WESEN UND BEDEUTUNG DER THEOLOGISCHEN ZENSUREN
Die theologischen Zensuren bezeichnen den Grad der Verwerflichkeit oder Bedenklichkeit einer Lehre. Wird eine Zensur vom Kirchlichen Lehramt festgestellt, so hat sie den Charakter einer richterlichen Entscheidung.
Gegen Sätze, die einer unmittelbar geoffenbarten Wahrheit widerstreben, ist die schärfste Zensur gerichtet: HÄRETISCH (sententia haeretica). Sie gebührt einem Satz, der zu einem Dogma in direktem Gegensatz steht. Es kommt für die Zensur nur auf den objektiven Widerspruch zur Glaubenslehre an, nicht auf das persönliche hartnäckige Festhalten an der Irrlehre. Wird ein Satz vom Kirchlichen Lehramt in endgültiger Entscheidung für 'häretisch' erklärt, so ist das kontradiktorische Gegenteil des betreffenden Satzes ohne weiteres ein Dogma.
Niedere Zensuren: Verstößt ein Satz gegen eine Lehre, die nahezu allgemein als sichere Offenbarungswahrheit gilt, aber von der Kirche noch nicht endgültig als solche festgestellt ist, so verdient er die Zensur DER HÄRESIE SEHR NAHE (propositio haeresi proxima). Die Zensuren NACH HÄRESIE SCHMECKEND (haeresim sapiens) und DER HÄRESIE VERDÄCHTIG (de haeresi suspecta) richten sich mehr gegen die fehlerhafte Ausdrucksweise des Satzes, insofern er zwar an sich nicht direkt häretisch sein mag, aber doch, zumal in Ansehung der Umstände, eine Häresie nahelegt oder vermuten läßt.
Sätze, die direkt gegen eine katholische Wahrheit bzw. gegen eine kirchliche Lehre gerichtet sind, werden als IRRIG (propositio erronea) oder als IRRTUM (error) (nämlich theologischer Irrtum/error theologicus oder auch Irrtum im Glauben/error in fide) bezeichnet. Wenn das Kirchliche Lehramt diese Zensur über einen Satz verhängt, so ist dessen kontradiktorisches Gegenteil dadurch von selbst als katholische Wahrheit bzw. als kirchliche Lehre hingestellt.
Als DEM IRRTUM SEHR NAHE (sententia errori proxima) gilt eine Behauptung, deren Gegenteil nicht völlig (lehramtlich und theologisch) sicher eine katholische Wahrheit bzw. eine kirchliche Lehre ist; als NACH IRRTUM SCHMECKEND (errorem sapiens) oder DES IRRTUMS VERDÄCHTIG (de errore suspecta) dann, wenn die Umstände einen IRRTUM (error) nahelegen oder einen solchen vermuten lassen.
Als VERWEGEN (propositio temeraria) ist eine Lehre zu zensurieren, welche ohne hinreichenden Grund Behauptungen gegen begründete kirchliche Lehren aus eigensinniger Einbildung und Überhebung aufstellt oder zu einer allgemeinen, von der Kirche gebilligten religiösen Übung in Widerspruch tritt.
Sätze, die ihres sprachlichen Ausdrucks wegen verwerflich sind, unterliegen allgemein der Zensur ÜBEL KLINGEND (male sonans). Als besondere Zensur kennzeichnet ÜBEL KLINGEND (propositio male sonans) einen Satz, der einen an sich nicht unrechtgläubigen Sinn mit ungeeigneten Worten, die leicht falsch verstanden werden können, zum Ausdruck bringt.
Als VERFÄNGLICH (propositio captiosa) ist ein Satz einzustufen, der unter dem Schein der Wahrheit und der Frömmigkeit durch absichtliche Mehrdeutigkeit irrezuleiten sucht. FROMME OHREN VERLETZEND (piarum aurium offensiva) ist eine durch Unehrerbietigkeit des Ausdruckes das fromme katholische Bewußtsein verletzende Behauptung. ÄRGERNIS ERREGEND (propositio scandalosa) ist eine Ansicht, welche geeignet ist, die sittlichen Grundsätze zu untergraben und so entsittlichend zu wirken.
Die übrigen Zensuren: VERDERBLICH (propositio perniciosa), GEFÄHRLICH (propositio periculosa), BELEIDIGEND (propositio iniuriosa), usw., werden gegen Sätze gerichtet, die gemäß ihrer inneren Tendenz verderbliche Wirkungen hervorzurufen geeignet sind.
Ein kirchliches Lehrurteil ist unter anderem dann als unfehlbar anzusehen, wenn es die Form eines Anathematismus oder Kanons hat, in welchem die Anhänger einer genau bezeichneten Lehre mit dem Anathema (Bannfluch, Ausschluß aus der Kirche) belegt werden und die betreffende Lehre selbst somit als häretisch verdammt wird ("Wer sagt, ... der sei ausgeschlossen" "si quis dixerit, ... anathema sit"). Aber auch ohne Anathema, in positiver Darlegung einer Lehre, kann die Kirche unfehlbare Erkärungen abgeben.
aus den kirchlich in den Jahren 1930 bzw. 1925 approbierten Werken 1) KATHOLISCHE DOGMATIK von Msgr. Dr. Franz Diekamp; 2) DIE LOCI THEOLOGICI von Dr. Albert Lang; (zusammengestellt von Karl Haselböck)
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