, welche unser Haupt in sich abgebildet hat, da er ja auch unsere Sünden trug. Daß aber einer sei der Wille des Vaters und Sohnes, denen auch der eine Geist angehört, mit dessen Hinzufügung wir die Trinität erkennen, soll, wenn es auch die Schwachheit noch nicht erkennen kann, der fromme Sinn glauben.
2. Aber weil wir entsprechend der Kürze der Rede bereits gesagt haben, welchen er die Verheißung gegeben und wie zuverlässig die Verheißung sei, so wollen wir so gut wir vermögen, zusehen, was das sei, was er zu verheißen sich gewürdigt hat. "Die Du mir gegeben hast", sagt er, - "ich will, daß, wo ich bin, auch sie mit mir seien". Was das Geschöpf betrifft, in welchem er aus dem Samen Davids nach dem Fleische geworden ist (Röm. 1, 3), so war auch er noch nicht, wo er künftig sein sollte; aber so konnte er sagen: "Wo ich bin", daß wir verstehen sollten, er werde bald in den Himmel auffahren, so daß er schon dort zu sein versicherte, wo er in kurzer Zeit sein sollte. Er konnte es auch in dem Sinne sagen, in welchem er schon früher im Gespräche mit Nikodemus gesagt hatte: "Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen, als der herabstieg vom Himmel, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist" (Joh. 3, 13). Denn auch da hat er nicht gesagt: sein wird, sondern: "ist", wegen der Einheit der Person, in welcher sowohl Gott Mensch als auch der Mensch Gott ist. Im Himmel also, verhieß er, werden wir einmal sein; denn dorthin wurde die Knechtsgestalt, die er aus der Jungfrau annahm, erhoben und zur Rechten des Vaters gesetzt. Wegen der Hoffnung eines so großen Gutes sagt auch der Apostel: "Gott aber, der reich ist an Erbarmung, hat aus großer Liebe, womit er uns geliebt hat, und da wir tot waren in Sünden, uns mitbelebt in Christus, durch dessen Gnade ihr gerettet seid, und hat uns miterweckt und mitversetzt in den Himmel in Christus Jesus" (Eph. 2, 4-6). In diesem Sinne also darf man annehmen, hat der Herr gesagt: "Wo ich bin, sollen auch sie mit mir sein". Von sich selbst sagte er freilich, daß er schon dort sei; von uns aber sagte er, er wolle, daß wir dort mit ihm seien, nicht aber stellte er es so dar, daß wir dort schon seien. Der Apostel aber hat das, wovon der Herr sagte, er wolle, daß es geschehe, so ausgedrückt, als sei es schon geschehen. Denn er sagt nicht: Er wird uns erwecken und in den Himmel mitversetzen, sondern: "Er hat erweckt und mitversetzt", weil er nicht grundlos, sondern zuverlässig das schon als geschehen betrachtet, was zweifellos geschehen wird. Was aber die Gottesgestalt betrifft, in welcher er dem Vater gleich ist, so möge, wenn wir nach dieser die Worte verstehen wollen: "Ich will, daß, wo ich bin, auch sie mit mir seien", von unserem Geiste jeder Gedanke an materielle Bilder fern bleiben; alles, was dem Geiste vorschweben mag als lang, breit, dick, durch irgendein körperliches Licht gefärbt, über was immer für begrenzte oder unbegrenzte Räume hin ausgebreitet, von all dem soll er, soviel er kann, den Blick seiner Betrachtung oder Aufmerksamkeit abwenden. Und es soll nicht untersucht werden, wo der dem Vater gleiche Sohn ist, weil niemand findet, wo er nicht ist. Aber wer etwas suchen will, der suche vielmehr bei ihm zu sein, nicht überall wie jener, sondern überall, wo er sein kann. Denn der zu dem zur Strafe am Kreuze hängenden und heilsam bekennenden Menschen sagt: "Heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein" (Luk. 23, 43), - sofern er Mensch war, sollte seine Seele am nämlichen Tage noch in der Unterwelt, sein Fleisch im Grabe sein; sofern er aber Gott war, war er natürlich auch im Paradiese. Und darum konnte die von den früheren Vergehen freigewordene und durch seine Gnade schon selige Seele des Schächers, obwohl sie nicht, wie er, überall sein konnte, doch noch am gleichen Tage bei ihm im Paradiese sein, von dem sich jener, der immer überall ist, sich nicht entfernt hatte. Deshalb war es ihm begreiflicherweise nicht genug zu sagen: "Ich will, daß, wo ich bin, auch sie seien", sondern er fügte hinzu: "bei mir". Bei ihm sein, ist ja ein großes Gut. Denn auch die nicht selig sind, können sein, wo er ist, weil, wo immer jemand sein mag, da auch er ist; aber nur die Seligen sind bei ihm, weil sie nur durch ihn selig sein können. Oder wird nicht mit vollem Recht zu Gott gesagt: "Wenn ich in den Himmel hinaufsteige, bist Du dort; wenn ich in das Totenreich hinabsteige, bist Du dort"? (Ps. 138, 8) Oder ist Christus nicht die Weisheit Gottes, welche "überall hinreicht wegen ihrer Reinheit"? (Weish. 7, 24) Aber das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt (Joh. 1, 5). Und darum - um von einer sichtbaren, wiewohl sehr unähnlichen Sache ein wie immer beschaffenes Gleichnis herzunehmen - wie der Blinde, wenn er auch dort ist, wo das Licht ist, doch selbst nicht beim Lichte ist, sondern abwesend von dem anwesenden (Lichte), so ist der Ungläubige und Gottlose oder auch der Gläubige und Fromme, jedoch zur Anschauung des Lichtes der Weisheit noch nicht Befähigte, wenn er auch nirgends sein kann, wo nicht auch Christus ist, dennoch nicht bei Christus, außer in der (seligen) Anschauung. (...) Darum sagt er: "Wer nicht mit (bei) mir ist, der ist wider mich" (Matth. 12, 30). Allein als er zu Gott dem Vater sprach: "Die Du mir gegeben hast, - ich will, daß, wo ich bin, auch sie bei mir seien", hat er jedenfalls von jener Anschauung gesprochen, in der wir ihn sehen werden, wie er ist (1 Joh.3,2).
3. Niemand trübe den so klaren Sinn durch dunklen Widerspruch; die folgenden Worte sollen den vorausgehenden Zeugnis geben. Nämlich nach den Worten: "Ich will, daß, wo ich bin, auch sie seien", fügte er sogleich weiter hinzu: "Damit sie meine Klarheit sehen, die Du mir gegeben hast, weil Du mich geliebt hast vor Grundlegung der Welt". "Damit sie sehen", sprach er, nicht: damit sie glauben. Das ist der Lohn des Glaubens, nicht der Glaube. Denn, wenn im Briefe an die Hebräer der Glaube richtig definiert ist: "Eine Überzeugung von dem, was man nicht sieht" (Hebr. 11, 1), warum sollte dann der Lohn des Glaubens nicht definiert werden als eine Anschauung der Dinge, welche man im Glauben hoffte? Wenn wir nämlich sehen werden die Klarheit, welche der Vater dem Sohne gab, sofern wir darunter auch nicht jene verstehen sollten, die der Vater dem ihm gleichen Sohne bei dessen Zeugung gab, sondern die er dem menschgewordenen Sohne gab nach dem Kreuzestode, - wenn wir also jene Klarheit des Sohnes sehen werden, fürwahr dann wird das Gericht über die Lebendigen und Toten stattfinden, dann wird der Gottlose hinweggenommen werden, damit er die Klarheit des Herrn nicht schaue (Is. 26, 10). Welche Klarheit, wenn nicht jene, wodurch er Gott ist? Denn selig, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott anschauen (ebd. 25, 46), und die Gottlosen sind nicht reinen Herzens, darum werden sie ihn nicht anschauen. (...)
("Bibliothek der Kirchenväter" Bd. 19, Kempten und München 1914, S. 292 ff.)
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