Breve Pius’VI. an den Bischof von Chiusi und Pienza
PAPST PIUS VI.
Ehrwürdiger Bruder, Gruß und apostolischen Segen. Erst vor wenigen Tagen wurde Uns ein Brief deiner Brüderlichkeit überbracht, der am 1. August geschrieben worden war, und überaus willkommen war uns die Erinnerung an deine kindliche Liebe zu Uns, die du mit vorzüglichem Eifer in diesem Brief dargelegt hast; du lieferst nämlich dadurch aus freien Stücken eine neue und nicht unwillkommene Bestärkung des Vertrauens, das Wir deiner Tüchtigkeit gegenüber im Herrn hegten, bevor du zur Höhe des Bischofsamtes erhoben wurdest. Den von dir bereits gefassten Entschluss jedoch, deinen Klerus auf eine besondere Art und Weise in der kirchlichen Lehre zu unterweisen, die du in deiner Diözese weiter-zugeben gedenkst, haben Wir aus deiner Instruktion selbst entnommen, die du dem Brief beigelegt hast. Aus ihrer Lektüre und Abwägung ergibt sich für Uns jedoch zwangsläufig ein schwerwiegender Grund zu Sorge und Trauer; Wir haben nämlich festgestellt, dass sie in dem Bestreben verfasst wurde (was noch durch weitere Beweise belegt werden könnte, wäre hier Raum für eine längere Auseinandersetzung), von der Lehre des Apostolischen Stuhles mehr als einmal abzuweichen und Sätze einzuführen und zu begünstigen, von denen zur Genüge bekannt ist, dass sie von diesem schon seit langem verworfen worden sind; darüber hin-aus hast du nicht gezögert, katechetische Bücher, die vom Apostolischen Stuhl ebenfalls bereits gerügt worden waren, mit Lob zu überhäufen und sie deiner Herde als einwandfrei und als Quellen der reineren Lehre vorzulegen. Jedermann muss aber erkennen, dass dadurch den dogmatischen Entscheidungen, die der Stuhl Petri gefällt hat, eine offene Verletzung zugefügt wird und dass du dich zu ihrem Richter aufschwingst, so als ob in dem, was von den Päpsten definiert worden ist, zu wenig für die Religion gesorgt worden wäre. Augenscheinlich hat aber ein Bischof bei der Unterweisung des Klerus eine ganz andere Aufgabe; denn da die Gewalt über die Schafe beim Bischof liegt und das Wissen der Geistlichen auf das Volk Einfluss hat, ist es von größter Wichtigkeit, diesen eine ganz und gar sichere, nicht anfechtbare und schon gar nicht verworfene Lehre einzuflößen, und es ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Oberhirten den Klerus und das Volk rechtgläubige Sätze lehren, ohne bereits abgesteckte Grenzen zu überschreiten; wenn nun eine Lehrstreitigkeit ausbricht, ist diese nicht anders als nach den vom Apostolischen Stuhl gebilligten Lehrentscheidungen zu behandeln: denn sei-ne Verfügungen, die ja gleichsam aus dem Munde Petri hervorgehen, galten als Richtschnur für das, was später auf den Konzilien beschlossen wurde; daher hat bekanntlich das Konzil von Ephesus die Absetzung des Nestorius verfügt, dessen Irrlehren zuvor schon der römische Papst Cölestin verurteilt hatte (1), und die in Chalcedon versammelten Väter riefen gegen Dioscorus aus, Petrus habe durch Leo gesprochen (2); nicht weniger bekannt ist, dass der hl. Viktor in den Fußstapfen seiner Vorgänger dem I. Konzil von Nizäa das Licht vorangetragen hat, als über die Feier des Ostertages gestritten wurde (3). Noch mehr Beispiele hierfür anzuführen, ist unseres Erachtens nur überflüssig, es genügt uns festzustellen, dass, sooft in Konzilien Dekrete des Apostolischen Stuhles vorgelegt wurden, es dabei niemals darum ging, dass über Unsicheres gestritten, sondern dass Sicheres und Unveränderliches (4) durch die kurze und bündige Definition der Mitpriester und Mitdiener feierlich verkündet wer-de. Jedermann sieht, dass dadurch die höchste Autorität des römischen Papstes in Glaubensangelegenheiten anerkannt wurde, und das hat die katholische Kirche beständig so eingehalten; das war auch die richtige Haltung Theodorets, des Bischofs von Cyrus, der das Gutachten des Apostolischen Stuhles abwartete und den hl. Leo eindringlich bat, er möge ihm, der sein rechtmäßiges und gerechtes Gericht anrief, zu Hilfe kommen und ihm befehlen, zu ihm zu kommen und seine Lehre, die den apostolischen Grundsätzen treu bleibe, vorzutragen (5); dem entspricht einerseits die Ermahnung des Petrus Chrysologus, der an Eutyches schreibt, „er solle sich gehorsam an das halten, was vom seligsten Papst der Stadt Rom geschrieben worden ist, da der selige Petrus, der an seinem Sitz sowohl lebt als auch den Vorsitz führt, allen Suchenden die Wahrheit des Glaubens darreicht; aus der eifrigen Sorge um den Glaubensfrieden können wir nämlich nicht ohne Zustimmung des Bischofs der Stadt Rom Glaubenssachen entscheiden“ (6); andererseits die Haltung des hl. Hieronymus, durch die er nicht nur dem Theophilus bezeugte, „dass es für ihn nichts Althergebrachteres gebe, als Christi Rechte zu bewahren und die Grenzsteine der Väter nicht zu verrücken, und dass er sich erinnere, dass stets aus apostolischem Munde der römische Glaube verkündet wurde, an dem teilzuhaben sich die Kirche von Alexandrien rühmt“ (7), sondern auch, um den Rufinus zu widerlegen, der sich - übrigens in verwegener Weise – auf die Meinung der Bischöfe Italiens berief, ihm überaus weise in Erinnerung rief, dass die höchste Lehrautorität bei der römischen Kirche liege, und ihn nach Art eines Staunenden mit der Frage bedrängte: „Wie könnte Italien gutheißen, was Rom verworfen hat; wie könnten die Bischöfe annehmen, was der katholische Glaube verdammt hat?“ (8) Dem sind freilich, damit dieser Brief nicht zu lang wird, vor vielen anderen nur noch zwei Zeugnisse für dieselbe Auffassung hinzuzufügen, nämlich die Lehre des hl.Thomas von Aquin, welche gut-heißt, dass es den Nachfolgern Petri zustehe, „alles endgültig zu bestimmen, was zum Glauben gehört, damit es von allen mit unerschütterlichem Glauben geglaubt werde“ (9) sowie eine weitere der Universität von Löwen: unter den übrigen von dieser am 6.Dezember 1544 verkündeten 25 Glaubensartikeln befindet sich auch der in folgenden Worten verfasste: „Mit Glaubensgewissheit festzuhalten ist nicht nur das, was ausdrücklich durch die Hl. Schrift geoffenbart wurde, sondern auch das, was wir durch die Überlieferung der katholischen Kirche als zu glauben vorgelegt bekommen haben und was in Sachen des Glaubens und der Sitten durch den Stuhl Petri oder durch rechtmäßig einberufene allgemeine Konzilien definiert worden ist“. Diese Artikel hat sogar Kaiser Karl V., damit sie strenger eingehalten würden, mit einer am 13.März 1545 zu Brüssel erlassenen Konstitution mit seiner Bestätigung versehen (10. Es ist also in der Kirche schon lange Brauch, dass, sooft es um den Glauben geht, „alle unsere Mitbrüder und Mitbischöfe (wir verwenden die Worte, die der hl. Innozenz I. an die Konzilsväter des Konzils von Milet schrieb) das, was weltweit allen Kirchen gemeinsam zum Nutzen gereichen soll, von Petrus, dem Urheber ihres Namens und ihrer Ehre, abhängig machen müssen“ (11). Nicht anders verhielt sich der hl. Hieronymus, als er angesichts der herumschleichenden Irrlehren der arianischen Häresie Papst Damasus um Rat fragte, um unter seiner Führung den Hafen der sicheren Ruhe zu erreichen (12); dasselbe besagt auch Artikel 18 der zuvor gelobten Universität Löwen, der lautet: „Einer ist der höchste Hirte der Kirche, dem alle zu gehorchen gehalten sind, dem Streitigkeiten über Sachen des Glaubens und der Religion zur Entscheidung anheimzustellen sind“ (13). Es ist sehr zu bedauern, dass dir diese Vorsichtsmaßregel vor der Verlautbarung deiner Instruktion überhaupt nicht gegenwärtig war; hättest du sie Uns nämlich vorgelegt - zusammen mit der anderen, von der du sagst, dass sie das Muster einer katechetischen Unterweisung enthalte -, hättest du es zweifellos nicht gewagt, Sätze aufzunehmen, die durch endgültige Entscheidung der römischen Päpste öfter verworfen worden sind und die nur wenige Scheinbischöfe oder Rebellen verfechten. Denn mit der übergroßen Liebe, die Wir gegen dich hegen und mit der Wir herzlich wünschen, alle Mitbrüder im Geiste der Milde in ihrem Amt zu erhalten, hätten Wir dich daran erinnert, dass es niemandem erlaubt ist, in verwegener Weise irgendetwas dagegen zu äußern, was auf päpstliche Entscheidungen gegründet ist; in der Weise, dass, wenn jemand etwas davon Abweichendes beschließen wollte, er eher sich selbst herabsetzt, als dass er jene zu verderben vermöchte (14), und dass es sich nicht gehört, dass eine schon längst entschiedene Streitsache durch die Torheit weniger Leute wieder in den Widerstreit zweifelhafter Meinungen und in die Kämpfe fleischlicher Auseinandersetzungen hineingezogen werde (15); denn das hieße eher zweifeln als glauben, eher streiten als wissen, eher mit dem Bannstrahl Getroffenem folgen als Lehrentscheidungen einhalten; und du hättest leicht entdeckt, dass sich hinterhältig Verführer mit ihren Bestrebungen einschleichen wollen, die darauf ausgehen, dass die festgelegten Glaubensgrundsätze, die mit den Lehren des Evangeliums und den Überlieferungen der Kirchenväter übereinstimmen, durch eine neue Meinung ihre Kraft verlieren und dadurch, dass die Auseinandersetzung hierüber zugelassen wird, die Lehrautorität beseitigt wird (16). Denn wenn es den menschlichen Meinungen immer freistünde zu diskutieren, würde es nie an solchen mangeln, die sich erdreisten, die Wahrheit anzugreifen, und es gäbe kein Ende der Debatten und Streitereien, wenn man über das, was durch die Zustimmung sehr vieler Päpste bekräftigt worden ist, ein neues Urteil fällen dürfte. Sollte aber in diesem unseren Zeitalter die Raserei der Häresien zu demselben Zustand geführt haben, wie er zur Zeit des hl. Leo in Ägypten herrschte, könnte uns derselbe Trost zuteil werden, den dieser erfuhr, als er dem Anatolius schrieb, „dass unter allen Bischöfen, die den ägyptischen Diözesen vorstehen und erst vor kurzer Zeit verurteilt worden sind, nur vier gefunden werden konnten, die dem Timotheus sowohl an Gottlosigkeit der Häresie als auch an verbrecherischer Räuberei ebenbürtig sind“ (17). Aber da unsere Zeit ruhiger ist und die katholischen Dogmen, gegen die hinterhältig vorgegangen wird, schon fest verankert und eingebürgert sind, wäre es für uns zu Recht ein äußerst schwerwiegender Grund zu Traurigkeit und Schmerz, wenn heute in der Toskana dieselbe Anzahl von Bischöfen sich finden ließe. Aber du, darauf hoffen wir fest, bist von dieser Gruppe weit entfernt, und zu nicht geringer Freude wird uns der Eifer gereichen, den deine Frömmigkeit darauf verwenden wird – worauf wir fest vertrauen -, sowohl die von dir herausgegebene und uns zugeschickte Instruktion als auch den verlautbarten Katechismus abzuändern, wenn er sich, wie wir sehr fürchten, an diese Instruktion anschließt. Damit dies aber froheren Sinnes geschieht, rufen wir dir das Beispiels des Augustinus in Erinnerung, der die Bücher „Retractationes“ (Zurücknahmen, Widerrufe) veröffentlichte, um nicht, was zu weit führen würde, andere durch Heiligkeit, Gelehrsamkeit und Würde hervorragende Männer anzuführen, die nicht zögerten, zu unvorsichtig geäußerte Lehrmeinungen zu widerrufen; erwäge auch ernstlich die von religiösem Pflichtgefühl erfüllten Worte des Damianus: „Wenn wir in irgendeiner Sache geirrt haben, treten wir gerne an das für die Berichtigung zuständige Lehramt Petri heran und fürchten nicht die Schande des Widerrufs“ (18). Wir, die wir die Wächter der väterlichen Entscheidungen sein müssen, weshalb wir ihren Anfechtungen nicht zustimmen können, haben es nicht hinausgeschoben, dir dies zu schreiben, weil wir wünschen, in sicherer Eintracht mit dir im Herrn verbunden zu sein; und wir weigern uns nicht, dir die Gnade der Bruderliebe und Wertschätzung zu erweisen, wenn wir nur die Offenbarung der katholischen Wahrheit erwarten dürfen; es ist Uns nämlich willkommen, lieber die Worte des hl.Leo an den Bischof von Konstantinopel (19) auf dich anzuwenden als Uns aufgrund Unseres Amtes zu erregen und Uns von der anderen Ermahnung des hl. Petrus Damianus hinreißen zu lassen, der schreibt: „Wer an Petri Stelle die Schlüssel innehat, der muss selbst als erster gegen eine neue Lehre aufstehen und die Einführer der Ruchlosigkeit soll der Strahl eines ihrer würdigen Urteils durchbohren“ (20). Wohlan, ehrwürdiger Bruder, leg Hand ans Werk, damit deine uns zugeschickte Instruktion so abgeändert werde, dass in ihr nichts mehr übrig bleibt, was den vom Apostolischen Stuhl definierten Lehren widerspricht, und nichts, was in irgendeiner Weise die von Unseren Vorgängern übernommenen und gutgeheißenen Bestimmungen verletzt: Das wird nämlich nicht nur Unser Herz mit höchster Freude erfüllen, sondern damit wird auch dem von dir bei der Bischofsweihe übernommenen Amt Genüge getan, bei der du gelobt hast, die Apostolischen Konstitutionen ehrfürchtig anzunehmen, zu lehren und zu bewahren. Und Wir erteilen dir, ehrwürdiger Bruder, voll Liebe den apostolischen Segen.
Geschrieben zu Rom, bei Santa Maria Maggiore, am 20. Oktober 1786, im 12.Jahr Unseres Pontifikats. CALLISTUS MARINIUS Sekretär für die lateinischen Briefe Seiner Heiligkeit
*** Anmerkungen: 1) Act. Concil. Ephesin. apud Harduin. ad an. 431, act.1 (Akten des Konzils von Ephesus, bei Harduin. zum Jahr 431, Akte 1). 2) Bei demselben zum Jahr 431, Spalte 306 E. 3) Lib. pont. in Victor. conferend. cum actis conc. Nic. I, apud Harduin. ad an. 325, col 439 A, 442 B, 450 B, 517 E. (päpstliche Schriften – bei Viktor – zu vergleichen mit den Dokumenten des I. Konzils von Nizäa, bei Harduin. zum Jahr 325, Spalten 439 A, 442 B, 450 B, 517 E). 4) Epist. Agathonis papae, inter acta concilii VI oecum., seu Constantinop. III, an. 680, apud Harduin. tom. III, col. 2123 B (Brief des Papstes Agathon unter den Urkunden des VI. Ökumenischen oder III. Konstantinopolitanischen Konzils, im Jahre 680, bei Harduin. Band III, Spalte 2123 B). 5) Epist. Theodoreti, cap. 3, At ego, praemissa epist. 48 S. Leonis operum, tom. II, edit. Tyrneviae, 1767 (Brief des Theodoretus, Kap. 3, Ich aber: der vorausgehende Brief 48 aus den Werken des hl. Leo, Band II, Tyrnevische Ausgabe, 1767). 6) Epist. Chrysologi inter citat. s. Leonis ante epist. 34, eiusdem edit. (Brief des Chrysologus unter den erwähnten Werken des hl. Leo vor Brief 34, dieselbe Ausgabe). 7) Epist. LXIII, edit. Vallars., Venetiis, tom. I, part.1, f.253 (63.Brief, Ausgabe Vallars., Venedig, Band I, Abteilung 1, f. 253). 8) Apol. Adv. Ruf. Lib. 3, § 15, tom 2, eiusdem edit. f. 545 (Apologie gegen Ru-finus, 3.Buch, §15, Band 2, dieselbe Ausgabe, f.545). 9) s, s, q. 1, art.10. 10) Collect. Constit. Imper. Melchior. Goldast., tom. I, f.514, edit. Francofurti ad Moenum ann. 1673, sol. (Sammlung der kaiserlichen Konstitutionen, Melchior Goldast, Band I, f.514, hrsg. zu Frankfurt am Main im Jahre 1673, sol.) 11) Epist. XXX, apud Coustant, col. 896 (30.Brief, bei Coustant, Spalte 896). 12) Epist. XV, edit. cit., tom. 1, part. 1, f. 38 (15.Brief, zitierte Ausgabe, Bd.1, Ab-teilung 1, f. 38). 13) Collect. const. imper. Goldast. ubi sup. (Sammlung der kaiserlichen Konstitutionen, Goldast., am oben angegebenen Ort). 14) S. Leo magnus epist. LXXIX, c. s. (hl. Leo der Große, 79.Brief, c. s.) 15) Idem epist. LXXII, c. s. (derselbe, 72.Brief, c. s.) 16) Idem epist. CXXXI, c. s. (derselbe, 131.Brief, c.s.) 17) S. Leo magnus, epist. CXXVI, c.s. (hl. Leo der Große, 126.Epistel, c.s.). 18) Opusc. V, tom. II, edit. Rom. f. 36 (5.Werk, 3.Band, hrsg. zu Rom, f. 36) 19) Epist. LIV (44.Brief). 20) Opusc. VI, cap. 34 (6.Werk, Kap.34).
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