Aus den Ansprachen an die Jungen
vom hl. Don Bosco
"Was für schöne Sachen könnte ich euch erzählen!" "Erzählen Sie, erzählen Sie", riefen alle durcheinander. "Gegenwärtig haben wir in unserem Haus einige Jungen, die von Gott durch besondere Gaben ausgezeichnet sind und die uns beweisen, daß Gott mit uns ist. Einer von ihnen, der zu den besten zählt, obwohl es andere gibt, die scheinbar durch größere Tugendhaftigkeit hervortreten, sah während der Beichte eine Kugel, die die ganze Kirche ausfüllte. Die aber wurde nach und nach so klein wie eine Nuß, und sie schickte sich an, sich auf dem Hostienkelch niederzulassen, blieb aber über ihm in der Luft schwebend; dort wuchs sie etwas und verschwand, nachdem sie wieder so klein geworden war wie zuvor. Ich fragte jenen Jungen, ob er die Bedeutung dieser Erscheinung verstehen könnte, und er verneinte es, fügte aber hinzu: "Und was denken Sie?" "Auch ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll", antwortete ich ihm.
Wie ihr seht, nahm ich von seiner Vertraulichkeit keine Notiz, doch könnte man der Sache folgende Deutung geben. Diese Kugel wurde am 2. dieses Monats gesehen, und am 6. starb Cavour und davon war dank seiner Macht und seines Namens die Welt voll. Während er immer kleiner wurde, erhob er sich bis über das Allerheiligste Sakrament, er schwoll an, wurde aber wieder kleiner und verschwand. Man könnte aber auch eine andere Erklärung geben, die nämlich, daß die Kugel eine Rebellion gegen die Kirche bedeute; aber da es scheint, als müßte die Kirche zerstört werden, vernichtet sich die Revolution und endet vor den Augen jener, die sie besorgt betrachten: in der Ferne erscheint sie groß, doch sie erweist sich als nichts und verschwindet vollkommen.
Ein anderer Junge betrachtete während der Wandlung der Hostie den gekreuzigten göttlichen Heiland. Anfangs war er sehr schön, mächtig und kraftvoll, doch dann begann er, schreckliche Leiden zu zeigen und so mager zu werden, daß er Mitleid erregte. Da schien ihm, als sähe er alle Jungen voller Zuneigung zu Jesus Christus hinstreben um ihm Nahrung und Labung anzubieten, und sie fragten ihn besorgt, was die Ursache seiner Leiden sei und warum er so abgemagert sei. Jesus antwortete: "Meine lieben Söhne! Das ist der Wille meines ewigen Vaters." So endete die Vision. Was mir besonders gefiel, ist die Tatsache, daß mir der Junge das aus eigenem Antrieb auf ein Stück Papier schrieb, das ich oben in meinem Zimmer aufbewahre, ohne der Sache irgendwelche Wichtigkeit zuzusprechen. Ich fragte ihn, ob er die Bedeutung dessen erkennen könnte, was er gesehen hatte und zumal der Abmagerung unseres Herrn; er antwortete mit nein, ihm kam es jedoch so vor, als wollte die Erscheinung auf eine Not hindeuten, gleichviel ob materiell oder spirituell, die aber keineswegs sofort eintreten wird, vielleicht nach einigen Jahren. Doch die wahrscheinlichste Erklärung ist, daß Jesus derzeit in der Gestalt seiner Kirche leidet.
Es gibt noch einen dritten Jungen, den ich schon in einem anderen Traum gesehen habe, einer aus der geringen Zahl jener, deren Herz wahrhaftig unwissend ist und das noch von der schönen Reinheit des Taufkleides widerstrahlt, mit dem in Verbindung zu stehen der Madonna gefällt, um ihm ferne und verborgene Dinge aufzuzeigen. Ich selbst wende mich an ihn, wenn ich wünsche, mancherlei hinsichtlich der Zukunft zu erfahren, natürlich auf eine Art und Weise, die sein Herz nicht in Aufruhr bringt. Und er vermag, nachdem er sich an die Allerheiligste Maria gewandt hat, sie (d.s. die fernen und verborgenen Dinge; Anm.d.Red.) mir in aller Einfachheit zu sagen. Dasselbe geschieht, wenn ich irgendeiner Gunst bedarf. Wir haben mehr als einen Jungen dieser Art unter uns. Das ist gewiß eine sonderbare Sache, doch ich achte darauf, wo das enden mag, weil die Illusionen keineswegs unmöglich sind. Doch ist gewiß, daß Maria sie liebt.
Ich erzähle euch noch von einem vierten Kameraden von euch etwas, das nicht natürlich erklärt werden kann. Vor den Osterferien reichte er das Gesuch ein, nach Hause gehen zu dürfen, um dort die Feiertage zu verbringen. Man wollte ihn nicht gehen lassen, doch er bestand darauf, indem er erklärte, daß er seinem Pfarrer im Tode beistehen wollte. Schließlich wurde ihm die Erlaubnis erteilt und er ging mit seiner fixen Idee los. Seine Eltern, denen er das ebenfalls mitgeteilt hatte, hielten ihn für verrückt und schrieben ans Oratorium, indem sie anfragten, ob ihr Sohn bereits so übergeschnappt von Turin aufgebrochen wäre, da es dem Priester gesundheitlich gut ging. Was aber nun? Nach wenigen Tagen wurde der Pfarrer krank, brachte seine Gewissensdinge in Ordnung und verstarb. (...)
Da zählt kein Wissen, und der gute Wille ist nichts wert: Der Herr verteilt seine Gaben unter jenen, die ihm wert sind und gefallen. Mir allerdings ist regelmäßige Tugend lieber als die außerordentlichen Gnaden, zumal diese Zeichen der Vorliebe sehr gefährlich sind, umso mehr noch, wenn sie zahlreich auftreten, wenn einer sich von der Versuchung überrumpeln ließe, überheblich zu werden. Gott widersetzt sich den Überheblichen und gibt seine Gnade den Demütigen. Manchmal lesen Seelen in diesem Zustand oder hören von der Kanzel herab über die Vision eines Heiligen berichten, oder sie kennen irgendetwas anderes Übernatürliches. So eine Erzählung wird jene, die der Gnaden nicht teilhaftig geworden sind, wie ein Schlag treffen; doch sie wird keinen von denen beeindrucken, von denen wir reden; vielmehr besteht die Gefahr, daß sie untereinander sagen: Oh! das ist schließlich nichts besonderes! auch ich wurde schon dieser Gunst teilhaftig. Was wäre das für ein Unglück, weil die Demut mangelt! Es wäre schrecklich, wenn man jene besonderen Gnaden den eigenen Verdiensten zuschriebe und wenn man sich deshalb auch nur im mindesten rühmt. Es mag einige Jahre her sein, da hatten wir einen Jungen hier im Haus, der während einer Krankheit versicherte, die Madonna gesehen zu haben, von der er viele schöne Dinge erfuhr. Er gab davon mehrere Proben, darunter jene, daß er wußte, wer von den Kameraden zur Beichte gegangen war und wer nicht; und diese letzteren schickte er, es war an einem Samstag Abend, zum Beichtvater. Auch war es ein schöner Beweis jener Vision, wie er nach seiner Heilung ein besonders gutes Benehmen annahm. Doch später begann er, Sorgen zu machen, und was für ein Unglück war das. Das ging so weit, daß wir genötigt waren, ihn aus dem Haus zu entlassen. Aber wie immer das sei, so ist es eine gewisse Sache, daß wir zumal in diesem Jahre viele Beweise der Güte Gottes gegenüber dem Oratorium empfangen haben. Alle diese Tatsachen zeigen, daß der Herr in unserem Hause herrscht; daß er uns beschützt und verteidigt und daß er alle Angelegenheiten unseres Hauses vorankommen läßt. Schande über uns, wenn wir darauf nicht eingehen!
In bezug auf die heilige Hostie galten mir niemals besondere Zeichen oder Erscheinungen, ausgenommen allerdings die Vermehrung der Hostien. Das war wahrlich ein schönes und überraschendes Erlebnis! Eines Morgens, ich war der einzige Priester im Haus, wie das seiner Zeit üblich war, las ich die Gemeinschaftsmesse. Danach begann ich, unter den Jungen die heilige Kommunion auszuteilen. Ich hatte nur wenige Hostien im Kelch, vielleicht zehn oder zwölf. Da sich anfangs nur wenige einfanden, hatte ich nicht daran gedacht, sie zu brechen, aber, nachdem sie die ersten empfangen hatten, kamen andere und danach noch mehr Jungen, so daß sich die Reihen der Jungen vor der Kommunionbank drei- oder viermal auffüllten. Es muß sich mindestens um fünfzig Kommunionen gehandelt haben. Ich wollte zum Altar zurückkehren, nachdem sich die ersten dem Abendmahl genähert hatten, um die verbliebenen Hostien zu brechen, da es mir aber so vorkam, als verbliebe im Kelch immer dieselbe Menge, fuhr ich fort, die Kommunion zu verteilen. So ging es weiter, ohne daß ich bemerkte, daß die Hostien weniger wurden. Als ich schließlich zum letzten kam, fand ich mich zu meiner größten Überraschung mit einer einzigen Hostie im Kelch, und mit dieser nahm er an der Kommunion teil. Ohne zu wissen wie, sah ich doch die Vermehrung jener Hostien.
(aus: Fischer, Kurt Gerhard: "Giovanni Bosco - Pädagogik der Vorsorge" Pderborn 1966, S. 112 ff., IV.
*** Das pädagogische Prinzip Don Boscos
Enttäuschungen, wird es nicht geben, weil der Erzieher Don Bosco mit jenem heiligen Wissen unter die Jugend geht, daß er schlicht zu dienen hat, nicht bloß Talente zu fördern, sondern Schwächen zu betreuen. Alle Enttäuschungen der herkömmlichen Erziehung erweisen sich als Folge eines geistigen Vergewaltigungsversuches am jungen Menschen. Wer nur dem Leben dienen will und dem Jugendglück, wird formender wirken als jener, der dem werdenden Menschen seinen kategorischen Imperativ entgegen hält. Das Alter diene der Jugend, nicht umgekehrt, das ist Boscos Maxime. Er hatte es hundettfach erfahren, daß so vieles Böse, das in der Jugend sich erhebt, von den Erwachsenen stammt, sei es, daß sie mit ihrer Zwängerei, mit ihrer Neigung zum Terror das Ungute in der wachsenden Natur wecken oder durch mangelnde Hingabe nicht verhindern. Jungen-Fehler sind zumeist Reflexe der Erwachsenen Laster. Das mag revolutionär klingen in den Ohren aller Traditionalisten, die es nicht wahr haben wollen, daß der junge Mensch auch anders sein könnte, als sich ihre an der Antike gestärkte Auffassung träumen läßt. Welchen Kampf hatte Bosco gegen diese scheinbar christliche Neigung zu führen, das geschichtlich bedingte Bild von Menschen für unveränderlich wie das Dogma zu halten. Er aber hat es bewiesen, und seine Nachfolger werden es glauben, daß Erzieher, die nur den Befehl der Hingabe kennen und eine durch nichts zu erschütternde Liebe zu Jesus Christus, die Jugend in einem neuen Lichte zeigen werden. Sie werden nicht predigen, im herkömmlichen Sinne, noch moralisieren, aber eine christliche Existenz voll Enthusiasmus und Weltbejahung vorleben und die Jugend magnetisch anziehen. (Franz Dilger, Giovani Bosco, Olten 1946, S. 201 f. |