Buchbesprechungen:
von
Werner Olles
"Entlarvte Gemeinplätze"
Léon Marie Bloys Polemiken gegen die Zeit
Ernst Jünger und Heinrich Böll, zwei Autoren, die unterschiedlicher wohl nicht sein können, die sich aber in einer Sache völlig einig waren: In der Verehrung, Bewunderung und Liebe zu Léon Bloy. Für Jünger war Bloy, der den katholischen Roman in die Tiefe jenes existentiellen Realismus gezwungen hat, der dann in der Kunst eines Georges Bernanos voll aufbrechen sollte, ein „Zwillingskristall aus Diamant und Kot“, bei dem man den Eindruck habe, „daß jeden Augenblick eine Entladung eintreten und alles in Flammen setzen könnte.“ Böll wiederum, der früher als Jünger auf Bloy gestoßen war, sah in ihm seinen Retter, der ihn wieder zum Glauben zurückführte, den er in seiner Jugend verloren zu haben schien: „Weißt Du auch, daß ich unmittelbar durch Léon Bloy gerettet worden bin; durch diesen Mann, den ich am meisten liebe von allen, die je in Europa Bücher geschrieben haben. Manchmal meine ich, daß ich erst danach geboren und getauft worden bin. Seit dieser Zeit geht es auf und ab mit mir, aber ich lebe, lebe, lebe. Ich bin nicht mehr tot. Es wird mir ganz kalt, wenn ich bedenke, daß ich vielleicht wirklich so tot geblieben wäre.“ Und in seinen „Briefen aus dem Krieg. 1939-1945“ (München, 2003) schreibt er: „Ich habe noch in Léon Bloys Tagebüchern gelesen, und ich spüre es immer wieder, daß das wirklich mein Leben und mein Ziel ist, nur zu sagen, meinetwegen nur auf deutsch zu sagen, was er französisch gesagt hat. So ist es, das ist meine ganze Sehnsucht, und ich bitte Gott immer darum, mir Gelegenheit zu geben.“
Léon Bloy (1846-1917): Schriftsteller und Kämpfer um die Erneuerung des christlichen Geisteslebens in Frankreich, ein Autodidakt, der unter dem Einfluß Barbey d´Aurevillys, der ihn auch zum Katholizismus bekehrte, zur Literatur fand. Wie Barbey wird Bloy zum überzeugten Repräsentanten eines traditionalistischen katholischen Milieus, das im Renouveau catholique, einer der wichtigsten gegenaufklärerischen Strömungen des 19. und 20.Jahrhunderts, entschieden Front macht gegen die Relativierung der Bedeutung Jesu Christi, textkritische Bibelexegese und die Zerstörung der Religion durch Protestantismus und modernen Katholizismus, die er als „religiöse Dekadenz“ bezeichnet. Eine wesentliche Rolle von geradezu heilsgeschichtlicher Bedeutung spielen für Bloy hingegen die Marienerscheinungen im südfranzösischen La Salette, die ihn gegen die säkulare Indifferenz als zentrale Verfallserscheinung der Moderne und seines Jahrhunderts den Katholizismus als Mystik wieder entdecken lassen. Wie fern er jeder Bigotterie war beweist seine ebenso tragische wie leidenschaftliche Liebe zu der Prostituierten Anne-Marie Roulé, die er von der Straße aufliest und der er in seinem ersten Roman „Der Verzeifelte“ („Le Désepéré“) ein Denkmal setzt. Es ist die Geschichte einer Bekehrung, in der aus einer Verlorenen eine Heilige wird. Gemeinsam mit Anne-Marie durchlebt Bloy eine Phase mystischer Visionen, ein paar Jahre später verfällt sie jedoch dem Wahnsinn.
In der von Jean-Jaques Langendorf und Günter Maschke begründeten Reihe „Bibliothek der Reaktion“ im Wiener Karolinger Verlag sind nun Léon Bloys „Auslegung der Gemeinplätze“ („Exégèse des Lieux communs“) in einer verbesserten und um Übersetzungen von Walter Benjamin und einem Nachwort des Herausgebers Hans-Horst Henschen vermehrten Ausgabe erschienen. Bloy, der „Marktschreier Gottes“, wie er sich selbst nannte, entlarvt hier einmal mehr mit ungestümen Temperament und außergewöhnlicher Sprachbegabung die abgedroschenen Allerweltsweisheiten des Alltags, die ebenso zeitlos erscheinen wie der soziologische Typus des „ewigen Bourgeois“, in dem er den unsterblichen Vertreter der menschlichen Dummheit sah, dessen bodenloses Geschwätz ihn in wilde Raserei brachte, weil er ahnungslos „ungezählten Millionen Hirnloser“ Ungeheures nachplappert. So notiert er in sein Tagebuch. „Es ist ganz sicher, daß bis zur Herabkunft des heiligen Geistes, der das Angesicht der Erde erneuern wird, die Menschen im allgemeinen mit dem Stock beherrscht werden müssen - sei dies der Knüppel eines Bandenchefs oder ein Bischofsstab.“
Bloy sammelte eine beachtliche Anzahl solcher Redewendungen, wie: Geschäft sei Geschäft, man müsse mit den Wölfen heulen, die Ehe sei ein Lotteriespiel, alle Menschen seien Brüder und Rom nicht an einem Tag erbaut worden etc. und legt sie mit der für ihn charakteristischen Treffsicherheit bloß. Wenig schmeichelhaft allerdings. Aber indem er ihren versteckten metaphysisch-religiösen Gehalt hervorholt, verdichtet sich seine Darstellung zu einem wahren geistigen Abenteuer. Für Bloy bedeutete die Entlarvung dieser Gemeinplätze nicht nur „dem Teufel aufs Maul zu schauen“, sondern vor allem „den Schwachköpfen, den schrecklichen und entschiedenen Idioten dieses Jahrhunderts die Sprache zu entreißen, so wie der heilige Hieronymus die Pelagier oder Luziferisten seiner Zeit zum Stillschweigen verurteilte. Den Bürger endlich und für immer zum Schweigen zu bringen - was für ein Triumph!“
Wenn also die Hebamme bemerkt, daß Geld nicht glücklich mache, der Kaldaunenhändler mit Schläue einwendet, daß es aber doch zum Glück beitrage, Bloys Wäscherin, Frau Alarich, ihre jüngst Tochter genauso auf den Strich schicken will, wie sie es schon mit ihren vier älteren getan hat, und auf dessen Ermahnung antwortet: „Wir sind ebenso religiös wie sie, aber Gott verlangt ja so wenig …“, dann haben diese Auguren „das untrügliche Gefühl, kostbare Geheimnisse auszutauschen, Arkana des ewigen Lebens voreinander zu enthüllen und ihr Gehaben ist der Bedeutung des Anlasses angemessen“ (Bloy). Es ist ein Abgrund, der Bloy vom kleinbürgerlichen Ungeist des Massenmenschen trennt. Jener glaubenshungrige „Pilger des Absoluten“, dessen Feuer „von allem Mist der modernen Zeit genährt wird“ (Franz Kafka), dieser „Sammler des Hasses“ (Jorge Luis Borges) mit seiner Kritik an der Unterdrückung einer echten Kultur durch einen zügellosen Journalismus und an der Verkitschung der religiösen Kunst durch ein mittelmäßiges Christentum, traf naturgemäß auf den erbitterten Widerstand des Zeitgeistes gegen seine prophetischen Warnungen. Das Gewicht seiner Polemiken mindert dies jedoch nicht im geringsten. Im Gegenteil, Bloy, der in Deutschland und Frankreich vergessen zu sein scheint, ist heute eigentlich aktueller denn je. Für den, der ihn zu lesen versteht, gleicht er „einem einsamen Felseneiland, einer feuerspeienden Insel inmitten des Meeres eisiger Einsamkeit. Bloy ist ein Ereignis. Springfluten, Vulkanausbrüche, und Zyklone sind Ereignisse der Natur. In der Landschaft der menschlichen Seele sind Erscheinungen wie Bloy ähnliche Ereignisse; Wahnsinn, Verbrechen und Verklärung sind in ihnen verschwistert“ (Gertrud Fussenegger).
Léon Bloy: Auslegung der Gemeinsplätze. Karolinger, Wien und Leipzig 2009. 411 S., 26 Euro
*** Erik von Kuehnelt-Leddhin:
Konservative Weltsicht als Chance.
In seinem Vorwort zu Erik von Kuehnelt-Leddhins Buch „Konservative Weltsicht als Chance“ zitiert Roland Baader den ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss: Die abendliche Kultur sei von drei Hügeln zu uns herabgestiegen, von der Akropolis, vom Kapitol und von Golgotha. Und wenn es einen gibt, so Baader, dessen Geist auf jedem dieser drei Hügel heimisch war, dann Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddhin. Jahrgang 1909, Österreicher aus der Steiermark, ein Polyhistor, dessen Geistesblitze seine wirklich tiefe, gediegene und weitausholende Bildung enthüllen und dessen Essays zum Luzidesten gehören, was der Konservativismus zu bieten hat, war dieser letzte Universalgelehrte, der in fünfzehn Sprachen las und schrieb, „eine einsame Stechpalme, die im Humus des alten Österreich verwurzelt ist. Ein Beleg dafür, daß es heute weder Schulen, noch Eliten, sondern nur noch Solitäre gibt“ (Ernst Jünger). Tatsächlich müssen Kuehnelt-Leddhins Gedanken in einer Zeit des pseudodemokratischen Kretinismus, der die geistespolitische Verwahrlosung Deutschlands herbeigeführt hat und nach wie vor bestimmt, bei den meisten Zeitgenossen, insbesondere aber bei den einflussreichen Vertretern der linken Intelligenzija, notwendig für Verwirrung und Abscheu sorgen. Inmitten eines Ozeans von Gewäsch und gegenseitiger Hagelschadenversicherung führen seine anti-egalitäre Ideen und Konzepte, die dem Kult der Mittelmäßigkeit, der Übermacht der Unfähigen und den grauenhaften Folgen jener euphemistisch „Bildungsreform“ genannten Abwicklung des deutschen Geisteslebens, den Krieg erklären, zu einem geistesgeschichtlich untermauerten, schöpferischen Konservativismus, der in die Sanierungsgebiete unserer „Zivilgesellschaft“ einbricht, wie der Wolf in die Schafsherde.
So erinnert der Autor daran, daß die drei großen Revolutionen, die Französische Revolution, die Kommunistische Revolution in Rußland und die Nationalsozialistische Revolution in Deutschland vor allem antichristliche Revolutionen waren. In den Konzentrationslagern der folgenden Tyranneien tobte sich der Selbstverwirklichungs-Wahn der Gottlosen aus und feierte der Herdentrieb des Mobs wahre Orgien der Barbarei. Doch begann der technologische Einsatz zum mechanischen Massenmord und schließlich auch zum Genozid bereits in der Französischen Revolution, in der unter dem kriminellen Geisteskranken de Sade nach den Ideen des masochistischen Neurotikers Rousseau, der pädagogische Romane schrieb und seine Kinder in Waisenhäuser abschob, ein Mordrausch ohnegleichen anhob, in dem auch Frauen und halbe Kinder, die in die Hände des tobenden Pöbels fielen, verstümmelt und zerstückelt wurden. Übel erging es auch unbotmäßigen Städten wie Toulon, Lyon und Bordeaux, die sich gegen die Jakobiner erhoben, und zum Teil dem Erdboden gleichgemacht wurden. In der Bretange und in der Vendée, wo royalistisch und katholisch gesinnte Bauern niedergeworfen und anschließend in einem gewollten Völkermord viehisch abgeschlachtet wurden, fand schließlich ein Pandämonium statt, daß Robbespierre „als Ausfluß der Tugend und Konsequenz des demokratischen Prinzips“ lobte. Wer Kuehnelt-Leddihns Schilderungen dieses gigantischen Verbrechens liest, tut einen Blick in die Hölle.
Als gelehrige Schüler der Organisatoren dieser wahrhaft titanischen Blutbäder erwiesen sich die sowjetischen Internationalsozialisten und die deutschen Nationalsozialisten. Gleichermaßen gottlos stellten sie die Herrschaft der Minderwertigen par excellence dar. Doch nach Nicolás Gómez Dávila besteht „der größte, moderne Irrtum nicht in der These vom toten Gott, sondern im Glauben, daß der Teufel tot sei“. Oder wie Kuehnelt-Leddihn es treffend formuliert: „Der Christ beherzigt die Worte des Gottessohnes, der Apostel und Kirchenväter, der Demokrat die von Rousseau, Marat, den Redakteuren der Frankfurter Rundschau und dem Alliierten Kontrollrat seligen Andenkens“. Schließlich gab es Freudenschreie im demokratischen Lager, als Pius XII. in seiner Weihnachtsallokution 1944 die Demokratie ernstlich behandelte, doch hatte der Papst bekräftigt, daß die Parlamente aus einer Elite bestehen müßten und es sich bei seiner Ansprache keineswegs um eine „Kanonisierung“ der Demokratie handle.
In unserem Zeitalter rasanter, allgemeiner Unbildung, in dem theologische und kirchliche Unwissenheiten inzwischen zum guten Ton gehören, fällt allerdings kaum noch jemandem auf, daß das eng mit dem Prinzip der Gleichheit verbundene Soziale „ganz ohne Abstriche die Domäne des Fürsten dieser Welt ist“, wie die Ex-Sozialistin, Jüdin und Konservative Simone Weil völlig zu Recht schrieb. Tatsächlich ist Armut nämlich nur für den glaubenslosen Menschen eine Schande, doch ist es heutzutage Mode von „Unterprivilegierten“ zu schwadronieren. Dabei bedeutet dieser Terminus wörtlich übersetzt nichts anderes als „wenige außerordentliche Vorrechte“ zu haben. Die aber besitzt bei uns ohnehin nur die politische Kaste und der ihr hinterher hechelnde Kulturbetrieb, die unisono im praktischen Materialismus, im Religionsverfall, in der der allgemeinen Halbbildung und anderen bösen Leidenschaften ihr demokratisch-parlamentarisches und zivilgesellschaftliches Regelwerk aufscheinen sehen.
Wie steht es aber nun mit der Rechten? Während der Marxismus als „Wanst- und Brieftaschentheorie für Primitive“ (Kuehnelt-Leddhin) im Zeitalter der Quantitäten erfolgreich einschlug, der philosophische Relativismus mit seiner „geradezu ekelhaften, schwammig-schleimigen Mischung von einander oft gegenseitig sich ausschließenden, antagonistischen Ideen“ mit leicht rötlicher Färbung und ein sich selbst anbetender „Humanitarismus“, der werdende Mütter dazu verführt, ihre ungeborenen Kinder umbringen zu lassen, scheinbar immer mehr Menschen einleuchten, bleibt die Rechte merkwürdig schwach und farblos. Sie hat kein gewagtes Programm anzubieten, keine Visionen, keine Utopie, und ist vollauf damit beschäftigt die ärgsten Irrtümer, übelsten Entgleisungen und schlimmsten Untaten der Linken zu kritisieren oder gar zu verhindern. Doch wird dies - davon ist Kuehnelt-Leddhin überzeugt - auf die Dauer nicht ausreichen. Mut, Phantasie, Entschieden und innere Überzeugung sind nach Ansicht des Autors vonnöten, um den grundsätzlichen Vorsprung der Linken einzuholen. Da jedoch auch die Rechte weltanschaulich und geistig bereits links durchsetzt und verseucht ist, bedarf es zunächst der Erkenntnis, daß „eine echte Rechte geistig revolutionär und mit einem frischen Wind wehen muß, der den widerlichen Gestank der letzten 200 Jahre endlich einmal vertreiben sollte.“
Soweit Erik von Kuehnelt-Leddhin, dem man auch in dieser Hinsicht nicht widersprechen kann. So beharrt der Autor auch darauf den Ausdruck „rechts“ zu bejahen. So sollten sich katholische und evangelische Christen wie auch Juden an die Worte von Ecclesiastes 10,2 erinnern: „Das Herz des Weisen schlägt auf der rechten, das des Narren auf der linken Seite.“ Oder anders ausgedrückt: „Right ist right, and left is wrong!“
Werner Olles
Erik von Kuehnelt-Leddhin: Konservative Weltsicht als Chance. Entlarvung von Mythen und Klischees. MM Verlag, Aachen, 2.überarb. Aufl. 2010. 329 S., geb., 19,90 Euro
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