Ein Leben zwischen mystischer Erfahrung und politischer Mission
Vor 580 Jahren wurde Jeanne d'Arc in Rouen verbrannt
von Magdalena S. Gmehling
Von Max Horkheimer stammt das Wort, dass "der Weg der Geschichte über das Elend und das Leiden der Individuen führt". In ganz besonderer Weise trifft dies auf einige Gestalten des 15. Jahrhunderts zu. Die Konflikte zwischen Staatsräson, Fanatismus und Glaubensmut können selbst heute nur sehr differenziert beurteilt werden.
Am 6.7.1415 bestieg Jan Hus den Scheiterhaufen. Zwar war dem tschechischen Reformer durch König Sigismund freies Geleit zum Konstanzer Konzil zugesagt worden, er wurde aber dennoch verhaftet, da er sich der Kirchenversammlung nicht unterwarf. Am 23.5.1416 ereilte seinen Freund und Gesinnungsgenossen, Hieronymus von Prag, das gleiche Schicksal. 14 Jahre danach wurde Jeanne d'Arc gefangengenommen. 1431 starb sie auf dem Scheiterhaufen in Rouen. Genau 82 Jahre nach Hieronymus von Prag, ebenfalls an einem 23. Mai, erhängte und verbrannte man 1498 den Dominikanermönch und Bußprediger Girolamo Savonarola.
Gelten die männlichen Opfer als frühe Vorläufer der Reformation, so kann dies von der geschichtlich einmaligen Gestalt der heiligen Johanna nicht gesagt werden. Das Bauernmädchen aus Domremy-la-Pucelle, einem kleinen Dorf am linken Maasufer (10 km nördlich von Neufchâteau und 20 km südlich von Vaucouleurs) sprengt alle gewöhnlichen Vorstellungen. Weit über 12000 Werke (Lucie-Smith) sind über Johanna von Orleans veröffentlicht worden. Historiker, Psychologen, Politiker und Dichter haben sich mit ihrem wunderbaren und wunderlichen Schicksal beschäftigt (unter ihnen Schiller, Claudel, Voltaire, Shaw, Pèguy, Sven Stolpe, Ida Friederike Gärres).
Die Gestalt der Jeanne d'Arc kann nach ihren Worten nur vor dem Hintergrund des Jammers ihres eigenen Volkes begriffen werden. Über hundert Jahre währten mit langen Unterbrechungen die englisch-französischen Auseinandersetzungen in ihrem Land (1339-1453). Man sprach vom "Hundert-jährigen Krieg", der auf französischem Boden geführt wurde und weite Teile des Landes in englische Provinzen verwandelte. 1428 hatten die Engländer das stark befestigte Orleans eingeschlossen. Die Einnahme der Stadt hätte die französische Nation vernichtet und den Weg nach Südfrankreich geöffnet. In dieser unheilvollen Lage sollte sich eine alte Prophezeiung erfüllen: "Es ist vorausgesagt, dass Frankreich verlorengehe durch eine Frau, doch befreit werde durch ein Mädchen aus der Mark von Lorraine".
Werfen wir zunächst einen Blick auf den ersten Teil der Weissagung. Die hier genannte Frau ist Isabella von Bayern, die mit Karl VI. (1368-1422) verheiratet war. Als Königin Isabeau spielte sie eine verhängnisvolle Rolle. "Sie war eine harte Triebnatur und besessen vom Hang zur Intrige" (Carl Jakob Burckhardt). Ihr Gatte litt an einer intermittierenden Geisteskrankheit, einer schweren Schizophrenie. 1403 wurde das 11. Kind Isabellas geboren: Karl. Sie selbst hatte erklärt, er sei nicht der Sohn des Königs, ihres Gatten. Unter dem Einfluß Herzogs Phillipps des Guten, erkannte sie gegen ihren Sohn Karl (VII.) den englischen König Heinrich V. als französischen Thronerben an (Vertrag von Troyes 1420). Karl VII. wird von Zeitgenossen als hoch intelligent, aber neurotisch und wankelmütig beschrieben. Zweifel an seiner Legitimität plagten ihn. Unheilvoll wirkte sich die finanzielle Abhängigkeit von seinen Günstlingen aus. Auch seine Getreuen mussten immer wieder erfahren, dass der König sie im Stiche ließ. Eine Eigenschaft, die für die Jungfrau von Orleans verhängnisvoll werden sollte.
Das Bauernmädchen Jeanne wird vor 600 Jahren, vermutlich am Dreikönigstag 1412 geboren. Ihre Eltern sind wohlhabende lothringische Landleute. Trotz der Kriegszeiten wächst das Kind in Geborgenheit und Frömmigkeit auf. Der Vater ist Dorfschulze und somit in bescheidenem Maße in die Politik eingebunden.
Seit dem 12. Lebensjahr hat Jeanne auditive und visuelle Visionen. Sie sieht Lichterscheinungen, hört die Stimmen von St. Margareta (von Antiochien) und St. Katharina (von Alexandrien) und erhält Befehle des Erzengels Michael. Jahrelang verbirgt sie diese wundersamen Ereignisse vor ihrer Umgebung. Doch immer drängender und deutlicher wird die Aufforderung: Auf nach Frankreich! Sie soll dem Thronerben zu Hilfe kommen, ihn nach Reims führen, wo er gekrönt werden wird. Johannas geistige Entwicklung, ihre Führung, stützt sich allein auf ihre Stimmen. Nun nimmt ein geschichtlich einmaliger und letztlich unerklärlicher Vorgang seinen Verlauf. Mit Hilfe ihres Oheims macht sich die "Pucelle" im Februar 1429 auf zum Kommandanten von Vaucouleurs, Robert de Baudricourt. Vor dem skrupellosen derben Berufssoldaten und berüchtigten Frauenhelden, erscheint Johanna im abgetragenen roten Frieskleid. Baudricourt weist sie zweimal ab. Er ist der Ansicht, sie wäre ein hübsches Spielzeug für seine Soldaten und empfiehlt, man möge sie durch einige Ohrfeigen zur Vernunft bringen. Doch Johanna beharrt auf ihre Sendung: "Ich werde zum König gehen, auch wenn ich mir die Füße bis zu den Knien ablaufen muss." Schließlich läßt der Kommandant einen Priester den Exorzismus über sie beten. Doch das junge Mädchen ist keineswegs besessen. Baudricourt spottet nun nicht mehr und benachrichtigt den Dauphin, der inzwischen die Schlacht von Harengs bei Orleans verloren hat, von dem geplanten Besuch.
Der Weg nach Chinon, wo Karl Hof hält, führt durch Feindesland. Johanna erhält eine Leibgarde und reitet in Männerkleidung mit kurz geschnittenem Haar unter den Rittern, die Standarte in der Hand. Sie schläft angekleidet zwischen den Soldaten. Ihre persönlichen Begleiter, Jean de Metz und Bertrand de Poulengy bezeugen einhellig, dass in ihnen nicht einmal die Lust erwachte, sie zu berühren. Am 6. März 1429 steht die Jungfrau vor ihrem Landesherrn. Er will sie prüfen und hat sich in einfacher Kleidung unter die Höflinge versteckt. Unbeirrbar tritt Jeanne auf ihn zu und erklärt, dass sie gekommen sei, um Orleans zu befreien und ihm zur Krone zu verhelfen. Stets beruft sie sich auf die Führergestalten ihres Landes. Auf Remigius, Karl den Großen und den hl. Ludwig. Ihre Kraft fließt aus der Gewissheit ihrer Berufung.
Durch Fakten, die nur dem Dauphin bekannt sein können, überzeugt Jeanne ihn von ihrer Sendung. Die von ihm angeordneten strengen Prüfungen in Portiers besteht sie glänzend. Am 22. März 1429 diktiert Johanna (sie war des Schreibens und Lesens unkundig) ihren berühmten Brief an den König von England. Ihr Friedensvorschlag wird zurückgewiesen. Ausgerüstet mit dem geheimnisvollen, durch fünf Kreuze geweihten Degen des Karl Martell (der aus dem Jahre 732 der Zeit der Entschei-dungsschlacht gegen die Sarazenen stammt), reitet sie, ein siebzehnjähriges Mädchen, an der Spitze ihrer Soldaten in blendend silberner Rüstung am 25. April 1429 gen Orleans. Von der Truppe ver-langt sie die Generalbeichte, schafft die Dirnen ab, verbietet Trunkenheit und Fluchen. Sie schwingt das mit den Namen Jesus und Maria geschmückte Lilienbanner, ihre berühmte Standarte. Am 8. Mai 1429 ist Orleans eingenommen. In heiliger Begeisterung vollbringt die Jungfrau weitere Heldentaten, die in der Geschichte einzigartig sind. Der englische Feldherr Talbot fällt in ihre Hand. Die Krönung Karls VII. am 17. Juni 1429 darf als Höhepunkt von Johannas irdischer Laufbahn betrachtet werden. Sie kniet vor dem König und spricht: "Edler Herr, jetzt ist Gottes Wille vollbracht".
Im Gehorsam gegen ihre Stimmen, drängt sie den König zum Marsch auf Paris. Es ist ihr ein Anliegen, die Engländer gänzlich aus dem Land zu treiben. Im Innersten steigt allerdings eine Ahnung in ihr auf, dass ihre Sendung erfüllt ist und ihr das Schrecklichste noch bevorsteht. Der Wankelmut des Königs, seine unheilvollen Berater und deren rasende Eifersucht, werden Jeanne d' Arc zum Verhängnis. Der Verrat ist bereits beschlossen. "Der Mann des Unheils", Georges de La Trémoille, verhandelt im Geheimen mit den Burgundern. Intrigant und bestechlich ist er für viele Mißerfolge, die man in der Folgezeit der Pucelle anlastet, verantwortlich. Der König residiert im Schloß des Günstlings. Johanna hat er inzwischen geadelt. Doch sie wird ihm unbequem. Vor den Toren der Hauptstadt hat Jeanne d' Arc einige Bastionen in ihren Besitz gebracht, wartet aber vergeblich auf ihren Landesherrn. Statt dessen trifft der Befehl ein, das Heer zu entlassen. Am 23. Mai 1430 wird sie bei Compiègne gefangengenommen. Sie unternimmt mehrere erfolglose Flucht-versuche. Im Prozess wird man den Sprung vom Turm als Selbstmordversuch auslegen. Für zehntausend Golddukaten verkauft sie der Herzog der Burgunder, Johann von Luxemburg, an die Engländer.
Die englisch-burgundische Partei strebte von Anfang an ein geistliches Glaubensgericht unter Mitbeteiligung der Inquisition über Johanna an. Es wäre sinnlos gewesen, sie wegen militärischen Widerstandes hinzurichten. Die Anklagen lauten denn auch auf Häresie und Zauberei. Drei Punkte waren Gegenstand der Anschuldigungen: Ihre Stimmen, die Zeichen (also die wunderbare Rechtfertigung ihres Einsatzes) und das Tragen von Männerkleidung. Wir sind in der Lage, sowohl den Verurteilungsprozess, als auch den 19 Jahre nach ihrem Feuertode eingeleiteten und 1456 abgeschlossenen Entlastungs- oder Rechtfertigungsprozess, an Hand der Akten und Aussagen genau zu rekonstruieren. Die wichtigste deutsche Übersetzung stammt aus dem Jahre 1943 und wurde durch Josef Bütler besorgt. Weitere Dokumente liegen im Deutschen Taschenbuchverlag vor.
Johanna erscheint in ihren Aussagen als nüchterne schlagfertige Bäuerin von charakterlicher Gediegenheit, Lebenstüchtigkeit und tiefer Frömmigkeit. Ihre Haftbedingungen im Schloßturm von Rouen waren entwürdigend. Zunächst hatte man einen eisernen Käfig für die "Zauberin" beim Schmied bestellt, in welchem sie aufrecht stehend an Händen und Füßen angekettet hätte werden sollen. Man sieht, die Ausgeburten perverser Gehirne sind kein Privileg der Guantánamo-Schergen des 21. Jahrhunderts. Das Martergehäuse kam dann doch nicht zum Einsatz. Johanna wurde aber in Hand-und Fußeisen gelegt. Das Schlimmste war für sie die Atmosphäre ständiger sexueller Belästigung. Sie beklagt sich über mehrere Vergewaltigungsversuche durch die Wachen und dies während der 20 Wochen, die der Prozess dauerte. Zu den körperlichen Qualen und Rohheiten kam die seelische Verlassenheit. Man exkommunizierte sie, verbot Beichte und Messbesuch und schickte verdeckte Spione (zu nennen ist besonders der Priesterspion Loiseloir).
Die Prozessakten des Verfahrens überliefern u.a. sechs öffentliche Sitzungen, neun Sonderverhöre, mehrere Mahnreden (eine im Angesicht der Folter), zwei Urteilsverkündigungen ( die zweite am 24. Mai 1431 nach Johannas Widerruf), ein Gutachten der Pariser Universität, Verhör und Beratung über die Rückfälligkeit der Delinquentin und schließlich die Vollstreckung des Urteils am 30. Mai 1431. Der Führer des Prozesses war Cauchon, der Bischof von Beauvais. Johanna hatte ihn von seinem Bischofssitz vertrieben. Er wollte also auch eine persönliche Rechnung begleichen. "Bischof, ihr mordet mich"). Als Inquisitor fungierte Jean le Maistre. Beisitzer waren die ehrenwerten Theologieprofessoren der Sorbonne, Magister und Mönche. Alle Richter wurden von England besoldet. Verurteilt wurde die Jungfrau jedoch durch Franzosen.
Im Schauprozess untersuchte man frühe Kindheitserlebnisse, so z.B. Johannas unschuldige Vergnügungen beim sogenannten "Feenbaum" und ihre heimatliche Nähe zum "weißen Wald" . Die Absicht war, Teufelsbesessenheit, Schadenszauber und Hexerei nachzuweisen, die "Stimmen" zu diskreditieren und sie lügnerischen und bösen Geistern zuzuordnen. Man versuchte, ihr den Besitz eines Zaubermittels, einer Alraune (Mandragora), unterzuschieben. Die Befragungen wurden mit nebensächlichen Dingen vermischt, um Johanna zu verwirren. Zweimal wird sie körperlich untersucht (einmal in Portiers) und als virgo intacta befunden, was jeden Verdacht auf teuflische Besessenheit ausschließen hätte müssen. Als man sie fortwährend peinigt, erklärt sie mit fester Stimme:
"Hütet euch, die ihre euch meine Richter nennt! Ihr übernehmt eine große Verantwortung, wenn ihr mir allzuviel zumutet." "Ich habe hier nichts zu suchen. Ich bin von Gott gekommen. Sendet mich zu dem zurück, von dem ich gekommen bin."
Immer wieder wird Jeanne nach dem Zeichen ihrer Legitimierung befragt. In der öffentlichen Vernehmung vom 27. Februar sagt Johanna aus, der König habe mehrere Erscheinungen und Offenbarungen gehabt, bevor er ihr glaubte. Weiteres ist aus ihr nicht herauszubringen. "Ich werde das nicht sagen. Erwartet jetzt keine Antwort, aber schickt zum König, er wird euch antworten." Im ersten Sonderverhör vom 10. März gelingt es dann, Johanna zu Mitteilungen zu bewegen. Von ihrer Sendung überzeugt, bekennt sie schließlich:
"Es war ein Engel von Gott und niemand anderem, der das Zeichen dem König übergab... Als der König und diejenigen, die mit ihm waren, das Zeichen gesehen hatten und den Engel auch, der es herbeitrug, fragte ich den König, ob er zufrieden sei. Er antwortete: 'Ja!' Da ging ich fort zu einer kleinen Kapelle, die ganz nahe war, und da hörte ich sagen, dass nach meinem Aufbruch mehr als dreihundert Personen das Zeichen gesehen hätten ..."
Als gotteslästerlichen Frevel legte man Johanna das Erscheinen in Männerkleidung und mit Männerfrisur (die sie bereits seit zwei Jahren trug) vor dem Inquisitionsgericht aus. So sehr wir heute geneigt sind, dies als Nebensächlichkeit zu betrachten, so gravierend eskalierte der "Kleiderstreit" im Prozess. Ja er wurde zum Stein des Anstoßes, der sie auf den Scheiterhaufen brachte. Immer wieder erklärte sie, sie hätte diese Tracht "von selbst und nicht auf Verlangen eines Menschen dieser Erde, sondern auf Befehl Unseres Herrn und in seinem Dienst" angelegt. Befragt, ob sie wisse, dass sie in der Gnade Gottes sei, antwortet sie. "Falls ich nicht in ihr bin, wolle Gott mich in sie versetzen; falls ich in ihr bin, möge Gott mich in ihr bewahren."
Zwei außergewöhnliche Szenen bilden den Höhepunkt in Johannas Tragödie: ihr Widerruf und ihre Hinrichtung. Am 23. Mai werden die, in einer raffinierten Kurzform gefassten Schuldartikel, die auf einem Gutachten der Pariser Universität beruhen, verlesen:
Johannas Offenbarungen sind falsch und stammen von bösen und teuflischen Geistern, Belial, Satan und Behemoth. Johanna ist vom rechten Glauben abgewichen. Johanna hat gelästert und muss als Götzendienerin angesehen werden, die nach heidnischen Sitten lebt. Johanna ist eine Verräterin, die danach strebt, Menschenblut zu vergießen. Johanna hat ihre Eltern verlassen. Johanna hat durch ihren Selbstmordversuch gezeigt, dass sie die Freiheit des menschlichen Willens falsch auffasst. Johanna ist eine bewusste Lügnerin. Johanna beleidigt die heilige Katharina und die heilige Margarita und verletzt ihre Pflichten, den Nächsten zu lieben. Johanna beschwört böse Geister. Johanna ist eine Schismatikerin. (zitiert nach Carl Julius Abegg)
Am 24. Mai führt man das gequälte Mädchen außerhalb des Schlosses, vor der Abtei Saint Ouen, der gaffenden Menschenmenge auf einer Tribüne vor. Cauchon trägt zwei verschiedene Urteilssprüche mit sich. Johanna ist äußerst geschwächt von der langen Haft, sie blutet an Händen und Füßen, wo sie angekettet war. Als der Henker mit dem Karren vor ihr steht, fühlt sie ihre Kraft schwinden. Mehrere Zuschauer bedrängen sie, sie solle abschwören und sich nicht töten lassen. Immer wieder bricht sie in hysterisches Lachen aus. Dann wird die Abschwörungsformel verlesen. Jeanne wiederholt sie und unterzeichnet mit Kreuz und Kreis. Die Geistlichen erklären ihr, sie sei nun aus großer Gnade zu Gefängnis auf Lebenszeit mit dem Brot des Schmerzes und dem Wasser der Trauer verdammt. Sofort habe sie Frauenkleider anzulegen und ihnen in allen Dingen zu gehorchen. Sie wird zurück in das Gefängnis gebracht, in Gegenwart der englischen Wachen legt man ihr Frauenkleider an und schert ihr das Haar. Die Rohheit der Peiniger wird unerträglich. Sie schlagen Jeanne blutig. Ein englischer Mylord versucht sie zu vergewaltigen.
Als Cauchon am 28. Mai bei ihr erscheint, trägt sie wieder Männerkleider. "Deshalb, weil man nicht gehalten hat, was man mir versprach, dass ich nämlich zur Messe gehen und kommunizieren dürfe und keine Fesseln mehr tragen müsse. Habt ihr nicht selbst, ihr, meine Richter, mir versprochen, dass ihr mich in den Gewahrsam der Kirche übergeben werdet, und dass ich eine Frau um mich haben dürfe. Ich habe deshalb wieder Männerkleider angelegt, weil ich meine Keuschheit schützen will, da ich mich nicht sicher fühlen kann, wenn ich Frauenkleider trage, und da ich von Wächtern umgeben bin, die mir stets nachstellen und mich vergewaltigen wollen."
Johanna sagt ferner aus, sie habe nur aus furchtbarer Angst vor dem Scheiterhaufen den Widerruf geleistet und wünschte, sie hätte es nicht getan. Damit ist ihr Schicksal besiegelt. Am 29. Mai wird sie als "rückfällige Ketzerin" zum Feuertod verurteilt und ("Ecclesia abhorret a sanguine") dem weltlichen Gericht übergeben. Das Urteil durch den Amtmann, Laurent Guesdon, unterbleibt. Die Gerichtsakten schildern den Strafvollzug in Rouen vom 30. Mai 1431. Er soll hier auszugsweise wiedergegeben werden:
" ...durch die drohende Menge ging es auf dem Henkerkarren zum Richtplatz. Eine Papiermütze auf ihrem Kopf trug die Inschrift: 'Ketzerin, Abtrünnige, Hexe, Rückfällige'. Das Aufgebot von einigen hundert Mann Soldaten erinnerte daran, dass es hier noch um andere Dinge ging, dass eine geschlagene Heermacht, ein gedemütigtes Reich die Stunde der Rache schlagen hörten... Johannas letzter Wunsch war ein Kreuz. Rasch fügte ein Engländer eins aus zwei Stücklein Holz ... dann wünschte sie noch das Kirchenkreuz zu sehen ... der Leutpriester holte das Kruzifix in der Erlöserkirche nebenan. Lange und innig umarmte es Johanna, bis man sie festband... Bis zuletzt kam es von ihren Lippen 'Jesus, Jesus' ... Andere sahen den Namen Jesu im Feuer geschrieben. Und als Johanna ihr Haupt zum Tode neigte, erblickte ein englischer Dominikaner eine Taube, die dem Scheiterhaufen entstieg und hinein nach Frankreich flog ..." (zitiert nach Josef Butler).
Nach 30 jähriger Besatzungszeit eroberte Karl VII. 1449 Rouen zurück. Manche Ereignisse, die Jeanne d'Arc prophezeit hatte, waren eingetroffen. In der Stadt, die Johannas Schmach umschloss, mag den König das Wissen um die furchtbaren Ereignisse - und wohl auch um seine damalige Untätigkeit - wieder voll zu Bewusstsein gekommen sein. Er vermeint den Hufschlag des Rappens der Pucelle neben sich zu vernehmen. Ausgerechnet jener Doktor Pierre Maurice, der seinerzeit Johanna die Schuldartikel vorgelesen hatte und ihr die letzte Mahnrede hielt, ist ausersehen, Karl VII. willkommen zu heißen. Der König weiß, dass er das Urteil eines kirchlichen Glaubensgerichtes nicht aufheben kann. Er wird jedoch den Antoß zur Wiederaufnahme des Prozesses geben. So beauftragt er am 14. Februar 1450 Guillaume Bouillé, den von ihm ernannten Rektor der Universität Paris, die Regelwidrigkeiten des Verurteilungsprozesses aufzudecken, damit eine Rehabilitation erfolgen kann. Bouillé handelt unverzüglich. Manche Peiniger der Pucelle waren bereits eines unrühmlichen Todes gestorben, unter ihnen Cauchon. Dennoch können (1450 und 1452) 13 Zeitzeugen ausführlich vernommen werden. Die Dominikaner Toutmouillé, Ysambert de la Pierre, Martin Ladvenu und Guillaume Duval sagten aus, ferner der Schreiber der Verurteilungsprozesses und der Priester Jean Massieu, der Jeanne zur Richtstätte begleitet hatte. "Ich war immer dabei, wenn Johanna dem Gericht vorgeführt wurde ... Ich meine, man erniedrigte die Ehre des französischen Königs, dem sie diente, aus Rachsucht. Man machte ihr den Prozess, um sie zu töten, aber nicht dem Recht entsprechend und aus Verehrung Gottes und unseres Glaubens..."
Schließlich werden 27 Artikel aufgestellt, zu denen nochmals 16 Zeugen aussagten. Johannas Mutter, die greise Isabelle d'Arc, übergibt am 7. November 1499 jenes, durch den Papst (Calixtus Ill.) ausgefertigte Apostolische Schreiben, welches den Rehabilitationsprozess genehmigt. Fast 100 Zeugen werden gehört (in Johannas Heimat, in Orleans, Paris und Rouen). Stellvertretend mögen hier die Worte eines treuen Freundes der Jungfrau, des am 3. Mai 1456 vernommenen Herzogs von Alencon stehen: "... Johanna war einfach und jung, aber das Kriegshandwerk verstand sie; sie wusste ebensogut die Lanze zu führen wie die Armee zu formieren und einen Aufstellungsplan zu entwickeln, besonders, was die Artillerie betraf, jeder erstaunte sich darüber, wie sie all das mit Sicherheit und Umsicht regelte, so, als hätte sie seit zwanzig oder dreißig Jahren Krieg geführt."
Lückenlos konnte der schlecht getarnte Justizmord aufgeklärt werden, die planmäßigen Verdrehungen des Rechtes, die Drohungen und brutalen Quälereien. Am 7. Juli 1456 wurde das Rehabilitationsurteil im erzbischöflichen Palast zu Rouen feierlich verkündet. Bouillè und der Inquisitor Jean Bréhal überbringen die Akten nicht nur dem König, sondern auch dem Papst. Dennoch sollte es noch ein halbes Jahrtausend dauern, bevor die Jungfrau von Orleans heiliggesprochen wurde.
Am 20. Mai 1920 wird Johanna durch Papst Benedik XV. zur Ehre der Altäre erhoben.
"Meine Stimmen sagen mir, dass ich durch einen großen Sieg befreit werde."
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Verwendete und weiterführende Literatur: Jeanne D'Arc: Menschen der Kirche in Zeugnissen und Urkunden. Übers. Josef Bütler. Hg. Hans Urs v. Balthasar. Benzinger 1943 Carl Julius Abegg: Johanna v. Orleans. Passau/München o.J. Edward Lucie-Smith: Johanna v. Orleans. Claassen 1977 Jaques Cordier: Jeanne d' Arc. Guido Pressler Verlag. Wiesbaden 1966 Ruth Schirmer-Imhoff (Hg): Der Prozess der Jeanne d'Arc 1431/1456 dtv Dokumente. 1963 Ida Friederike Görres: Aus der Welt der Heiligen. Josef Knecht Verlag. Frankfurt a. Main. 1955
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