e. Und weiter: „Pascendi dominici gregis“
„Nach Ansicht der Modernisten und dank ihrer Tätigkeit darf es also, ehrwürdige Brüder, nichts Unveränderliches in der Kirche geben. Allerdings wurde diese Ansicht bereits von anderen vor ihnen vertreten. Von diesen hat Unser Vorgänger Pius IX. geschrieben: ‚Diese Widersacher der göttlichen Offenbarung wissen den menschlichen Fortschritt nicht genug zu preisen und möchten ihn in gotteslästerlicher Verwegenheit auch in die katholische Religion einführen, als ob die Religion nicht Gottes-, sondern Menschenwerk wäre, eine Erfindung der Philosophie, die mit menschlichen Mitteln zur Vollkommenheit geführt werden könnte’. Besonders die Lehre der Modernisten über Offenbarung und Dogma ist nichts Neues. Pius IX. hat diese bereits im Syllabus verurteilt und formuliert sie so: ‚Die göttliche Offenbarung ist unvollkommen und deshalb eines beständigen und unbeschränkten Fortschritts fähig, wie er dem Fortschritt der menschlichen Vernunft entspricht’. Noch feierlicher lauten die Worte des Vatikanischen Konzils: ‚Die Glaubenslehre, wie sie Gott geoffenbart hat, ist nicht dem menschlichen Geist als eine Erfindung der Philosophie übergeben, die der Mensch mit seinem Verstand weiter ausbilden soll, sondern als göttlicher Schatz der Braut Christi anvertraut, zur treuen Bewahrung und unfehlbaren Erklärung. Deshalb ist auch für die heiligen Dogmen immer der Sinn festzuhalten, den die heilige Mutter, die Kirche, einmal erklärt hat. Niemals darf man unter dem Schein oder dem Vorwand eines tieferen Verständnisses davon abweichen’. Die Entwicklung unserer Begriffe, auch in Glaubenssachen, wird dadurch keineswegs behindert, sondern unterstützt und gefördert. Das Vatikanische Konzil fährt deshalb fort: ‚Es mögen also im Laufe der Zeiten und Jahrhunderte Verständnis, Wissenschaft und Weisheit wachsen und mächtig fortschreiten, sowohl bei den einzelnen, als auch bei der Gesamtheit, in jedem Menschen und in der ganzen Kirche, aber innerhalb des zuständigen Bereiches, im gleichen Dogma, im gleichen Sinn und in der gleichen Ansicht’…
Während nun die neuen Apologeten mit solchen Argumenten die katholische Religion zu stützen und zu empfehlen versuchen, geben sie gerne zu, daß sich auch manches darin findet, was Anstoß erregen kann. Mit heimlicher Freude erklären sie sogar, daß sie auch im Dogma Irrtümer und Widersprüche finden. Dabei fügen sie jedoch hinzu, daß sich dies nicht nur entschuldigen läßt, sondern – merkwürdigerweise – würde dies so ganz recht geschehen. Nach ihnen findet sich in ähnlicher Weise auch vieles in der Heiligen Schrift, was wissenschaftliche oder geschichtliche Irrtümer enthält…
Für Uns würde das nichts anderes bedeuten, als Gott selbst aus Rücksicht auf Interesse und Nutzen lügen zu lassen. Dann müssen Wir mit Augustinus sagen: ‚Läßt man einmal bei dieser höchsten Autorität eine kleine politische Lüge zu, dann wird von diesen Büchern kein Stück mehr übrig bleiben, das man nicht, wenn es dem einen oder anderen schwer zu beobachten oder schwer zu glauben scheint, nach derselben schlimmen Regel mit einer Absicht oder Rücksicht des trügerischen Verfassers erklären könnte’. Dann muß es soweit kommen, wie derselbe heilige Lehrer sagt: ‚Jeder wird von ihnen (den heiligen Schriften) glauben, was er will, und nicht glauben, was er nicht will’. Sie geben zu und behaupten sogar, daß Christus sich offenbar geirrt hat, als er die Zeit der Ankunft des Gottesreiches angab… Bei den Dogmen handelte es sich doch um das Unendliche, das unendlich viele Wahrheiten habe. Schließlich vertiefen sie sich im Eifer, womit sie das alles verteidigen, so daß sie behaupten, man kann das Unendliche nicht besser ehren, als wenn man Widersprechendes von ihm aussagt. Wenn also selbst der Widerspruch erlaubt ist, was ist dann nicht mehr erlaubt?... Die scholastische Philosophie gehört in die Geschichte der Philosophie zu den übrigen überwundenen Systemen. Dafür soll den jungen Leuten die einzig richtige und unserer Zeit entsprechende moderne Philosophie vorgetragen werden…
Die Dogmen und ihre Entwicklung müssen mit der Wissenschaft und der Geschichte versöhnt werden. Innerhalb der Katechese sollen die katechetischen Schriften nur die Dogmen behandeln, die modernisiert sind und der Fassungskraft des Volkes entsprechen…
Die kirchliche Hierarchie soll in jeder Beziehung, besonders nach der disziplinären und dogmatischen Seite, reformiert werden. Es hat sich innerlich und äußerlich ihrem modernen Bewußtsein, das ganz und gar zur Demokratie neigt, anzupassen. Der niedere Klerus und ebenso die Laienwelt müssen deshalb ihren Anteil am Regiment, also am Mitspracherecht, erhalten. Die über alle Maßen zentralisierte Autorität muß dezentralisiert werden… Innerhalb der Moral eignet man sich den Grundsatz des Amerikanismus an. Dabei gehen die aktiven Tugenden den passiven vor. Ihre Übung muß vor den anderen gefördert werden. Vom Klerus verlangt man Demut und Armut, wie dies in der Vorzeit herrschte. Dabei soll er in Tat und Gesinnung den modernistischen Ideen folgen. Es gibt sogar solche, die als gelehrige Schüler der Protestanten wünschen, den Zölibat des Priesters aufzuheben. In der Kirche bleibt nichts übrig, das nicht reformiert werden müßte, und zwar nach ihrem Rezept.
Ehrwürdige Brüder, vielleicht könnte man glauben, Wir hätten Uns doch zu lange bei der Darlegung der modernistischen Lehre aufgehalten. Dies war jedoch durchaus notwendig. Auf der einen Seite, um Uns nicht, wie schon oft geschehen, von ihnen sagen zu lassen, Wir würden ihre Ansichten nicht kennen. Auf der anderen Seite wollten Wir aufzeigen, daß es sich beim Modernismus nicht um vage und unzusammenhängende Ansichten handelt, sondern um ein einheitliches und geschlossenes System, bei dem sich aus einer einzelnen Annahme notwendigerweise alles andere ergibt. Unsere Auseinandersetzung mußte daher notwendigerweise lehrhaft werden…
Überblickt man nun das ganze System, so werden Wir es gewiß als eine Zusammenfassung aller Häresien bezeichnen dürfen. Hätte sich jemand zur Aufgabe gestellt, die Quintessenz aller Glaubensirrtümer, die es je gegeben hat, zusammenzutragen, so hätte er es nicht besser machen können, als es die Modernisten getan haben. Sie sind sogar weiter gegangen als alle und haben, wie bereits bemerkt, nicht nur die katholische, sondern die gesamte Religion vollständig vernichtet. Dafür erhielten sie den Beifall der Rationalisten, die selbst erklären: Wenn sie offen und frei reden wollen, hätten sie keine tatkräftigeren Helfer finden können, als die Modernisten. Betrachten wir, ehrwürdige Brüder, nochmals die verderbliche Lehre des Agnostizismus. Für den menschlichen Verstand ist durch diese Lehre jeder Weg zu Gott versperrt. Man glaubt, dafür einen besseren Weg im religiösen Gefühl und in der Aktion gefunden zu haben. Doch das ist selbstverständlich nicht richtig… Läßt man den Verstand beiseite, so wird der Mensch den äußeren Reizen, zu denen er sowieso geneigt ist, nur um so eher folgen… Der gesunde Menschenverstand sagt, daß jede Gemütserregung und jedes Eingenommensein keine Hilfe, sondern ein Hindernis bei der Erforschung der Wahrheit darstellt, natürlich der wirklichen Wahrheit. Die subjektive Wahrheit, die Frucht des inneren Gefühls und der Aktion, ist reine Spielerei, die dem Menschen nicht helfen kann. Ihm kommt es vor allem darauf an, ob es außer ihm einen Gott gibt, in dessen Hände er einst fallen wird oder nicht. Man ruft bei dem großen Werk auch die Erfahrung zu Hilfe. Was soll sie über das religiöse Gefühl hinaus bieten? Gar nichts! Sie kann nur das Gefühl lebhafter machen und so eine um so festere Überzeugung von der Wahrheit seines Gegenstandes hervorrufen. Das Gefühl hört jedoch deshalb nicht auf, Gefühl zu sein. Seine Natur läßt sich nicht ändern. Ohne die Leitung des Verstandes bleibt es jeder Täuschung ausgesetzt. Auch die Wirkung der Erfahrung kann es in seiner Eigenart nur stärken und fördern. Ein lebhafteres Gefühl ist darum nur um so mehr Gefühl…
Und doch hält der größere Teil der Menschheit daran fest, und wird immer daran festhalten, daß man nur durch das Gefühl und nur durch die Erfahrung, ohne Leitung der Vernunft, nie zur Erkenntnis Gottes gelangen kann. Im Endeffekt bleibt wieder nichts als Atheismus und Religionslosigkeit übrig. Wenn alle Verstandeselemente, nach ihrer Meinung, nur Symbole Gottes sind, sollte dann nicht vielleicht auch der Begriff von Gott und einer göttlichen Persönlichkeit ein Symbol sein? Wenn ja, so darf man wohl an der Persönlichkeit Gottes zweifeln. Dem Pantheismus steht dann Tür und Tor offen. Zu demselben Ergebnis, und zwar zum reinsten Pantheismus, führt auch die Lehre von der göttlichen Immanenz. Wir müssen daher fragen, ob eine solche Immanenz zwischen Gott und dem Menschen trennt oder nicht. Wenn ja, welcher Unterschied besteht dann in der katholischen Lehre, und warum darf man dann die Lehre von der äußeren Offenbarung verwerfen? Wenn nein, so ist der Pantheismus da. Nun will aber dies die modernistische Immanenz, die offen zugibt, daß das Bewußtseinsphänomen vom Menschen als Menschen ausgeht. Also kommt man mit Recht zu der Schlußfolgerung, daß Gott und Mensch ein und dasselbe sind – also Pantheismus. Auch die Trennung von Glauben und Wissen, die sie proklamieren, läßt keine andere Schlußfolgerung zu. Den Gegenstand des Wissens sehen sie in der Realität des Erkennbaren, und den des Glaubens in der Realität des Unerkennbaren. Die Unerkennbarkeit rührt daher, daß zwischen dem dargebotenen Gegenstand und dem Verstand keine Proportion besteht. Die fehlende Proportion kann jedoch nie, auch nicht nach der Lehre des Modernismus, ersetzt werden. Das Unerkennbare wird daher sowohl dem Gläubigen, als auch dem Philosophen ewig unerkennbar bleiben. Gibt es also doch eine Religion, so ist ihre Realität unerkennbar. Dann ist jedoch nicht einzusehen, warum die Realität nicht auch eine Weltseele sein könnte, wie dies manche Rationalisten annehmen. Das ist noch nicht genug, um mehr als deutlich zu zeigen, wie alle Wege des Modernismus zum Atheismus und zur Vernichtung der gesamten Religion führen. Der Irrtum des Protestantismus war der erste Schritt, es folgt der Modernismus, um schließlich im Atheismus zu enden.
Um den Modernismus noch besser kennenzulernen, und für eine derartig schwere Wunde die am besten geeigneten Heilmittel zu suchen, ist es angebracht, ehrwürdige Brüder, nunmehr auch den Ursachen etwas nachzugehen, welche das Übel verschuldet oder verschlimmert haben. Zweifellos liegt seine nächste und unmittelbare Ursache in einem Irrtum des Verstandes. Zwei entferntere Ursachen erkennen wir in der Neugierde und im Stolz. Wenn der neugierige Wissensdrang nicht weise gemäßigt wird, ist dies alleine schon ausreichend, um alle möglichen Irrtümer zu erklären. Unser Vorgänger, Gregor XVI., schrieb daher mit Recht: ‚Es ist tief traurig, zu welchen Torheiten sich die menschliche Vernunft verirren kann, wenn man Neuerungen sucht und gegen die Mahnung des Apostels den Sinn höher trägt, als es sich gebührt, wenn man in übermäßigem Selbstvertrauen die Wahrheit außerhalb der katholischen Kirche zu suchen glaubt, während man sie in ihr ohne den geringsten Staub des Irrtums finden kann’.
Der Stolz hat jedoch in einem weit höheren Grad die Wirkung, den Geist zu verblenden und in den Irrtum zu führen. Dieser ist sozusagen beim Modernismus zu Hause. Von allen Seiten strömt ihm dort Nahrung zu und nimmt ihn in allen möglichen Formen an. Es ist Stolz, wenn sie in einem verwegenen Selbstgefühl die eigene Person als Norm für alles betrachten und als solche ausgeben. Es ist Stolz, wenn sie prunken, als besäßen sie alleine alle Weisheit, und sich dadurch zu den aufgeblasenen Worten hinreißen lassen: ‚Wir sind nicht wie die anderen Menschen!’ Um nicht mit anderen auf eine Stufe gestellt zu werden, greifen sie nach allem, was sich neu nennt, und ersinnen die größten Ungereimtheiten. Es ist Stolz, wenn sie jegliche Unterwerfung ablehnen und verlangen, daß sich die Autorität mit der Freiheit abfinden muß. Es ist Stolz, wenn sie an die Reform anderer denken und dabei sich selbst vergessen, wenn sie keinen Stand und kein Amt, auch nicht das höchste, achten. Der Stolz ist mit Gewißheit der kürzeste und sicherste Weg zum Modernismus. Wenn ein katholischer Laie, oder auch wenn ein Priester die christliche Lebensregel vergißt, wonach wir uns selbst verleugnen müssen, um Christus nachfolgen zu können, wenn er den Stolz nicht aus seinem Herzen reißt, dann ist er vor allen anderen für die Annahme der modernistischen Irrtümer bereit… Gehen wir nun von den moralischen Ursachen zu den Ursachen über, die im Verstand liegen. Als erstes zeigt sich uns die hauptsächlichste Ursache der Unwissenheit. Alle Modernisten ohne Ausnahme, die Lehrer in der Kirche sein und heißen wollen, und mit lauter Stimme die moderne Philosophie preisen und die scholastische verachten, konnten sich nur deshalb von ihrem falschen Schein verleiten lassen und sich zu ihr bekennen, weil sie bei völliger Unkenntnis der Scholastik gar keine Beweismittel in den Händen hielten, um die Begriffsverwirrung zu steuern und die Sophismen zurückzuweisen. Aus der Verbindung der falschen Philosophie mit dem Glauben ist dann ihr System mit allen seinen groben Irrtümern gewachsen… Vor allem sind es drei Dinge, von denen ihnen bekannt ist, daß sie ihren Bestrebungen entgegengesetzt sind: Die scholastische Methode in der Philosophie, die Autorität und die Tradition der Väter sowie das kirchliche Lehramt. Diesen gilt ihr verbissenster Kampf. Die scholastische Philosophie und Theologie wird von ihnen darum durchweg verhöhnt und verachtet. Mag das nun aus Unwissenheit, Furcht oder wohl richtiger aus beiden Gründen geschehen. Es steht zumindest fest: Neuerungssucht ist immer mit Abneigung gegen die Scholastik verbunden. Es gibt kein sichereres Zeichen für eine beginnende Hinneigung zu den modernistischen Lehren, als nur der Beginn, Widerwillen gegen die scholastische Methode zu empfinden. Die Modernisten und ihre Freunde sollten an die Verurteilung des Satzes durch Pius IX. denken: ‚Die Methode und die Prinzipien, nach denen die alten Lehrer der Scholastik die Theologie betrieben haben, passen nicht zu den Bedürfnissen unserer Zeit und zum Fortschritt der Wissenschaften’. In schlauer Weise versuchen sie, die Tradition nach ihrer Bedeutung und nach ihrem Wesen zu verdrehen, um ihr dadurch jegliches Gewicht zu nehmen. Für die Katholiken wird jedoch die Entscheidung des zweiten Konzils von Nicäa stets seine Geltung behalten. Danach werden diejenigen verurteilt, die ‚es wagen … nach dem Beispiel verworfener Häretiker, die kirchlichen Überlieferungen zu verachten und irgendwelche Neuerungen auszusinnen … oder in bösartiger List etwas zu erdenken, um ein Stück der rechtmäßigen Überlieferung der katholischen Kirche zu Fall zu bringen’. Ebenso behält das Bekenntnis des vierten Konzils von Konstantinopel seine Gültigkeit: ‚Wir bekennen also, daß wir die Vorschriften halten und bewahren wollen, welche zum einen Teil von den großen heiligen Aposteln, zum anderen Teil von den allgemeinen sowie den besonderen Konzilien der Rechtgläubigen oder auch von irgendeinem gottbegnadeten Vater oder Lehrer der heiligen katholischen und apostolischen Kirche überliefert worden sind’. Darum wollten auch die Päpste, Pius IV. und Pius IX., dem Glaubensbekenntnis beigefügt wissen: ‚Die apostolischen und kirchlichen Überlieferungen und die übrigen Gewohnheiten und Verordnungen dieser Kirche nehme ich fest und freudig an’.
Die Modernisten denken auch nicht anders über die Überlieferung der heiligen Kirchenväter. Mit aller Kühnheit stellen sie diese dem Volk zwar höchst verehrungswürdig dar, beschuldigen sie aber in kritischen und historischen Fragen der gröbsten Unwissenheit, die sich nur mit der Zeit entschuldigen läßt, in der sie gelebt haben. Schließlich versuchen sie, die Autorität des kirchlichen Lehramtes mit aller Gewalt einzuschränken und herabzudrücken, indem sie auf der einen Seite seinen Ursprung, sein Wesen und seine Rechte in frevelhafter Weise verkehren und auf der anderen Seite die Verleumdungen der Gegner gegen dieses ohne Scheu wiederholen. Über die Modernisten läßt sich sagen, was Unser Vorgänger bereits in tiefstem Schmerz geschrieben hat: ‚Um die mystische Braut Christi des wahren Lichtes der Verachtung und dem Haß preiszugeben, haben die Kinder der Finsternis sich angewöhnt, ihr öffentlich wahnwitzige Verleumdungen entgegenzuschleudern, indem sie den Sinn und die Bedeutung der Tatsache sowie auch die Worte verdrehen, sie eine Freundin der Finsternis, eine Förderin der Unwissenheit und eine Feindin der Klarheit und des Fortschrittes der Wissenschaften nennen’.
Bei dieser Lage der Dinge ist es nicht verwunderlich, ehrwürdige Brüder, wenn die Modernisten den Katholiken, die entschieden für die Kirche eintreten, ihren ganzen Groll und Unwillen fühlen lassen. Ihnen wird keine Art von Beleidigungen erspart. Ständig wiederholen sie den Vorwurf der Unwissenheit und Hartnäckigkeit. Wenn ihnen die Gelehrsamkeit und Schlagfertigkeit eines Gegners Respekt einflößt, so schweigen sie wie auf Verabredung und versuchen mit dieser Haltung die Antwort wirkungslos zu machen. Katholiken auf diese Art zu behandeln ist um so mißgünstiger, als sie ihre eigenen Parteigänger zur gleichen Zeit mit maßlosen, nicht enden wollenden Lobsprüchen überschütten, und deren Bücher, die von Anfang bis zum Ende mit Neuerungen gefüllt sind, mit lautem Beifall begrüßen und bestaunen. Je kühner jemand das Althergebrachte umstößt, die Überlieferung und die kirchliche Lehre von sich weist, desto gelehrter gilt er. Wenn schließlich jemand die kirchliche Verurteilung getroffen hat, so wird er nicht nur, zum Entsetzen aller guten Katholiken, von der ganzen Schar laut und öffentlich gelobt, sondern fast als Märtyrer der Wahrheit verehrt. Die jungen Leute lassen sich schließlich von dem ganzen Lärm dieser Lob- und Schmähreden verwirren und verführen. Da sie nicht als Ignoranten gelten wollen, streben sie nach dem Ruf der Gelehrsamkeit. Gedrängt von ihrer Neugierde und ihrem Stolz lassen sie sich nur zu oft fangen und schließen sich dem Modernismus an.
Das gehört bereits zu den Kunstgriffen der Modernisten, um ihre Ware an den Mann zu bringen. Sie lassen nichts unversucht, um die Zahl ihrer Anhänger zu vermehren. An den Priesterseminarien und Universitäten lauern sie auf Professoren, um sie dann bald in Lehrstühle des Verderbens zu verkehren. In der Kirche tragen sie die Lehre in ihren Predigten, vielleicht auch nur in versteckter Weise vor. In Versammlungen sprechen sie freier. Bei sozialen Veranstaltungen flechten sie ihre Lehren ein und preisen sie an. Unter eigenem oder fremdem Namen lassen sie ihre Bücher, Zeitungen und Abhandlungen erscheinen. Ein und derselbe Schriftsteller benutzt häufig verschiedene Namen, um Unvorsichtige durch Vorspiegelung vieler Autoren zu täuschen. In ihrer Aktivität, in Wort und Schrift, überall, entfalten sie eine wahrhaft fieberhafte Tätigkeit…
Unser Vorgänger seligen Andenkens, Leo XIII., hat sich in Wort und Tat besonders in der Bibelfrage mannhaft gegen diesen Strom grober Irrtümer entgegengestellt, der insgeheim und offen einzudringen versuchte. Wie wir jedoch erkennen können, lassen sich die Modernisten nicht so leicht durch eine solche Abwehr abschrecken. Gegen die Worte des Papstes haben sie zwar die größte Ehrfurcht und Unterwürfigkeit zur Schau getragen, diese dabei jedoch zu ihren Gunsten verdreht und sein Einschreiten auf irgendwelche anderen Leute bezogen. Das Übel ist somit von Tag zu Tag schlimmer geworden. Deshalb haben Wir beschlossen, ehrwürdige Brüder, nicht länger zuzusehen, sondern energischere Maßnahmen zu ergreifen…
Was zunächst die Studien angeht, so wollen und verordnen Wir in aller Form, daß die scholastische Philosophie zur Grundlage der kirchlichen Studien gemacht wird. Wenn sich allerdings etwas bei den Scholastikern findet, das allzu spitzfindig ausgeklügelt oder ohne die nötige Überlegung vorgebracht wird, oder etwas, das mit den sichergestellten Ergebnissen einer späteren Zeit nicht übereinstimmt, oder schließlich etwas, das in irgendeiner Weise unwahrscheinlich ist, so liegt es Uns durchaus fern, das unserer Zeit zur Nachahmung zu empfehlen. Die Hauptsache ist, wenn Wir die Beibehaltung der scholastischen Philosophie vorschreiben, so ist damit vor allem die Lehre des hl. Thomas von Aquin gemeint…
Die Lehrer sollen darauf achten, daß man besonders in metaphysischen Fragen nie ohne großen Schaden vom Aquinaten, der Lehre des Thomas von Aquin, abweicht. Die gleiche Wachsamkeit und Strenge muß bei der Prüfung und bei der Auswahl der Kandidaten für die heiligen Weihen beachtet werden. Die Neuerungssucht muß fernab des Priestertums stehen. Gott lehnt die Stolzen und Trotzigen ab!“
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